"Polittheater" gegen Rechts

Was tun gegen die Internationale der Rechtspopulisten?

Doron Rabinovici auf der Bühne des Wiener Burgtheaters während "Alles kann passieren".
Sprache und Strategien der Rechtspopulisten entlarven - darum geht es Doron Rabinovici mit seinem "Polittheater" © Reinhard Werner / Burgtheater
Doron Rabinovici im Gespräch mit Susanne Führer |
In seinem neuen Stück "Alles ist möglich" entlarvt Doron Rabinovici die Rhetorik von Rechtspopulisten wie Viktor Orbàn, Matteo Salvini oder Heinz-Christian Strache. Die Liberalen ermahnt er, sich nicht in Fatalismus zu flüchten, sondern "zu sagen, was ist."
"Alles kann passieren!" heißt das jüngste Werk von Doron Rabinovici. Ein Polittheater, das Reden und Statements rechter Regierungspolitiker verschiedener europäischer Staaten wie beispielsweise Viktor Orbán (Ungarn), Matteo Salvini (Italien) oder Heinz-Christian Strache (Österreich) montiert. Mit dieser Stimmen-Collage will Rabinovici auch zeigen, dass die rechten Politiker in Europa nicht isoliert handeln, sondern sich untereinander absprechen. Aufgeführt wird das Stück derzeit in Wien.
In einigen europäischen Ländern stellen die rechten ehemaligen Protestparteien heute die Regierung. Ihre radikale Reden seien inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen, sagt Rabinovici.
(L-R) The Federal Secretary of Northern League's party, Matteo Salvini, Far-right Freedom Party of Austria (FPOe) Harald Vilimsky, French far-right National Front party leader Marine Le Pen, Dutch right-wing 'Partij voor de Vrijheid' (PVV) leader Geert Wilders...
Die Rechtspopulisten Matteo Salvini (Lega Nord), Harald Vilimsky (FPÖ) , Marine Le Pen (Front National), Geert Wilders (PVV), Gerolf Annemanns (Vlams Belang).© dpa/picture alliance/ Julian Warnand
Wie es weitergeht? Die Entwicklung sei offen, meint der Schriftsteller und Historiker Rabinovici:
"Es gibt keinen Grund, dem ruhig zuzuschauen, sondern man muss sich im Klaren sein, das ist eine Gefahr. Auf diese Gefahr zu antworten, heißt aber jetzt nicht, einfach in Melancholie oder Fatalismus zu versinken, sondern zu sagen, was ist, und sich nicht davor zu fürchten und darauf vielleicht auch zu reagieren."
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Das Interview im Wortlaut:
Deutschlandfunk Kultur: Tacheles heute mit Doron Rabinovici, er ist Schriftsteller, Historiker und Bürger Österreichs. Sie haben sich in Ihrem jüngsten Werk mit den nationalistischen Politikern Europas beschäftigt. Warum, Herr Rabinovici?
Rabinovici: Es sind Reden von Staatsmännern, von den rassistischen Populisten, die jetzt in verschiedenen Ländern Europas im Amt sind, wenn auch nicht unbedingt immer in Würde, die interessant sind und denen ich zugehört habe, weil wir ja vor dem Phänomen stehen, dass wir sehr vieles davon gar nicht kennen. Das spricht sich in anderen Sprachen, geht an uns teils vorbei, das hören wir vielleicht in der einen oder anderen Sprache mit. Aber es sind eben nicht nur die einzelnen Redner, es handelt sich hier nicht nur um irgendwelche Protestparteien, sondern das ist eine Bewegung. Diese Politredner operieren mit ähnlichen Feindbildern. Und sie machen mobil gegen die Medien, gegen den Rechtsstaat, gegen die Demokratie, gegen Europa.

