Piroggen statt Pizza
Zu fettig, zu viel Fleisch: Die polnische Küche hatte in Deutschland lange Zeit keinen sonderlich guten Ruf. Doch das ändert sich gerade. Mit viel Selbstbewusstsein bereiten polnische Köche in Berlin Barszcz, Piroggen oder Bigos zu.
Grünberger Straße in Berlin Friedrichshain. Schmales Schaufenster mit Ladentür, zwölf Sitzplätze, "Filafood – Polnische Küche" steht auf der Speisekarte. Hinter der Theke: ein Zwei-Meter-Mann, der mich begrüßt:
"Hallo. So, bitte schön, Barszcz mit solchen kleinen Öhrchen hausgemacht, das sind kleine Teigtaschen mit Pilzen und Zwiebeln, und das ist typisch polnisch Barszcz."
Der Traum vom eigenen Restaurant
Dann stellt er sich vor:
"Mein Name ist Fila, mein Restaurant heißt Filafood und ich mache hier traditionelle polnische Küche – heißt Filafood, weil ich bin Fila. Von die Name vielleicht klingt nicht typisch polnisch, aber ist so, deswegen Filafood."
Bereits als Grzegorz Fila vor mehr als 13 Jahren aus Wroclaw nach Berlin kam, wollte er ein polnisches Lokal eröffnen. Doch erst vor sieben Jahren wurde sein Traum wahr. Rot-Gelb gestrichene Wände, Plakate, die zeitgenössische Filme und Literatur aus Polen empfehlen, gemeinsame Fotos mit Deutsch-Polen wie dem Kabarettisten Steffen Möller oder dem Sänger Mark Forster. Kitschige Landschaftsbilder aus Polen fehlen dagegen.
Hausgemacht muss sein
Doch auch wenn dem 41-Jährigen das moderne Polen am Herzen liegt – bei der Küche ist er traditionell: hausgemacht muss sie sein, und: er kocht selbst.
"Ich bin eigentlich vom Beruf Konditor und mache auch viel Kuchen hier, ja – ich eigentlich wollte was Gutes von Polen zeigen, denn ich glaube, die polnische Küche hat Wert. Bei mir gibt es Zapiekanki – polnischer Snack to go. Nur bei mir! Das ist lecker polnisches Brot mit Käse, Champignons, übergebacken, serviert mit Ketchup. Das ist unser, ja, kann man sagen, wie in Berlin Currywurst, da in Polen kriegst du überall Zapiekanki."
In ein polnisches Restaurant essen gehen – das war noch vor zehn Jahren kaum vorstellbar. Denn die polnische Küche hatte keinen guten Ruf, entsprechend wenige Restaurants existierten. Das ändert sich gerade. "Filafood" ist nicht das einzige Beispiel dafür.
Warum mich das wundert? Ich bin in Polen geboren, vor 50 Jahren, die Familie meiner Mutter lebt nach wie vor dort. Wenn ich sie besuche, essen wir natürlich gern polnisch – Barszcz, Piroggen, Bigos, die saure Mehlsuppe Zurek. Aber dafür in ein Restaurant gehen?
Pizza kannte man nur vom Hörensagen
Ich frage meine polnische Kollegin Beata Bielecka, die seit über 30 Jahren im deutsch-polnischen Grenzgebiet arbeitet.
"Polen war früher ein abgeschlossenes Land. Man kannte Speisen wie Lasagne oder Pizza nur vom Hörensagen – sie waren doch Magie für uns. Wir dachten, was im Ausland ist, ist das Beste der Welt. Dann, nach der Wende, fingen wir an zu reisen, und stellten plötzlich fest, dass das ein Mythos war."
"Beata, aber jetzt eröffnen sogar immer mehr polnische Restaurants in Berlin – was sagst du dazu?"
"Also, mich erstaunt das gar nicht! Denn ich finde wirklich, dass die polnische Küche viele, schmackhafte Gerichte hat. Doch ich frage mich schon, warum eröffnen gerade jetzt so viele polnische Restaurants in Berlin? Warum nicht früher? Ich glaube, Polen wird heute in Deutschland anders wahrgenommen. Ich erinnere mich noch an die 90er-Jahre, als deutsche Medien die Hygiene in Polen kritisiert haben, und dass man beim Essen aufpassen sollte. Damals herrschte viel Misstrauen bei den Deutschen."
