Die EU muss "auch mal selbstbewusst auftreten"
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Der Politologe Jonathan Hackenbroich hat wenig Hoffnung, dass die USA ihre Sanktionen gegen den Iran wegen der Coronakrise lockern. Dennoch haben die Europäer heute erstmals medizinische Güter in den Iran geliefert: über "Instex", eine Art Tauschplattform.
Ellen Häring: Jonathan Hackenbroich vom European Council on Foreign Relations, Sie haben sich intensiv mit der Sanktionspolitik weltweit beschäftigt und können uns heute helfen zu verstehen, wie eigentlich Handels- und Finanzsanktionen überhaupt funktionieren. Aber zuerst einmal vorweg die Frage: Sind diese Sanktion eigentlich aktuell in Kraft, in so einer Krisensituation?
Jonathan Hackenbroich: Die Sanktionen sind nicht aufgehoben. Die US-Sanktionen sind sogar in den letzten Wochen teilweise drastisch verschärft worden, wenn wir zum Beispiel an Iran denken oder Venezuela. Wobei es einen sogenannten humanitären Kanal gibt, das hat der US-amerikanische Finanzminister gerade wieder gesagt, also man darf theoretisch bestimmte humanitäre Güter weiter in Iran und in diese Länder exportieren. Praktisch ist das aber fast nicht machbar.
Häring: Warum nicht?
Hackenbroich: Weil dieser humanitäre Kanal nicht ausreichend Klarheit schafft, welche Güter erlaubt sind. Besonders unklar ist es bei Schutzausrüstung, weil da immer die Frage mitschwingt: Kann die auch für etwas anderes benutzt werden? Und da ist nicht entscheidend, ob sie das wirklich könnte, sondern ob die amerikanische Regierung das behaupten könnte oder das feststellen könnte. Das große Problem ist, dass die Bank, die so was finanzieren wollen würde, sich am liebsten eine Unbedenklichkeitsbescheinigung in Washington ausstellen lassen würde. Und diese werden aktuell nicht ausgestellt.
Keine europäische Bank traut sich, Medikamente zu liefern
Häring: Was heißt es denn eigentlich für die Länder? Das hat doch sicherlich gravierende Auswirkungen auf die medizinische Versorgungslage.
Hackenbroich: Absolut ja. Es ist ganz konkret so, dass sich eigentlich keine europäische Bank traut, auch unbedenkliche Güter wie Medikamente oder Ausrüstung zu liefern. Nehmen wir die Beatmungsgeräte, von denen es ja sowieso derzeit zu wenig gibt. Man müsste Angst haben, dass Teile davon anders verwendet werden könnten und so weiter. Das heißt, es fehlt selbst an den Rohmaterialien und der nötigen Ausrüstung
Häring: "Instex" ist eine europäische Plattform, über die der Handel mit dem Iran auf legale Weise betrieben werden kann. Diese Idee stand lange Zeit nur auf dem Papier. Heute morgen gab es aber nun die erste Transaktion, medizinische Produkte wurden in den Iran geschickt. Können Sie uns erklären, wie Instex eigentlich funktioniert?
Hackenbroich: Instex ist eine Art Verrechnungsplattform, die Deutschland, Frankreich und Großbritannien aufgebaut haben, seit ein paar Jahren, und die jetzt eben ihre ersten Transaktionen getätigt hat. Und die Idee ist eigentlich eine ganz simple, nämlich ein Tauschhandel. Also man schickt bestimmte Güter in den Iran und bekommt andere Güter aus dem Iran nach Europa, ohne dass man das über das normale Zahlungssystem, also das Dollarsystem abwickeln muss. Aber so simpel wie die Idee klingt, ist die Umsetzung nicht. Deswegen hat es lange gedauert. Aber es hat nun immerhin geklappt.
"China hat sich hier einen Freiraum verschafft"
Häring: Was kommt denn dann aus dem Iran nach Europa?
Hackenbroich: Da kann ich auch nur spekulieren, was das sein wird. Es gab, soweit ich das verstanden habe, es ist ja gerade ganz frisch, bisher keine Gegenlieferungen. Die stehen dann aber natürlich irgendwann an, jedenfalls wenn die Plattform wieder auf Null kommen möchte. Sonst wäre das dann eben kein kommerzieller Export, sondern eine Hilfsleistung.
