"Wir Strebermigranten", "Wir Unsichtbaren" – das sind Titel von Büchern über polnische Bürger, die in Deutschland leben. Sie erwecken den Eindruck, dass wir Polen hierzulande nicht sonderlich präsent sind. Dabei bilden wir doch, nach den Türken, die zweitgrößte Gruppe von Einwanderern.
Die Autorin von "Wir Strebermigranten" Emilia Smechowski trägt - wie viele andere - einen eingedeutschten Nachnamen.© Linda Rosa Saal
"Man sagt, die Polen sind gut integriert, die sind unsichtbar", sagt Anja Krenz. "Ja ich habe das schon öfter gehört, gelesen in Büchern. Das ist das, was man sagt. Ich versuche das selber zu verstehen. Warum sind die Polen unsichtbar? Wie könnte man die Polen erkennen, heutzutage - nicht wie vor 20 Jahren oder 15 Jahren. Die Polen haben auch Möglichkeiten, solche Kleidung zu tragen wie die Menschen im Westen, also nach der Kleidung erkennst du die nicht. Dann zum Beispiel auch Hautfarbe und Gesichter. Man erkennt Deutschen, Polen nicht wirklich, nach Gesicht oder Haarfarbe. Geht nicht. Dann wie, dann? Nach der Sprache? Klar, aber die Polen lernen schon die Sprachen und die sprechen deutsch."
Ania Krenz ist Architektin und Grafikerin. Die 43-jährige kam zu Silvester 2000 nach Deutschland.
"Ganz banal! Ich habe mich verliebt und bin ich einfach gekommen, mit meinem Rucksack, tada! Ich bin da, und bin ich geblieben."
Aufmerksamkeit für polnische Kunst wecken
Ziemlich schnell hat es sich Ania damals zur Aufgabe gemacht, die Aufmerksamkeit der Deutschen für Polen zu wecken. Mit ihrem Mann eröffnete sie eine Galerie, in der sie zehn Jahre lang polnische Künstler ausstellte.
"Und weil, da wollte ich zeigen, Polen sind auch Künstler und die machen coole Kunst. Und ich muss sagen, das war ganz, ganz okay. Viele waren interessiert. Viele Ausstellungen haben wir gemacht, wo das gezeigt wurde. Und ich denke, das war ein - in dem Sinne – ein Erfolg."
Auch Performances, künstlerischer und politischer Art gehörten und gehören in Anias Repertoire. Ich weiß noch, wie ich sie mal auf der Straße traf: Sie trug eine kleine Krone auf dem Kopf und hielt ein selbstgemaltes Schild, auf dem stand: "Polen sind cool". Und ich frage mich: Wie schlecht muss unser Ruf gewesen sein, dass sowas nötig war ...
Ende der 80er-Jahre, als Teenager, war ich mal in einem Laden für Elektrobedarf am Stuttgarter Platz. Eigentlich war es eher billiges Elektro-Zeug aus China. Und es ertönte eine Ansage durch die Lautsprecher - zuerst auf türkisch, was ich nicht verstand, und dann auf polnisch: "Uwaga, uwaga, kazda kradziez bedzie zaskarzana i policyjnie scigana." Achtung, Achtung, jeder Diebstahl wird angezeigt und polizeilich verfolgt. Ich habe mich so geschämt! Als hätte man mit dem Finger auf mich gezeigt und gerufen: Da, eine Polin! Eine Diebin!
"Gerade was meine Entwicklung angeht, ging es immer darum, dieses Polnische zu verstecken und so gut es geht zu verheimlichen", sagt Paweł Jan Kaczorowski. "Ich erinnere mich noch: Meine Mutter hat immer gesagt: 'Wenn sie im Kindergarten fragen, woher du kommst ... ' – und selbst in der Schule, in einer Grundschule, glaube ich, hab ich das auch noch mal gehört – 'Dann sag immer, wir sind Deutsche'."
Aus Paweł wurde Paul
Paweł Jan Kaczorowski, heute 32 Jahre alt und Korrespondent für das Deutschlandradio in Brüssel, kam als Kind nach Deutschland. Die Eltern legten den polnischen Nachnamen ab und nahmen dafür den deutschen der Mutter an. Aus Paweł Jan Kaczorowski wurde Paul Vorreiter. Hätte ich es nicht gewusst, wäre ich niemals auf die Idee gekommen, dass Paul auch aus Polen kommt!