"Aber das befriedigt mich noch nicht so ganz. Kann es sein, dass die jungen Polen heute selbstbewusster mit ihrem Land umgehen?"
"Ich glaube, dass auch die Deutschen heute anders auf Polen gucken als früher. Sie vertrauen unserer Qualität mehr – dem Fleisch zum Beispiel! Das aus Polen hat ein besseres Renommee als das aus einem deutschen Supermarkt, nicht wahr?! Das hat sich über die Jahre echt verändert: das Bild Polens und damit auch die Einstellung zur polnischen Küche."
Pierogi in allen Varianten
Die "Pierogarnia" liegt im Wedding, in einer noch nicht durchgentrifizierten Ecke Berlins. Ein großer gemütlicher Wohnraum im ehemaligen Vereinslokal eines Dart-Clubs, wo seit Mitte 2010 polnische Küche angeboten wird. Vor allem: die Teigtaschen namens Pierogi in allen süßen und herzhaften Varianten. Selbstbewusst verweist Lidia Kozlowska darauf, dass polnische Küche im Trend liegt:
"Unsere Pirogen mit Sauerkraut und Waldpilzen sind vegan, unser Teig ist ohne Ei, und ohne Butter, nur mit Öl und Wasser und Mehl, Teig ist vegan und die Füllung war immer vegan! Die Pirogen mit Linsen habe ich schon von meiner Mama bekommen, die sind auch vegan. Da muss man jetzt keine exotischen Lupiane oder irgendwelche noch Sachen benutzen, um wirklich vegan zu kochen."
Die Besitzerin der "Pierogarnia" versteckt ihr Polentum nicht, obwohl sie als Großmutter von drei Enkeln nicht zur jungen Generation zählt, die angeblich den neuen Trend begründet hat.
"Wir waren das erste Restaurant und das erste Bistro, wo wir gesagt haben, wir haben nur polnische Küche! Polnische Gastfreundschaft! Wir sind die Polen! Danach hab ich auch mit anderen gesprochen, die hier auch versucht haben, was aufzumachen, und dann hab ich zum Beispiel erfahren, dass einige Angst hatten, Polen zu schreiben, Angst, dass jemand kommt und vielleicht die Scheiben einschlägt – was ich eigentlich gar nicht verstanden habe, aber das war vielleicht so, dass man Angst hatte zu sagen: Ich bin Pole!"
"Warum ich herkomme?"
"Weil ich die Küche sehr gern mag, weil es wirklich mit Liebe hausgemacht ist, und ich bringe hier gern Leute, die polnische Küche nicht kennen. Einfach so als kleines Highlight, genauso wie heute."
"Und Sie selbst kommen auch aus Polen?"
"Ich bin eine Polin, ich lebe in Deutschland seit 28 Jahren und in Berlin lebe ich seit 2008."
"Und gab es das früher auch schon, oder ist das was Neues für Sie, dass Sie Bekannte, Freunde mitbringen?"
"Mmmhhh. Das ist erst hier in Berlin, weil Berlin so besonders ist, und so viele Möglichkeiten, wie wir hier in Berlin haben, habe ich nirgendwo anders erlebt."
Das neue polnische Selbstbewusstsein
Alle Polen profitieren vom Image-Wechsel ihres Landes in Deutschland – jung und alt, erste und dritte Generation. "Wir haben uns geschämt, aus Polen zu kommen", schreibt noch Emilia Smechowski in ihrem Buch "Wir Strebermigranten", "geschämt", als sie als Fünfjährige 1988 mit ihrer Familie nach Westberlin kam. Ich kann das nur bestätigen, auch wenn ich schon 1976 mit meiner Familie aus Polen nach Westdeutschland zog.
Deshalb erstaunt mich die selbstbewusste Haltung von Pierogarnia-Besitzerin Lidia Kozlowska, die etliche Jahre älter ist als ich – aber ich freu‘ mich auch.
"Ich muss Ihnen aber wirklich sagen - wie alt sind Sie?"
"25!"
"Ich frag das deswegen, weil Sie …"
"… aber über 50!"
"… weil Sie klingen so selbstbewusst in Ihrer Identität als Polin – man verbindet das mit der jungen Generation, weil ich hab so gedacht: Die reisen in der Welt, die sehen, die anderen Länder kochen auch nur mit Wasser. Und Sie sind älter und haben trotzdem dieses Bewusstsein – ich finde das erstaunlich."
"Deshalb bin ich 25!"