Polternde Reden und fordernde Gedanken

Moderation: Norbert Wassmund |
Wie Kabarettisten und Politiker übereinander reden. Was ein chinesischer Künstler dem Pekinger Regime vorwirft. Warum unser alltäglicher Umweltschutz nicht immer sinnvoll ist. Was wir noch 150 Jahre nach seinem Tod von einem amerikanischen Denker lernen können. Das erfahren Sie in einer Spezialausgabe der "Lesart".
Zur Lesart – heute mit Hörbüchern – begrüßt Sie Norbert Wassmund.

Mit dabei in dieser halben Stunde zwei Menschen, die sehr gegensätzlich die bundesdeutsche Gesellschaft und das politische Denken geprägt haben: Zum einen Dieter Hildebrandt, als Kabarettist pointierter Beobachter der Entwicklung in diesem Land. Er ist gerade 85 geworden und sieht die Zeit gekommen, mit "Politikerlügen" abzurechnen. Davon später mehr.

Zunächst soll der Politiker zu Wort kommen, der wie kaum ein anderer die Gemüter von Sympathisanten und Gegnern erregt hat: Franz Josef Strauß.

"Ich bin nicht dafür bekannt, dass ich Kreide fresse, um eine angenehmere Stimme oder eine angenehmere Diktion vorzutäuschen, sondern ich bin dafür bekannt, dass ich das sage, was ich denke, und dass ich auch das denke, was ich sage."

Das Markenzeichen des CSU-Politikers Strauß, einst bayerischer Ministerpräsident und mehrmals Bundesminister: polternde Reden und deftige Worte.

Keiner teilte die politischen Lager in Westdeutschland wie er. Ob man ihn mochte oder nicht: Franz-Josef Strauß war ein Meister des Wortes, ein "Naturtalent", wie sein politischer Widersacher Helmut Schmidt, der frühere SPD-Bundeskanzler, anerkannte.

Strauß kannte und nutzte die Macht der Rede – im Bundestag wie im Bierzelt. Der Kabarettist Gerhard Polt erinnert sich:

"Ich habe den einmal gesehen als Wirtshausentertainer in einem Bierzelt. Und da ist der wirklich also aus sich herausgegangen. Der Mann war begeistert, der war ein klassischer Tribun. Wie man es sich vorstellt. Ich sage jetzt bewusst nicht Demagoge, sondern Tribun, weißt, ein Volkstribun, denn er kannte wirklich die Herzen und die Stimmung über den Bierkrügen – da war der drüber. Der hat das wirklich mit einer Leichtigkeit und trotzdem Kampf, ein schwerer Kampf, aber die Leichtigkeit, die er gehabt hat, die Wortwahl zu finden, das war schon erstaunlich. Er war Rhetor. Er war ein Redner."

Die vielen Reden des Bayern und die oft ausfallenden Rededuelle zeichnet der Journalist und Autor Jürgen Roth aufwändig in einem Hörbuch nach, das von Gert Heidenreich gesprochen wird.

"Wie schätzte sich Franz-Josef Strauß, dieses, der 'Süddeutschen Zeitung' nach zu urteilen, politische Tier, lateinisch Animal Rationale, als Redner, als parlamentarischer Stierkämpfer, als rhetorischer Rambo ein?
'Oh, ich kann laut und temperamentvoll reden, aber ich denke sehr, sehr kühl.'
Bon, und außerdem? Gewiss, Strauß beherrschte…
'Die Kunst der sachlich gebundenen Aussage in volksnah kraftvoller Formulierung'
…und knallte den politischen Antagonisten deshalb gerne vor den Latz:
'Das geht Sie, ja, ich sage jetzt einen ganz vornehmen Ausdruck, einen feuchten Staub an.'
'Sie fragen mich, ob ich über die Kunst verfüge, in Zorn geraten zu können.'
Nein, das tun wir nicht. Denn wir wissen, was alle wissen.
'Sie wissen, dass ich ein Mitglied des Vereins für deutliche und ehrliche Aussprache bin.'
Woraus im Sinne des Enthymems, des rhetorischen Beweises aus allgemein anerkannten Prämissen, folgt:
'Meine Damen und Herren, wir sind das Sprachrohr der Wirklichkeit!'
Insofern ist gleichfalls klar:
'Es handelt sich nicht um Linsengericht-Erklärungen, mit denen man uns abfinden kann.'
Mit verlockenden, indes trügerischen Konzessionen, mit irgendeinem…
'Wortetikettenschwindel'
…aus dem Wörterbuch…
'der Verführungssprache.'
Im Gegenteil, so sieht es aus:
'Sie wollen uns mit Nörgelei, Krittelei, Drohungen in Angst und Schrecken jagen. Wir lassen uns aber nicht einen Maulkorb umhängen und unter einen Teppich kehren, auf den wir dann treten sollen.'
Wenden wir uns dem Bereich der plastischen Vergleiche zu.
'Ein kommunistisches Wirtschaftssystem in Produktivität und Effizienz zu verbessern ist beinahe so wie Schneebälle rösten zu wollen.'"