Paul Vorreiter, Korrespondent für das Deutschlandradio in Brüssel, kam als Kind nach Deutschland.© Deutschlandradio / Marius Schwarz
Die Autorin des Buches "Wir Strebermigranten" erzählt, wie ihre Familie in Deutschland ihren polnischen Nachnamen Śmiechowscy – was ungefähr so viel wie "die Lachenden" hieß – eindeutschte, zu "Smechowski" machte. Ihre Familie, erzählt sie, sei so konzentriert darauf gewesen, keine "Fehler" zu machen, dass sie kaum noch lachten.
Meine Eltern hätten mir niemals im Leben dazu geraten oder gar von mir verlangt, unsere polnische Herkunft zu leugnen. Sie waren damals stolze Gegner des kommunistischen Regimes. Dass andere versuchten, es möglichst zu verbergen, habe allerdings auch ich erlebt: Als auf der Rolltreppe zur U-Bahn einmal ein kleines Mädchen etwas zu seiner Mutter auf Polnisch zwitscherte, und die Mutter es daraufhin auf Deutsch mit starkem polnischen Akzent anblaffte: Halt die Klappe und sprich Deutsch!
"Am Anfang hatte ich Schwierigkeiten, mich zu bekennen", erinnert sich Lucyna Steiner. "Weil es vor 15 Jahren ein bisschen mehr ... Es gab ein bisschen mehr Stereotypen gegenüber den Polen. Man sagte ja: Polen, die Autos klauen, die sind so und so."
Beim Tanztee der Polnischen Senioren treffe ich unter anderem die distinguierte Dame Lucyna Steiner. Immer sorgfältig frisiert, im hübschen Kleid, mit einem dezenten Duft nach Chanel Nr. 5.
"Heute verhalten sich die Polen manchmal sogar zu laut", sagt Lucyna Steiner. "Aber ich weiß noch, wie ich früher wütend wurde, wenn wir U-Bahn fuhren, und die Polen flüsterten, weil sie Angst hatten, laut polnisch zu sprechen - damit es nicht auffällt, dass sie Polen sind."
Irreale Angst vor Ausweisung
Emilia Smechowski schreibt in ihrem Buch, dass viele Polen auch deshalb nicht auffallen wollten, weil sie sich, um zu emigrieren, auf die deutsche Staatsangehörigkeit ihrer Eltern beriefen, sich gleichzeitig aber schämten, dass ihre Großeltern unter den Nazis die sogenannte "Volksliste" unterschrieben hatten. Wer auf dieser Liste stand, erhielt die deutsche Staatsbürgerschaft.
Ich selbst hatte jahrelang eine irreale Angst, ausgewiesen zu werden. Diejenigen, die schmuggelten oder stahlen, wollten unsichtbar bleiben, ebenso wie diejenigen, die sich für die Kleinkriminellen schämten. Es gab viele Gründe, nicht auffallen zu wollen! Später kam dann noch Harald Schmidt und machte dümmliche Polenwitze salonfähig. Und es ließ mich auch nicht kalt, als plötzlich auf den auf den Wahlplakaten der NPD zu lesen war: "Poleninvasion stoppen."
"Und ich glaube, das ist das, was meiner Mutter damals aufgefallen ist - Die Polen kamen eben als arme Leute nach Deutschland. Und das war dieses Image, was sie nicht wollte, dass ihr Sohn weiterträgt und was dem Sohn dann irgendwie vielleicht auch im Laufe des Lebens dann auch schaden könnte. Dieses Image: Das ist quasi jemand, der kommt da aus der polnischen Unterschicht. Das wollte sie verhindern."
"Aufgrund der politischen Unterdrückung und schwierigen Wirtschaftslage kamen in den 1980er-Jahren 200.000 polnische Flüchtlinge."