Das Internet interessiert sie mehr als das Parlament

Deutschlandfunk Kultur: Das ist ja für einen Schriftsteller vielleicht ein etwas ungewöhnliches Format: Sie haben eine Montage erstellt aus Reden von acht rechtspopulistischen Politikern. Matteo Salvini ist dabei, Viktor Orbán, Miloš Zeman, auch österreichische Politiker. Sie haben eine Montage erstellt aus deren Reden oder Statements und haben das ein "Polittheater" genannt, es hatte auch schon Premiere am 21. November im Wiener Akademietheater. Nochmal die Frage: Warum haben Sie das gemacht, Herr Rabinovici?
Rabinovici: Die Idee kam von Florian Klenk, dem Chefredakteur des "Falter", der Wiener Stadtzeitung. Gemacht haben wir das deswegen, weil wir auf die Sprache achten wollten und auf die Worte. Und die Idee war, dass wir hier aufdecken, wie in Wirklichkeit diese Politiker gar nicht zu den anderen Abgeordneten etwa sprechen. Wir hatten eine Situation, das war hier in Wien eine Konferenz der Innenminister der verschiedenen Staaten. Und Matteo Salvini provozierte durch rassistische Einwürfe den luxemburgischen Minister Jean Asselborn, bis der reagierte: "Merde, alors!" Was er aber nicht wusste, war, dass – während die anderen Minister pikiert wegschauten, denn die haben ja eine Tagesordnung, die wollen sie ja durcharbeiten – Matteo Salvini das Ganze filmen ließ und es ins Internet stellte. Das heißt, er sprach gar nicht zur Runde. Er sprach in Wirklichkeit zu einer Öffentlichkeit jenseits des Arbeitsgesprächs.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Doron Rabinovici und Florian Klenk mit "Alles kann passieren" auf der Bühne.© Reinhard Werner / Burgtheater
Und so spricht er auch, wenn er im Parlament steht, letztlich nicht zum Parlament, sondern zur Galerie. Er sagt dann, "passt auf, dass man euch hier nicht rauswirft, wenn ihr mir applaudiert".
Gut. Worauf wir uns geeinigt haben, war, wir nehmen die Reden dieser Staatsmänner, verändern das nicht, es wird nicht literarisch bearbeitet, es wird nur gekürzt, wurde nur gekürzt und in einem Spannungsbogen zusammengefügt. Das ist wichtig. Und davor und danach habe ich ganz wenige Sätze von mir gesetzt und Zitate, auch historische, werden eingeblendet. Das Ganze wird kalt gelesen, und zwar von Schauspielerinnen.

"Politik ist immer eine Inszenierung"

