Politologin zum Corona-Management

"Es bleibt für die Bürger stressig"

29:26 Minuten
Mundschutzmaske hängt an einem Schülertisch während des Präsenzunterrichts.
Die Regeln zur Eindämmung des Coronavirus gehen gerade bei Schulen auseinander. © picture alliance / Eibner-Pressefoto
Moderation: Annette Riedel |
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Vom „föderalen Flickenteppich“ möchte die Politologin Sabine Kropp nur mit Fragezeichen sprechen. Und doch klinge das Zusammenspiel von Bund und Ländern für die Menschen manchmal eher nach Kakofonie als nach wünschenswerter Vielfalt.
Es sei die Stärke des deutschen Föderalismus, dass es unterschiedliche Lösungen für Probleme auf regionaler Ebene geben könne – nicht zuletzt, weil es auch zu "wechselseitigem" Lernen führen könne, ist die FU-Professorin Sabine Kropp überzeugt.
Allerdings stößt diese Vielfalt von politischen Maßnahmen auf die "manchmal etwas paradoxe Erwartungshaltung" der Bürger, überall auf die gleichen politischen Lösungen oder Maßnahmen zu treffen. Die dynamische Entwicklung der Coronapandemie gepaart und die damit geforderte ständige Neujustierung politischer Entscheidungen setze die Bürger unter Stress.

Föderalismus bewährt sich trotz Schwächen in der Krise

Deutschland sei im Vergleich zu anderen Ländern nicht zuletzt wegen seines föderalen politischen Systems vergleichsweise gut durch die Krise gekommen – obwohl der deutsche Bundesstaat zu Beginn der Pandemie "nicht wirklich gut aufgestellt" schien.

Koordinations- und Kooperationszwang durch unterschiedliche politische Zuständigkeiten bedingten einen begrüßenswerten "Rechtfertigungszwang" auf allen Ebenen. Und das "Machthemmnis" das vom föderalen System der Bundesrepublik ausgehe, schränke zwar teilweise die Handlungsfähigkeit der Regierenden ein, gehöre aber zum Wesen der Demokratie, analysiert die Wissenschaftlerin Sabine Kropp.

"Gelegenheitsstruktur für opportunistisches Verhalten"

Der Wettbewerb und die politische Konkurrenz zwischen den Bundesländern führten manchmal zu einer "eigentümlichen Tauschbeziehung", indem sich die Länder Zuständigkeiten "abkaufen" ließen. Dass da "Macht gegen Finanzen" eingetauscht würde, sei für den deutschen Föderalismus keine "gute Entwicklung". Zudem sei die Versuchung da, opportunistisch im Ringen um die Wählergunst Vorteile so zu verschaffen, dass man entweder "finanzielle Lasten abschiebt" oder auf die "Kompetenzen anderer zugreift".
(AnRi)

Prof. Dr. Sabine Kropp ist seit 2013 Professorin am Otto-Suhr-Institut für Politische Wissenschaft der Freien Universität Berlin, nachdem sie den Ruf der FU auf die Professur "Politisches System der Bundesrepublik Deutschland" angenommen hatte. Zuvor hatte sie im Bereich Politikwissenschaft Professuren bzw. Gastprofessuren an Universitäten in Speyer, Budapest, Tbilisi und Düsseldorf. Sie studierte von 1983-1990 Politikwissenschaft, Slawistik, sowie Neuere und Osteuropäische Geschichte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, FAU und in Moskau. Sie promovierte 1994 an der FAU und wurde dort 2000 auch habilitiert. Anschließend arbeitete sie u.a. 2000/2001 als Leiterin des Ministerbüros im Ministerium für Wohnungswesen, Städtebau und Verkehr des Landes Sachsen-Anhalt.

Das Interview im Wortlaut:

