Politologe: Keine Trendwende für kriselnde Piraten
In Umfragen befindet sich die Piratenpartei seit Monaten im Sinkflug. Ein Parteitag in Bayern soll nun für neuen Schwung sorgen. Für eine Trendumkehr spreche allerdings wenig, sagt der Politikwissenschaftler Everhard Holtmann. Noch immer fehle der Partei ein konsistentes Gesamtprogramm.
Ute Welty: Von 8 Prozent auf 2 Prozent: Noch vor einem Jahr schienen die Piraten im Politikbetrieb angekommen zu sein mit dem Einzug in den Landtag von Nordrhein-Westfalen, seitdem aber bröckeln die Umfragewerte und ein unschöner Führungsstreit beherrscht die Berichterstattung über die Partei, die so anders sein wollte und die doch ihre Szenarien bei FDP und CSU zu entlehnen scheint. Everhard Holtmann beobachtet das alles mit großem beruflichen Interesse, er ist nämlich Politologe an der Uni in Halle. Guten Morgen!
Everhard Holtmann: Hallo, Frau Welty!
Welty: Heute treffen sich die Piraten zum Parteitag in Neumarkt in Bayern. Ist das die Wende oder ist das das Ende?
Holtmann: Nun, mit Parteitagen verbinden sich ja immer Erwartungen eines Aufbruchs, entweder auf der Basis des Erfolges, oder aber auch, etwas pessimistischer oder nüchterner, dann eine negative Trendumkehr zu erreichen. Und wenn ich mir die Gesamtsituation der Piraten anschaue, so dürfte wenig dafür sprechen, dass man eine solche markante Trendumkehr tatsächlich zuwege bringt.
Welty: Wenn es nach Bernd Schlömer ginge, dem Vorsitzenden der Piratenpartei, dann würde dieser Parteitag vielleicht auch ein Online-Parteitag sein. Lässt sich die Partei über die Form retten, auch wenn es an Inhalten fehlt?
Holtmann: Das ist in der Tat ein grundsätzliches Strukturproblem der Partei von Anfang an, dass sie sich sehr stark über Kommunikationsformen neben anverwandten Präferenzen für Transparenz und für mehr Partizipation definiert hat und dass von Anfang an zentrale Politikfelder, die für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung – und zwar quer durch alle Altersgruppen – von nachweislich zentraler Bedeutung sind …
Welty: Welche sind das?
Holtmann: Zum Beispiel die Fragen von Arbeitsmarkt und Beschäftigung, der Bewältigung der Langzeitarbeitslosigkeit, Fragen der Steuerpolitik, der Haushaltskonsolidierung, nicht zuletzt auch mit Blick auf die junge Generation Fragen von Bildung und Bildungschancen. Also dazu lagen und liegen doch zu substanzarme, einzelne Vorschläge vor, Vorschläge zumal, die doch in einer vergleichsweise suboptimalen Weise dann auch miteinander vernetzt sind und sich zu einem konsistenten Gesamtprogramm verbinden lassen.
Welty: Sie haben vor einem guten Jahr von der NRW-Wahl als dem Lackmustest für die Piraten gesprochen. Den haben sie ja bekanntlich bestanden – und dann doch dieser Sinkflug in den Umfragewerten. Wer wendet sich da ab?
Holtmann: Ja, da ist in der Tat fast eine Art von Klimawende für die Piraten, die sich etwa zum Ausgang des vergangenen Jahres, also November, Dezember 2012 bereits abzeichnete. 2012 war ja, Sie haben es erwähnt, das Jahr von Wahlerfolgen bei Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Aber dann, ich erinnere daran, am 20. Januar diesen Jahres, die Landtagswahl in Niedersachen: Die Piraten fallen zurück auf 2,1 Prozent. Und man wird nebenbei gesagt auch jetzt nicht einfach die Rechnung machen können: Die Piraten sind die Partei, die vor allen Dingen dafür sorgt, dass aus dem Nichtwähler-Reservoir relevante Teile dann auch aktiviert werden. Man darf daran erinnern: Bei den Niedersachsen-Wahlen war die Wahlbeteiligung gleichzeitig, wenn auch nur mäßig, gestiegen.
Also in dieser Trendwende, in dieser negativen Klimawende im öffentlichen Bewusstsein für die Piraten, da sammelt sich Enttäuschung, Ernüchterung über das, was man an Erwartungen in die Piraten ursprünglich gesetzt hatte: Piraten sorgen dafür, dass die Politik offener und transparenter wird. Das mochten, wenn man den ARD-Deutschlandtrend vom November 2012 etwa in Erinnerung ruft, gerade mal noch 34 Prozent der Bundesbürger unterstreichen. Und dass die Piraten auf der anderen Seite zu diesem Zeitpunkt schon keine ernstzunehmende Partei mehr seien, das meinten 66 Prozent der Bürgerinnen und Bürger, und da hatte sich binnen Monatsfrist ein Zuwachs um 22 Prozent ergeben. Also das sind im Grunde Schlaglichter, die erklären, ja, vielleicht nicht erklären, aber doch abbilden können, was mit den Piraten in der öffentlichen Wahrnehmung passiert ist.