Deutschlandfunk Kultur: Damit man besonders auf die Sprache achtet, wie Sie vorhin sagten, nehme ich mal an.
Rabinovici: Genau. Und damit auf die Inszenierung. Denn Politik ist ja auch immer eine Inszenierung, wir fahren aber diese Inszenierung zurück und verändern sie und bringen diese Reden, die zum Beispiel im Bierzelt gehalten werden oder bei Salvini manchmal in solchen Wohlfühlveranstaltungen, die etwas von einer katholischen Messe haben, wir bringen das in ein Theater, in eine ganz andere Öffentlichkeit.
Deutschlandfunk Kultur: Die Premiere war erfolgreich. Die Plätze waren binnen weniger Stunden ausverkauft. Aber ich nehme mal an, Herr Rabinovici, und da sind wir ja vielleicht bei einem Kernpunkt des Problems: Im Publikum waren nur Gäste, die ohnehin schon Ihrer Meinung sind.
Rabinovici: Ich bin ja selbst oft nicht meiner Meinung, aber ich sage Ihnen was: Ich glaube, das stimmt nicht ganz. Es waren sehr viele Leute da, das stimmt, die schon überzeugt sind oder dieselbe Meinung haben. Ob sie überzeugt sind, weiß ich gar nicht. Und das ist auch gar nicht so ein Problem. Auch diese Leute haben ein Recht darauf, dass sie ja schlussendlich wissen, wo wir zuhaus sind.
Aber es sind nicht nur diese Leute, auf die wir zielen. Ich denke da an ganz andere auch, nämlich an jene Menschen, die ich kenne, persönlich kenne im bürgerlichen Umfeld, die glauben, dass es durchaus möglich ist, mit diesen Kräften gemeinsame Sache zu machen.
Ich lebe ja in Wien. Da gibt's eine Koalition. Und die Koalition war am Anfang auch von Leuten unterstützt, die meinten, "na ja, gut, das haben wir ja schon einmal erlebt. Die reden halt groß, aber die tun nichts in dieser Richtung". – In der Zwischenzeit sind sehr viele ..
Deutschlandfunk Kultur: Also, eine Koalition von ÖVP und FPÖ.
Rabinovici: Genau. Und die sind schon erstaunt teilweise. Die sind schon erstaunt, dass der Innenminister und seine Führung des Innenministeriums das Bundesamt des Verfassungsschutzes zum Beispiel stürmen ließ, und zwar just von einer Polizeieinheit, die angeführt wird von einem Polizeioffizier, der Sachen postet, die eigentlich antisemitisch und neonazistisch sind. Also ein Mensch, der nicht wirklich ins Bundesamt für Verfassungsschutz einmarschieren sollte, sondern bei dem sollte vielleicht der Verfassungsschutz einmarschieren eher.
Die sind schon erstaunt über die Angriffe auf den ORF und auf kritische Journalisten und auf Papiere innerhalb der Ministerien, die klar machen, dass man mit rechtsextremen Zeitschriften gemeinsame Sache macht, dort inseriert und kritische, unabhängige Redaktionen als Feinde ansieht. Die sind erstaunt. Und diese Leute nehmen das wahr. Aber was sie noch nicht wahrnehmen, ist, dass das in einer Einheit geschieht und dass das abgesprochen in einer Einheit geschieht mit Orbán, mit Salvini. Das aufzudecken, ist – glaube ich – an diesem Abend gut gelungen.
Deutschlandfunk Kultur: Wir hören oder lesen in diesem Stück, das gibt’s auch als Buch, "Alles kann passieren!", Aussagen zum Beispiel von Viktor Orbán, der in Ungarn einen illiberalen Staat aufbauen will. Der sagt, "eine Demokratie muss nicht notwendigerweise liberal sein". Matteo Salvini bezeichnet den Euro als "kriminelles Experiment". Kaczyński warnt vor der Scharia, die angeblich schon in 54 Zonen in Schweden eingeführt wäre usw. Und dann zwischendurch gibt es die Passagen, worauf Sie gerade anspielten, wo die sich immer gegenseitig ihrer Freundschaft und ihrer Solidarität und ihrer Begeisterung versichern.
Herr Rabinovici, ich nehme mal an, um diese Montage zu erstellen, mussten Sie sehr viele dieser Reden lesen. Konnten Sie eigentlich über die Zeit eine Entwicklung feststellen? Sind die Aussagen mit der Zeit radikaler geworden? Hat sich die Grenze des – ja, wie soll ich sagen – ungestraft Sagbaren verschoben?
Rabinovici: Die Grenze des Unsagbaren hat sich verschoben, aber die Reden sind nicht unbedingt radikaler geworden, sondern sie sind in die Mitte gewandert. Das sind ja Parteien, die teilweise als Protestparteien nur abgetan wurden. Das geht jetzt nicht. Das ist auch ein Unterschied zu der Koalition zwischen ÖVP und FPÖ, Schwarz-Blau 1 vor 18 Jahren. Damals machten die nicht ernst damit. Damals hatte man eher das Gefühl, dass wir, die wir dagegen protestieren, die Mehrheit Europas hinter uns wussten. Und die Regierung musste sich beweisen, nicht ernst zu machen.
Jetzt ist es ganz umgekehrt. Jetzt müssen sie einer Klientel beweisen, dass sie ernst machen mit ihrer rassistischen Politik und mit ihrer Politik gegen die Medien. Das ist eine veränderte Ausgangssituation.

Die rechten Parteien haben keine Vision für die Zukunft

Deutschlandfunk Kultur: Und die "Protestparteien" stellen inzwischen die Regierung in vielen Ländern. Das ist ja auch ein Unterschied.
Sie haben – eine letzte Frage zu Ihrem Polittheater – zwischen all diesen, ja, wie soll sich sagen, meist ziemlich aufpeitschenden Statements der rechten Politiker haben Sie Zitate ganz anderer Herkunft gesetzt, nämlich Zitate von Hannah Ahrendt, von Erich Kästner, von Victor Klemperer. Und das lässt mich vermuten, das Sie die heutige Zeit mit der Zeit vor dem Nationalsozialismus vergleichen.
Rabinovici: Sie haben gesagt "Protestparteien". Es ist wahnsinnig wichtig, auch darauf hinzuweisen, dass es ja ein ganz bestimmter Protest ist. Das ist ja nicht irgendein wahlloser Protest. Diese Parteien haben keine Vision einer großen Zukunft. Das ist ein riesiger Unterschied zu den dreißiger Jahren. Ich erinnere an den Slogan etwa von Trump: "Make America great again!" Es ist also eine Rückkehr, von der diese Parteien sprechen.
Viktor Orbán, der spricht über einen "Heiligen König" des Mittelalters als großes Beispiel. Und er sagt, der wehrte sich gegen die äußeren Übermächte. Also: Stopp Brüssel! Der wehrte sich gegen Überfälle von außen. Also: Stopp Migration! Der wehrte sich gegen ausländische Finanzmächte. Also: Stopp Soros! Er baut da hinaus in die Geschichte, in eine völkische Vergangenheit. Das machen nicht wir. Das steht in den Texten.
Aber worauf wir hinweisen mit den Zitaten, ist, wie schnell sich da was ändern kann. Wir dürfen nicht das vergessen, was wir jetzt haben an Europa, das, was wir haben an Demokratie, an wehrhafter Demokratie, an "liberaler" Demokratie, wie die sagen, ich nenne es "moderne Demokratie". Denn das, was denen vorschwebt, ist keine parlamentarische Demokratie.