Dossier von Peter Oliver Loew "Unsichtbar? Polinnen und Polen in Deutschland", bei der Bundeszentrale für politische Bildung
"Und wie wütend ich war, wenn in allen Zeitungen immerzu von den Diebstählen – und so weiter – zu lesen war. Aber das war in der Zeit damals so - dort war diese Armut, und dann sah da einer vielleicht was Hübsches... Und, naja, nicht wahr ... Weißt Du, das war zu der Zeit, als es in Polen nur Senf und Essig gab. Die Polen, die herkamen, fühlten sich als fünfte Kategorie, es herrschte Armut. Sie fuhren hierher, um zu handeln, etwas Geld zu verdienen, etwas zu stehlen. So ein Mensch hatte gar keine Chancen, er kam illegal hierher, arbeitete schwarz. Ganz selten gelang es ihm, legale Geschäfte zu machen."
Nicht auffallen, um mit diesen – den anderen Polen – nicht verglichen zu werden. Ein möglicher Grund für die "Unsichtbaren". Aber gibt es noch andere?
Vielleicht liegen die Ursachen ja auch in der Geschichte. Immerhin war Polen nach den napoleonischen Kriegen das ganze 19. Jahrhundert über von der Landkarte verschwunden. Später kam die deutsche Besatzung, dann die russische ... Sind wir deshalb daran gewöhnt, hier in Deutschland unauffällig – unterhalb der Oberfläche – zu leben?
"Aufgrund ihrer sehr verschiedenen sozialen Herkunft und Zuwanderungsgeschichte sowie ihrer sehr unterschiedlichen Identifikation mit der polnischen Nation bildet die polnisch-sprachige Bevölkerung in Deutschland keine geschlossene Gruppe, weshalb sie nur zu einem Teil als polnische Diaspora bezeichnet werden kann. Dies zeigt sich bereits an ihrem sehr geringen Organisationsgrad. Zwar gibt es einige Dachverbände polnischer Organisationen, deren älteste eine bis in die 1920er-Jahre zurückreichende Geschichte besitzt. Diese haben jedoch nur sehr wenige Mitglieder und können keinesfalls für sich in Anspruch nehmen, die in Deutschland lebenden Polinnen und Polen in ihrer Gesamtheit zu repräsentieren."
Dossier von Peter Oliver Loew "Unsichtbar? Polinnen und Polen in Deutschland"
Polonia-Fest mit viel Tamtam
"Der freudige Anlass unseres Treffens ist der traditionelle Tag der Polonia."
Mit großem Tamtam wird im Mai vor dem Rathaus Reinickendorf das alljährliche Polonia-Fest gefeiert. Polonia: Das ist zum einen der Name für die Gruppe der Exil-Polen. Und zum anderen ist es auch der für das Büro, das die Interessen aller polnischen Organisationen in Deutschland vertritt – und das auch von deutscher Seite finanziert wird.
Bands, Reden und polnische Spezialitäten: Polonia-Fest vor dem Rathaus von Berlin-Reinickendorf© Johanna Rubinroth
Zum diesjährigen Fest sind einige Bands aus Polen gekommen. Es werden Reden gehalten. Es wird gefeiert mit Bier und polnischen Spezialitäten.
"Ich finde, wir haben sehr viele eingetragene Organisationen", sagt Krystyna Koziewicz. "Es sind deutschlandweit über 100 große, wenn nicht noch mehr: Besonders, seit Polen in der EU ist und das Bild der Polen sich sehr geändert hat, haben wir uns rasant organisiert."
Krystyna Koziewicz, seit 30 Jahren in Berlin und ehrenamtliche Mitarbeiterin des Polonia-Büros, führt einen Polonia-Blog, auf dem sie regelmäßig über alle möglichen Veranstaltungen berichtet.
"Leute, die sagen, wir hätten hier wenige Organisationen, gehen wahrscheinlich nirgendwo hin. Ich zum Beispiel nehme an Aktivitäten teil und es sind massig viele. Der Mensch kommt gar nicht hinterher! Wir sind, wenn es um die Kulturlandschaft in Berlin geht, sogar am sichtbarsten, würde ich sagen. Im Vergleich zu den Türken, sehe ich die Polen an erster Stelle."
Eine Einschätzung, der auch der Journalist Paul Vorreiter teilt.