"Franz-Josef Strauß: Mich können Sie nicht stoppen, ich bin da!" – heißt die spannende und zeitgeschichtlich hoch interessante Collage über den bayerischen Ausnahmepolitiker, der 1988 starb.

Das Portrait in Originaltönen von Jürgen Roth ist erschienen auf zwei CDs bei Kunstmann. Ergänzt wird das Hörbuch durch eine Broschüre mit Informationen und Zitaten über die Strauß’sche Politik.


Und nun: ein ziemlich desillusionierendes Hörbuch. Es enthält Texte aus dem inzwischen verbotenen Internet-Blog des chinesischen Künstlers Ai Weiwei. "Macht euch keine Illusionen über mich" lautet der Titel.

Drei Jahre lang hat Ai sein Online-Tagebuch geführt. Mit Überlegungen zu künstlerisch-ästhetischen Fragen, mit Alltagsbetrachtungen über sein Haus voller Katzen und deutlichen Worten an Partei und Regime.

"Sie sind so hochmütig zu glauben, Ihre angemaßte Autorität könne die Wahrheit oder den Willen anderer verändern. Gleichzeitig sind Sie so schwach, dass Sie glauben, eine einzige unbotmäßige Stimme könne Ihre gewaltige Macht überwinden. Sie glauben nicht, dass Ihre ruchlosen Namen auch nur auf einen einzigen Stimmzettel geschrieben würden, wenn das Volk eines Tages wirklich frei wählen dürfte. Sie haben den Glauben an sich selbst bereits verloren.

Sie versuchen zu verhindern, dass die Stimme des Volkes zu hören ist, dass die Menschen einander zuhören oder entdecken, dass es andere gibt, die so denken wie sie. Man kann denken, aber man darf nicht sagen, was man denkt. Niemand weiß, was Du denkst. Und wenn Du Deinen Schmerz und Deine Verzweiflung für Dich behältst, bist Du keine Bedrohung. Aber natürlich wäre es besser für Dich, wenn Du nicht selbstständig denken könntest. Das wäre sicherer, harmonischer.

Wenn man seine eigenen Lebensumstände nicht verbessern kann, bleibt einem nichts anderes übrig, als die Lebensumstände anderer zu zerstören, um ein Gleichgewicht herzustellen."

Joachim Lux liest das, der Intendant des Thalia Theaters in Hamburg. Er ist einer von zwölf deutschen Kulturschaffenden, die Ai für dieses Hörbuch ihre Stimmen leihen.

2009 wurde der Blog von chinesischen Behörden gelöscht. Denn Ai formuliert seine Kritik in klarer Sprache. Dabei geht es ihm selten ums Abstrakte, wie etwa die Redefreiheit an sich. Vielmehr arbeitet er sich an den beinahe alltäglichen Katastrophen ab – wie dem Erdbeben vor gut vier Jahren, bei dem etliche Schulen einstürzten und Kinder unter sich begruben, und die Regierung den staatlich akzeptierten Pfusch am Bau vertuschte.