Der Nationalstaat ist in der Krise

Deutschlandfunk Kultur: Aber ich finde ja sehr interessant, Herr Rabinovici, dass Sie sagen: "Die haben im Grunde genommen keine Ziele, sondern sie träumen von einer Rückkehr." Denn es gibt ja andere Leute, die die Situation ganz anders analysieren, dass nämlich diese Angriffe von rechtspopulistischer Seite, sagen wir mal, auf die Europäische Union, zu der paradoxen Situation führt, dass plötzlich die Linke das Bestehende verteidigt und die gesellschaftliche Veränderung von rechts kommt.
Ihr Landsmann Robert Misik sagte neulich bei uns im Programm: "Die Rechten haben wenigstens noch Ziele, könnte man sagen, wenngleich auch üble." Also, von ihnen geht die gesellschaftliche Veränderung aus.
Rabinovici: Das ist schon richtig. Die Veränderung, die die jetzt einfordern, geht von ihnen aus. Aber sie haben keine gesellschaftliche Vision, sondern sie wehren sich gegen eine Veränderung, die nach 1945 stattgefunden hat.
Also, nehmen wir zum Beispiel dieses Europa, wie wir es kennen. Die Europäische Union wurde aufgebaut, um nie wieder einen Krieg und nie wieder einen Nationalismus und nie wieder diese Hetze möglich zu machen, weil man gesehen hat, im letzten Jahrhundert zweimal, wohin das führen kann. Damit wollen diese Regierungen aufräumen. Die beziehen sich ganz eigen auf das völkische Prinzip.
Wenn zum Beispiel die Wiener Regierung im Programm hat, eine Doppelstaatsbürgerschaft in Südtirol für jene Südtiroler, die Deutsch sprechen und Ladinisch, aber für ihre italienischsprachigen Nachbarn nicht, dann ist das natürlich ein Aufhetzen, das in Südtirol so gar nicht gewollt ist, aber das das Friedliche in Europa zerstört.
Und ich glaube, hier gibt es etwas, was - ich weiß nicht, ob es nur die Linke ist, ich glaube nicht, dass es nur die Linke ist – , dass man da etwas bewahren möchte, das stimmt. Aber wir sind in einer ganz bestimmten historischen Situation, in der die Konzepte der Linken, die Sie angesprochen haben, des Sozialstaates nicht mehr so greifen wie früher. Ja, warum? Ja, weil wir in einer Phase der vielbesagten Globalisierung stecken. Das heißt, der Nationalstaat steckt in einer Krise, übrigens in einer Krise, die er schon einmal gehabt hat in einer anderen Form am Anfang des letzten Jahrhunderts. Auch da wurde mit Nationalismus, mit überhitztem Nationalismus auf diese Krise reagiert. – Das ist es, was wir erleben.
Wir erleben, dass der Sozialstaat, wie er nach 1945 funktioniert hat, so in der Phase der Globalisierung nicht mehr funktioniert. Wir sind in einem Nicht-Mehr und Noch-Nicht. Denn was wir bräuchten wäre ja ein soziales Konzept, das auch überstaatlich funktioniert, ein soziales Konzept, das eben auch Transfers ermöglicht, das auch Besteuerungen ermöglicht nicht nur im nationalen Maße. Denn die Märkte sind größer geworden.
So, jetzt habe ich, glaube ich, ein bisschen mehr gesagt, als einem Schriftsteller zukommt, aber Sie haben mich ja in diese Richtung gefragt, also, mich provoziert. (lacht)

