Tipp: Die erwähnten jüngeren Dichter sind soeben ins Deutsche übersetzt worden − zu lesen in der Essener Literaturzeitschrift Schreibheft und im Band "Polnisch Poetisch. Esther Kinsky im Gespräch mit sechs polnischen Dichter", erschienen im Berliner Verlag Buchbund.
Die Weltmeister im Gedichteschreiben
Die Polen haben eine besondere Beziehung zur Lyrik. Als ihr Staat im Jahr 1793 von der Landkarte verschwand, wurde ihre Dichtung existenziell: Sie bot der körperlosen Nation eine neue Heimat. Jüngere Lyriker meiden jedes Pathos und pflegen sprachliche Eigenarten.
"Die Poesie ist unsere nationale Domäne. Wir sind Meister im Gedichteschreiben. Gäbe es darin Europa- oder Weltmeisterschaften, würden wir immer auf dem Siegerpodest stehen."
Artur Burszta, Leiter des Breslauer "Literaturbüros", ist durchaus stolz auf die Bedeutung der Lyrik in Polen. Im Publizieren von Lyrik sind die Polen mit Sicherheit Meister. Die Nationalbibliothek registrierte im vergangenen Jahr 2050 belletristische Bücher. Über Dreiviertel von ihnen, nicht weniger als 1552, enthalten Gedichte. Die romantische Tradition wirft einen langen Schatten.
"Ich würd' mein Volk als lebendiges Lied erschaffen.
So'n Lied ist Kraft, ist Wirksamkeit,
So'n Lied – es ist Unsterblichkeit!
Gib mir die Seelen!
Ich will die gleiche Macht über sie wie Du!"
So'n Lied ist Kraft, ist Wirksamkeit,
So'n Lied – es ist Unsterblichkeit!
Gib mir die Seelen!
Ich will die gleiche Macht über sie wie Du!"
Das Volk als lebendiges Lied erschaffen will der romantische Aufständische Konrad in Adam Mickiewiczs Nationalepos "Die Ahnenfeier", weil die Existenz des Volkes höchst unsicher ist. Polen ist mit der dritten Polnischen Teilung durch die europäischen Großmächte 1793 von der Landkarte verschwunden. Die Dichtung von Adam Mickiewicz, Juliusz Słowacki und anderen Romantikern hält das Nationalbewusstsein lebendig, so dass sich im Ersten Weltkrieg Józef Piłsudski auf sie berufen kann, der Marschall, der sein Land befreite und mit starker Hand regierte.
"Durch Piłsudski und Słowacki ist Polen wiedergeboren. Denn der Eifer Piłsudskis stammt auch aus dieser Poesie. Es gab natürlich auch andere Faktoren, aber die Literatur spielte eine unglaublich wichtige Rolle."
Der Dichter und Essayist Adam Zagajewski weiß, dass es damals auch andere Strömungen gab. In seinem Gedicht "Herostrates" trat Jan Lechoń 1917 für eine Dichtung ein, die frei von nationalistisch-patriotischen Tönen und Märtyrer-Mythen ist:
"Im Frühling sollte man den Frühling sehen, und kein Polen."
Doch nach dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges übernahm die polnische Poesie wieder ihre besondere Aufgabe in der Nation, meint Adam Zagajewski:
"In den Ländern wie Schweiz spielt die Lyrik die Rolle eines ‚Sonntagsetwas', niemand liest ein bisschen, wenn schon, dann am Sonntag. Aber in Polen, als das Land in Trümmern lag, las man Gedichte nach Wahrheitssuche. Denn das ganze Netz der Kommunikation war zerstört. Dazu kam noch die kommunistische Macht, die nicht beliebt war. Wenn das Leben so reduziert ist, dann kommt für Polen die Poesie."
Etwas Selbstloses und Erotisches
Die jüngeren Dichter Darek Foks, Marta Podgórnik, Adam Wiedemann, Katarzyna Fetlińska, Jacek Gutorow und Dariusz Sośnicki sind von solchen Aufgaben befreit. Sie gehen frei mit der Sprache um, vermeiden jedes Pathos und pflegen sprachliche Eigenarten.
Für die Besucher des größten polnischen Lyrik-Festivals in Krakau, benannt nach dem Literaturnobelpreisträger Czesław Miłosz, hat die Lyrik einen besonderen Stellenwert. Sie sehen im Frühling wieder den Frühling, nicht Polen.
Frau 1: "Die Poesie ist etwas Selbstloses und Erotisches."
Mann 1: "Die polnische Lyrik hat so eine gewisse Macht der Seele. Das ist bestimmt die Sprache, das ist bestimmt die Vergangenheit, das ist dann die Erinnerung, die das ausmachen."
Mann 2: "Gedichte zu lesen ist etwas so Natürliches wie das Atmen. Es ist ein intimer Akt zwischen dem Text und dem Leser."
Frau 2: "Ich brauche die Poesie zum Leben. Sie stellt Fragen und gibt Antworten. Dank der Poesie bin ich ein wahrer Mensch."
Mann 1: "Die polnische Lyrik hat so eine gewisse Macht der Seele. Das ist bestimmt die Sprache, das ist bestimmt die Vergangenheit, das ist dann die Erinnerung, die das ausmachen."
Mann 2: "Gedichte zu lesen ist etwas so Natürliches wie das Atmen. Es ist ein intimer Akt zwischen dem Text und dem Leser."
Frau 2: "Ich brauche die Poesie zum Leben. Sie stellt Fragen und gibt Antworten. Dank der Poesie bin ich ein wahrer Mensch."