Der Schauspieler und Regisseur Jürgen Flimm liest:

"Sie verweisen auf die unterschiedlichen baulichen Standards und Erdbeben-Schutzmaßnahmen in verschiedenen Gebieten. Die Opfer starben in Gebäuden, die nach behördlichen Vorschriften errichtet worden waren, und niemand übernimmt die Verantwortung. Man hat uns nicht erklärt, welche der eingestürzten Gebäude den Standards welchen Gebiets entsprachen. Ist das wirklich so schwer zu klären?

Eine andere offizielle Erklärung lautet, es sei unmöglich Beweise zu sammeln, da die Rettungskräfte die Trümmer der eingestürzten Gebäude bei den Bergungsarbeiten verstreut hätten. Das ist etwa so, als würde man sagen: Ein Vergewaltigungsopfer müsse reglos auf dem Bett liegen bleiben, wenn es seinen Anspruch auf Gerechtigkeit und Genugtuung nicht verlieren will."

Überhaupt, die Kinder. Wie achtlos das Land mit ihrem Leben umgeht. Einen weiteren Eintrag spricht Margot Käßmann, früher Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland.

"Karamai-Kinder, Fuyang-Kinder, Melamin-Kinder, Aids-Kinder in Henan, Kindersklaven in den Ziegelbrennereien von Changji, beim Erdbeben ermordete Kinder – euer Unglück ist der größte Fluch der Nation. Dieser Fluch wird ewig auf dem Land lasten. Es wird diesem Volk nie gelingen, die Schande zu tilgen, die es zum Niedergang verdammt.

Die heutige Welt muss diese Seelen verbrennen, ertränken, betrügen und auslöschen. Ruht in Frieden, bis der Tag kommt. Wenn der Tag kommt, werden die Menschen den Namen von jedem einzelnen von Euch rufen. Sie werden sich an die Namen erinnern, die Euch gehörten. Wenn sie Eure Namen wieder rufen, werdet Ihr von den Toten auferstehen und zufriedene Geister sein.

Wir werden uns beharrlich weigern, diesen Verlust hinzunehmen. Wir werden nicht aufgeben. Ihr seid nicht verloren. Wohin auch immer jetzt Eure Reise geht, Ihr werdet immer in Sichtweite sein."

Und so geht der Blog weiter. Eintrag um Eintrag wird deutlicher, wie wenig ein Mensch zählt in einem Staat, der sich vom extremen Kommunismus in einen fast noch extremeren Kapitalismus gewandelt hat. Wo nur noch zählt, was Geld bringt. Wie die Organe von zum Tode Verurteilten.

"'"Wenn man mit dem Exekutierten noch einen Ertrag erzielen will, muss man den Eintrittspunkt der Kugel sorgfältig wählen. Sie soll töten, aber keine Schäden anrichten. Am Hinrichtungsplatz steht gut sichtbar für den Delinquenten eine Ambulanz bereit. Und sobald der Schuss ertönt, springen die Engel in Weiß herbei, um die noch warme Leiche zu bergen und die Transplantate zu kühlen.

Die Hälfte aller Hinrichtungen in aller Welt wird in China vollstreckt. Der erschütternde Jahresdurchschnitt liegt hier bei 4000 Menschen. Das ist ein verdienst von zwei Jahrzehnten der 'harten Hand im Kampf gegen die Kriminalität'.""

Der Sinologe Tilman Spengler. Er war oft in China.

Nachdem sein Blog gelöscht war, wurde Ai Weiwei festgehalten, monatelang, ohne Haftbefehl, ohne Anklage. Vor rund einem Jahr kam er wieder frei. Auf echte politische Unterstützung aus dem Ausland konnte er offenbar kaum hoffen. Die Wortwahl wird regelrecht zynisch, wenn Ai zum Beispiel über die frühere Sprecherin des US-Repräsentantenhauses schreibt:

"Um 19.40 Uhr am heutigen Abend verließ ich das Gebäude einer Botschaft, deren Sicherheitsvorkehrungen denen eines Drei-Sterne-Gefängnisses ebenbürtig sind. Dort hatte ich mir das Geschwafel von Nancy 'Menschenrechte' Pelosi angehört. Endlich habe ich gesehen, wie viel Geld nötig ist, um aus einer gewitzten Kämpferin eine unterwürfige, charakterlose alte Schachtel zu machen.