Deutschlandfunk Kultur: Wenn in Deutschland irgendwas politisch zu langsam zu gehen scheint oder zu unübersichtlich und/ oder uneinheitlich scheint, wie jetzt auch im Zusammenhang mit den Coronamaßnahmen, dann gerät im öffentlichen Diskurs ganz schnell der deutsche Föderalismus, also Deutschland als Bundesstaat, als Schuldiger ins Visier. Es spricht auch manch einer oder manch eine über einen "föderalen Flickenteppich". Sie auch?
Kropp: Ich nehme diesen Begriff hie und da als Metapher, um zu erläutern, dass es tatsächlich unterschiedliche Lösungen innerhalb eines Staates geben kann und das auch erwünscht ist. Dieser Begriff stößt in Deutschland auf eine manchmal etwas paradoxe Erwartungshaltung, dass überall die gleichen politischen Lösungen anzutreffen seien.
Föderalismus möchte ja eigentlich genau das Gegenteil, nämlich Vielfalt erzeugen, unterschiedliche Lösungen, die man dann auch zum Beispiel als Grundlage für wechselseitiges Lernen heranziehen kann. Das ist ein Bestandteil und eine Zielsetzung von Föderalismus.
Deutschlandfunk Kultur: Das ist sicher auch ein Vorteil. Darüber werden wir noch ausführlicher reden.
Sie haben in einem Essay für die Internetplattform für verfassungsrechtliche und rechtspolitische Themen "Verfassungsblock" geschrieben und haben es überschrieben mit "Zerreißprobe für den Flickenteppich" im Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen. Muss man nicht mit diesem Begriff schon recht vorsichtig sein? Er ist ja sozusagen geliehen oder übernommen von denjenigen, die ein sehr autoritäres Staatsverständnis haben, ein sehr zentralistisch denkendes Staatsverständnis haben. Es ist unter Bismarck, glaube ich, entstanden, aber die Nationalsozialisten hatten es. In der DDR wurde alles zentral gesteuert. Wie vorsichtig muss man mit dem Begriff Flickenteppich sein?
Kropp: Nun, man kann ihn mit einem Fragezeichen versehen. Das habe ich auch getan. Und der Flickenteppich ist natürlich eine abwertende Formulierung und berücksichtigt nicht, dass es ja sehr sinnvoll sein kann, unterschiedliche Lösungen für regional variierende Probleme bereitzuhalten. Das ist einer der großen Vorteile des föderalen Systems.
Deutschlandfunk Kultur: Ein föderal organisierter Staat, also, ein Bundesstaat mit mehr oder weniger weitgehenden Eigenständigkeiten der Teilstaaten, hat Vorteile und Nachteile. Darüber wollen wir ja hier diskutieren. Gibt es denn auch Zusammenhänge, wo das föderale Prinzip unsinnig ist?
Kropp: Unsinnig würde ich nicht sagen. Aber es gibt natürlich Staaten, die eher dem Föderalismus zuneigen aufgrund ihrer Geschichte. Zum Beispiel, wenn in Deutschland unabhängige Fürstentümer, Kleinstaaten ihre Ressourcen poolen, also zusammenlegen, um schlagkräftiger zu werden, Infrastrukturpolitik zu betreiben oder aber – und das ist eine der häufigsten Ursachen – wenn man versucht, eine territoriale Ordnung zu finden, die ethnische, kulturelle oder sprachliche Vielfalt abzubilden.
Deutschlandfunk Kultur: Wie die Europäische Union.
Kropp: Die Europäische Union, die Schweiz, Kanada – das sind typische Beispiele für funktionierende Föderalstaaten. Die EU noch nicht. Aber das wäre zum Beispiel eine solche Zielsetzung, eben auch Vielfalt abzubilden.
Deutschlandfunk Kultur: Und was bestimmte Themen angeht, selbst wenn man föderal organisiert ist wie die Bundesrepublik Deutschland, dass es da bestimmte Themenzusammenhänge gibt, vielleicht auch bei den Coronamaßnahmen jetzt, wo es nicht mehr sinnvoll scheint, diese Arbeitsteilung, diese Entscheidungs- und Umsetzungsunterteilung zu haben?
Kropp: Corona ist sicherlich ein sehr spezielles Beispiel. Aber was in der Föderalismusforschung sehr stark diskutiert wird, ist die Frage, wie weit zum Beispiel netzgebundene Politiken regionale Lösungen aushalten. Muss man nicht zum Beispiel bei der Digitalisierung, bei der Vereinheitlichung von Netzen eine stärkere Vereinheitlichung der Politik zugrunde legen und dann eben auch Kompetenzen auf die obere Ebene verlagern oder – das wäre die Alternative – sehr stark zu kooperieren zwischen den regionalen Einheiten, um Vielfalt und gleichzeitig aber Koordination zu ermöglichen?

Koordinierung braucht Zeit – manchmal zu viel?

Deutschlandfunk Kultur: Das wird ja auch oft im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung diskutiert, inwieweit es da Reibungsverluste bei der Kooperation gibt. Aber zurück noch mal zu einer Situation, wie wir sie im Moment haben. Eines ist mal klar: Wenn ich einen Prozess in einem föderalen Staat organisiere, dann dauert das. Dauert es möglicherweise dann eben im Falle einer Pandemie mit exponentiell steigenden Infektionszahlen zu lange?
Kropp: Das kann man so sehen. Die Koordinierung zwischen den an sich zuständigen Bundesländern braucht natürlich Zeit. Im internationalen Vergleich würde die Föderalismusforschung, denke ich schon, betonen, dass Deutschland mit seiner konkreten Ausformung des Föderalismus hier im Vorteil ist. Denn wir haben sehr stark verfestigte Kooperationsstrukturen zwischen den Bundesländern und zwischen dem Bund und den jeweiligen Ländern. Das heißt, man muss diese nicht erst erfinden, um handlungsfähig zu werden, sondern man kann auf sie zurückgreifen.
Das war etwas, was wir zu Beginn der Pandemie beobachten konnten. Das ging vergleichsweise schnell, auch wenn man natürlich argumentieren mag, dass im Zuge eines exponentiellen Wachstums jeder Tag zählt.
Deutschlandfunk Kultur: Und natürlich könnte man auch argumentieren: Es ging nur schnell unter Umgehung des Bundestages und auch der Länderparlamente – indem man die wichtigsten demokratischen Institutionen vielleicht nicht ausgeschaltet, aber umgangen hat und dann im Nachhinein hat zustimmen lassen.
Kropp: In Krisenzeiten wird ja sehr häufig auf dem Verordnungswege, also exekutiv regiert. Das spart Zeit. Und wir sehen allgemein, dass die unterschiedlichen Geschwindigkeiten zwischen Problem und Krisenbewältigung auf der einen Seite und parlamentarischem Handeln häufig erst mal nicht in eins gebracht werden können. Da hat man in den vergangenen Wochen und Monaten versucht, doch eine exekutive Politik auf stärker demokratische, sprich, legislative Basis zu stellen.

