"Ich spiele keinen Song zweimal gleich"
Sie wurde in Simbabwe geboren, ist in Großbritannien aufgewachsen und hat ihren Weg im Pop-Geschäft inzwischen gemacht: von der gefragten Backgroundsängerin zum Solodebüt. Am Donnerstag tritt ESKA beim Pop-Kultur-Festival auf. Wir haben sie vorab interviewt.
Es gibt ein berühmtes Zitat, Sie betreffend: Das i-D Magazine hat sie "das Rückgrat der britischen Musikszene" genannt. Sind Sie das?
"Ich gebe mir Mühe, dieser Zuschreibung gerecht zu werden. Zu sagen, dass ich tatsächlich das Rückgrat der britischen Musikszene bin, wäre anmaßend. Aber als ich diesen Satz über mich gehört habe, wurde mir klar, dass ich jetzt die Verantwortung habe, mit meiner Arbeit einem gewissen Anspruch gerecht zu werden.
Wenn man solche Komplimente bekommt, denkt man ja nicht, dass sie stimmen. Entweder zerbricht man an ihnen, oder man wächst an ihnen. Ich hoffe, dass ich daran wachse."
Ihr Debüt, eine Platte unter Ihrem eigenen Namen, ist trotzdem erst im letzten Jahr erschienen, was hat Sie denn so lange aufgehalten? Sie waren immerhin schon 44 Jahre alt, nicht unbedingt das Standardalter für Debütalben.
Ein Künstler muss kein guter Musiker sein
"Obwohl ich schon mit vielen Musikern zusammengearbeitet hatte und eine sehr selbstbewusste Musikerin war, fiel es mir schwer, meine eigenen Ideen als Künstlerin zu verwirklichen. Künstler sind für mich diese ganz außergewöhnlichen Wesen, die über die Welt völlig anders nachdenken als eine Begleitmusikerin. Ich hatte große Anstrengungen darauf verwendet, eine sehr gute Begleitmusikerin zu sein. Ein Künstler muss nicht unbedingt ein guter Musiker sein. Sein Ding ist die Idee und der künstlerische Prozess.
Und eine Idee zu verwirklichen schien mir immer sehr schwierig. Ich habe immer davon geträumt, das zu tun, aber ich hatte nicht das Selbstvertrauen. Wenn ich mich umschaute, gab es keine Künstler, die aussahen wie ich, die klangen wie ich, die taten, was ich tat. Das hätte mich ermutigen sollen, denn ich hätte es ja auch als Zeichen meiner Einzigartigkeit deuten können.
Aber ich habe mich einschüchtern lassen, gerade auch von kommerziellen Künstlern, ich dachte, ich müsste anders aussehen, größer sein, meine Haut müsste eine ganz bestimmte Brauntönung haben. Das hat mich eingeschüchtert und gleichzeitig frustriert, da ich diese vielen Ideen hatte und ich wusste, irgendwann muss ich mit ihnen an die Öffentlichkeit gehen. Und irgendwann kam dann mein Debütalbum zur Welt und hat mich auf eine außerordentliche Reise mitgenommen, nicht nur künstlerisch, auch persönlich."
Aber wie kann es sein, dass Sie zwei Jahrzehnte an einem der wichtigsten Musikstandorte der Welt, nämlich der britischen Popszene, mitmischten, aber nicht genügend Selbstvertrauen aufbringen konnten für Ihre eigenen Ideen – was ist das für eine Szene, die so etwas zulässt?
Andere unterstützen ist eine dankbare Rolle
"Das ist eine gute Frage. Man kann sehr gut darin werden, andere zu unterstützen, und das ist eigentlich auch eine dankbare Rolle. Wir brauchen Unterstützung in allen Bereichen des Lebens. Selbst beim Fußball. Es sind die großartigsten Spieler, die die Tore der anderen großen Spieler ermöglichen. Und das ist schon eine ganz besondere Rolle, denn jeder in der Szene weiß, was man als Begleitmusikerin beiträgt zum großartigen Werk von wem auch immer.
Und ich hatte mich ganz bequem in dieser Rolle eingerichtet und fand es durchaus angenehm dass andere mir gesagt haben, was ich tun soll. Es hat mir gefallen, wenn ich gesehen habe, dass ich andere glücklich mache. Aber nach 20 Jahren habe ich dann eben festgestellt, dass ich mich selbst damit nicht mehr glücklich mache."
Sie haben also lange im Hintergrund vor sich hin gewerkelt und sind dann erst Ihr Debütalbum angegangen. Wie viel hat denn diese lange Wartezeit auch mit Ihnen als Person zu tun? Sie haben sich selbst einmal als Frau "mit afrikanischem Blut und englischem Herzschlag" beschrieben. Aber hatten Ihre Herkunft und Ihr Aussehen tatsächlich Auswirkungen auf Ihre Karriere, oder war es letztendlich dann doch mangelndes Selbstbewusstsein?