Noch lachhafter ist, dass die Botschaft der Vereinigten Staaten das große Erbe der Chinesen angetreten hat – zum Kotzen."

Das war noch einmal die Stimme von Joachim Lux.

Am Ende steht eine Art Anleitung für Ais Landsmänner wie für ausländische Politiker und für uns Zuhörer in Deutschland:

"Weist Zynismus und Angst zurück. Verweigert die Zusammenarbeit und das Teetrinken. Es gibt nichts zu besprechen. Es gilt dieselbe alte Redensart: Kommt mich nicht wieder besuchen. Ich werde nicht kooperieren. Wenn ihr unbedingt kommen müsst, bringt eure Folterwerkzeuge mit."

Das ist die Stimme der Literatur-Nobelpreis-Trägerin Herta Müller. Sie hat in Rumänien selbst eine Diktatur durchlebt.

Ai Weiwei: "Macht euch keine Illusionen über mich. Der verbotene Blog."
Die zwei CDs sind bei Hörbuch-Hamburg erschienen.


Viele Chinesen leiden unter Luftverschmutzung und giftigen Flüssen. Dass ohne Umwelt- und Klimaschutz die Zukunft der Menschheit und womöglich der Erde in Gefahr ist, diese Erkenntnis setzt sich nur langsam durch. Auf internationalen Konferenzen dagegen bekunden viele Staaten Besserung beim Umgang mit den natürlichen Ressourcen. Und im Alltag? Da bemühen wir uns hierzulande, Müll zu trennen und den Fernseher nicht im Stand-by-Modus laufen zu lassen.

Sind wir damit auf dem richtigen Weg?

Nein, meint Alexander Neubacher, Journalist beim "Spiegel". Er sieht viel zu viel Aktionismus und bezeichnet ihn in seinem Hörbuch als "Ökofimmel".
"Ich bin für Umweltschutz. Die Natur liegt mir am Herzen. Ich mag die Tiere und die Pflanzen, den blauen Himmel und das Meer. Ich möchte, dass meine Kinder in einer intakten Umgebung aufwachsen. Und ich gehe mit gutem Beispiel voran.

Ich kann von mir behaupten, niemals auch nur ein Papiertaschentuch ins Gebüsch geworfen zu haben. Zum Brötchenholen fahre ich mit dem Rad. Auf Dienstreisen nehme ich den Zug. Sämtliche Toilettenspülungen bei uns zu Hause sind mit einer Wasserstopptaste ausgerüstet. Ich bevorzuge Milchprodukte, die ein Biosiegel tragen, auch wenn sie ein paar Cent teurer sind. Eier aus Käfighaltung kommen mir nicht ins Haus. Und wenn ich Wurst oder Fleisch esse, plagt mich neuerdings ein schlechtes Gewissen.

Ich trenne meinen Müll. Ich sorge mich wegen des Treibhauseffekts. Dass sich die Erde aufheizt, deckt sich zwar noch nicht mit meiner Alltagserfahrung, ich habe eher das Gefühl, dass es kälter wird, aber das kommt bestimmt noch. Ich vertraue der Forschung. Wenn die Wissenschaftler sagen, die Menschheit müsse ihr Verhalten ändern, dann widerspreche ich nicht. Die Welt soll gerettet werden? Ich bin dabei. Ich tue mein Bestes. An mir soll es nicht scheitern."

Doch nach dieser umweltbewussten Einleitung versucht Neubacher nachzuweisen, wie unsinnig viele politische Entscheidungen sind, mit denen unser Handeln beeinflusst wird. Ob Dosenpfand oder Energiesparlampen, ob Bio-Lebensmittel oder das sogenannte Bio-Benzin E10 – alles kommt auf den Prüfstand. Und vieles fällt durch.

Denn der Autor fragt: Was hat eigentlich die Umwelt davon?