Bundesrepublik zu Beginn der Pandemie "nicht gut aufgestellt"

Deutschlandfunk Kultur: Dazu kommen wir gleich noch. Ich möchte Ihnen ein Zitat vom Bayerischen Ministerpräsidenten Söder vorlesen – ja jemandem, der auf die Freistaatlichkeit von Bayern immer sehr pocht und entsprechend auf das föderale Prinzip. Er hat Korrekturen am Föderalismus gefordert und hat gesagt – Zitat: "Ich glaube, wir müssen noch einmal generell überlegen, mehr Rechte der Länder auf den Bund zu übertragen, damit ein einheitlicher Rahmen möglich ist. Das würde uns helfen."
Kropp: Ja, der deutsche Bundesstaat war zu Beginn der Pandemie nicht wirklich gut aufgestellt. Selbst die erz-föderale Schweiz kannte mehr Eingriffsrechte und Befugnisse für den Bund, sodass man hier sicherlich nach steuern muss. Wobei etwas nebulös bleibt, was Söder, der ja auch als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz offenbar einige Frustrationen durchgemacht hat, was er denn konkret meint. Ich kann mir bei einem so starken Ministerpräsidenten wie Söder auch nicht vorstellen, dass er Kompetenzen nach oben verlagert, ohne im Gegenzug vom Bund irgendeine Kompensation zu erwarten.
Deutschlandfunk Kultur: Halten wir es hier doch eher mit dem Ministerpräsidenten Sachsen-Anhalts Haseloff – noch ein Zitat: "Die Bekämpfung der Coronakrise kann nicht an allen Orten gleich sein. Es gilt: so viel Föderalismus wie möglich, so viel Zentralismus wie nötig."
Kropp: Das ist eine sehr schöne Standardformel. Ich glaube, der würde niemand widersprechen. Dass man in Mecklenburg-Vorpommern mit einem vergleichsweise überschaubaren Infektionsgeschehen nicht die gleichen Restriktionen ertragen möchte, wie etwa in Berlin – das steht, glaube ich, außer Frage. Und das ist auch nicht nötig. Hier kann man eben regional spezifisch reagieren. Und das ist erst durch Verteilung von Kompetenzen auf die jeweiligen Ebenen möglich.