"Mehr Europa" als Antwort auf die Rechtspopulisten

Deutschlandfunk Kultur: Zurück zu dem Punkt, Herr Rabinovici. Es ist ja trotzdem eine Zwickmühle, in die die Rechten, die Rechtspopulisten, ob jetzt die Linke oder die bürgerliche Mitte oder wen auch immer bringen. Ich rede jetzt mal von der Linken. Nämlich, wie Sie gesagt haben, ja, wir verteidigen dieses Europa. Was aber eben zu kurz kommt, ist, dass dieses Europa, also diese Europäische Union, ja durchaus kritikwürdig ist. Es gibt eben das Lohndumping. Es gibt das Steuerdumping. Man kann sehr wohl kritisch diskutieren über die Austeritätspolitik, die da in den letzten Jahren gefahren worden ist. Aber das fällt jetzt alles hinten runter, weil man immer meint, man müsse sich jetzt den Kaczyńskis und Orbáns und Straches entgegenstellen, um zu sagen: Diese Europäische Union müssen wir verteidigen.
Rabinovici: Ja. Ich glaube, dass man diese Europäische Union durchaus verteidigen muss. Aber was man noch dazu machen muss, ist sie ausbauen. Die Antwort auf diese Kräfte ist nicht etwa weniger Europa, sondern ein Mehr davon, und zwar ein Europa, in dem das Parlament mehr zu sagen hat. Es geht darum, dass man erkennt, dass gewisse Fragen heutzutage nicht mehr national lösbar sind.
Wenn wir über Fragen der Klimakatastrophe zum Beispiel sprechen, wenn wir über Fragen des Internets reden, wenn wir über heutige Friedensfragen sprechen, wie sollen wir das einzeln in Wien, Rom oder in Amsterdam lösen? Gerade deswegen, weil diese Probleme da sind, etwa auch die Frage der Migration, etwa auch die Frage von Flüchtlingen, braucht es gemeinsame Lösungen.
Deutschlandfunk Kultur: Und Österreich unterzeichnet den UN-Migrationspakt nicht.
Rabinovici: Ja, natürlich. Das Interessante ist ja, dass diese rechten Kräfte jene Bedingungen schaffen, die ihnen wiederum Wähler zubringen. Und das Interessante ist, dass man an diesen Reden sieht, da wird ausgedrückt, wovon viele Leute wissen, dass es so eigentlich gar nicht stimmt, aber es kommt ihren Gefühlen entgegen. Es kommt ihren Ressentiments entgegen. Es kommt ihren Leidenschaften entgegen.
Mich erinnert die Situation bei manchen Wahlen in vielen Ländern an die Situation von Pubertanden vor einer Peepshow. Wenn man Leute gefragt hat vor dem Brexit zum Beispiel, dann kam ja auf andere Ergebnisse als bei der Wahl. Das ist Ihnen ja sicher aufgefallen. Und was bedeutet das? Dass die Leute sich nicht getraut haben zu sagen, was sie in der Wahlzelle machen. Es ist so wie irgendein Teenager, der vor einer Peepshow vorbei geht und nicht sagt, was er da gleich machen wird, sondern verstohlen sich umblickt und dann schnell hineingeht.
Und dann, als die Wahl zu Ende war, sagten viele der Brexit-Wähler: "Um Gottes Willen! Was haben wir da nur gemacht?" – auch das ein pubertantes Verhalten, ein sich Schämen dafür, was man da getan hat.

Haben die Liberalen die soziale Frage vergessen?

