Popkultur

"Winnetou darf nicht sterben!"

Pierre Brice (l) als Apachen-Häuptling Winnetou und Lex Barker als sein Blutsbruder Old Shatterhand in einer Szene des Karl-May-Films "Im Tal des Todes". Lex Barker sitzt auf einem Pferd mit einem Gewehr in der Hand. Beide schauen in die Ferne.
Auch heute hält die Begeisterung für "Winnetou" noch an: Hier Erol Sander als Indianerhäuptling in Bad Segeberg. © dpa/ picture alliance
Moderation: Katrin Heise |
Vor 50 Jahren löste der Film "Winnetou I" eine unvergleichliche Begeisterung aus. Der "Bravo" lagen Indianerkostüme als Schnittmuster bei, die Schallplatten zum Film verdrängten die Beatles von der Chart-Spitze. Der Autor Thomas Kramer hat dem Phänomen nachgespürt.
Katrin Heise: Heute vor 50 Jahren hatte "Winnetou I" mit Pierre Brice in der Hauptrolle Premiere. Der Film bildete, nachdem ein Jahr zuvor "Der Schatz im Silbersee" noch völlig überraschend gekommen war, den Auftakt von einer ganzen Serie von Karl-May-, speziell "Winnetou"-Streifen, deren Erfolg man quasi schon bei der Entstehung mit dachte und auch mit organisierte, vor allem in Form von Personenkult um Pierre Brice und Lex Barker. Wie bei Pop-Idolen eben so üblich!
Und ich kann aus eigener Erinnerung sagen, es klappte, meine erste Liebe mit acht Jahren war Pierre Brice. Der Literaturwissenschaftler Thomas Kramer hat viel zu Indianer-Popkultur in DDR und BRD geschrieben und geforscht. Ich grüße Sie Herr Kramer, schönen guten Tag!
Thomas Kramer: Hallo!
Heise: Winnetou als Teenie-Star, wie sah der Kult eigentlich tatsächlich aus, welche Ausmaße nahm das an? Also, ich denke, besonders fruchtbar war da sicher die Zusammenarbeit, die enge Zusammenarbeit mit der Teenie-Zeitschrift "BRAVO", oder?
Kramer: Ja, zu "BRAVO" war in den frühen 60er-Jahren nicht mal das, nicht nur das Zentralorgan für Clearasil und Doktor Sommer, sondern tatsächlich auch der Initiator für eine Winnetou-, Old-Shatterhand-, auch Karl-May-Begeisterung, wie sie in Deutschland zuvor und danach nicht wieder auftauchte. "BRAVO" war zentral, aber nicht alleinig verantwortlich, selbstverständlich, das hätte auch nicht funktioniert, für den Riesenerfolg, den diese Filme bei Millionen Deutscher, nicht bloß Jugendlicher, sondern auch Erwachsener, es waren die letzten deutschen Familienfilme, hatten.
Für "Winnetou" wurde der Ehrenpreis der "Bravo" umgearbeitet
Heise: Das heißt, so richtig, das ging dann das ganze Programm, also Starschnitt, Leserbriefaktionen, man konnte den Star, sein Idol treffen, oder was wurde da alles angeboten?
Kramer: Das war das Full Package. Also, man konnte den Star treffen, es gab Preise, es gab den "BRAVO"-Otto, niemand hat so oft den "BRAVO"-Otto bekommen wie Pierre Brice. Der bis heute verliehene "BRAVO"-Otto wurde 1965 in einen Indianer umgearbeitet, …
Heise: Ihm zu Ehren!
Kramer: Ihm zu Ehren, zu Ehren der Karl-May-Filmwelle, ist bis heute so. Es gab die berühmten Starschnitte, aber es gab auch Schnittmuster, wo man sich ein "Winnetou"-Kostüm schneidern konnte zu Hause.
Heise: Ja, die waren für Fasching auch sehr beliebt.
Kramer: Ja, und schon immer, das knüpfte ja an. Also, das beliebteste Faschingskostüm in Deutschland ist Trapper und Indianer gewesen und da konnte man einfach nur ein paar Sachen aufsetzen. Es gab "Winnetou"-Pfeilfolien, die teilweise die Beatles von den Charts verdrängten, von den "BRAVO"-Charts, Pierre Brice wurde ins Studio geschickt, obwohl er nicht singen konnte wie viele andere Schauspieler auch, Lex Barker auch. Es gab einen umfassenden Kult, es gab Sammelbildchen, es gab, wie gesagt, Zuschriftenaktionen.
Heise: Wie war diese Zusammenarbeit eigentlich entstanden? War das richtig eingefädelt von vornherein, oder setzte die "BRAVO" sich da einfach auf irgendetwas drauf?
Kramer: Das war nicht eingefädelt, das funktionierte also nicht wie heute, dass tatsächlich solche Dinge produziert werden, dass schon bei der Produktion geachtet wird, welche Medien, welches Internetportal wird bedient und so weiter und so fort. "BRAVO" hatte ein feines Gespür für den Zeitgeist und nachdem dieser erste Karl-May-Film dieser Reihe, "Der Schatz im Silbersee" so ein Erfolg war, wusste natürlich auch "BRAVO", dass sie etwas junge, dynamische Helden, gut aussehend, glutäugig, samtäugig, da müssen wir mitziehen, das ist etwas für uns.