Gut, dass der Bund im Krisenfall nicht "durchregieren" kann

Deutschlandfunk Kultur: Trotzdem haben Sie ja eben schon das Stichwort "Schweiz" eingebracht, wo es so war, dass der Bund, also die föderale Ebene, im Fall dieser momentanen extremen Krise, sehr schnell relativ weitgehende Durchgriffsrechte bekommen hat. Und bei uns ist es ja schon so, dass der Bund keine Durchgriffsrechte in dem Sinne hat, sondern nur Empfehlungen aussprechen kann. Die entsprechenden Verordnungen müssen die Länder dann machen. Die können dann eben unter Umständen auch unterschiedlich sein. Ist das ein gutes Prinzip im Krisenfalle?
Kropp: Ich glaube schon, dass es ein gutes Prinzip ist im Krisenfall, weil das regionale Geschehen eben sehr stark sich unterscheidet und der Bund eben nicht einfach durchregieren kann. Denn man stelle sich vor, der Bund würde sich irren. Eine Bundesregierung kann sich auch in der Krise irren. Die Entscheidungen sind nicht per se besser als auf Landesebene. Dann wären die damit verbundenen negativen Effekte eben doch flächendeckend. Das versucht man eben auch durch dieses Prinzip der vertikalen Zuständigkeitsteilung ein Stück weit zu unterbinden.
Deutschlandfunk Kultur: Hätte man sich nicht trotzdem wünschen wollen – und dieser Wunsch wurde ja auch im Zuge der jüngsten Entscheidungen der Ministerpräsidentinnen und -präsidenten-Konferenz diese Woche wieder in den Raum gestellt – dass die Kriterien einheitlich sind und auch einheitlich ist, welche Maßnahmen im Falle, dass bestimmte Kriterien zutreffen, ergriffen werden?
Kropp: Hier hat man mit dem neuen Infektionsschutzgesetz versucht, das nachvollziehbarer zu gestalten, auch mit Blick auf die Gerichtsfestigkeit solcher Maßnahmen, und sie an bestimmte Inzidenzen gebunden. Also: 35, 50 und wir wissen es seit dieser Woche, dass die 200er Grenze es jetzt den Ministerpräsidenten und den Regierenden ermöglicht einzugreifen …
Deutschlandfunk Kultur: Das ist die Zahl der auftretenden positiven Testungen auf 100.000.
Kropp: Genau, ja. Das hat man nachvollziehbarer gestaltet. Es bleibt aber für den Bürger natürlich trotzdem stressig. Denn die Frage, wann etwas greift, verändert sich ja im Laufe einer solchen sehr dynamischen Pandemie fortlaufend. Und die Reaktionen werden auch immer kurzfristig geändert werden müssen, zumal diese sogenannte Ermächtigung, also Verordnung für die Landesregierungen, immer nur auf vier Wochen beschränkt ist.
Deutschlandfunk Kultur: Wenn denn unterschiedliche Verordnungen auf Länderebene umgesetzt werden, wie wir es ja zumindest am Anfang der Pandemie sehr stark hatten, ist dann nicht auch das Thema Ungerechtigkeiten ein ganz schwerwiegendes? Weil ich zufällig im Bundesland XYZ lebe und drei Kilometer weiter lebt jemand im Nachbarbundesland, unterscheiden sich möglicherweise die Restriktionen, die ich in dieser Krise zu gewärtigen habe, enorm.
Kropp: Ja, das ist so. Es ist ja territoriale Herrschaft im Föderalismus. Sie ist an geografische Grenzen gebunden. Man kann natürlich einzelne Maßnahmen sehr kleinteilig ziehen. Auch die Kommunen verfügen ja noch über Kompetenzen und die lokalen Gesundheitsämter. Aber gleichwohl erzeugt das gerade in einer Bevölkerung, die so stark auf die Einheitlichkeit und Gleichwertigkeit von Lösungen orientiert ist, mitunter das Gefühl: Da geht es nicht gerecht zu. Ich muss jetzt zu Hause bleiben, während mein Nachbar zehn Kilometer weiter in einem anderen Landkreis vielleicht eben doch die Eltern besuchen kann. Das ist manchmal sehr schwer zu vermitteln, aber von der Praktikabilität her manchmal nicht ganz auszuschließen.

Getrennte Zuständigkeiten bedeuten "Machthemmung"

Deutschlandfunk Kultur: Dass jetzt die Ministerpräsidenten, die MPK, die Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, Entscheidungen der Bundesebene konterkarieren oder ausbremsen kann zumindest, ist das jetzt eine Stärke des Föderalismus oder – wie manche sagen – "peinlich für die Bundesregierung"? Oder ist es so, dass die MPK eine gar nicht vorgesehene Rolle übernommen hat, nämlich die der Opposition?
Kropp: Nun ist es ja so, dass die Gesundheitspolitik im Wesentlichen Sache der Länder ist. Würde man nicht bestimmte Materien auf die Länder oder auf den Bund verlagern jeweils, dann gäbe es diese Zuständigkeitsteilung, getrennte Zuständigkeiten und damit auch eine Machthemmung, das ist ja ein demokratisches Prinzip, innerhalb des Bundesstaates nicht.
Insofern ist es erstmal ganz normal, dass die Bundesländer hier zuständig sind. Sie koordinieren sich eben sehr stark. Und die MPK ist tatsächlich ein Gremium, das in der Verfassung zwar nicht vorgesehen ist, aber immerhin in der Geschäftsordnung der Bundesregierung. Damit wird sichergestellt, dass bei Problemlagen, die die Grenzen eines Bundeslandes überschreiten, eine Koordinierung, ein abgestimmtes Vorgehen zwischen den Ländern möglich ist.
Deutschlandfunk Kultur: Keine Schlappe für die Kanzlerin, wie es mehrmals jetzt nach solchen Konferenzen in den Medien beschrieben wurde? Nach dem Motto: "Sie hat sich nicht durchsetzen können. Sie hatte andere Ideen. Sie wollte noch andere Maßnahmen."
Kropp: Die Gleichberechtigung der jeweiligen Ebenen ist Kernbestandteil des föderalen Systems. Wenn man das so versteht, dann ist natürlich die Kanzlerin hier nicht in der Lage gewesen, ihren Willen durchzusetzen. Aber das ist im Föderalismus angelegt. Niemand soll sich ohne den anderen dauerhaft durchsetzen können, sondern die Macht ist eben auf unterschiedliche Ebenen aufgeteilt.
Man kann vielleicht kritisch dazu sagen, der Versuch, zum Beispiel über eine Beschlussvorlage des Bundes schulpolitische Maßnahmen festzuschreiben, wie es der Fall war, das war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Denn das lassen sich die Ministerpräsidenten nicht gefallen.
Deutschlandfunk Kultur: Weil Bildungspolitik – zumindest weitestgehend, inzwischen auch nicht mehr ganz – Sache der Länder ist.
Was ist denn von der Kritik der AfD-Fraktionschefin Alice Weidel zu halten, die in der Debatte über die jüngsten Maßnahmen gesagt hat, dass da "eine von der Verfassung nicht vorgesehene Kungel-Runde aus Kanzleramt und Ministerpräsidenten im virtuellen Hinterzimmer diese Entscheidung fällt". – Verfassungsgemäß in dem Sinne – haben auch Sie gesagt – ist es nicht. Und trotzdem ist es demokratietheoretisch in Ordnung?
Kropp: Ja. Was wäre die Alternative in einer solchen Situation?

