"Keiner findet sich schön"
Von René Pollesch
Uraufführung an der Volksbühne Berlin
Text und Regie: René Pollesch
Bühne: Bert Neumann
Warmherzige Gefühlsbeschwörung
Gegen das hippe "Liebe ist doof"-Gehabe setzt René Pollesch mit "Keiner findet sich schön" auf die Unbedingtheit der Liebe. Fabian Hinrichs glänzt darin als Trennungsschmerzenmann, der sich mit der Austauschbarkeit nicht abfinden will. Ein hochgradig komisches Identifikationsgeschenk.
"Geld kann jeder haben, Liebe nicht." Fabian Hinrichs Bühnenfigur hat sie nicht, und sie darf uns das sagen, darf ihre Kreise ziehen und sich beklagen, darf wehklagen, darf rufen: "Komm zu mir zurück!"
Er ist der Trennungsschmerzenmann, der sich nicht abfinden will damit, dass alles bloß zufällig, dass jeder austauschbar ist, dass Tinder und Gleichklang.de immer neue Möglichkeiten, immer neue Versprechen bieten und dabei vor allem eines verhindern: Die Liebe, die bleibt.
Es ist wieder soweit, nach "Ich schau Dir in die Augen, gesellschaftlicher Verblendungszusammenhang" (2010) und "Kill your Darlings" (2012) ist an der Berliner Volksbühne nun René Polleschs dritte Solo-Show für Fabian Hinrichs entstanden, und sie setzt direkt am Erfolgsmodell der vorherigen Monolog-Happenings an: Keine eiskalte Dekonstruktion kapitalistischer Vereinnahmungsstrategien, sondern warmherzige Gefühlsbeschwörung – allein: so warm, so zart, so bescheiden, so konkret ging es wohl noch nie zu an einem Pollesch-Abend.
Keine Ironie gegen Kitsch
Es ist ein mittelgroßes Wunder, das hier aus seiner unermüdlichen Stück-Produktion herausfällt, eine ganz und gar private, theorielose Bekenntniskomödie, in der keine Ironie nötig ist, um Sätze zu durchbrechen, die kitschig sein könnten, wenn sie nicht so atemlos ausgestoßen würden von Fabian Hinrichs: "Ich brauche jemanden", schnauft er, während er in kurzer Hose, T-Shirt und unaufdringlichem Fat-Suit seine Runden zieht. "Ich brauche ein Gesicht, das ich wachküssen möchte."
Bert Neumann hat hierfür eine Bühne eingerichtet, die sich zur amerikanischen Flagge zusammensetzt: weiß-rote Streifen am Boden, darauf Tänzerinnen und Tänzer in blauen Kostümen mit weißen Sternen. Sie kommen und spielen zwischendurch ein bisschen "West Side Story", imitieren die Tänze aus Leonard Bernsteins legendärem Musical, versuchen sich an Jerome Robbins grandioser Original-Choreografie, sind amerikanisch-enthusiastisch.
Verzweifelte Bemühungen
Sie reißen Hinrichs mit, der bläst aber lieber einen gigantischen Teddybären auf, ein Plastikungetüm, das irgendwann fast die ganze Volksbühne füllt und das der ruhelose Performer verzweifelt aufzurichten versucht. Ein schlichtes, schönes Symbol für all seine verzweifelten Bemühungen, die Liebe und das Leben in den Griff zu bekommen. Eine Unmöglichkeit, natürlich.
Es ist die "Restzeit-Story", die er für uns aufführt, die Geschichte einer Torschlusspanik. Von all den Möglichkeiten erzählt er uns, von den vielen Wegen, die man einschlagen oder nicht einschlagen könnte, von den verpassten Chancen, den einen oder die eine zu finden, den Lebenspartner, während man 40 wird und einen Bauch bekommt und nicht mehr schön ist. Davon, dass man ins Fitnessstudio rennt und bei Tinder weitersucht oder vielleicht gar nicht mehr vor die Tür geht oder vom Balkon springt.
Es mag banal sein, dieses Großstadt-Neurotikertum, aber es ist entwaffnend wahrhaftig vom ersten bis zum letzten Satz, zumal recht radikal in seiner konsequenten Ablehnung des abgezockten "Liebe ist doof"-Gehabes, auf das man in Berlin so stolz ist.
"Ich brauche etwas Schönes!"
Nein, dieses Ringen leuchtet und funkelt in sämtlichen Verzweiflungswiederholungen und in all seinen flirrend selbstverständlichen Pointen. Es ist Selbstbescheidungstheater par excellence, eine hinreißende Lehrstunde darin, wie groß kleine Gesten sein können, wenn sie konzentriert und mit Hingabe präsentiert werden, eine Erinnerung daran, dass Pollesch nicht nur Produzent seiner ewigen postdramatischen Diskursserie ist, sondern ein unkaputtbarer Theatermeister.
"Ich brauche etwas Schönes!", ruft Fabian Hinrichs. Das Publikum immerhin hat es bekommen, als weises, trauriges, hochgradig komisches Identifikationsgeschenk. Viel schöner geht nicht.