Neue Deutsche Welle in ganz neu
Wer international erfolgreich sein will, singt auf Englisch - das war einmal. Deutsche Bands wie die Sportfreunde Stiller singen auf deutsch und sind stolz darauf. Und auch die Themen, die sie behandeln, haben sich geändert.
Roger ist Englisch, kommt aus dem Funkwesen und bedeutet soviel wie Nachricht erhalten, verstanden – steht so im Duden. Roger ist also Englisch! Aber viel mehr lässt sich bei den Sportfreunden Stiller in Sachen Englisch nicht finden. Seit 18 Jahren gibt es jetzt die Band und genauso lange haben sie sich dem Deutschpop verschrieben. Musik in einer anderen Sprache zu machen kam für sie nie infrage, wie Bassist Rüdiger Linhof erzählt.
"Wenn man in der Landessprache singt, dann fühlt sich alles direkter an. Am Anfang hat's schon fast weh getan auf Deutsch zu singen, weil auch in der Zeit, als wir angefangen haben, das nicht üblich war, dass man als Gitarrenband deutsch singt. Und weil's so nah ist, wird's einfach emotionaler und direkter, und das war auch der Reiz. Abgesehen davon, dass wir Englisch viel zu schlecht singen und Deutsch besser texten können, ist es einfach die bessere Wahl."
Vor allem, wenn man will, dass das gesamte Publikum die Botschaft der Texte versteht. Wie bei ihrem Protestsong "Antinazibund".
Mehr als Nebenbeibeschallung
2007, nach Veröffentlichung ihres sechsten Albums "La Bum", nutzten die Sportfreunde Stiller ihre Popularität um sich gegen Nazis zu engagieren. Wenn Musik mehr als nur Nebenbeibeschallung sein soll, wenn man mit dem, was man sagen möchte, in die Tiefe gehen will, dann ist in Deutschland, Österreich und der Schweiz, ein deutscher Text für Bassist Rüde enorm wichtig.
"Ein gutes Lied ist nur ein gutes Lied, wenn es auch einen guten Text hat. Für mich ist der Künstler dahinter total wichtig, was er mir zu sagen hat. In der klassischen Musik ist es natürlich was ganz anderes, aber in der Popmusik ist der Text absolut wichtig. Dadurch wird die Haltung des Künstlers dahinter transportiert."
Die Sportfreunde Stiller finden es wunderbar, dass Künstler die deutsche Sprache wieder entdecken und sich in der Popkultur damit auseinanderzusetzen. Lange Zeit war deutsch da ja eher die Ausnahme, wer erfolgreich sein wollte, sang englisch. Ende der 70er Jahre gab es das letzte Mal so ein Phänomen der deutschsprachigen Musik. Damals hieß das Neue Deutsche Welle.
Im Proberaum bloß nicht an das Bankkonto denken
Mitte der 80er war die Neue Deutsche Welle vorbei. Danach dachte man bei deutscher Musik eher an Schlager. Dann kam die Jahrhundertwende und mit ihr Bands wie Wir sind Helden, die Fantastischen Vier und die Sportfreunde Stiller. Die deutsche Sprache lebte in allen Genres, egal ob Hip Hop, Pop oder Liedermacher à la Philip Poisel und Tim Bendzko. Argumente wie: Wer international Erfolg haben will, muss Englisch singen, zählen für Rüdiger Linhof nicht. Wer im Proberaum vorrangig an sein Bankkonto denkt, hat in seinen Augen schon verloren.
"Musik trifft mich einfach ins Herz, und ich merk, dass der Spaß vergeht, sobald man dran denkt, ob's jetzt erfolgreich sein könnte oder nicht. Daran zerbrechen ja auch viele Bands, weil sie sich zu hohe Ansprüche setzen und sich zu sehr daran messen, wie's andere finden könnten. Wenn man selber es total super findet, was man macht, dann steckt das auch andere an."
Auch die Themen, über die heute in der Popmusik gesungen wird, haben sich geändert. Na klar, geht es auch noch um die große Liebe, aber immer öfter beschäftigen sich deutsche Musiker kritisch mit ihrem eigenen Leben, ihrer Herkunft, ihrem Alltag in Deutschland. Und wie absurd würde es klingen, wenn Kettcar über die Hamburger Landungsbrücken auf Englisch singen würden.
Die Fans singen lauthals mit
Aber nicht nur Musiker haben ihre Einstellung zur deutschen Sprache geändert, auch die Fans. Während viele bei Konzerten von Singer/ Songwritern wie Jack Johnson nur versonnen mit dem Fuß wippen, wird bei Clueso und Adel Tawil lauthals mitgesungen. Wir identifizieren uns mit Casper oder Die Sterne und freuen uns über Neues von Element of Crime. Ob man das jetzt Hamburger Schule, Neue Neue Deutsche Welle oder Deutsch-Pop nennt, ist für Rüdiger Linhof von Sportfreunde Stiller völlig unwichtig.
"Mir ist das alles total Wurscht. Mir ist es komplett wurscht, woher eine Band kommt, und mir ist es wurscht, wie erfolgreich eine Band ist. Man sucht nach Begriffen, irgendetwas eine Marke oder so zu geben. Wichtig sind die Inhalte der Menschen, nicht woher sie kommen. Für mich zählt, was der Mensch macht und alles andere ist egal. Das macht ja nur unfrei, das Ganze in irgendwelche Kategorien zu stecken."
Während man vor ein paar Jahre noch regelmäßig über eine Deutschquote im Radio diskutierte, hört man davon heute kaum noch etwas. Warum auch? Ganz ohne Quote ist deutschsprachige Musik in unserem Leben so präsent wie schon lange nicht mehr.
"Ich find's einfach nur wahnsinnig toll, zu sehen, wie frisch die deutschsprachige Musik daher kommt. Nicht nur textlich, sondern auch von der ganzen Haltung ins Leben hinein blickend und auch von der Art und Weise wie sie Sound machen. Wenn ich Caspar live hör, das ist der Hammer, mit was für einem Selbstbewusstsein deutschsprachige Bands inzwischen auf der Bühne stehen. Früher war es so, dass die internationalen Bands die Maßstäbe gesetzt haben. Heute seh ich ganz oft hinter der Bühne, wie internationale Bands dastehen und einfach weggeblasen werden von dieser Präsenz, die deutschsprachige Bands so bringen. Das ist so ein totaler Motor und so eine totale Inspiration für die Kultur, die hier am blühen ist."