Erste Ausgabe der "Bravo".
Die 1956 erstmals erschienene "Bravo" verbreitete den "Winnetou". Die Zeitschrift war damals Pflichtlektüre für alle Jugendlichen.© AP
Heise: Die sehr enge Freundschaft zwischen Winnetou und Old Shatterhand ließ ja so manche homoerotische Phantasie zu. Da hat aber "BRAVO" wahrscheinlich gegengearbeitet?
Kramer: Es gibt natürlich diesen Subtext, der immer wieder aufgegriffen wurde. Am interessantesten so 63, von dem Autor Arno Schmidt, der ein Buch über Karl May schrieb, wo das die Zentralthese ist. Das hat aber natürlich damals die Teenies nicht interessiert. "BRAVO" autorisierte eher Gerüchte um die Liebesgeschichte zwischen Lex Barker, dem Darsteller des Old Shatterhand, und Marie Versini, der jungen Französin. Oder Pierre Brice und Marie Versini, wer ist der Favorit?
Heise: Die Nscho-tschi war.
Kramer: Das war die Nscho-tschi.
Heise: Warum eignete sich eigentlich Winnetou so sehr zum Helden? Ich meine, die Verfilmung war nun sehr frei nach Karl Mays Erzählung, denn da wäre Winnetou ja doch ein bisschen älter gewesen und auch eher wilder, nicht ganz so edel.
Kramer: Der Winnetou, wie er endgültig in den berühmten Karl-May-Werken auftaucht, ist schon unglaublich edel. Er trieft ja vor Edelmut. Und es war ja auch seine Hauptaufgabe, Pierre Brice, in dem Film so wenig wie möglich zu sprechen. Er wollte immer mehr Monolog, Dialog. Trotzdem hat Harald Reinl nur gesagt, Pierre, halt eher den Mund, gucke edel! Und das auch gewirkt.
Und Winnetou ist die Substanz dessen, was in einem bestimmten Alter gewünscht wird an Edelmut, an guten Taten, an edlem Wilden. Also genau noch dieser richtige Grenzgang zwischen Zivilisation und Wildheit.
Die sexuelle Ambivalenz des Indianer-Heldens
Heise: Sie sagen, in einem bestimmten Alter, oder auch zu einer bestimmten Zeit? Das ist doch heute so nicht mehr möglich?
Kramer: Das ist heute dadurch, dass natürlich andere Medien, Idole vor allen Dingen aus der angelsächsischen Welt abgelöst wurden, nicht mehr so in. Aber das Muster funktioniert noch genauso. Und da ist vor allen Dingen im pubertären Alter, es gibt ein Karl-May-Lesealter, was dann meistens durch Hermann Hesse oder durch Schiller abgelöst wird, und da schlägt natürlich genau auch diese angesprochene sexuelle Ambivalenz von Winnetou, also diese küsslichen Lippen, wie das zum Beispiel mal auftaucht, das schlägt dann natürlich sehr stark auch zu Buche. Gerade bei Lesern, die sich gerade noch auf dem Weg zu ihrer Orientierung als Mensch in allen möglichen Bereichen befinden.
Heise: Würden Sie also sagen, ist heute immer noch? Also, da ist nicht so, dass der Held Winnetou eigentlich viel zu wenig kann im Gegensatz zu anderen Helden, die man heute so aus Film und ...
Kramer: Er ist heute nicht mehr so up to date, aber es funktioniert mit anderen Helden, mit anderen Action-Helden heute noch genauso. Die sind sicher erotischer aufgeladen, die müssen Penépole Cruz ganz anders in die Augen blicken als damals der Pierre Brice der Marie Versini, und nicht bloß in die Augen. Aber im Grunde, dieses Muster funktioniert und ist gezielt auf eine bestimmte Gruppe in einem bestimmten Alter immer noch.
Ein Indianer bei den Karl-May-Festtagen in Radebeul.
Bis heute finden die Karl-May-Festtage in Radebeul statt und erinnern an Winnetou und die anderen Figuren.© AP
Heise: Warum schlug eigentlich damals Pierre Brice beziehungsweise Winnetou so bei den Deutschen ein, welche Gefühle wurden da bedient? Also, bis auf das, was Sie für die Jugendlichen beschrieben, aber insgesamt für die Deutschen meine ich jetzt?
Kramer: Die Filme trafen den Zeitgeist. Die Filme trafen genau den Zeitgeist des Übergangs, die Deutschen hatten sich etabliert, ruhten und schwammen auf einer Welle des nie gekannten vorherigen Wohlstands. Das Wirtschaftswunder hat sich eingeklinkt. Aber man hatte auch langsam gemerkt, irgendwo ist das doch alles zu langweilig. Also, "Der Fürst im Silberwald" oder "Grün blüht die Heide", das muss es nicht mehr sein, denn die Deutschen fingen an zu reisen.