"Ich glaube schon, dass es inzwischen, abgesehen von diesen Anlaufstellen, die es rund um diese Gottesdienste gibt, gibt es ja nicht nur den Polnischen Sozialrat oder es gibt auch genügend Kultur-Verbände. Oder zum Beispiel diese Zusammenarbeiten, die es in Frankfurt/Oder gibt, zwischen deutschen und polnischen Lehr-Einrichtungen. Also ich glaube, da hat sich in den letzten knapp 30 Jahren wirklich sehr viel getan."
Ein inzwischen gestärktes Selbstbewusstsein
"Ich denke, es hat sich sehr viel zum Positiven verändert", sagt Lucyna Steiner. "Ich kann in die Bibliothek gehen, es gibt so viel. Und so viele polnische Lebensmittelläden und Cafés, das gab es früher nicht. 'Der kleine Prinz', das Lokal an der polnischen Kirche, dort treffen sich Polen und Deutsche. Dort gibt es Fleisch und Pierogi. Man kann sich austauschen, unterhalten. Dann das polnische Filmfestival, da werden polnische Filme in Deutschland gezeigt. Früher wäre das absolut undenkbar gewesen. Oh, super, ja, die EU! Die EU hat den Polen sehr geholfen, sich hier – na, nicht wie zu Hause – aber wie ein vollwertige Mitglied der Gesellschaft zu fühlen, nicht wahr? Es ist, als hätten die Polen ihr Selbstbewusstsein wiedererlangt", glaubt die Rentnerin Lucyna mit ihrer Lebenserfahrung von 83 Jahren.
Der EU-Beitritt habe den Polen in Deutschland sehr geholfen, meint Rentnerin Lucyna Steiner.© picture alliance / dpa / Leszek Szmanski
Dass viele Polen inzwischen ein anderes Selbstbewusstsein haben, das zeigt sich auch auf dem Fest der Polonia. Da gibt es viele Besucher, die mit stolzgeschwellter Brust den polnischen Adler auf dem T-Shirt tragen, sehr bestimmt wirken und sich auch so verhalten. Das allerdings weniger, weil Polen jetzt schon seit einiger Zeit Teil der EU ist. Eher hängt mit den politischen Verhältnissen in Polen zusammen.
Denn die PiS, die regierende national-konservative Partei, fordert die Polen immer wieder zu einem neuen, einem gestärkten Nationalbewusstsein auf. Diese Gäste auf dem Fest sind so gar nicht unsichtbar und schauen meine dunkelhäutige Co-Autorin ziemlich verächtlich an. In dem Moment wünsche ich mir, unsichtbar zu sein.
Mag es in anderen Bereichen zum Teil große Unterschiede geben, eines eint viele der in Deutschland lebenden Polen: ihr Verhältnis zum Glauben. Und das durchaus sichtbar.
"Die einzige Organisation, die einen relativ großen Teil der polnischen Zuwanderer in Deutschland erreicht, ist die katholische Kirche, die über Jahrhunderte wichtigstes Bindeglied der polnischen Bevölkerung war und der sich auch heute noch knapp 87 Prozent aller Polinnen und Polen zugehörig fühlen. So finden heute in Deutschland unter dem Dach der "Polnischen Katholischen Mission" – die von der deutschen Bischofskonferenz unterhalten wird – in mehr als 300 Kirchen polnische Gottesdienste statt. Sie werden jeden Sonntag von knapp 100.000 Menschen besucht. Hier finden auch neue Migrantinnen und Migranten rasch Anschluss."
Dossier von Peter Oliver Loew "Unsichtbar? Polinnen und Polen in Deutschland"
Besondere Bedeutung von Glauben und Kirche
Angesichts dieser Fakten kann es kaum verwundern, dass auch viele meiner Gesprächspartner eifrige Besucher der polnischen Gottesdienste waren oder noch sind.
"Als früher die polnische Gemeinschaft noch nicht so organisiert war, haben sich die Polen um die Kirche herum versammelt, wenn sie Kontakt zu anderen Polen gesucht haben", erklärt Krystyna Koziewicz vom Polonia-Büro. "Dann ging man entweder ins Polnische Kultur-Institut oder in die Polnische Kirche."