Breite öffentliche Debatte über Coronamaßnahmen

Deutschlandfunk Kultur: Das Parlament mehr einzubinden.
Kropp: Der Bundestag ist eingebunden gewesen. Und bei der Verabschiedung des Infektionsschutzgesetzes, da hat man auch tatsächlich nach steuern müssen. Denn der Bundestag hat sich im März ja durchgesetzt, indem er es sein muss, der eine pandemische Lage beschließt und auch wieder aufhebt. Das macht das Parlament, nicht der Gesundheitsminister. Man hat auch versucht, über diese Maßnahmen die Exekutive in Bund und Ländern auf eine stärker demokratische Grundlage zu stellen.
Aber Koordinierung, Absprachen, Verhandlungen verlaufen nun mal zwischen den beteiligten demokratisch legitimierten Akteuren. Das kann man kritisieren, aber ich glaube, es gibt eigentlich wenig Materien, in denen so viel diskutiert worden ist, so viel Für und Wider in die öffentliche Debatte eingebracht worden ist, wie in den vergangenen Wochen bei Thema Corona.
Deutschlandfunk Kultur: Was auch eine zumindest zu diskutierende Tatsache ist, ist, dass normalerweise gilt: Wer bezahlt, will auch die Kontrolle haben. Es ist ja schon so: Was an Maßnahmen zur Unterstützung darbender Betriebe gezahlt wird, das kommt vom Bund. Damit hat der doch auch letztendlich ein Recht darauf, zu kontrollieren, was damit passiert.
Kropp: Ja, wir sehen im deutschen Föderalismus häufig eine manchmal eigentümliche Tauschbeziehung, und zwar deswegen, weil Bund und Länder aufeinander angewiesen sind. Der Bund finanziert seit Jahren immer wieder Landesaufgaben mit. Das konnte man jetzt auch in der Pandemie so beobachten. Und die Länder versuchen im Gegenzug, sich entweder die Zustimmung abkaufen zu lassen oder aber sie sind manchmal auch gewillt, Zuständigkeiten nach oben abzugeben. Das ist für den deutschen Föderalismus keine gute Entwicklung. Denn man tauscht im Grunde genommen Macht gegen Finanzen und versucht auch, das eigene Erpressungspotenzial – in Anführungszeichen – so einzusetzen, dass man sich zum Beispiel in haushalts- und finanzpolitischen Fragen auf Kosten der jeweils anderen Ebene ein Stück weit entlastet.
Deutschlandfunk Kultur: Nur so kann man es ja eigentlich auch verstehen, dass es da so Widerstände gibt bei den Bundesländern – Stichwort "Digitalpakt" oder jetzt auch "Laptops für alle Lehrer" in Zeiten der Pandemie –, dass immer die Sorge besteht: Wunderbar zwar, wenn wir es nicht bezahlen müssen, sondern der Bund. Aber Achtung! Wer zahlt, will kontrollieren.
Kropp: Ja. Wer zahlt, will kontrollieren. Das hat der Bund beim Digitalpakt ja auch versucht, den Ländern Auflagen für die Umsetzung der Politik zu erteilen. Das ist für die Länder ganz furchtbar. Denn die Länder beziehen ihre Stärke im Wesentlichen aus der Umsetzung von Bundesgesetzgebung. Da ist man sehr sensibel. Da müssen Bund und Länder auch sehr vorsichtig miteinander umgehen. Und umgekehrt müssen die Länder natürlich auch das, was sie mit bestellen an Leistungen, mitfinanzieren. Denn sie sind ja in dem großen Steuerverbund auch an den jeweiligen großen Steuerarten gut beteiligt.
Deutschlandfunk Kultur: Demokratietheoretisch gefragt und nicht medizinisch: Wenn irgendwann ein Impfstoff kommt oder Impfstoffe kommen und es darum gehen wird zu organisieren, wer, wann, wo geimpft wird – ist das dann etwas, was eher auf der Bundesebene oder aber auf der Landesebene entschieden werden sollte? Sollte das in einer Hand bleiben?
Kropp: Das wird auf der Landesebene und eben auch in den Kommunen durchgesetzt, die zum Beispiel über die örtlichen Gegebenheiten ja den besten Überblick haben. Wo setzt man ein Impfzentrum hin? Welche Räumlichkeiten eignen sich? Wie organisiere ich das vor Ort? Wenn der Bund das in den Kommunen organisieren müsste, dann wäre das sicherlich keine besonders gute Idee, weil ein Zentralstaat über die jeweiligen lokalen Bedingungen in der Regel keinen guten Überblick hat.
Deutschlandfunk Kultur: Aber die Maßstäbe oder die ethischen Richtlinien, die Kriterien, nach denen eine gewisse Reihenfolge bei den Impfungen hergestellt wird, denn es werden nicht alle zur gleichen Zeit geimpft werden können – die sollten dann auf Bundesebene beschlossen werden?
Kropp: Ja, da bin ich schon der Meinung, dass das auf Bundesebene beschlossen werden sollte, und zwar deswegen, weil diese ethischen Kriterien ja die gesamte Bevölkerung betreffen. Die Frage, wann kann ich geimpft werden, wann kann ich zum Beispiel schutzbedürftige Familienmitglieder ein Stück weit entlasten – das sind Fragen, die sicherlich das Gerechtigkeitsempfinden der Bürger berühren und auch den sozialen Zusammenhalt im eigentlichen Sinne beeinträchtigen könnten, wenn das nicht gut läuft.

