Politologe und DJ Vitali Shkliarov

"Sie versuchen, mich zu brechen"

04:53 Minuten
Vitali Schkliarow fotografiert 2017 in einem Café in der Moskauer Innenstadt.
Vitali Shkliarov in einem Moskauer Café: Während eines Besuchs in Belarus wurde er verhaftet. © Getty Images / The Washington Post / Andrew Roth
Von Alexander Bühler und Konstantin Evgenienko |
Audio herunterladen
Der Politologe und DJ Vitali Shkliarov sitzt in einem Untersuchungsgefängnis in Minsk. Dort werde er nun mit der gleichen Musik gefoltert, die sie früher gemeinsam bei der "Russendisko" auflegten, erzählt der Schriftsteller Wladimir Kaminer.
"Es scheint so, als hätte irgendeine defekte Zeitmaschine mich direkt in den Gulag verfrachtet. Sie versuchen, mich zu brechen. Sie nutzen altbekannte Lagermethoden. Ich bin ein politischer Gefangener."
So schreibt der Politologe Vitali Shkliarov in einem Brief, den sein Anwalt aus dem Gefängnis mitnehmen durfte. Shkliarov sitzt seit Wochen in einem Untersuchungsgefängnis in der Hauptstadt Minsk ein. Er wurde verhaftet, als er auf dem Markt einkaufen ging. Der Schriftsteller Wladimir Kaminer kennt Shkliarov seit vielen Jahren.
"Der hat mit uns gearbeitet als DJ, als lustiger Mensch, Musik aufgelegt bei der Russendisko", erzählt Wladimir Kaminer. "Aber auf Dauer konnte er keine Arbeit finden und ist nach Amerika gefahren, nach Russland, nach Georgien, der hat überall gearbeitet, der hat sehr viel Weißrussland, das Regime, kritisiert. Und konnte sich nicht vorstellen, dass dieses verlogene Regime ihn selbst angreifen wird."

Wahlhelfer für Sanders und Obama

Vor etwas mehr als zwei Wochen hat Kaminer auf allen Kanälen auf das Schicksal seines Freundes aufmerksam gemacht. Shkliarov, der als Wahlhelfer für Bernie Sanders und Barack Obama und für den einzigen oppositionellen Duma-Abgeordneten in Russland gearbeitet habe, wollte nur seine Eltern in seiner Geburtsstadt besuchen, so Kaminer.
Wir haben den Anwalt Shkliarovs angerufen, um zu erfahren, wie es ihm geht, mein Kollege Konstantin spricht auf Russisch mit ihm.
"Ich habe Vitali heute gesehen, ich versuche ihn täglich zu besuchen, da niemand so richtig weiß, was mit ihm passieren kann", erzählt der Anwalt. "Vielleicht ist heute noch alles in Ordnung, aber morgen könnte er in Isolationshaft landen oder geschlagen werden. Deswegen versuche ich, ihn täglich zu besuchen, um seinen Zustand zu kontrollieren und ihm juristisch zur Seite zu stehen. Aktuell steht er unter hoher psychischer Belastung, er ist verzweifelt und versteht nicht, was gerade passiert und wie sowas im 21. Jahrhundert überhaupt möglich ist."

Altbewährte Foltermethoden

Das Rechtssystem sei mehr oder minder von der Sowjetunion übernommen worden, erklärt der Anwalt. Und daher diktiere der Staatsanwalt, wie in der U-Haft vorgegangen werde. Zum Beispiel eben Shkliarov in die ein Quadratmeter große Isolationszelle zu bringen. Ein altbewährtes System, um Häftlinge psychisch zu brechen.
Seit seinem Protest dagegen würde das bei Shkliarov nicht mehr gemacht, immerhin. Doch dafür ist sein Mandant in einer Art Schwebezustand - nach bester sowjetischer Manier. Er wird immer wieder verhört, ohne zu erfahren, was ihm konkret vorgeworfen wird.
"Er denkt, dass Druck auf ihn ausgeübt wird, um ihn zum Reden zu zwingen. Er soll etwas ausplaudern, was gegen ihn verwendet werden könnte. Deshalb macht er keine Aussagen und verneint seine Beteiligung an seinem angeblichen Verbrechen. Er sagt nichts, was das Ermittlerkomitee zufriedenstellen könnte."
Angeblich habe Shkliarov - auf dem Markt - die gesellschaftliche Ordnung beeinträchtigt, sei ungehorsam gegenüber Befehlen von Regierungsvertretern gewesen. So der Vorwurf, formuliert entlang einem Gummiparagrafen aus dem belarusischen Strafgesetzbuch, der verdächtig nach Stalinismus riecht.

Protestrufe lauter als Schlagerhits

"Wir haben bei der Russendisko oft und gerne - aus Spaß - alte sowjetische Schlager aufgelegt", erzählt Wladimir Kaminer. "Und dazu gesagt: Die besten Hits aus dem Imperium des Bösen. Es war eine lustige Angelegenheit. Und jetzt, im weißrussischen Knast, wird mein Freund mit der gleichen Musik gefoltert. Die von früh bis spät auf dem Hof spielt."
Und doch merkt Shkliarov auch in der U-Haft, dass das Regime Lukashenko unter großem Druck steht, dass es längst nicht mehr ungestört schalten und walten kann, dass die Menschen in Belarus auch für ihn auf die Straße gehen.
"Eine große Freude hat ihm letztens die Tatsache bereitet, dass er am Sonntag trotz lauter Musik, die im Untersuchungsgefängnis abgespielt wurde, die Proteste auf der Straße hören konnte. Er hörte die Rufe: 'Freiheit für politisch Gefangene'."
Mehr zum Thema