Queere Musiker erobern den Mainstream
Für Pop war 2018 ein Umbruchsjahr: Zahlreiche Musikzeitschriften verkündeten ihr Aus, der "Echo" wurde nach dem Kollegah-Skandal abgeschafft und alle diskutierten über Feine Sahne Fischfilet. Große Erfolge feierte die queere Musikszene.
"Für mich persönlich ist diese Grenze überschritten, wenn es um frauenverachtende, homophobe, rechtsextreme, antisemitische Beleidigungen geht, und auch um die Diskriminierung jeder anderen Religionsform." Für diese Sätze bekam Campino viel Beifall auf der Echoverleihung. Und man muss dem Alt-Punker ja auch dankbar sein, dass schließlich er mit seiner Rede das Ende des Echo eingeläutet hat. Er betonte künstlerische Grenzen, wo die Echo-Jury wegsah.
Der Preis stand ja schon immer in der Kritik, weil er vor allem eines war: ein Preis von der Industrie für die Industrie, in der letztlich Verkaufszahlen den Ton angegeben haben. Mit der Auszeichnung für Kollegah und Farid Bang und ihren verächtlichen Texten hatte das Ganze nun auch noch eine neue politische Brisanz, noch dringlicher als vor zwei Jahren, als die umstrittene Band Frei.Wild den Preis bekam. So ganz weg ist der Echo aber nicht.
Für den Klassik-Echo gab es in diesem Jahr schon einen Neustart, wobei man dieses Wort in Anführungszeichen setzen muss. Mehr als der Name – aus Echo wurde Opus – hat sich kaum geändert. Immer noch kommt Absatz vor künstlerischer Qualität. Und hat der ausrichtende Bundesverband Musikindustrie den Antisemitismus-Eklat aufgearbeitet? Öffentlich nicht. Der Echo jedenfalls war nicht das einzige, wovon man sich im Jahr 2018 verabschieden musste.
Abschied vom (Print-)Musikjournalismus
Die englische Punkband X-Ray Spex soll 1980 Namensgeber gewesen sein für "Spex", das Brillenträger-Magazin, das Magazin, das Pop in Deutschland salonfähig machte. "Ich wollte da immer vorkommen", sagt Thomas Meinecke rückblickend. Denn im Oktober gab "Spex" nach 38 Jahren das Aus bekannt. "Prekäre Marktlage? Ideelle Widersprüche? Allgemeine Brotlosigkeit? Bilden die Dreifaltigkeit des popjournalistischen Tagesgeschäfts", erklärt Chefredakteur Daniel Gerhardt in der allerletzten Ausgabe.
Pop und die großen politischen Debatten
Und diskursive, kritische Pop-Medien sind notwendig, denn Pop gerät zunehmend ins Visier politischer Machtinteressen. Wie im Oktober, als das Bauhaus Dessau ein Konzert der linken Punkband Feine Sahne Fischfilet absagte, nachdem rechte Gruppierungen gegen den Auftritt mobil gemacht hatten. Das Spiel der subversiven Umdeutungen und Aneignungen von Symbolen und Zeichen, das der Pop selbst so gerne spielt – spätestens 2018 leidet er selbst darunter. Aber: Pop kann auch immer noch Fortschritt bedeuten, auch dafür steht dieses Popjahr.
"I think we gonna see more #metoo activism within music in the next year", prognostiziert die amerikanische Popjournalistin Ann Powers schon 2017, und sie sollte Recht behalten. Der heterosexuelle, weiße Mann verliert im Popjahr 2018 weiter an Bedeutung. Die Debatte um #MeToo kommt queeren und weiblichen Musikern zugute. Die sind schon immer da. Aber jetzt fänden sie auch Gehör, erzählt im Deutschlandfunk Kultur Meg Remy, die als U.S. Girls feministischen Pop macht: "Vor zehn Jahren schon habe ich über diese Themen gesungen, aber da wollte niemand etwas davon wissen. Jetzt ist Feminismus ein aktuelles Thema, und das ist gut. Denn je mehr wir darüber reden, desto mehr kann sich auch verändern."
Ermutigende Geschichten vom queeren Miteinander
Musikerin des Jahres ist für viele Janelle Monáe. Sie ist Person of Color, Feministin, Politiaktivistin und queer. Auf ihrem Album "Dirty Computer" singt sie nicht den Blues der Unterdrückten, der Einsamen. Im Jahr 2018 dringt ein neues Narrativ in den Pop-Mainstream: Auch LGBTIQ-Musiker haben Spaß und erzählen ermutigende Geschichten vom queeren Miteinander. In Zeiten des konservativen Backlash ein wichtiges Zeichen.