Opportunistisches Konkurrenzverhalten zulasten anderer

Deutschlandfunk Kultur: Wenn wir über Vor- und Nachteile des föderalen Systems des Bundesstaates reden – ein paar haben wir schon genannt – ein Nachteil neben der Kakophonie, die dann teilweise beklagt wird, dass man also nicht mehr so richtig weiß, wer was jetzt eigentlich beschlossen hat, ist ja auch, dass es eine politische Konkurrenz zwischen den Bundesländern gibt. Und es kam gerade in den letzten Monaten auch immer wieder – vielleicht nicht zu Unrecht – der Verdacht auf: Da kocht einer der Ministerpräsidenten oder -präsidentinnen sein politisches Süppchen auf Kosten der Einheitlichkeit.
Kropp: Ja, das ist so teilweise. Wir sprechen auch von föderalen Systemen als einer Art Gelegenheitsstruktur für opportunistisches Verhalten. Das würde zum Beispiel bedeuten, dass man versucht, Lasten auf den anderen abzuschieben, um sich selbst im Wählerwettbewerb Vorteile zu verschaffen, dass man auch finanzielle Lasten abschiebt oder aber auf Kompetenzen anderer zugreift.
Solche Fallbeispiele sind uns, glaube ich, in den vergangenen Monaten immer wieder untergekommen. Sie konnten immer wieder eingehegt werden, aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass im kommenden Jahr ja sechs Landtagswahlen und eine Bundestagswahl anstehen und damit solche wählerbezogenen Strategien, sich vielleicht auf Kosten des anderen profilieren zu wollen, eher noch zunehmen werden.
Deutschlandfunk Kultur: Auf der anderen Seite noch mal was Positives im Zusammenhang mit dieser Struktur: Dieser Wettbewerb, auch wenn es teilweise vielleicht ein politisch motivierter ist, bewirkt natürlich auch, dass es so etwas gibt wie ein Versuchslabor. Wir sind ja doch in einer Phase mit einem neuen Virus, wo man lernt damit umzugehen – medizinisch, aber eben auch politisch. Wenn jetzt ein Zentralstaat eine Entscheidung fällt – so und so geht es – dann ist es unter Umständen für das ganze Land zutreffend und vielleicht auch verkehrt.
In der föderalen Struktur, zumindest wie es am Anfang der Pandemie war, dass in dem jeweiligen Bundesland wirklich jeder so ein bisschen sein Ding gemacht hat, hat man so was wie ein Versuchslabor und kann dann auch daraus Schlüsse ziehen.
Kropp: Ja, das ist einer der wesentlichen Vorteile eines föderalen Systems. Man kann unterschiedliche Lösungen ausprobieren. Man kann sogar so weit gehen zu sagen, dass der Föderalismus ja diese Vielstimmigkeit und die Notwendigkeit, sich rechtfertigen zu müssen für eine bestimmte Lösung, gleichsam institutionalisiert. Es ist durch Strukturen verfestigt und dadurch gibt es nicht nur eine Meinung, die angewandt wird. Ich denke etwa an Schweden. Da gibt es einen Staatsepidemiologen. Das ist in Deutschland undenkbar. Wir haben hier eben nicht nur das Robert-Koch-Institut, sondern auf der Landesebene Beratungsgremien, aber auch viele unabhängige Stimmen, die miteinander in Wettbewerb treten.
In einer Situation, wo man keine Lösung von vornherein vorfindet für eine solche Pandemie, ist die Frage des Abwägens und die Notwendigkeit, andere Argumente mit einzubeziehen, eigentlich unverzichtbar.