"Für Deutschlands Tankwarte gab es im Frühjahr 2011 viel zu tun. Es mussten Zapfpistolen gewechselt, Leitungen getauscht und neue Schilder montiert werden. E10 kam auf den Markt – die erste neue Benzinsorte seit der Einführung von Bleifrei, mehr als 25 Jahre zuvor. Bundesregierung, Mineralölkonzerne, der ADAC und die Autohersteller stimmten die Bürger auf das große Ereignis ein. 'Wir packen mehr Bio ins Benzin' verkündete Umweltminister Norbert Röttgen stolz.

Doch dann geschah das Unvorstellbare. Der Bürger machte nicht mit. Er verweigerte sich der neuen Zeit. Alles war vorbereitet, frischer Sprit an den Tankstellen, die Depots der Raffinerien randvoll. Aber der Autofahrer wollte kein Biobenzin, das zu 10 Prozent aus Pflanzenschnaps besteht, auch wenn es billiger ist – und zwar aus gutem Grund.

Technisch stellt E10 eine Verschlechterung dar. Das meist aus Zuckerrohr oder Getreide gewonnene Ethanol hatte weniger Power als herkömmliches Benzin, weil es mehr Wasser enthält. Die Motorleistung sinkt. Der Verbrauch steigt. Nun ließe sich über die technischen Probleme hinwegsehen, wäre mit dem Biosprit ein ökologischer Nutzen verbunden. Doch die schärfste Kritik an E10 kommt nicht etwa von der Autolobby, sondern von den Umweltverbänden. Jahrelang hat die Ökoszene für mehr Biosprit gekämpft. Inzwischen jedoch lehnt sie in radikal ab.

Neun große europäische Umweltverbände haben in einer gemeinsam finanzierten Studie am Londoner Institut für europäische Umweltpolitik herausgefunden, dass die Umweltbilanz von Kraftstoff aus nachwachsenden Rohstoffen nicht positiv, sondern negativ ist. Biosprit sei schädlicher für das Klima als die fossilen Energien, die er ersetzen soll – so das Gesamturteil.
Bis zu 69 Quadratkilometer Wald, Weiden und Feuchtgebiete müssten als Ackerland kultiviert werden, um nur den künftigen Biospritbedarf der Europäer zu decken – eine Fläche, zweimal so groß wie Belgien."

"Wir tun nicht zu wenig, um die Welt zu retten, sondern in übertriebenem Eifer vom Falschen zu viel", warnt Alexander Neubacher und wirft Politik, aber auch Wissenschaftlern Angstmacherei und falsche Prognosen vor.

Aber ist denn wirklich alles nur Blendwerk, durch das wir Verbraucher für dumm verkauft werden? Die sachliche Auseinandersetzung mit den zukunftsentscheidenden Fragen der Umwelt- und Klimapolitik bleibt in diesem umfangreichen Hörbuch leider oft auf der Strecke.

Sicher, der Abrechnung des Autors mit dem "alltäglichen Öko-Wahnsinn" kann man gut zuhören, doch weniger Süffisanz hätte den Ausführungen die notwendige Glaubwürdigkeit verliehen.

"Es gibt weder Grund hysterisch zu sein, noch sollten wir eine Ökodiktatur einführen, wie es die Vorschläge einiger Regierungsberater nahelegen. Von den Angstmachern wird unterschätzt, zu welchen Leistungen die Menschen in der Lage sind. Sie übersehen unsere Kreativität und Anpassungsfähigkeit. Unsere Kinder haben gute Chancen, das 22. Jahrhundert noch zu erleben, so eine Studie der Universität Köln.

Ein Mädchen, das letztes Jahr auf die Welt kam, hat demnach eine durchschnittliche Lebenserwartung von 93 Jahren. Bei einem Jungen sind es 87 Jahre. Statistisch betrachtet wird etwa jedes fünfte Kind sogar älter als 100 Jahre werden. Das sind fabelhafte Aussichten.
Wenn wir es richtig anstellen, besteht die berechtigte Hoffnung, dass es mit der Menschheit weiter bergauf geht."