Deutschlandfunk Kultur: Na ja, die Umfragen, was den Brexit angeht, sind relativ stabil. Die britische Gesellschaft ist zwiegespalten. Und ich habe so den Eindruck, die Zeit der Scham ist vorbei, was sie ja auch durch Ihr Polittheater wunderbar zeigen.
Ich würde jetzt gerne mal das Stichwort Migration aufnehmen, was Sie gerade genannt haben. Da gibt es ja auch Kritik von – sagen wir mal – marxistisch linker Seite an denjenigen, die für die Aufnahme von Migranten, für die Aufnahme von Flüchtlingen sind. Die geht ja in etwa so: "Ihr, ihr Gutmenschen, ihr habt vor lauter moralisierendem Gerede über die Not der Flüchtlinge die soziale Frage in unserem Land vergessen, weil ihr nämlich überseht, dass eure Alliierten die Unternehmer sind. Und warum sind sie das wohl? Warum befürworten sie wohl die Zuwanderung? Nämlich, weil sie hoffen, dass sie damit billige Arbeitskräfte ins Land holen. Und es ist ja logisch, dass dann die nicht-akademische Bevölkerung, die mit diesen Neuankömmlingen konkurrieren wird um Arbeitsplätze, um Wohnraum, um Schulen, um Bildung usw., dass die gegen eine Einwanderung ist."
Haben die da nicht einen Punkt, dass die soziale Frage vergessen wurde?
Rabinovici: Ich glaube, dass die soziale Frage zum großen Teil vergessen wurde, wobei man noch immer unterscheiden muss zwischen Flüchtlingen und der Diskussion, und der Migration. Das wird immer wieder vermischt. Aber ja, das, was den Leuten vorgeworfen wird, die als "Gutmenschen" desavouiert werden, ist ja, wir alle profitieren von einer globalen Ungerechtigkeit. Nur wir sagen, dass uns das nicht gefällt. Aber das heißt nicht, dass wir eben schlechter leben.
Dieser Vorwurf trifft, aber das, was man bei den Reden der Rechten auch sehen kann, ist, da gibt es überhaupt keine Gegenkonzepte. Und wenn man sich jetzt anschaut, was die Regierungen tun, was auch die Wiener Regierung tut, so ist in Wirklichkeit die Hetze gegen jene Menschen, die entweder gerade zuwandern, oder jene Leute, deren Eltern nicht hier geboren wurden - denn das ist ja ausweitbar, diese rassistische Hetze, die trifft ja alle, die irgendwie nicht zu dem rein Völkischen gedacht werden, und das weitet sich aus - dass die nur verwendet wird, nicht etwa, um eine soziale Frage anzusprechen, sondern um sie zu verschleiern und um mobil zu machen auch gegen jene Leute, die eine Mindestsicherung brauchen.
Man tut so, als handele es sich nur um die sogenannten Ausländer, wobei da sehr viele österreichische Staatsbürger gemeint sind. Aber in Wirklichkeit wird vorgegangen gegen ärmere Menschen in diesem Land. Und das ist der Trick der Rechten. Das aufzudecken ist auch Teil dieses Projekts. Und es ist wichtig, einfach nur mal zu sagen was ist, in einer Zeit, in der die alternativen Fakten oder wie auch bei uns gesagt worden ist in Bezug auf Soros, der "stichhaltigen Gerüchte". Ich weiß nicht, ob das angekommen ist in Deutschland.

"Ökonomische Obszönitäten in Angriff nehmen"

