Jochen Distelmeyer: Otis
Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 2015
282 Seiten, 19,95 Euro
Autor auf Sinnsuche
In seinem Debüt "Otis" beschreibt der Ex-Sänger der Band Blumfeld, Jochen Distelmeyer, einen Mittdreißiger auf einer Odyssee durch Berlin. Es ist viel drin in diesem Roman, meint unser Rezensent. Das Problem des Buchs liegt woanders.
Ob Jochen Distelmeyer das lustig findet? Oder originell? Oder als Wink in eigener Sache versteht? Nämlich den Suhrkamp-Krieger Hans Barlach in seinem Roman "Otis" auftreten zu lassen, auf dass dieser hier als fiktiver Jürgen Zaller Sachen sage wie: "Die Zukunft verlangt nicht nur nach vollkommen neuen verlegerischen Konzepten, sondern braucht vor allem andere Autoren." Womöglich versteht Distelmeyer sich als ein solcher Autor, ist er doch im Erstberuf Popmusiker.
Mit seiner Band Blumfeld begründete er den avanciertem deutschsprachigen Diskurs-Pop, da demonstrierte er, dass selbst Liebeslieder politisch sein können. Später hatte er auch nichts gegen Kitsch, Monsterpop, die Münchener Freiheit oder Naturlyrik einzuwenden, doch zu einem Popmusiker der Größenordnung Grönemeyer oder Westernhagen langte es nicht. Blumfeld lösten sich 2007 auf. Distelmeyer veröffentlichte mit "Heavy" ein unspektakuläres Soloalbum und vertrieb sich zuletzt die Zeit damit, das Blumfeld-Frühwerk wieder live aufzuführen – und Prosa zu schreiben.
Nach der Trennung nach Berlin
Sein Debütroman "Otis" erzählt von einem Mittdreißger namens Tristan Funke, der wegen einer zu Ende gegangenen Beziehung von Hamburg nach Berlin gezogen ist und hier nun seinerseits an einem Roman mit dem Titel "Otis" sitzt, weil der Held dieses Romans einerseits Otis Weber heißen soll, andererseits diverse Bezüge zur Popmusik (Otis Redding, Johnny Otis) und auch zu Homers "Odyssee" hat. Eine Art moderne Odyssee soll nun auch Distelmeyers "Otis" sein, nur fehlt diesem die Dramatik, das Schwergewichtige oder betont Leichtgewichtige. Es ist vor allem eine Berliner Odyssee: ein Hin- und Herstreifen Funkes von Prenzlauer Berg, wo er wohnt, erst nach Mitte, wo er seinen Onkel trifft, dann in den alten Westen, wo er mit Zaller/Barlach diniert, und schließlich nach Kreuzberg, wo er auf einer Party alle seine Freundinnen, Ex-Freundinnen und Geliebten trifft. Am Ende geht es in den Ostberliner Tierpark, den Tristan mit einer neuen Bekannten besucht.
Nebenher erzählt Distelmeyer portionsweise die Odysseus-Sage nach, streut Polit- und Gesellschaftsdiskurse ein, lässt einen türkischen Busfahrer auftreten oder montiert die Dialoge eines Beckett-haften Theaterstücks, das sich Tristan und seine Cousine anschauen. Was das alles soll? Man weiß es nicht. Es ist viel drin in diesem Roman – erzählen aber tut er von so gut wie nichts. Sein Zentrum ist leer. Weder die Liebe noch Homers "Odyssee" noch die Orientierungslosigkeit oder der Überdruss der Generation der 30- bis 50-Jährigen drängen da entschieden rein. Und Berlin-Romane hat man wirklich genug gelesen - und bessere sowieso, weil Distelmeyer über keine eigene Erzählsprache verfügt. "Rock'n'Roll hat meinem Leben einen neuen Sinn gegeben", hat er vor langer Zeit als Blumfeld-Mastermind getextet. In der Literatur ist er noch auf Sinnsuche.