"Ökofimmel: Wir versuchen, die Welt zu retten – uns was wir damit anrichten" von Alexander Neubacher. Gelesen wird das Hörbuch mit vier CDs von Thomas Schmuckert. Und erschienen ist es bei Deutsche Grammophon Literatur.


Geradezu ein Öko-Freak und Aussteiger war Henry David Thoreau. Er war US-Bürger und er haderte mit dem amerikanischen System und seinem Fortschrittsglauben. Das allein ist schon ungewöhnlich, denn Thoreau lebte im neunzehnten Jahrhundert. Ein Einzelgänger und bemerkenswerter Denker, dessen Vorstellungen über die Natur, den Kosmos und den gewaltfreien Widerstand Generationen geprägt haben - bis heute.

Für einige Jahre versuchte er sich von der Gesellschaft und ihrem Einfluss abzuwenden. Er baute in der Nähe seines Heimatortes Concord im Bundesstaat Massachusetts eine Hütte am Walden-See, um ein Natur-zugewandtes Leben zu führen.

"Ich zog in den Wald, weil ich den Wunsch hatte, mit Überlegung zu leben, dem eigentlichen wirklichen Leben näherzutreten, zu sehen, ob ich nicht lernen konnte, was es zu lehren hatte, damit ich nicht, wenn es zum Sterben ginge, einsehen müsste, dass ich nicht gelebt hatte.

Ich wollte nicht das Leben, was nicht Leben war. Das Leben ist so kostbar. Auch wollte ich keine Entsagung üben – außer es wurde unumgänglich notwendig. Ich wollte tief leben, alles Mark des Lebens aussaugen."

Thoreau notierte in der Abgeschiedenheit jeden Gedanken, jeden Handgriff. Der Kopf sollte frei sein vom Ballast der Zivilisation, frei von Zwängen. Natur pur, sozusagen, und dabei sollten die Sinne für das Intellektuelle geschärft werden.

So stellte er sich das ideale Leben vor:

"Ein geschriebenes Wort ist die köstlichste Reliquie. Es ist mehr als irgendein anderes Kunstwerk, etwas uns selbst innerlich und zugleich der ganzen Welt Angehörendes. Es ist das Kunstwerk, das dem Leben am nächsten steht. Es kann in alle Sprachen übertragen und nicht nur gelesen, sondern von allen menschlichen Lippen geatmet werden. Es wird nicht auf Leinwand oder in Marmor dargestellt, sondern aus dem Lebensodem selbst herausgemeißelt. Bücher sind der aufgespeicherte Reichtum der Welt und ein schickliches Erbteil von Generationen und Völkern.

Ich bin der Ansicht, dass wir – nachdem wir die Buchstaben gelernt haben – nur das Beste lesen sollten, was in der Literatur vorhanden ist, statt dass wir ewig unser ABC und einsilbige Wörter in der 4. und 5. Klasse wiederholen und unser Leben lang auf der niedrigsten und vordersten Schulbank sitzenbleiben. Die meisten Menschen geben sich zufrieden, indem sie ein gutes Buch, die Bibel, lesen oder sich vorlesen lassen und vielleicht auch von dessen Weisheit überzeugt sind. Den Rest ihres Lebens hindurch aber vegetieren sie und verschwenden ihre geistigen Fähigkeiten an das, was man "leichte Lektüre" nennt.

Man findet in hiesiger Stadt mit sehr wenig Ausnahmen keinen Geschmack an den besten oder sehr guten Werken selbst der englischen Literatur, deren Worte jedermann lesen und buchstabieren kann. Selbst die akademisch und, wie man sagt, höher gebildeten Männer hier und anderswo sind wenig oder gar nicht mit den englischen Klassikern bekannt. Und, was die überlieferte Weisheit des Menschengeschlechtes betrifft, die alten Klassiker und Bibeln, welche allen zugänglich sind, die davon wissen wollen, so werden nur die allerschwächsten Anstrengungen gemacht, sich mit ihnen bekannt zu machen.

