Politologe Joachim Behnke über das Wahlrecht

Wie der "Mythos" der Direktmandate eine Reform blockiert

06:48 Minuten
Die Sitze des Bundestags in Berlin im Reichstagsgebäude durch die Glaskuppel von oben gesehen.
In Wirklichkeit würden die Wahlkreisgewinner teilweise nur noch von knapp einem Viertel der Wähler gewählt, sagt Joachim Behnke. © picture alliance / Felix Hörhager
Moderation: Liane von Billerbeck |
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709 statt 598 Abgeordneten: Wegen Überhang- und Ausgleichsmandaten ist der Bundestag aufgebläht wie nie. Und es könnten bald noch mehr werden, warnt Joachim Behnke. Einige Argumente gegen eine Reform seien nicht stichhaltig - und eine Lösung in Sicht.
709 Abgeordnete hat der Deutsche Bundestag derzeit. Viele zu viele – das sagen auch die dort vertretenen Parteien. Allerdings nur so lange, bis sie selbst auf Mandate verzichten müssten. Und bei einer Verkleinerung des Parlaments würden alle Parteien verlieren. "Und dementsprechend haben auch alle Parteien, so absurd es klingt, eigentlich ein gemeinsames Interesse, dass es gar nicht zu einer so grundlegenden Reform kommt", sagt Joachim Behnke Professor für Politikwissenschaft an der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen.
Gleichwohl wird derzeit ein Vorschlag von Linken, Grünen und FDP diskutiert, wie sich die Zahl der Abgeordneten verkleinern ließe. Dieser sieht vor, die Zahl der Wahlkreise von derzeit 299 auf nur noch 250 zu reduzieren und im Gegenzug die Regelgröße des Parlaments von 598 auf 630 zu erhöhen. Infolgedessen würde der Anteil der Direktmandatsträger im Parlament von 50 Prozent auf etwa 40 sinken. "Dadurch würde es zu weniger Überhangmandaten kommen beziehungsweise zu fast gar keinen mehr", sagt Behnke.

Direktkandidaten gewinnen mit weniger als 25 Prozent

Das gegen eine Reduzierung der Direktmandate vorgebrachte Argument, die Direktkandidaten seien doch unmittelbar von ihrer lokalen oder regionalen Bevölkerung gewählt und repräsentierten insofern eine Gemeinde oder Region, ist für den Politikwissenschaftler schlicht ein "Mythos". Denn in Wirklichkeit würden die Wahlkreisgewinner teilweise nur noch von knapp einem Viertel der Wähler gewählt.
Als Beispiel nennt Behnke die Wahl zweier AfD-Direktkandidaten in Baden-Württemberg bei der Landtagswahl. "Man kann aber davon ausgehen, dass jeder Kandidat der anderen Parteien gegen diesen Kandidaten gewonnen hätte, wenn er in einer Stichwahl angetreten wäre. Das Problem ist sozusagen, dass das andere Teillager sich in viele kleine Teillager zerlegt."
Der Friedrichshafener Politikwissenschaftler widerspricht auch einem weiteren Argument, das immer wieder gegen eine Reduzierung der Direktmandate vorgebracht wird: dass dadurch die Union benachteiligt würde, da diese ja besonders viele Wahlkreise gewinne.
"Das ist einfach falsch", sagt Behnke. Denn alle Parteien würden im gleichen Maße Sitze verlieren. "Der einzige Unterschied ist eben der, dass die Sitze, die die CDU verliert, vor allem Direktmandate wären, die die die Grünen oder die SPD verlieren, vor allem Listenmandate. Aber alle Parteien würden im gleichen Maße darunter leiden."
(uko)
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