Rechtfertigungszwang aufwendig aber richtig

Deutschlandfunk Kultur: Das ist ein dickes Plus. Ein dickes Minus ist aber, gerade wenn man unser Management der Krise vergleicht mit eher autoritär organisierten Staaten – etwa China oder auch Korea – dass solche Konsensfindungsprozesse immer dauern und dass damit die Handlungsfähigkeit der staatlichen Ebene extrem eingeschränkt ist.
Kropp: Das ist so. Es dauert länger. Wir müssen auch viel mehr Aufwand in die Rechtfertigung solcher Maßnahmen stecken. Das geht nicht nur um Masken-Tragen, das geht ja zum Beispiel auch um Ausgangssperren, also um radikale Eingriffe in die Grundrechte, in die Freiheitsrechte der Bürger. Und da sind Demokratien insgesamt, ich würde eben nicht nur sagen, föderale Demokratien, sondern Demokratien insgesamt in einem ganz anderen Legitimations- und Rechtfertigungszwang.
Deutschlandfunk Kultur: Wenn wir uns jetzt mal ein paar andere Länder vergleichen, die entweder zentralistisch organisiert sind, wo also die jeweilige Hauptstadt sozusagen das Sagen hat, oder eben föderal – wer kommt denn politisch gesehen am besten klar mit dieser Krise? Für Deutschland haben wir schon Plus und Minus durchgesprochen, aber was ist mit Frankreich? Sehr, sehr zentralistisch organisiert. Der französische Präsident Macron hatte zwar gesagt, er habe im Zuge der Pandemie gelernt, dass vielleicht den Regionen mehr Handlungskompetenz gegeben werden müsste. Aber wenn es jetzt zuletzt, wieder ernst geworden ist, dann entscheidet doch wieder Paris.
Kropp: Frankreich ist nicht so gut durch die Krise gekommen. Wobei man dazu sagen muss, es wäre verfehlt, zu sagen: Der Föderalismus oder das unitarische zentralistische System managen Krisen besser oder schlechter.
Auch in zentralistischen Systemen wie Norwegen etwa gibt es starke kommunale Gebietsverbände, die solche Aufgaben übernehmen können. Und es bedarf natürlich zweier Voraussetzungen. Das eine ist eine hinreichende Ausstattung der unteren Ebenen, damit diese ihren Aufgaben auch tatsächlich nachkommen können.
Deutschlandfunk Kultur: Der Verwaltungen auch.
Kropp: Verwaltungen, ja – und das heißt: Personal und Finanzen. Und es muss den politischen Willen geben, die Verantwortung, die man auf der kommunalen und auf der regionalen Ebene besitzt, tatsächlich auch anzunehmen.
Deutschlandfunk Kultur: Und es bedarf des Vertrauens, oder?
Kropp: Ja, des Vertrauens auch der Bürger in den Staat.