Man klemmte sich jetzt in den VW-Käfer und ratterte zur Adria, nicht mehr nur an den Bodensee. Und da war natürlich auch das Fernweh geweckt. Und da bot sich natürlich die endlose Weite der Prärien durchaus an!
Heise: Heute vor 50 Jahren hatte "Winnetou I" mit Hauptdarsteller Pierre Brice Premiere. Ich frage mich aber, ob diese Art – Sie beschreiben das jetzt fast wie so eine Art neuer Heimatfilm –, also, so richtig offen für wirklich neue Helden scheint man aber nicht gewesen zu sein, also, das Rebellische wollte man noch nicht?
Kramer: Man war noch nicht reif für das Rebellische, das deutete sich erst an. Es war die Zeit des Übergangs. Also, einerseits dieser Heimatfilm mal im anderen Gewand, also, der Wilderer damals in der Lüneburger Heide, das war jetzt der Desperado, der Büffel schlachtet. Das konnte man sehr gut übertragen, das überforderte das Publikum auch noch nicht.
Aber man war noch nicht reif für 68, man war noch nicht reif für die neuen amerikanischen Helden, für diese wilden Helden, die eben auch mit Konventionen brachen. Es sind ja noch sehr konventionelle Filme, sehr konventionelle, traditionelle Werte, die da vermittelt werden in den Karl-May-Filmen.
"Lieber Gojko, komm vorbei, ich möchte ein Baby von dir"
Heise: Bisher sprechen wir von "Winnetou" in der Bundesrepublik. Es gab aber in der DDR ja einen ähnlichen Indianer-Hype mit Gojko Mitic als Helden der DEFA-Indianerfilme. Kann man das vergleichen miteinander?
Kramer: Das kann man durchaus vergleichen. Nicht zuletzt, dass Gojko Mitic, der sich ja seine Spuren in den Karl-May-Filmen verdient hatte, in "Unter Geiern", in "Old Shatterhand", in "Winnetou II", der durchaus athletisch der Typ war, auf den auch Jugendliche abfuhren, und er war tatsächlich dadurch, dass er sich auch nicht politisch irgendwo ambitioniert gezeigt hat, wahrscheinlich der einzige DEFA-Star, um den sich ein ähnlicher Kult entwickelte wie um seinen französischen Kollegen.
Auch er bekam Wäschekörbe Briefe von Verehrerinnen dergestalt, zum Beispiel wurde ihm geschrieben, "Lieber Gojko, komm vorbei, ich möchte ein Baby von dir, ansonsten möchte ich nichts, du kannst wieder nach Hause fahren", und ähnliche Briefe bekam natürlich im Westen auch Pierre Brice.
Heise: Wer wirklich Mut brauchte, war Filmproduzent Horst Wendlandt, nämlich als bekannt wurde, dass Winnetou tatsächlich am Ende von "Winnetou III" sterben sollte. Da ging dann wieder die ganze Maschine, die wir vorhin schon kurz erwähnt hatten, über "BRAVO" auch sehr befeuert, los, man wollte das als Zuschauer – die Zuschauer wurden geradezu vorbereitet – verhindern!
Kramer: Das ist ja das Kuriose! In der literarischen Vorlage hatten bislang Generationen von Deutschen zehrende Tränen vergossen um den Tod von Winnetou am Ende im Hancock-Berg in den Armen seines Blutsbruders, mit den letzten Worten, "Winnetou ist ein Christ". Im dritten "Winnetou"-Film sollte das nicht passieren.
Und es gab da, wir würden es vielleicht heute Bürgerinitiativen nennen , es gab eine begeisterte Berlinerin, die das anführte, eben auch von "BRAVO" gesteuert, "Winnetou darf nicht sterben!" Da gab es Drohbriefe, da gab es Petitionen, da gab es Eingaben an Rialto/Constantin in einem Ausmaß, was wir uns heute nicht mehr vorstellen können. "Winnetou darf nicht sterben!"
Heise: Als der Held dann doch gestorben war, nahm dann das ganze Fieber irgendwie, kühlte das ganze Fieber etwas ab, war da Platz dann für die nächsten Helden, für die tatsächlich rebellischen, die mit Konventionen brechen konnten?
Kramer: Noch nicht. Weil, Mitte der 60er-Jahre war die Zeit dafür noch nicht reif und es gab ja dann noch eine ganze Reihe weiterer Karl-May-Filme. Und das ist ähnlich das Prinzip, in "Winnetou III" stirbt – auch in der literarischen Vorlage – Winnetou, es gibt ja trotzdem weitere Abenteuer mit ihm als Held. Und warum soll man die Kuh, die einmal so wunderbar Melkmilch gibt, nicht weiter melken? Also, das war durchaus nicht das Ende der Begeisterung für Pierre Brice und Lex Barker.
Heise: Wir spürten dem Pop-Phänomen "Winnetou" nach, dank Blutsbrüderschaft mit der "BRAVO" so erfolgreich gewesen. Heute vor 50 Jahren war die Premiere von "Winnetou I". Dank dem Literaturwissenschaftler Thomas Kramer, ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag! Und seine Karl-May-Biografie ist im Herder-Verlag erschienen!
Kramer: Ich bedanke mich!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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