Politologe: Unruhen in Ägypten werden nicht auf Anrainer übergreifen
Die Eskalation der Gewalt in Ägypten alarmiert auch die Regierungen der ölreichen Nachbarländer, sagt der Politikwissenschaftler Josef Janning. Dennoch sei die Wahrscheinlichkeit derzeit gering, dass die Unruhen sich auf andere Staaten ausbreiten.
André Hatting: Wieder ein Wochenende der Gewalt in Ägypten. Am Samstag stürmen Polizisten eine von Muslimbrüdern besetzte Moschee in Kairo, mehrere Hundert Menschen werden festgenommen. Gestern dann wieder Tote bei einem gescheiterten Gefangenenbefreiungsversuch der Muslimbruderschaft, die – und das könnte der nächste Schritt sein – das Militär verbieten lassen will, unbeeindruckt von der Kritik des Auslands. Einige EU-Länder, Deutschland zum Beispiel, streichen ihre Entwicklungshilfe. Fatal für ein Land, das seit dem Sturz Mubaraks auch wirtschaftlich im Chaos versinkt. Viele ausländische Unternehmen verlassen das Land, General Motors zum Beispiel oder Electrolux, einer der größten Haushaltsgerätehersteller. Am Telefon ist jetzt Josef Janning, Experte für europäische und internationale Politik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Guten Morgen, Herr Janning!
Josef Janning: Guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Fürchten Sie, dass noch mehr Firmen Ägypten verlassen werden oder zumindest dort die Produktion einstellen werden?
Janning: Das ist zu befürchten in dem Moment, wo diese innenpolitische Lage weiter andauert. Ägypten lebt ja im Ausnahmezustand, sie haben Ausgangssperren, sie haben im Grunde eine Militärherrschaft und das ist kein gutes Klima für Unternehmen, um zu wachsen und zu gedeihen.
Hatting: Der Kurs an der Kairoer Börse hat auch wieder nachgegeben, das spricht auch dafür. Kann man sagen, dass es immer schwerer wird, das Land wirtschaftlich wiederaufzubauen, je länger diese Unruhen andauern?
Janning: Ja. Auch deswegen, weil das Land sich schon in einer wirtschaftlichen Krise sich befindet. Die mangelnde Leistungsfähigkeit der ägyptischen Wirtschaft in Bezug auf die Erwartungen der Menschen war ja einer der Gründe für den Arabischen Frühling, einer der Gründe dafür, dass sich die Menschen aufgelehnt haben gegen das alte Regime von Mubarak. Das heißt, Ägypten muss nicht nur wieder auf den Stand von Mubarak zurückkommen, sondern muss eigentlich sehr viel mehr leisten, um die Erwartungen der Menschen zu erfüllen, um einen sozialen Frieden, eine Entwicklungsperspektive aufzuzeigen.
Hatting: Welches Potenzial hat denn das Land, von Tourismus mal abgesehen?
Janning: Das größte Potenzial, das Ägypten besitzt, sind seine Menschen. Es ist das bevölkerungsreichste arabische Land. Es hat in den letzten 20, 30 Jahren in gewisser Weise eine Bildungsrevolution erlebt, es gab noch nie so viele gut ausgebildete junge Ägypter wie heute. Und es hat eine urbane Bevölkerung, die offen und neugierig und aufgeschlossen ist. Das ist neben dem, was es an wenigen Rohstoffen gibt, eigentlich der größte Schatz, den dieses Land hat. Aber um den zu heben, um den produktiv zu nutzen, brauchen Sie ein vernünftiges, geordnetes und von den Menschen getragenes Gemeinwesen.
Hatting: Sie haben, Herr Janning, gerade die wenigen Rohstoffe schon angesprochen, Öl gehört auch dazu, davon gibt es in Ägypten so gut wie nichts. Trotzdem ist das Land gerade für Öl extrem wichtig. Warum?
Janning: Ja, es ist wichtig, denn mit dem Suezkanal besitzt es einen der zentralen Handelswerge für Öl. Aber nicht nur für Öl, sondern eine der zentralen Schifffahrtsrouten der Weltwirtschaft, die für Europa besonders wichtig ist, führt durch den Suezkanal. Stellen Sie sich vor, der Kanal ist dicht, dann muss der gesamte Verkehr, das gesamte Öl, aber auch sämtliche Waren, die etwa aus Fernost zu uns kommen, müssen außen um Afrika herum, was die Transporte verlängert und damit auch verteuert.
Hatting: Der Ölpreis – apropos verteuert – liegt schon bei über 100 Dollar pro Barrel im Augenblick, das merken wir auch an den Tankstellen in Deutschland. Ist die Krise in Ägypten allein der Grund für den gestiegenen Ölpreis?