Welty: Und wo gehen diese Wähler dann hin? Zur Alternative für Deutschland, auch besser bekannt als die Anti-Euro-Partei?
Holtmann: Hier gibt es mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen direkten Austausch der Wählerströme zwischen den ursprünglichen Piratenwählern und potenziellen AfD-Wählern. Da mag es den einen oder die andere geben, die aus dem Protestmotiv heraus sich einen solchen Präferenzwechsel vorstellen kann, aber man wird nicht davon ausgehen dürfen, dass das ein generelles Handlungsmuster ist. Man darf erwarten, vorsichtig prognostiziert, dass die Wähler der Piraten, die ja, so lange sie erfolgreich waren in Landtagswahlen, von allen anderen Parteien hergekommen sind, von den sogenannten bürgerlichen ebenso wie aus dem linken Spektrum, dass die möglicherweise doch zumindest teilweise dann zu ihren ursprünglichen Parteipräferenzen zurückkehren.
Welty: Oder gar nicht wählen.
Holtmann: Oder auch zum Teil, wo sie ja auch herkamen, dann wiederum in das Lager der Nichtwähler zurückkehren. Quantifizierbare Prognosen hier zu machen, das ist ganz schwierig.
Welty: Wer schafft es denn im September in den Bundestag? Die Piraten, die AfD, beide, keiner?
Holtmann: Also nach den jetzigen Umfragedaten wird man die Chancen der einen wie der anderen Gruppierung vergleichsweise nüchtern in dem Sinne betrachten müssen, dass ihre Chancen relativ gering sein dürften, die Piraten deshalb, weil sie es bisher ja nicht geschafft haben, ihren dramatischen Sinkflug auch nur annähernd aufzufangen, und die AfD, denke ich, deshalb, aus anderen Gründen, weil sie auf der einen Seite weder über eine bisher ausreichende Organisationskraft verfügen, noch entsprechende charismatische Führungspersönlichkeiten haben, noch – und das ist eine gewisse Parallele für mich zu den Piraten – über kein erkennbar konsistentes Gesamtprogramm verfügen, was über das von ihnen erwählte Kernthema Austritt aus dem Euro hinaus ein entsprechendes Politikangebot darstellen würde, und sie damit auch möglicherweise als Alternative für die sogenannten etablierten Parteien erkennbar macht.
Welty: Vor dem Parteitag der Piraten eine Kursbeschreibung des Politologen Everhard Holtmann, danke dafür!
Holtmann: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Everhard Holtmann: Hallo, Frau Welty!
Welty: Heute treffen sich die Piraten zum Parteitag in Neumarkt in Bayern. Ist das die Wende oder ist das das Ende?
Holtmann: Nun, mit Parteitagen verbinden sich ja immer Erwartungen eines Aufbruchs, entweder auf der Basis des Erfolges, oder aber auch, etwas pessimistischer oder nüchterner, dann eine negative Trendumkehr zu erreichen. Und wenn ich mir die Gesamtsituation der Piraten anschaue, so dürfte wenig dafür sprechen, dass man eine solche markante Trendumkehr tatsächlich zuwege bringt.
Welty: Wenn es nach Bernd Schlömer ginge, dem Vorsitzenden der Piratenpartei, dann würde dieser Parteitag vielleicht auch ein Online-Parteitag sein. Lässt sich die Partei über die Form retten, auch wenn es an Inhalten fehlt?
Holtmann: Das ist in der Tat ein grundsätzliches Strukturproblem der Partei von Anfang an, dass sie sich sehr stark über Kommunikationsformen neben anverwandten Präferenzen für Transparenz und für mehr Partizipation definiert hat und dass von Anfang an zentrale Politikfelder, die für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung – und zwar quer durch alle Altersgruppen – von nachweislich zentraler Bedeutung sind …
Welty: Welche sind das?
Holtmann: Zum Beispiel die Fragen von Arbeitsmarkt und Beschäftigung, der Bewältigung der Langzeitarbeitslosigkeit, Fragen der Steuerpolitik, der Haushaltskonsolidierung, nicht zuletzt auch mit Blick auf die junge Generation Fragen von Bildung und Bildungschancen. Also dazu lagen und liegen doch zu substanzarme, einzelne Vorschläge vor, Vorschläge zumal, die doch in einer vergleichsweise suboptimalen Weise dann auch miteinander vernetzt sind und sich zu einem konsistenten Gesamtprogramm verbinden lassen.
