"Ponta ist kein Verbrecher"
Weil er die Kulturszene angeblich an die Leine legen will, hadern Rumäniens Intellektuelle mit Ministerpräsident Victor Ponta. Die Schriftstellerin Nora Iuga nimmt den Politiker dagegen in Schutz - und kritisiert, dass das Land in der Öffentlichkeit zu oft schlecht dargestellt werde.
Joachim Scholl: Wir sind jetzt in der rumänischen Hauptstadt verbunden mit Nora Iuga. Sie ist als Lyrikerin und Übersetzerin bekannt geworden, vor zwei Jahren erschien ihr Roman "Die Sechzigjährige und der junge Mann" auf Deutsch. Guten Tag, Frau Iuga!
Nora Iuga: Ja, guten Tag!
Scholl: Wir haben gerade Ihren Kollegen Cartarescu gehört, Rumänien befinde sich am Rande des Abgrunds, sagt er. Und wenn dieser ganze anti-europäische Prozess gegen die Werte der Zivilisation weiterginge, "können wir nicht mehr in Rumänien leben", so hat er wörtlich gesagt. Teilen Sie diese Einschätzung?
Iuga: Ja, aber nur zum Teil. Ich bin ganz seiner Meinung, wenn er sagt, dass Rumänien jetzt am Rande des Abgrundes ist. Es sind sehr viele Leute in Rumänien, die jetzt ihr Land als eine Kolonie betrachten. Was aber nicht wahr ist, ist, dass die Rumänen eine feindliche Einstellung gegenüber Europa und der Europäischen Union haben. Wir waren immer sehr dafür, endlich einmal als Europäer betrachtet zu werden. Das war vielleicht der größte Sieg, den wir erreicht haben und die größte Freude, die wir je erlebt haben, als wir endlich auch Europäer wurden.
Scholl: Aber grade, Frau Iuga, weil die Freude über diesen historischen Fortschritt so groß war, wurden die Formulierungen jetzt seit dem Frühjahr bei vielen Intellektuellen immer schärfer. Da wurde also die Gefahr weißrussischer Verhältnisse beschworen, da fielen die Worte, eine Machtergreifung wie in Deutschland 1933, der Filmregisseur Cristian Mungiu sprach von Säuberung. Treffen denn diese Bezeichnungen die Situation?
Iuga: Ich möchte Ihnen etwas sagen, vielleicht habe ich nicht recht, vielleicht sehe ich die Sachen etwas demokratischer, aber ich glaube, man müsste auch das Volk befragen. Also von den Intellektuellen sind sehr viele der Meinung von Cartarescu. Es gibt in Rumänien eine sogenannte Elite, und das stimmt auch, weil diese die Größten unserer Intellektuellen sind: Liiceano, Andrei Plesu, der sehr bekannt und sehr geschätzt in Deutschland ist, Patapievici ebenfalls, Cartarescu ist unser größter Dichter, aber es sind auch andere Sachen, die vielleicht in Deutschland nicht bekannt sind. Rumänien ist ein Land, das überhaupt nicht bekannt ist, und das Volk auch nicht. Wenn man heute noch Bukarest mit Budapest und Sofia verwechselt, man weiß ja nichts über die Geschichte Rumäniens, über die Entwicklung des Volkes, wie wir denken, wie wir leben – also uns geht es furchtbar schlecht zurzeit.
Und wir sind furchtbar beleidigt, dass überall über uns so schlimme Sachen gesagt werden. Ich muss Ihnen sagen, ich verfolge alle Sendungen im Fernsehen: Ponta ist nicht so ein Teufel, Ponta ist nicht so ein Lügner, Ponta ist kein Verbrecher, so wie man ständig und überall sagt. Er ist ein junger Mensch, sehr gebildet, sehr intelligent, kann drei Sprachen absolut perfekt - es ist kein Vergleich zwischen ihm und Basescu. Die Intellektuellen schwärmen für Basescu und sein Regime, weil tatsächlich Patapievici sehr viele wunderbare Sachen gemacht hat für die rumänischen Intellektuellen, für Kunst und Kultur und überhaupt für Literatur, sehr viele junge Literaten vor allem wurden in Deutschland und in anderen Ländern eben dank dieses Instituts bekannt. Sie wurden übersetzt, sie bekamen Stipendien, und all das war möglich, weil dieses Kulturinstitut von Patapievici geleitet mit den Geldern aus dem Fonds des Präsidenten finanziert wurde.