Janning: Das kann ich Ihnen jetzt nicht genau sagen, weil ich nicht weiß, welche anderen Gründe es noch geben könnte. Ich weiß nur eins: Immer dann, wenn es in der Region beziehungsweise entlang eines solchen Nadelöhrs des Transports zu politischen Erschütterungen kommt, reagiert der Preis. Denn damit wächst die Unsicherheit, ob die Ölversorgung in der Zukunft zu den gleichen Bedingungen, zu den gleichen Kosten gegeben sein wird. Es war ja der Suezkanal schon einmal geschlossen nach dem Sechs-Tage-Krieg und ist Jahre geschlossen geblieben, und das hat sich wirtschaftlich deutlich bemerkbar gemacht. Und das ist jetzt der Faktor, der auch für Unsicherheiten am Ölmarkt sorgt.
Hatting: Fürchten Sie ein Übergreifen der Krise auf ölreiche Staaten der Region?
Janning: Die sind ja bereits sehr alarmiert. Ein Übergreifen im Sinne gewissermaßen eines Überschwappens auf andere Staaten sehe ich eher nicht. Aber alles das, was im Arabischen Frühling in Ägypten und vor allen Dingen in Tunesien passiert, ist von den arabischen Staaten, insbesondere auf der arabischen Halbinsel sehr aufmerksam beobachtet worden. Dort möchte man nicht solche Massenbewegungen sehen, denn das sind aristokratische Clan-Herrschaften, die möchten die Dinge selbst in der Hand haben. Und die haben kein Interesse an einer durchgreifenden Demokratisierung. Und insofern erhält die Militärführung in Kairo jetzt unmittelbar Unterstützung von den Staaten der arabischen Halbinsel, den Vereinigten Arabischen Emiraten, auch Saudi-Arabien, denn dort sähe man es lieber, Ägypten kehrte zu Ruhe und Ordnung zurück, als Ägypten kehrt zu dieser aufgeregten Situation des Ringens der politischen Kräfte miteinander um die passende Verfassungsordnung zurück.
Hatting: Über die politische Rolle Ägyptens in dieser Region haben wir schon mehrfach berichtet, aber welche wirtschaftliche Bedeutung hat das Land für die Region?
Janning: Wenn Ägypten blüht und gedeiht, wird das unmittelbar auch auf die Region ausstrahlen. Ägypten hat ein großes Produktionspotenzial wegen seiner Menschen, Ägypten ist, wenn es nicht gerade in großen Krisenzeiten lebt, bislang ein Arbeitskräfte-Exporteur. Es gibt relativ viele Ägypter, die in den umliegenden Ländern arbeiten und dann ihre Einnahmen nach Hause schicken. Also, sie sind auch in der Hinsicht ein Wirtschaftsfaktor in der Region.
Hatting: Josef Janning, Experte für europäische und internationale Politik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Janning!
Janning: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Josef Janning: Guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Fürchten Sie, dass noch mehr Firmen Ägypten verlassen werden oder zumindest dort die Produktion einstellen werden?
Janning: Das ist zu befürchten in dem Moment, wo diese innenpolitische Lage weiter andauert. Ägypten lebt ja im Ausnahmezustand, sie haben Ausgangssperren, sie haben im Grunde eine Militärherrschaft und das ist kein gutes Klima für Unternehmen, um zu wachsen und zu gedeihen.
Hatting: Der Kurs an der Kairoer Börse hat auch wieder nachgegeben, das spricht auch dafür. Kann man sagen, dass es immer schwerer wird, das Land wirtschaftlich wiederaufzubauen, je länger diese Unruhen andauern?
Janning: Ja. Auch deswegen, weil das Land sich schon in einer wirtschaftlichen Krise sich befindet. Die mangelnde Leistungsfähigkeit der ägyptischen Wirtschaft in Bezug auf die Erwartungen der Menschen war ja einer der Gründe für den Arabischen Frühling, einer der Gründe dafür, dass sich die Menschen aufgelehnt haben gegen das alte Regime von Mubarak. Das heißt, Ägypten muss nicht nur wieder auf den Stand von Mubarak zurückkommen, sondern muss eigentlich sehr viel mehr leisten, um die Erwartungen der Menschen zu erfüllen, um einen sozialen Frieden, eine Entwicklungsperspektive aufzuzeigen.
Hatting: Welches Potenzial hat denn das Land, von Tourismus mal abgesehen?
