Jüdisches Museum ohne Direktor
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Seit vier Monaten muss das Polin, das Museum der Geschichte der polnischen Juden, ohne Leiter auskommen. Der rechtskonservative Kulturminister verweigert dem alten wie neuen Direktor, Dariusz Stola, die Berufung - aus politischen Gründen.
Dariusz Stola verabredet sich in einem Café, ein Büro hat er nicht mehr. Seit vier Monaten ist er praktisch arbeitslos. Er hat Vorträge in den USA, in Israel und Australien gehalten und eine große Radtour gemacht. Dabei sollte der 55-Jährige längst an seine alte Wirkungsstätte zurückkehren, das Museum der Geschichte der polnischen Juden in Warschau, kurz Polin:
"Ich bin dort jetzt ein Gast wie jeder andere. Ab und zu gehe ich dort in ein Konzert oder zu einem Vortrag. Letztens habe ich die Ausstellung ‚Gdynia - Tel Aviv‘ gesehen. Ich habe nur deshalb keine Eintrittskarte kaufen müssen, weil ich zur Vernissage eingeladen war. Meine Karte als Mitarbeiter musste ich abgeben."
Auswahlkommission entschied sich für Stola
Fünf Jahre lang war Dariusz Stola Direktor. Unter ihm wurde Polin eröffnet und erhielt internationale Auszeichnungen. Im Mai gewann Stola die Ausschreibung für seinen Posten erneut. Der Auswahlkommission gehörten Vertreter von Museumsverbänden und jüdischen Organisationen an. Doch der Kulturminister von der rechtskonservativen Partei PiS weigert sich, Stola auf den Posten zu berufen. Damit schade er dem Museum, meint Stola:
"Die Mitarbeiter sind verunsichert. Sie wollen wissen, wie ihre Zukunft aussieht. Das schadet auch dem Ansehen des Museums und ist hier besonders schlimm, denn das Museum lebt zu einem erheblichen Teil von Spenden - von Privatpersonen und Firmen. Ich bin darüber sehr beunruhigt."
Politische Einwände gegen den bisherigen Direktor
Kulturminister Piotr Glinski führt keine fachlichen Argumente für seine Abneigung gegen Stola ins Feld. Stola sei ihm politisch nicht genehm, erklärte er vor wenigen Tagen einem polnischen Radiosender:
"Die Situation im Museum ist stabil. Dort arbeiten weiterhin die Leute, die unter Stola eingestellt wurden. Nur eines hat sich geändert: Das Museum engagiert sich nicht mehr politisch gegen die Regierung, wie das in den vergangenen drei Jahren der Fall war. Dort gab es viele Veranstaltungen, die - milde gesagt - politisch einseitig waren."
Dariusz Stola widerspricht. Sein Verhältnis zur polnischen Regierung habe sich erst im vergangenen Jahr getrübt. Erst kritisierte er das sogenannte Holocaust-Gesetz, das die PiS verabschiedet hatte. Das Gesetz stellte es unter Strafe, der polnischen Nation oder dem polnischen Staat eine Mitverantwortung am Holocaust zu geben. Unter dem Protest aus Israel und den USA entschärfte das Parlament das Gesetz später.
Mit Ausstellung über Antisemitismus angeeckt
Dann gab es im Museum eine Ausstellung zum März 1968, zu einer Welle des Antisemitismus im kommunistischen Polen. Dariusz Stola:
"Ich habe damals noch gescherzt, dass sich die Regierung über die Ausstellung freuen dürfte. Schließlich waren es vor allem Leute aus dem rechten politischen Lager, die sich in der polnischen Geschichte als Antisemiten hervorgetan haben. Aber 1968 haben die Kommunisten eine antisemitische Kampagne gestartet. Für diese Ausstellung haben wir viele ungerechte Vorwürfe bekommen."
Meistbesuchte Ausstellung in der Geschichte Polens
Dafür sorgten vor allem einige aktuelle Beispiele für antisemitische Äußerungen, die der Ausstellung beigefügt waren. Sie stammten von Publizisten aus dem Unterstützer-Umfeld der PiS. Die Ausstellung wurde mit 116.000 verkauften Karten die meistbesuchte in der Geschichte Polens. Dariusz Stola hat inzwischen die Hoffnung verloren, dass er noch auf den Posten des Direktors berufen wird:
"Aber eigentlich sollte ich Minister Glinski dankbar sein. Ich habe noch nie so viel Unterstützung von Historikern aus der ganzen Welt erfahren, sogar von der Europäischen Vereinigung der jüdischen Museen. Das hat mich sehr erfreut, dass wir so viele Freunde auf der ganzen Welt haben."
Das Polin wird indes bis auf weiteres ohne Direktor bleiben. Denn eine andere Person, die nicht von der Kommission des Museums ausgewählt wurde, darf Glinski auch nicht berufen.