Wir sind ungebildet, gemein und unwissend. In diesem Punkt muss ich gestehen, keinen großen Unterschied gelten lassen zu können zwischen der Unwissenheit meiner Landsleute, welche überhaupt nicht lesen können, und der Unwissenheit desjenigen, der nur lesen gelernt hat, was für Kinder und Schwachsinnige passt. Wir sind ein verkrüppeltes Geschlecht von Zwergen, und unser geistiger Gedankenflug reicht nicht viel höher als die Spaltend er Tageszeitung."

Henry David Thoreau, der vor 150 Jahren starb, wollte ein genügsames Leben – am besten in Einsamkeit.
Neben der Versorgung mit dem, was die Natur hervorbrachte, waren für ihn Eigenverantwortung und Beobachten, Lesen und Schreiben die Inbegriffe von Glück und Zufriedenheit.

"Ich finde es gesund, die meiste Zeit allein zu sein. Gesellschaft, selbst mit den Besten, wirkt bald ermüdend und zerstreuend. Ich bin unendlich gerne allein. Noch nie fand ich den Gesellschafter, der so gesellig war, wie die Einsamkeit. Wir sind meistens einsamer, wenn wir hinausgehen unter die Menschen, als wenn wir in unserem Zimmer bleiben. Der denkende und arbeitende Mensch ist immer allein – sei er, wo er wolle.

Die Einsamkeit wird nicht nach den Meilen der Strecke gemessen, die zwischen uns und unseren Mitmenschen liegen. Wer in einem der dicht bevölkerten Bienenstöcke von Cambridge wirklich eifrig studiert, ist so einsam wie der Derwisch in der Wüste. Der Landmann kann den ganzen Tag in Feld und Wald hackend und grabend beschäftigt sein, ohne sich einsam zu fühlen, weil er beschäftigt ist.

Gesellschaft ist gewöhnlich zu billig zu haben. Wir treffen uns nach zu kurzen Zwischenräumen, als dass wir Zeit genug gehabt hätten, neuen Wert füreinander zu erlangen. Wir kommen dreimal täglich bei den Mahlzeiten zusammen und lassen den anderen immer wieder von dem schimmeligen alten Käse kosten, der wir sind. Wir mussten übereinkommen, eine Reihe gewisser Regeln einzuhalten, die wir Etikette und Höflichkeit nennen, um diese häufigen Zusammenkünfte erträglich zu machen und nicht zu offenem Krieg zu kommen.

Ich bin nicht einsamer als ein einzelnes Wollkräutchen oder eine Löwenzahnblüte auf der Weide. Ich bin nicht einsamer als der Wetterhahn, der Nordstern, der Südwind, ein Aprilschauer, Januartauwetter oder die erste Spinne in einem neuen Haus."

Welch’ Geschenk für die Nachwelt, dass Thoreau seine vielen, wenn auch manchmal leicht überheblich wirkenden Überlegungen und Beobachtungen aufgeschrieben hat. So in seinem Buch "Walden oder: Leben in den Wäldern".

Auszüge daraus enthält die vorliegende CD "Wo und wofür ich lebte". Burghart Klaußner liest den Text ruhig und maßvoll, er verleiht den nachdrücklichen, geradezu fordernden Gedanken des Autors eine angemessene Interpretation.

"Wo und wofür ich lebte" von Henry David Thoreau. Ein Diogenes-Hörbuch.


Hatten wir es zu Beginn dieser Sendung mit Franz Josef Strauß zu tun, lassen wir nun, zum Schluss, den Mann zu Wort kommen, der seit Jahrzehnten Politikern wie Strauß "aufs Maul schaut" und sie auf der Bühne und im Fernsehen entlarvt: Dieter Hildebrandt.

85 ist der Kabarettist geworden und scharfzüngig bleibt er.