Und Paul Vorreiter erinnert sich: "Es gab in Nürnberg eine Kirche, wahrscheinlich bis heute immer noch, da treffen sich Polen in riesiger Menge. Also wahrscheinlich auch Polen aus der ganzen Umgebung, die dann eben da zusammen zur Messe kommen, wo zum Beispiel auch polnische Zeitungen verkauft werden oder andere polnische Devotionalien. Das haben meine Eltern, glaub ich, schnell aufgesucht."
Bei mir und meiner Familie war das ähnlich. Als ich nach Berlin kam, gingen auch wir in die Kirche. Allerdings nicht, weil meine Eltern besonders religiös gewesen wären. Grund war vielmehr der polnische "Club der katholischen Intelligenz". Dieses Netzwerk von Verbänden entstand in den 1950er-Jahren in Polen und war immer eng mit der Kirche verbunden. Hier trafen sich viele Dissidenten und Intellektuelle. In die Kirche zu gehen, war damals ein Zeichen der Opposition gegen das kommunistische Regime.
Aus welchem Grund auch immer, klar ist: In keiner anderen Institution kommen regelmäßig so viele Polen zusammen wie in der katholischen Kirche. Das unterscheidet sie schon von den Deutschen, bei denen das Bild differenzierter ist.
Festgottesdienst im Kaiserdom St. Bartholomäus in Frankfurt am Main zum 70-jährigen Bestehen der Polnischen Katholischen Mission in Deutschland© imago images / Michael Schick
Diese Erfahrung hat auch Leszek Nadolski gemacht, der Chef der Berliner Taxi-Innung, der mit seinem rollenden "R" auch in den Medien sehr präsent ist.
"Die Polen sind gläubiger, mindestens die ältere Generation. Hier das Verhalten, Allerheiligen in Polen ist wirklich das größte Fest aller Zeiten. Und hier in Berlin sind die meisten 'Heiden', die 'Ungläubigen', die 'Ketzer'. Das ist wahrscheinlich einer der wenigen Unterschiede, weil sonst. Wir essen ähnlich, wir trinken ähnlich, wir fahren alle nach Spanien oder Portugal. Also sonst gibt es kaum Unterschiede, würde ich sagen."
Polnischer Humor und Improvisationsgeist
Aber ist das wirklich so? Bei der Recherche für dieses Feature habe ich mich in der Tat sehr oft gefragt: Kann es sein, dass man uns nicht wahrnimmt, weil wir uns, trotz verschiedener Sprachen, vielleicht doch ähnlicher sind, als man vermuten würde? Paul Vorreiter sieht das etwas anders:
"Ich bin jetzt Beispiel jemand, der ganz gut strukturiert ist. Aber ich mag es auch nicht, wenn man so in Regelungswut verfällt oder wenn man keinen Spaß versteht oder wenn man so humorlos ist. Das sind dann immer die Sachen, die ich für mich privat dann abstemple: Das sind meine polnischen Wurzeln, dass du auch mehr über Dinge lachen kannst, dass du dich selber nicht so streng und ernst nimmst. Ich weiß natürlich, dass das nicht so ganz ernst gemeint ist. Weil, das hat natürlich wenig mit der Nationalität zu tun. Aber das sind noch die kleinen Reste, wo ich sage: Gut, das ist noch das kleine bisschen Polen, was ich mir beibehalte."
Bei Krystyna Koziewicz vom Polonia-Büro geht in dieser Hinsicht der Riss sogar mitten durch die Familie:
"Worin unterscheiden wir uns? Mein Freund ist deutsch, da kann man es sehen. Er sagt immer, wir Polen haben viel Fantasie, wir können aus nichts etwas machen, und die Deutschen müssen alles immer genau nach Plan haben. Sie müssen erst die ganze Gebrauchsanweisung von der Waschmaschine lesen. Sie leben nach Bedienungsanleitung, und wir kommen auf eigenen Wegen zu den Lösungen."
Und die Rentnerin Lucyna Steiner verweist auf Unterschiede, wenn es um Privates oder Persönliches geht.
"Wir sind spontan und gastfreundlich. Wenn du einen Deutschen besuchen willst, musst du immer vorher anrufen. Ich hatte mal Bekannte, die waren sehr Polen-freundlich, aber man musste immer erst anrufen, um sie zu besuchen. Wir sind spontan, mögen uns gern herzlich umarmen zur Begrüßung. Die Deutschen sind reservierter."