Scholl: Aber Frau Iuga, also im Zentrum der kulturpolitischen Auseinandersetzung steht eben dieses ICR, das rumänische Kulturinstitut. Wir müssen vielleicht noch mal sagen, seit 2005 hat es sich wirklich zu einer Institution entwickelt, die man als ebenbürtig mit dem Goethe-Institut oder dem British Council einschätzt, ...
Iuga: Ja genau!
Scholl: ... und der Leiter Patapievici, den Sie schon genannt haben, der hat sich eben große Verdienste erworben, aber das wurde ja dann auch wirklich europaweit unter Intellektuellen diskutiert. Patapievici ist im Sommer aus Protest zurückgetreten, weil er eben eine andere Ausrichtung fürchtet, einen eher nationalistischen Kurs. So, wie Sie das erzählen, trifft das nicht zu?
Iuga: Nein, überhaupt nicht. Wir sind keine Chauvinisten und keine Extremisten, keine Nationalisten. Es besteht eine sehr große Gefahr, wenn man uns so behandelt und Rumänien nur hässlich und schlecht und kriminell und nationalistisch veranlagt angesehen wird, dann laufen wir Gefahr, tatsächlich antieuropäisch zu werden und vielleicht sogar nationalistisch oder extremistisch, wie Sie sagen. Wir fühlen uns wirklich sehr unberechtigt.
Ich liebe Deutschland, mein Großvater war ein Deutscher, und Sie sehen, ich spreche Deutsch, aber ich sage Ihnen, Sie sind falsch informiert. Bei uns im Lande ist es nicht so schlimm, nur die Intellektuellen haben diese Meinung, weil sie eben wirklich für diese sind, die (…) schwärmen, und mit Recht. Ich bin überzeugt, ich erkenne das an, dass Patapievici und dieses Institut sehr viel Gutes getan haben. Aber andererseits gibt es noch etwas, die Intellektuellen lieben Basescu, weil Basescu versprochen hat, dass er einen Prozess gegen den Kommunismus und die Akten, die Archive der Kommunistischen Partei entlarven wird, und alles in die Öffentlichkeit bringen wird. Na bitte sehr, nichts ist passiert, nichts hat er gemacht, und jetzt höre ich seit zwei Tagen, ich weiß nicht, ob das wahr ist oder nicht, dass diese ganzen Archive und die Akten schon gleich nach der Revolution vernichtet wurden.
Scholl: Frau Iuga, wenn ich Sie so höre, dann glaube ich, dass Sie doch mit recht optimistischem Gefühl auf diese Wahl am Sonntag blicken. Ist das so?
Iuga: Ja.
Scholl: Die kulturelle Situation in Rumänien drei Tage vor der Parlamentswahl, das war die rumänische Schriftstellerin Nora Iuga. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Iuga: Ich danke Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Nora Iuga: Ja, guten Tag!
Scholl: Wir haben gerade Ihren Kollegen Cartarescu gehört, Rumänien befinde sich am Rande des Abgrunds, sagt er. Und wenn dieser ganze anti-europäische Prozess gegen die Werte der Zivilisation weiterginge, "können wir nicht mehr in Rumänien leben", so hat er wörtlich gesagt. Teilen Sie diese Einschätzung?
Iuga: Ja, aber nur zum Teil. Ich bin ganz seiner Meinung, wenn er sagt, dass Rumänien jetzt am Rande des Abgrundes ist. Es sind sehr viele Leute in Rumänien, die jetzt ihr Land als eine Kolonie betrachten. Was aber nicht wahr ist, ist, dass die Rumänen eine feindliche Einstellung gegenüber Europa und der Europäischen Union haben. Wir waren immer sehr dafür, endlich einmal als Europäer betrachtet zu werden. Das war vielleicht der größte Sieg, den wir erreicht haben und die größte Freude, die wir je erlebt haben, als wir endlich auch Europäer wurden.
Scholl: Aber grade, Frau Iuga, weil die Freude über diesen historischen Fortschritt so groß war, wurden die Formulierungen jetzt seit dem Frühjahr bei vielen Intellektuellen immer schärfer. Da wurde also die Gefahr weißrussischer Verhältnisse beschworen, da fielen die Worte, eine Machtergreifung wie in Deutschland 1933, der Filmregisseur Cristian Mungiu sprach von Säuberung. Treffen denn diese Bezeichnungen die Situation?