In seinem Hörbuch "Es war einmal … meistens aber öfter" klärt er Politikerlügen "brutalstmöglich" auf. Falsche Doktoren, die FDP, einen Ex-Bundespräsidenten oder das Märchen von der schönen neuen Arbeitswelt … Hildebrandt rechnet ab mit dem "Tollhaus Berlin". Auch, sehr aktuell, mit dem Verfassungsschutz und dem getrübten Blick nach rechts:

"Es leben unter uns junge Menschen, die diesem Regime der Mörder, der Schwerverbrecher, der Zerstörer von nahezu ganz Europa, die vom Wahnsinn befallen ganze Völker ausgerottet haben, sämtliche deutsche Städte in Trümmer gelegt und 20 Millionen Tote auf ihrem Gewissen haben, anhängen. Das gibt es. Da frag ich mich, hat der Verfassungsschutz diesen Irrsinn nicht sofort unterbunden? Ja, wahrscheinlich nicht konsequent, weil seit 1945 und seit Gründung der Bundesrepublik die Meinungen auseinandergingen.

Die Verfassungsschützer sind seitens der regierenden Politiker immer wieder darauf hingewiesen worden, dass es eine Gefahr von rechts für unsere Verfassung gar nicht gibt. Seit wir denken können, kam bei uns die Gefahr immer von links, immer. Seit Bismarck, alle Päpste haben es immer bestätigt.

Als Willy Brandt Bundeskanzler wurde, sehen große Teile des deutschen Volkes das Abendland in Gefahr. – Es hat sich nicht sehr viel geändert, besonders in Bayern nicht. Freilich sagen mir viele: 'Erzähl keine Märchen, wir haben doch mehrere Geheimdienste im Lande. Die wissen doch immer, was die Neonazis im Lande machen. Die sind total informiert, weil sie Mitglieder von diesen Nazibanden abgeworben haben und sie dann wieder zu ihren alten Kameraden hinschicken. Und die genießen das volle Vertrauen des Bundeskriminalamtes. Und als Vertrauensleute genannt, V-Leute, werden sie auch bezahlt. Vom Verfassungsschutz, ja.'

Aber manchmal lassen die dann doch länger nichts mehr von sich hören. Und hier und da taucht der Verdacht auf, die tragen das Geld, das ihnen der Verfassungsschutz zahlt, zu ihren ehemaligen Leuten, die vielleicht gar nicht so ehemalig sind. Aber es ist so ziemlich alles komisch, was uns darüber erzählt wird.

Komisch wirkt auch der neue Innenminister: Friedrich, Friedrich aus Bayern. Der Mann kam, setzte sich auf seinen Ministerstuhl, der Stuhl war noch gar nicht warm, und da stellt er erst einmal fest: 'Die Gefahr kommt von links!' Das war das Erste. Wie gesagt, der Mann heißt Friedrich und ist auch sonst zu nichts zu gebrauchen. Er gab ein Interview. Frage: 'Herr Minister, haben Sie die Gefahr von rechts unterschätzt?' Minister: 'Äh nein, nein haben wir nicht. Dass es rechte Extremisten gibt, das wissen wir. Aber das werden wir nicht zulassen.'
Ah. Die größte Gefahr ist die Dummheit. Und die kommt von allen Seiten, aber niemand weiß genau von wem."

Dieter Hildebrandt aus seinem Hörbuch "Es war einmal … meistens aber öfter", erschienen im Diederichs-Verlag.

Sie hörten die Lesart mit Hörbüchern. Redaktion: Christian Rabhansl. Nachlesen und nachhören können Sie die Sendung im Internet unter dradio.de. Am Mikrophon verabschiedet sich Norbert Wassmund.


Jürgen Roth: Franz Josef Strauß. Mich können Sie nicht stoppen, ich bin da
Ein Porträt in Originaltönen
Mit Gerhard Polt
Hörkunst bei Kunstmann

Ai Weiwei: Macht euch keine Illusionen über mich. Der verbotene Blog
Hörbuch Hamburg

Alexander Neubacher: Ökofimmel. Wie wir versuchen, die Welt zu retten – und was wir damit anrichten
Deutsche Grammophon Literatur

Henry David Thoreau: Wo und wofür ich lebe
Gelesen von Burghart Klaußner
Diogenes Verlag

Dieter Hildebrandt: Es war einmal... meistens aber öfter. Politikerlügen - brutalstmöglich aufgeklärt
Diederichs-Verlag


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