Föderale Strukturen fördern Einbindung und Verantwortung

Deutschlandfunk Kultur: Und des Staates – oder des Staatspräsidenten im Falle Frankreichs – das Vertrauen in die kommunal Handelnden. Denn da ist das ja vollkommen verrückt: Die Gesundheitsstellen müssen aus den Regionen Entwicklungen erst nach Paris melden, bevor sie das dann in die Region selber melden können. Das hat ja auch was mit einem Misstrauen gegenüber den Handelnden in den Regionen oder Kommunen zu tun.
Kropp: Ja, der Zentralismus ist in Frankreich lange gewachsen, aber wir sehen, glaube ich, nicht zufällig, dass in vielen Ländern Dezentralisierungsreformen – Ukraine oder wo immer wir hinschauen, ein zentraler Bestandteil sind, um Staatshandeln effektiver zu manchen und um auch die Bürger in den politischen Prozess einzubinden, damit diese Verantwortung für sich auch übernehmen.
Man kann sie nicht nur von oben herab behandeln wie Schulkinder und sagen: "Wenn ihr euch nicht so verhaltet, dann werdet ihr eingesperrt." Sondern man muss dieses Vertrauen und auch die Einsicht dadurch erwecken, dass man die Bürger mit einbezieht in den politischen Prozess.
Deutschlandfunk Kultur: Wenn wir uns die Europäische Union in der Coronakrise anschauen – kein Bundesstaat, aber ein Staatenbund - oder auch die USA, die in mancherlei Hinsicht auch eher ein Staatenbund sind als ein föderaler Staat – außer bei bestimmten Themen, Außenpolitik beispielsweise –, dann kann man da ja auch ganz gut die Schwachstellen sehen, wenn die Verantwortlichkeiten eben nicht geteilt und koordiniert sind, sondern sehr klar zugeschnitten. Da ist es dann zwar sehr eindeutig, wer verantwortlich ist, führt aber eben dazu, dass es eine ganze Bandbreite von teilweise sich widersprechenden Maßnahmen gibt.
Kropp: Die USA sind anders als in Deutschland nicht in gleichem Maße auf koordinierte Strukturen aufgebaut. Heißt also, dass die sehr schnelle Bereitschaft, sich zusammenzusetzen – Stichwort "Hinterzimmer" – eben dort nicht so gegeben ist und damit auch Effekte schlechter eingedämmt werden können. Wir haben das im Übrigen auch bei der Flutbekämpfung gesehen, bei anderen Katastrophen, wo man sehr schnell handeln musste.
Deutschlandfunk Kultur: Und was Italien angeht – vielleicht das Land neben Spanien mit den größten Schwierigkeiten mit der Pandemie, auch in der zweiten Welle wieder – hat das auch politische Ursachen? Hängt das damit zusammen, wie man dort politisch organisiert ist?
Kropp: Ja, die Ursachen lagen ja in der ersten Welle, als wir diese furchtbaren Bilder bekamen. Sie hingen auch damit zusammen, dass man nicht schnell genug reagiert hat – Stichwort "verantwortliches politisches Handeln". Und es hängt sicherlich auch damit zusammen, dass die öffentliche Verwaltung in Italien – das, was angewandte Herrschaft bedeutet letztlich – eben doch vergleichsweise schlecht aufgestellt ist. Man hat erst auf landesweite Lösungen gesetzt. Man hat den ganzen Süden, der kaum betroffen war, mit Maßnahmen überzogen, die eigentlich für den Norden gedacht waren. Das hat die Legitimation politischen Handelns nicht unbedingt erhöht. Hier sieht man eigentlich den gegenteiligen Effekt in der ersten Phase: einheitliche Lösungen, aber dadurch weniger Legitimation.
Deutschlandfunk Kultur: Wie ist es jetzt? Soweit ich begriffen habe, darf Rom, also die föderale Regierung, als einzige Institution Lockerungen der Maßnahmen beschließen. Aber größere Einschränkungen dürfen regional beschlossen werden.
Kropp: Ja. Die Regionalfürsten – in Anführungszeichen – haben ihre Handlungsspielräume meiner Beobachtung nach schon entdeckt. Sie verfahren sehr unterschiedlich. Wir erinnern uns jetzt an die Massentests etwa in Südtirol. Und sie setzen sehr unterschiedliche Maßnahmen ein. Man hat eher den Eindruck, während Deutschland wieder stärker auf vereinheitlichende Maßnahmen setzt, geht das in Italien jetzt in dieser Phase eigentlich eher in die andere Richtung.

Erpressungspotenzial durch Einstimmigkeitsprinzip?

Deutschlandfunk Kultur: Ein riesiges Problem bei Bundesstaaten oder auch Staatenbunden wie der EU, ist es immer dann, wenn Entscheidungen der beteiligten Regierungen, Landesregierungen oder eben Staatsregierungen, auf Einstimmigkeit angelegt sind. Das sieht man auf Ebene der Europäischen Union, weil dann jeder einzelne Staat in gewisser Weise ein Erpressungswerkzeug in der Hand hat. Auf der anderen Seite fühlen sich die kleineren Einheiten in so einem Verbund ohne Einstimmigkeitsprinzip übergangen und dominiert.
Kropp: In Deutschland setzt man sehr stark auf dieses Einstimmigkeitsprinzip, vor allem, wenn über Kompetenzen verhandelt wird, die den Ländern zustehen. Denn das bedingt ja ihre Staatlichkeit. Man kann im Grunde genommen ja eine staatliche Einheit nicht einfach in ihren Kompetenzen durch die anderen überstimmen.
Wann funktioniert das? Es ist vor allem so etwas erforderlich, was wir Bundestreue nennen, dass man in den eigenen Beschlüssen, in den eigenen Entscheidungen das Wohl der Gesamtheit mit im Auge behält. Das hat auch das Verfassungsgericht zum Beispiel als einen tragenden Grundsatz mit entwickelt. Und eine andere Möglichkeit, die wir zunehmend diskutieren, ist die Frage der Abweichung. Mit anderen Worten: Wenn zwei oder drei Länder andere Problemlagen haben, wie jetzt Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern, dann dürfen sie eben auch andere Wege gehen. Das wird von der Ländergesamtheit dann als eine Möglichkeit akzeptiert, trotzdem zu einem gemeinsamen Konsens zu kommen.
Deutschlandfunk Kultur: Es gibt den Vorschlag, nicht mehr vom "Flickenteppich" zu reden, sondern vom Quilt. Das ist eine Zierdecke aus vielen einzelnen Stoffteilen, die gemeinsam ein sehr schönes, gutes Ganzes ergeben. Würden Sie es vielleicht lieber so nennen?
Kropp: Ja, wenn sich der Föderalismus in der Krise bewährt und es würde ein schmuckes Muster daraus entstehen, das den Bundesstaat ziert, dann hätten wir – glaube ich – kein Problem, das Quilt zu nennen. Ich mag den Flickenteppich ja ohnedies nicht so gern und versehe den ohnehin eher mit einem Fragezeichen.
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