Häring: China schert sich gar nicht um die Drohungen der USA. China engagiert sich im Iran, in Venezuela, China engagiert sich auch sehr stark auf Kuba. Warum sind die nicht erpressbar?
Hackenbroich: Die Chinesen sind schon auch erpressbar. Aber sie haben natürlich ein ganz anderes Verhältnis zu den Vereinigten Staaten als wir. Und die Chinesen haben besser erkannt, dass es letztlich eine Frage des politischen Machtkampfs ist und auch politisches Kalkül. Es werden ja auch nicht immer alle sanktioniert, sondern es werden stattdessen eher große Exempel statuiert. Da wird eine große Bank sanktioniert, die unglaublich hohe Strafen zahlen muss.
Das heißt, es beruht auf dem Prinzip der Abschreckung. Und China ist im breiteren Handelskonflikt mit Amerika gewohnt, machtpolitisch gegenüber den USA aufzutreten und hat sich hier einen Freiraum verschafft. Aber der US-Dollar ist auch für Chinesen wichtig und es wäre für eine große chinesische Bank ein Riesenschaden, wenn sie aus dem US-Dollar-System oder aus dem amerikanischen Markt rausfliegen würde.
Häring: Kann sich China auch deshalb mehr erlauben, weil China eine große Wirtschaftsmacht ist?
Hackenbroich: Wenn wir uns einzeln anschauen, als EU-Mitgliedstaaten, dann sind wir natürlich deutlich kleiner. Aber alle zusammen als Europäer hätten wir eine ähnlich große Wirtschaftsmacht. Insofern ist es sehr wichtig, dass Europa versteht, dass es da um Machtkategorien geht und dass man durchaus auch mal selbstbewusst auftreten kann und muss, um einen Präzedenzfall zu verhindern. Wenn Washington uns jetzt immer wieder sagt, wie wir mit welchen Ländern handeln sollen, ist die Gefahr groß, dass auch andere Großmächte wie China bald auf die Idee kommen, diese Sanktionspolitik auszunutzen. Und deswegen müssen wir uns da wappnen und Schutzmaßnahmen treffen.
Die Krise könnte den wirtschaftlichen Egoismus sogar verstärken
Häring: Das älteste Handelsembargo der Welt betrifft Kuba. Seit 60 Jahren willl die USA Kuba in die Knie zwingen, aber es gelingt nicht. Warum hält die USA trotzdem an dem Embargo fest?
Hackenbroich: Barack Obama hatte ja versucht, das zu lockern und ist auf Kuba zugegangen. Aber jetzt ist ein anderer Präsident an der Macht, und der will Stärke zeigen. Es gibt auch innenpolitische Interessen. Es gibt eine große Wählerschaft der Exilkubaner, die das ja immer noch autoritäre und kommunistisch agierende Regime in Kuba absolut nicht leiden können, teilweise ja auch aus verständlichen Gründen. Und diese Wählerschaft will Trump ansprechen, gerade in einem Wahljahr.
Häring: Viele sagen ja jetzt: In der Krise merken wir, dass wir alle zusammenstehen müssen, dass alles mit allem zusammenhängt und dass wir nicht gegeneinander agieren dürfen. Könnte es sein, dass diese Krise auch hilft, Politik anders zu betrachten und vielleicht Wirtschafts- und Finanzsanktionen hinter humanitäre Aspekte zurückzustellen?
Hackenbroich: Ich glaube schon, dass das natürlich die Sanktionspolitik jetzt in dieser unglaublich schwierigen Lage im Iran und in Venezuela und anderen Ländern stark in Frage gestellt wird. Und es gibt auch eine heftige innenpolitische Debatte in den USA. Die Demokraten fordern von Trump jetzt, humanitäre Lieferungen zuzulassen. Insofern vielleicht gibt es da einen kleinen Hoffnungsschimmer. Aber meine Sorge ist eigentlich, dass diese Krise die Tendenzen der Vorkrisenzeit verstärkt, nämlich den wirtschaftlichen Egoismus, den geopolitischen Egoismus, und zwar von vielen, nicht nur von Trump. Es kann sein, dass Sanktionen noch stärker genutzt werden und darunter viele Leute werden leiden müssen.