Iuga: Ich möchte Ihnen etwas sagen, vielleicht habe ich nicht recht, vielleicht sehe ich die Sachen etwas demokratischer, aber ich glaube, man müsste auch das Volk befragen. Also von den Intellektuellen sind sehr viele der Meinung von Cartarescu. Es gibt in Rumänien eine sogenannte Elite, und das stimmt auch, weil diese die Größten unserer Intellektuellen sind: Liiceano, Andrei Plesu, der sehr bekannt und sehr geschätzt in Deutschland ist, Patapievici ebenfalls, Cartarescu ist unser größter Dichter, aber es sind auch andere Sachen, die vielleicht in Deutschland nicht bekannt sind. Rumänien ist ein Land, das überhaupt nicht bekannt ist, und das Volk auch nicht. Wenn man heute noch Bukarest mit Budapest und Sofia verwechselt, man weiß ja nichts über die Geschichte Rumäniens, über die Entwicklung des Volkes, wie wir denken, wie wir leben – also uns geht es furchtbar schlecht zurzeit.
Und wir sind furchtbar beleidigt, dass überall über uns so schlimme Sachen gesagt werden. Ich muss Ihnen sagen, ich verfolge alle Sendungen im Fernsehen: Ponta ist nicht so ein Teufel, Ponta ist nicht so ein Lügner, Ponta ist kein Verbrecher, so wie man ständig und überall sagt. Er ist ein junger Mensch, sehr gebildet, sehr intelligent, kann drei Sprachen absolut perfekt - es ist kein Vergleich zwischen ihm und Basescu. Die Intellektuellen schwärmen für Basescu und sein Regime, weil tatsächlich Patapievici sehr viele wunderbare Sachen gemacht hat für die rumänischen Intellektuellen, für Kunst und Kultur und überhaupt für Literatur, sehr viele junge Literaten vor allem wurden in Deutschland und in anderen Ländern eben dank dieses Instituts bekannt. Sie wurden übersetzt, sie bekamen Stipendien, und all das war möglich, weil dieses Kulturinstitut von Patapievici geleitet mit den Geldern aus dem Fonds des Präsidenten finanziert wurde.
Scholl: Aber Frau Iuga, also im Zentrum der kulturpolitischen Auseinandersetzung steht eben dieses ICR, das rumänische Kulturinstitut. Wir müssen vielleicht noch mal sagen, seit 2005 hat es sich wirklich zu einer Institution entwickelt, die man als ebenbürtig mit dem Goethe-Institut oder dem British Council einschätzt, ...
Iuga: Ja genau!
Scholl: ... und der Leiter Patapievici, den Sie schon genannt haben, der hat sich eben große Verdienste erworben, aber das wurde ja dann auch wirklich europaweit unter Intellektuellen diskutiert. Patapievici ist im Sommer aus Protest zurückgetreten, weil er eben eine andere Ausrichtung fürchtet, einen eher nationalistischen Kurs. So, wie Sie das erzählen, trifft das nicht zu?
Iuga: Nein, überhaupt nicht. Wir sind keine Chauvinisten und keine Extremisten, keine Nationalisten. Es besteht eine sehr große Gefahr, wenn man uns so behandelt und Rumänien nur hässlich und schlecht und kriminell und nationalistisch veranlagt angesehen wird, dann laufen wir Gefahr, tatsächlich antieuropäisch zu werden und vielleicht sogar nationalistisch oder extremistisch, wie Sie sagen. Wir fühlen uns wirklich sehr unberechtigt.
Ich liebe Deutschland, mein Großvater war ein Deutscher, und Sie sehen, ich spreche Deutsch, aber ich sage Ihnen, Sie sind falsch informiert. Bei uns im Lande ist es nicht so schlimm, nur die Intellektuellen haben diese Meinung, weil sie eben wirklich für diese sind, die (…) schwärmen, und mit Recht. Ich bin überzeugt, ich erkenne das an, dass Patapievici und dieses Institut sehr viel Gutes getan haben. Aber andererseits gibt es noch etwas, die Intellektuellen lieben Basescu, weil Basescu versprochen hat, dass er einen Prozess gegen den Kommunismus und die Akten, die Archive der Kommunistischen Partei entlarven wird, und alles in die Öffentlichkeit bringen wird. Na bitte sehr, nichts ist passiert, nichts hat er gemacht, und jetzt höre ich seit zwei Tagen, ich weiß nicht, ob das wahr ist oder nicht, dass diese ganzen Archive und die Akten schon gleich nach der Revolution vernichtet wurden.
Scholl: Frau Iuga, wenn ich Sie so höre, dann glaube ich, dass Sie doch mit recht optimistischem Gefühl auf diese Wahl am Sonntag blicken. Ist das so?
Iuga: Ja.
Scholl: Die kulturelle Situation in Rumänien drei Tage vor der Parlamentswahl, das war die rumänische Schriftstellerin Nora Iuga. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Iuga: Ich danke Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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