Deutschlandfunk Kultur: Nein.
Rabinovici: Das bei uns der Klubobmann der FPÖ gesagt: Es gäbe "stichhaltige Gerüchte", dass Soros der Drahtzieher sei hinter der Fluchtbewegung 2015. Der habe das "alles finanziert, dass diese Leute nach Europa gekommen sind". Also, das Spiel mit antisemitischen Ressentiments, aber auch mit rassistischen, das dient nicht etwa der Diskussion über die soziale Frage, sondern das dient der Verschleierung.
Deutschlandfunk Kultur: Sie haben gerade gesagt, Herr Rabinovici, die Kritik hatte einen Punkt, dass die soziale Frage vergessen worden ist von…
Rabinovici: Das habe ich nicht gesagt. Die Kritik hat nicht einen Punkt, sondern es stimmt, dass die soziale Frage von vielen vergessen worden ist. Und ja, es ginge darum, in diesem Europa offenkundige Obszönitäten, ökonomische Obszönitäten in Angriff zu nehmen. Und sicherlich, aufgrund dieser Ungerechtigkeiten können diese Parteien auch punkten. Aber es wäre zu einfach, das darauf zu beschränken. Und die rechten Parteien spielen diesen Punkt, diese Kritik kaum an.
Denn ich darf Ihnen einen Slogan sagen der Freiheitlichen Partei: "Unser Geld für unsere Leute." Das ist in Wirklichkeit der Schlachtruf von jedem Mafia-Paten. Und tatsächlich ist es ja interessant: Wenn etwas Korruptes passiert in irgendeiner Partei, ist das ein Skandal. Wenn es bei den Freiheitlichen passiert, kaum. Und wissen Sie warum? Weil man sich von ihnen gar nichts anderes erwartet. Was der Wähler von der Freiheitlichen Partei erwartet, ist nicht Anständigkeit, sondern anständigen Rassismus. Und den liefern sie.
Deutschlandfunk Kultur: Ob Sebastian Kurz oder auch Viktor Orbán oder auch der tschechische Präsident Miloš Zeman, die wurden alle demokratisch gewählt. Ist es da nicht Hochmut zu sagen, "Leute, ihr wisst gar nicht, was ihr da tut"?
Rabinovici: Ja, auf diese Art und Weise geht es ja auch nicht. Da haben Sie vollkommen Recht. Sondern in Wirklichkeit muss man mit Gegenkonzepten antworten und mit Gegenvisionen.
Ich habe vorher versucht zu sagen, dass es zusammenhängt mit dem Niedergang des Sozialstaates, wie wir ihn bisher kannten, und dass sich noch nicht was Neues aufgebaut hat. Und ich glaube, das Wichtige an der Demokratie ist nicht nur das, was die Mehrheit will, sondern Demokratie lebt auch davon, dass die Minderheiten Rechte haben und dass die Minderheit weiß, dass sie noch einmal eine faire Chance haben wird, dass sie eine faire Chance haben wird, beim nächsten Mal zu gewinnen.
Das, was wir sehen, ist, dass diese Kräfte eine Demokratie voranbringen wollen, die ihren Namen nicht mehr verdient, indem sie Öffentlichkeit einschränken, indem sie Kritik einschränken, indem sie das Parlament einschränken und durch Plebiszite ersetzen. Und beim Plebiszit werden ganz einfache Fragen gestellt, die nur mit Ja und Nein zu beantworten sind. Und das gilt dann für immer. Demokratie aber ist ein Prozess, ein Prozess der Ausweitung. Dagegen gehen die vor.
Ja, es stimmt, das sind Parteien, die demokratisch gewählt werden. Aber wir müssen uns auch im Klaren sein, es sind Parteien, die Demokratie und Rechtsstaat einschränken.

"Wir sollten uns diesem Bild der Eliten nicht fügen"

Deutschlandfunk Kultur: Also, der Sozialstaat in der Krise, die soziale Frage, die nicht ausreichend berücksichtig wurde, das interpretiere ich jetzt doch mal so, dass der Erfolg dieser rechtspopulistischen Parteien schon auch auf ein Versagen der bisherigen Eliten hinweist, also, sich um diese Fragen nicht genügend gekümmert zu haben, und dass deswegen auch solche Parolen "unser Geld für unsere Leute" überhaupt erst verfangen können, weil die Menschen eben das Gefühl bekommen haben, da macht sich eine linke Schickeria ein feines Leben auf unsere Kosten.
Rabinovici: Darf ich Sie was fragen?
Deutschlandfunk Kultur: Ja.
Rabinovici: Wer sind "die Eliten"?
Deutschlandfunk Kultur: Das war sozusagen ein Zitat. Aus der Sicht einer Sekretärin sind möglicherweise Sie und ich schon "die Eliten". Wir äußern uns öffentlich. Wir verdienen ganz gut. Wir sind gebildet.
Rabinovici: Also, Sie sind ja Journalistin, aber die meisten Schriftsteller sind ja nicht die Reichsten unserer Gesellschaft. Und Journalisten sind es ja auch zusehends weniger, oder?
Deutschlandfunk Kultur: Auf jeden Fall, ja, klar.
Rabinovici: Also, wenn wir von Eliten sprechen, dann müssen wir, finde ich, schon genau sein. Ich würde sagen, das, was als linke Schickeria abgetan wird, als Eliten in den Redaktionen, das ist ja sehr lustig, wenn zum Beispiel Donald Trump sagt, "das sind die Eliten". Das muss man sich mal vorstellen, wer da – auch in Europa – über diese reichen Eliten spricht. Nein, es gibt Menschen, die wirklich ungemein viel international verdienen.
Und ich komme wieder zurück zur Globalisierung. Ich glaube, wir sollten uns diesem Bild der Eliten nicht fügen, weil wir dadurch eine falsche Diskussion beginnen. Was schon stimmt, ist, und da gebe ich Ihnen Recht, es gibt einen Elitismus, der über die Leute und ihre Zukunftsängste hinweg geht. Trotzdem, wir dürfen es uns nicht zu einfach machen. Die Frage, wer hier Ängste hat und Zukunftsängste hat, ist auch ganz klar. Wir haben sie eigentlich alle – und gar nicht einmal zu Unrecht.
Nämlich, und auch da sind wir nicht die Eliten, wir sehen einfach, dass etwas ins Rutschen gekommen ist. Wir sehen, dass die Privilegien dieses Europas nicht mehr so gelten wie vor zwanzig, dreißig Jahren. Das hat ja auch was Gerechtes, oder? Aber gleichzeitig hat das natürlich auch etwas, was auf unsere Kosten geht. Ja, das stimmt. Und darauf kann man sehr leicht bauen, wenn man rassistische Politik macht.