Unterschiede zwischen Deutschen und Polen sieht die Architektin Ania Krenz auch bei den Etiketten, beim Benehmen in der Öffentlichkeit zum Beispiel.
"In Polen gibt es manchmal so klassische traditionelle Erziehung ... Zum Beispiel, wenn du durch die Tür gehst: Du lässt die Menschen, die ausgehen zuerst oder du hältst die Tür für andere Menschen. Oder du stehst auf, wenn eine Frau ... Solche altmodischen Ideen hab ich nach Berlin mitgebracht."
Ähnliche Erfahrungen macht auch Paul Vorreiter.
"Wenn Polen dann nach Deutschland kommen und dann völlig irritiert sind, dass, wenn man in der Straßenbahn sitzt, dass es ungewöhnlich ist, dass die Jüngeren aufstehen, wenn jemand Älteres einsteigt und sich vielleicht hinsetzen möchte, was in Polen eine Selbstverständlichkeit ist. Und hier ist es dann eher nicht so der Fall."
Großer Unterschied beim Feiern der Feste
Besonders typisch aber – und für alle, die ich getroffen habe, ein großer Unterschied zu den Deutschen – ist die Kultur der Feste.
An Weihnachten gibt es immer traditionell Karpfen, erzählt Paul Vorreiter.© imago images / ZUMA Press / Beata Zawrzel
Paul Vorreiter: "Ich glaube, das was bis heute noch sehr stark in der Familie ausgeprägt ist, sind natürlich die Weihnachtsfeste, die natürlich nach diesem, ich will nicht sagen streng katholischen, aber nach diesem strengen Zeremoniell ablaufen. Es gibt ja dann auch nur Karpfen, beziehungsweise, es gibt eine gewisse Karte, das was man dann isst, das Oblatenbrechen. Solche Geschichten machen wir jetzt, wenn wir uns an Weihnachten sehen, auch nach wie vor."
Ania Krenz: "Ich bin nicht religiös, mein Mann auch nicht, mein Kind scheinbar auch nicht. Keine Ahnung, was er da so denkt. Wir gehen nicht in die Kirche. Nein. Aber die Feste machen wir mit. Ja, diese polnische klassische Tradition machen wir mit."
Krysia: "Weihnachten feiere ich, wie man es in Polen feiert. Die Familientradition ist noch von der Uroma, die 98 wurde. Ich lade auch alle Nachbarn zu Weihnachten ein, und die sind ganz erstaunt, wie ein Tisch so vollgestellt sein kann, weil auf dem deutschen Tisch, da stehen nur Würstchen und Kartoffelsalat - und bei uns sind es zwölf, 13 Gerichte."
Es gibt auch Ähnlichkeiten
Und trotzdem gibt es sie, die Ähnlichkeiten zwischen Polen und Deutschen: Was eigentlich auch nicht verwunderlich ist, wenn man auf die wechselvolle Geschichte Polens blickt. Auch ich, 100-prozentige Polin, trage, zwar einen jüdischen, aber eigentlich deutschen Namen: Rubinroth. Und meine Ur-Großmütter hießen Rotwand und Nähring.
Dass es solche Vermischungen gibt, das bestätigen mir auch die polnischen Senioren beim Tanztee, die – jede auf ihre Weise – Erfahrungen damit gemacht haben.
"In Preußen auf Deutsch – auf Polnisch 'Prusy' – hat meine Mama die deutsche Schule abgeschlossen", erzählt Lucyna Steiner. "In Polen, das eigentlich Deutschland war, in Innowroclaw, was früher Hohensalza hieß. Und meine Mama vermischte immer beide Sprachen. 'Podaj mi no ten Ding' – 'Reich mir mal dieses Ding'."
"Das ist so, weil ich sage, ich komme aus Schlesien", sagt Frau Basia. "In Schlesien haben auch viele Deutsche gewohnt. Und ich habe so die Erfahrung, dass sie mich hier als Deutsche wahrnehmen."
Auch die Familie von Paul Vorreiter kam aus den ehemals deutschen Gebieten.