Janning: Das größte Potenzial, das Ägypten besitzt, sind seine Menschen. Es ist das bevölkerungsreichste arabische Land. Es hat in den letzten 20, 30 Jahren in gewisser Weise eine Bildungsrevolution erlebt, es gab noch nie so viele gut ausgebildete junge Ägypter wie heute. Und es hat eine urbane Bevölkerung, die offen und neugierig und aufgeschlossen ist. Das ist neben dem, was es an wenigen Rohstoffen gibt, eigentlich der größte Schatz, den dieses Land hat. Aber um den zu heben, um den produktiv zu nutzen, brauchen Sie ein vernünftiges, geordnetes und von den Menschen getragenes Gemeinwesen.
Hatting: Sie haben, Herr Janning, gerade die wenigen Rohstoffe schon angesprochen, Öl gehört auch dazu, davon gibt es in Ägypten so gut wie nichts. Trotzdem ist das Land gerade für Öl extrem wichtig. Warum?
Janning: Ja, es ist wichtig, denn mit dem Suezkanal besitzt es einen der zentralen Handelswerge für Öl. Aber nicht nur für Öl, sondern eine der zentralen Schifffahrtsrouten der Weltwirtschaft, die für Europa besonders wichtig ist, führt durch den Suezkanal. Stellen Sie sich vor, der Kanal ist dicht, dann muss der gesamte Verkehr, das gesamte Öl, aber auch sämtliche Waren, die etwa aus Fernost zu uns kommen, müssen außen um Afrika herum, was die Transporte verlängert und damit auch verteuert.
Hatting: Der Ölpreis – apropos verteuert – liegt schon bei über 100 Dollar pro Barrel im Augenblick, das merken wir auch an den Tankstellen in Deutschland. Ist die Krise in Ägypten allein der Grund für den gestiegenen Ölpreis?
Janning: Das kann ich Ihnen jetzt nicht genau sagen, weil ich nicht weiß, welche anderen Gründe es noch geben könnte. Ich weiß nur eins: Immer dann, wenn es in der Region beziehungsweise entlang eines solchen Nadelöhrs des Transports zu politischen Erschütterungen kommt, reagiert der Preis. Denn damit wächst die Unsicherheit, ob die Ölversorgung in der Zukunft zu den gleichen Bedingungen, zu den gleichen Kosten gegeben sein wird. Es war ja der Suezkanal schon einmal geschlossen nach dem Sechs-Tage-Krieg und ist Jahre geschlossen geblieben, und das hat sich wirtschaftlich deutlich bemerkbar gemacht. Und das ist jetzt der Faktor, der auch für Unsicherheiten am Ölmarkt sorgt.
Hatting: Fürchten Sie ein Übergreifen der Krise auf ölreiche Staaten der Region?
Janning: Die sind ja bereits sehr alarmiert. Ein Übergreifen im Sinne gewissermaßen eines Überschwappens auf andere Staaten sehe ich eher nicht. Aber alles das, was im Arabischen Frühling in Ägypten und vor allen Dingen in Tunesien passiert, ist von den arabischen Staaten, insbesondere auf der arabischen Halbinsel sehr aufmerksam beobachtet worden. Dort möchte man nicht solche Massenbewegungen sehen, denn das sind aristokratische Clan-Herrschaften, die möchten die Dinge selbst in der Hand haben. Und die haben kein Interesse an einer durchgreifenden Demokratisierung. Und insofern erhält die Militärführung in Kairo jetzt unmittelbar Unterstützung von den Staaten der arabischen Halbinsel, den Vereinigten Arabischen Emiraten, auch Saudi-Arabien, denn dort sähe man es lieber, Ägypten kehrte zu Ruhe und Ordnung zurück, als Ägypten kehrt zu dieser aufgeregten Situation des Ringens der politischen Kräfte miteinander um die passende Verfassungsordnung zurück.
Hatting: Über die politische Rolle Ägyptens in dieser Region haben wir schon mehrfach berichtet, aber welche wirtschaftliche Bedeutung hat das Land für die Region?
Janning: Wenn Ägypten blüht und gedeiht, wird das unmittelbar auch auf die Region ausstrahlen. Ägypten hat ein großes Produktionspotenzial wegen seiner Menschen, Ägypten ist, wenn es nicht gerade in großen Krisenzeiten lebt, bislang ein Arbeitskräfte-Exporteur. Es gibt relativ viele Ägypter, die in den umliegenden Ländern arbeiten und dann ihre Einnahmen nach Hause schicken. Also, sie sind auch in der Hinsicht ein Wirtschaftsfaktor in der Region.
Hatting: Josef Janning, Experte für europäische und internationale Politik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Janning!
Janning: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.