Welty: Sie haben vor einem guten Jahr von der NRW-Wahl als dem Lackmustest für die Piraten gesprochen. Den haben sie ja bekanntlich bestanden – und dann doch dieser Sinkflug in den Umfragewerten. Wer wendet sich da ab?
Holtmann: Ja, da ist in der Tat fast eine Art von Klimawende für die Piraten, die sich etwa zum Ausgang des vergangenen Jahres, also November, Dezember 2012 bereits abzeichnete. 2012 war ja, Sie haben es erwähnt, das Jahr von Wahlerfolgen bei Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Aber dann, ich erinnere daran, am 20. Januar diesen Jahres, die Landtagswahl in Niedersachen: Die Piraten fallen zurück auf 2,1 Prozent. Und man wird nebenbei gesagt auch jetzt nicht einfach die Rechnung machen können: Die Piraten sind die Partei, die vor allen Dingen dafür sorgt, dass aus dem Nichtwähler-Reservoir relevante Teile dann auch aktiviert werden. Man darf daran erinnern: Bei den Niedersachsen-Wahlen war die Wahlbeteiligung gleichzeitig, wenn auch nur mäßig, gestiegen.
Also in dieser Trendwende, in dieser negativen Klimawende im öffentlichen Bewusstsein für die Piraten, da sammelt sich Enttäuschung, Ernüchterung über das, was man an Erwartungen in die Piraten ursprünglich gesetzt hatte: Piraten sorgen dafür, dass die Politik offener und transparenter wird. Das mochten, wenn man den ARD-Deutschlandtrend vom November 2012 etwa in Erinnerung ruft, gerade mal noch 34 Prozent der Bundesbürger unterstreichen. Und dass die Piraten auf der anderen Seite zu diesem Zeitpunkt schon keine ernstzunehmende Partei mehr seien, das meinten 66 Prozent der Bürgerinnen und Bürger, und da hatte sich binnen Monatsfrist ein Zuwachs um 22 Prozent ergeben. Also das sind im Grunde Schlaglichter, die erklären, ja, vielleicht nicht erklären, aber doch abbilden können, was mit den Piraten in der öffentlichen Wahrnehmung passiert ist.
Welty: Und wo gehen diese Wähler dann hin? Zur Alternative für Deutschland, auch besser bekannt als die Anti-Euro-Partei?
Holtmann: Hier gibt es mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen direkten Austausch der Wählerströme zwischen den ursprünglichen Piratenwählern und potenziellen AfD-Wählern. Da mag es den einen oder die andere geben, die aus dem Protestmotiv heraus sich einen solchen Präferenzwechsel vorstellen kann, aber man wird nicht davon ausgehen dürfen, dass das ein generelles Handlungsmuster ist. Man darf erwarten, vorsichtig prognostiziert, dass die Wähler der Piraten, die ja, so lange sie erfolgreich waren in Landtagswahlen, von allen anderen Parteien hergekommen sind, von den sogenannten bürgerlichen ebenso wie aus dem linken Spektrum, dass die möglicherweise doch zumindest teilweise dann zu ihren ursprünglichen Parteipräferenzen zurückkehren.
Welty: Oder gar nicht wählen.
Holtmann: Oder auch zum Teil, wo sie ja auch herkamen, dann wiederum in das Lager der Nichtwähler zurückkehren. Quantifizierbare Prognosen hier zu machen, das ist ganz schwierig.
Welty: Wer schafft es denn im September in den Bundestag? Die Piraten, die AfD, beide, keiner?
Holtmann: Also nach den jetzigen Umfragedaten wird man die Chancen der einen wie der anderen Gruppierung vergleichsweise nüchtern in dem Sinne betrachten müssen, dass ihre Chancen relativ gering sein dürften, die Piraten deshalb, weil sie es bisher ja nicht geschafft haben, ihren dramatischen Sinkflug auch nur annähernd aufzufangen, und die AfD, denke ich, deshalb, aus anderen Gründen, weil sie auf der einen Seite weder über eine bisher ausreichende Organisationskraft verfügen, noch entsprechende charismatische Führungspersönlichkeiten haben, noch – und das ist eine gewisse Parallele für mich zu den Piraten – über kein erkennbar konsistentes Gesamtprogramm verfügen, was über das von ihnen erwählte Kernthema Austritt aus dem Euro hinaus ein entsprechendes Politikangebot darstellen würde, und sie damit auch möglicherweise als Alternative für die sogenannten etablierten Parteien erkennbar macht.
Welty: Vor dem Parteitag der Piraten eine Kursbeschreibung des Politologen Everhard Holtmann, danke dafür!
Holtmann: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.