"Und meine Oma zum Beispiel die konnte auch beides noch, deutsch und polnisch. Und ich erinnere mich noch in der Anfangszeit 89. Als meine Eltern hier Behördengänge machen mussten – in Bayern konnte ja auch niemand polnisch – haben sie immer die Oma losgeschickt. Und die Oma konnte noch so paar Brocken Deutsch. Aber so ein Deutsch, das keiner mehr gesprochen hat, was völlig aus der Zeit gefallen war. Wir kommen aus einer Grenzregion, also aus dieser Region, die bis 1919, bis zu diesem Referendum in Oberschlesien, Teil des damaligen Deutschen Reiches war. In dieser Region war es üblich, dass es ein Melting Pot war."
"Die größte Zuwanderung polnisch-sprachiger Menschen hing mit den Aussiedlermigrationen aus Polen zusammen: Zwischen 1949 und 1990 siedelten 1,4 Mio. Menschen aus Polen nach Westdeutschland aus, weil sie – oder ihre Nachkommen – sich der deutschen Nation zugehörig fühlten, 1937 innerhalb der Reichsgrenzen gelebt hatten oder unter deutscher Besatzung die Deutsche Volksliste unterschrieben hatten, wodurch sie nach dem Krieg Anspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft hatten. ... Insgesamt dürften die eng verflochtenen Migrationsbeziehungen zwischen Deutschland und Polen aufgrund ihrer historischen Tradition und ihrer Vielschichtigkeit unter benachbarten Nationen in Europa einzigartig sein."
Dossier von Peter Oliver Loew "Unsichtbar? Polinnen und Polen in Deutschland"
Promis von Podolski bis Ziemiak
Diese engen Verflechtungen, von denen Peter Oliver Loew schreibt, die sehe ich allein schon in meinem deutschen Freundes- und Bekanntenkreis. Die ganzen Kowalskis, Dobrowolskis, Figoluschkas, die hatten alle irgendwo, irgendwann polnische Ahnen.
Und auch beim Essen treten dann irgendwann die Ähnlichkeiten zwischen Deutschen und Polen zu Tage. Denn bei vielen polnischen Gerichte erinnern sich meine deutschen Freunde an die Küche ihrer Großmütter: keine raffinierten Gewürze, ziemlich viel Fett, manchmal eine interessante säuerliche Note. Gekocht wird mit alten, aus der Mode gekommenen Zutaten: Suppe aus Mehl, Sauerampfer, eingelegtes Gemüse.
Paul Ziemiak, Generalsekretär der CDU, wurde in Stettin geboren und kam als Kleinkind nach Deutschland.© Deutschlandradio
Aber abgesehen davon: Einige bekannte und damit sehr sichtbare Polen gab und gibt es ja schon in Deutschland.
"Auf dem Höhepunkt dieser Zuwanderungsbewegung in den 1980er-Jahren gelangten zahlreiche Personen als Kinder und Jugendliche nach Deutschland, die zwei Jahrzehnte später Berühmtheit erlangen sollten – Fußballer wie Miroslav Klose und Lukas Podolski, Schriftsteller wie Artur Becker, Journalisten wie Alice Bota, Musiker wie der Rapper Toony oder die Sängerin Balbina. Aber auch zuvor hatten Zuwanderer aus Polen bereits die deutsche Gesellschaft geprägt, etwa der aus einer polnisch-jüdischen Familie stammende 'Literaturpapst' Marcel Reich-Ranicki."
Dossier von Peter Oliver Loew "Unsichtbar? Polinnen und Polen in Deutschland"
Krystyna Koziewicz: "Wir dürfen auch erwähnen, dass es Frau Katarzyna Niewiedzial gibt, die unsere Integrationsbeauftragte ist. Paul Ziemiak, der CDU-Generalsekretär kommt aus Polen --- und wir haben hier zwei Schauspielschulen, die von bekannten polnischen Schauspielerinnen geleitet werden."
Ania Krenz: "Man muss nur wirklich suchen. Vielleicht die Augen offen halten. Aber die Polen gibt es. Man muss einfach gucken. Ok da sind die. Ok, wir sind da."
Autorin: Johanna Rubinroth
Regie: Beatrix Ackers
Technik: Inge Görgner
Redaktion: Carsten Burtke
Es sprechen: Irina Salkow, Maria Hartmann, Mirko Böttcher, Joachim Schönfeld