Nicht in Fatalismus verfallen

Deutschlandfunk Kultur: Sie haben es ja gesagt, Herr Rabinovici, der Nationalstaat ist in der Krise. Und aus einer makrohistorischen Sicht könnte man sagen - die Welt ist so eng miteinander verflochten wie noch nie zuvor, kein Nationalstaat kann allein überleben - was wir jetzt gerade erleben, also, diese nationalistischen Bewegungen, die sind sozusagen ein letztes Aufbäumen vor dem Unvermeidlichen und so gesehen vollkommen sinnlos. Und man könnte sie gelassen betrachten.
Man kann es aber natürlich auch anders betrachten. Wir können ja mal den Titel Ihres Polittheaters auflösen. "Alles kann passieren", das ist ein Zitat des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, der am Ende seiner Rede über die iliberale Demokratie sagt: "Das Wesen der Zukunft ist Folgendes: Alles kann passieren. Und alles ist ziemlich schwer zu definieren."
Rabinovici: Ja, der Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer von der Freiheitlichen Partei, der Alexander Van der Bellen unterlegen ist, der hat gesagt, "ihr werdet euch noch wundern, was alles möglich ist", in einer Diskussion vor der Wahl. Das Gefühl, das diese Leute haben, ist, da wird noch vieles Weiteres weggeräumt, von dem ihr noch gar keine Ahnung habt.
Viktor Orbán, das muss man sich ja vorstellen, der kam ja aus einem kommunistischen Staat und war zunächst ein Liberaler. Und nun ist er der Meinung, dass die, die noch immer liberal sind, nicht bemerken, dass da was ganz anderes jetzt verlangt ist. Und seine Vorbilder sind autoritäre Staaten. Das sind Staaten, in denen es Wahlen gibt, ja, wie etwa in Russland oder in der Türkei oder in China, aber das sind die, die er als die großen Stars nennt in seinen Reden.
Das heißt, "alles kann passieren". In diesem Sinne hat er natürlich Recht. Es ist offen. Es gibt keinen Grund, dem ruhig zuzuschauen, sondern man muss sich im Klaren sein, das ist eine Gefahr. Auf diese Gefahr zu antworten, heißt aber jetzt nicht, einfach in Melancholie oder Fatalismus zu versinken, sondern zu sagen, was ist, und sich davor nicht zu fürchten und darauf vielleicht auch sogar zu reagieren.
Ich reagiere darauf, indem ich eben versuche, einen Satz nach dem anderen richtig zu setzen.
Deutschlandfunk Kultur: Ich danke Ihnen für diese vielen Sätze in diesem Gespräch, Herr Rabinovici.
Rabinovici: Ich danke Ihnen. Ich hoffe, ich habe nicht nur Blödsinn geredet.
Deutschlandfunk Kultur: Ich bin ganz sicher: nicht.
Eine weitere Vorstellung von "Alles kann passieren!" gibt es am 31. Januar im Wiener Burgtheater. Das gleichnamige Buch ist bei Zsolnay erschienen.

Doron Rabinovici, geboren 1961 in Tel Aviv, lebt seit 1964 in Wien, ist Schriftsteller und Historiker. Sein Werk umfasst Kurzgeschichten, Romane, wissenschaftliche Beiträge. Rabinovici wurde mehrfach ausgezeichnet. Zuletzt erschien der Roman "Die Außerirdischen" (2017) und, gemeinsam mit Florian Klenk, "‘Alles kann passieren!' Ein Polittheater" (2018).

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