Ich musste erst verstehen, wer ich eigentlich bin
"Meine Persönlichkeit, meine kulturelle Identität hatten sehr viel damit zu tun. Ich musste erst verstehen, wer ich eigentlich bin.
Ich bin mit zwei Jahren nach England gekommen, und meine Eltern hatten sich in ihrem Drei-Zimmer-Häuschen im Südosten Londons eine Miniaturausgabe ihrer Heimat Simbabwe eingerichtet. Ich selbst war aber nie lange genug in Simbabwe, um zu verstehen was meine Eltern meinten, wenn sie von "Heimat" sprachen. Außerdem ist meine Heimat London. Wenn ich dort in den Himmel schaue, weiß ich, dass ich zuhause bin. London, neben meinen Eltern, ist mein kultureller Anker.
Ironischerweise bedeutet für viele Menschen in London zuhause zu sein genau diese Zerrissenheit. London ist ein riesiger Schmelztiegel, und wenn ich sage, dass ich in London zuhause bin, steht London auch für Afrika, für China, für so viele Orte dieser Welt. London bedeutet all das, aber es bedeutet auch die Akzeptanz dieser kulturellen Vielfalt.
Man wird an diesem Ort dazu gezwungen, einen Umgang damit zu finden, und das hat mich geprägt. Die paar Male, die ich in Simbabwe war, haben die Leute gesagt, ich sei Engländerin. Aber mich in England als Engländerin zu bezeichnen, fiel mir schwer. Und das geht vielen Leuten so, Afro-Europäer, so sollte man uns nennen.
Wir bekommen viel mit von afroamerikanischer Kultur, Jazz, Soul, Blues, aber diese Kultur ist mir nicht viel näher als einer weißen Engländerin. Ich bin in England aufgewachsen, mit englischen Volksliedern, ich habe mit neun Jahren angefangen, klassische Geige zu spielen. Also, wer bin ich?
Ich habe mir meine Identität zusammengeliehen, aber das darf ich auch, weil ich eine Londonerin bin, und London hat sich auch alles zusammengeliehen. Und trotzdem muss man ein Formular ausfüllen, um einen Reisepass zu bekommen, und man darf nur ein Kästchen ankreuzen, und es fühlt sich so an, als dürfe man nur dieser einen Kategorie angehören und kein Weltbürger sein.
Das kann einen schon in eine Identitätskrise stürzen. Und wenn ich dann als Künstlerin so etwas wie einen authentischen Ausdruck suche, muss ich alle Kästchen ausprobieren, und genau das war der Weg, den ich gehen musste, um mein Debütalbum zu machen."
Sind Sie denn jetzt die selbstbestimmte Künstlerin, die Sie immer sein wollten, oder reden Ihnen immer noch zu viele Menschen in Ihre Kunst, in Ihre Musik und vielleicht auch in Ihr Leben hinein?
All diese Stimmen um mich herum
"Ich denke, das Entscheidende ist, dass ich diesen Menschen nicht mehr zuhöre, all diesen Stimmen um mich herum. Ich habe eine sehr kleine Gruppe von Menschen, denen ich vertraue in ihren Urteilen über meine Kunst. Ich denke, was jetzt für mich entscheidend ist, um ein neues Kapitel zu beginnen, ist, dass ich den ehrlichen Dialog mit mir selbst fortsetze. Das ist das allerschwierigste, in den Spiegel zu schauen und ganz ehrlich zu sich zu sein. Ich habe meine Jahre als Künstlerin begonnen, im Gegensatz zu meiner Zeit als Begleitmusikerin, und ich muss diese aufrichtige Unterhaltung mit mir selbst weiterführen, auf ganz kindliche Art, dann werde ich sehen, wohin die Reise geht."
Auf Ihrem Album haben Sie Geige, Cello, Klarinette, Harmonium und eine Quatro-Gitarre eingespielt. Jetzt treten Sie live in Berlin auf, wie machen Sie das da mit den vielen Instrumenten?
"Das Schöne an Liveauftritten ist ja, dass man eine andere Rolle annehmen kann. Der Künstler im Studio trifft ganz andere Entscheidungen, weil er keinem Publikum gegenübersteht. Es hat mir große Freude gemacht darüber nachzudenken, wie ich meine Stücke in die beschränkten Möglichkeiten einer Tour übersetze.
Aber Songs führen nach meiner Ansicht ein Eigenleben, sie schlafen nicht nur auf irgendeinem Tonträger. Es gibt nichts Schöneres für mich als sie zu ganz neuem Leben zu erwecken, wenn ich sie aufführe. Ich spiele keinen Song zweimal gleich."