Joachim Hentschel: „Dann sind wir Helden“
Die Puhdys bei einem Konzert in Hamburg im Juni 1989. Schon Mitte der 70er wurden sie in Westdeutschland erfolgreich vermarktet. © picture alliance / jazzarchiv / Hardy Schiffler
„Der West-Rock hat sehr viel vom DDR-Rock gelernt“
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Meist wird der Einfluss des westlichen Rock auf die Musik im Osten gesehen. Journalist Joachim Hentschel beschreibt in seinem Buch über Politik mit Popmusik über die Mauer hinweg auch die umgekehrte Richtung – mit überraschendem Ergebnis.
Das Buch „Dann sind wir Helden. Wie mit Popmusik über die Mauer hinweg Politik gemacht wurde“ versammelt viele Geschichten über die Verknüpfung von Musik und Politik. Erfahren habe er die von den Leuten, die sie erlebten und von denen, die im Hintergrund die Strippen zogen, sagt der Autor des Buchs, der Journalist Joachim Hentschel.
In den 1980ern war zum Beispiel bemerkenswert, „dass Udo Lindenberg in Ost-Berlin aufgetreten ist; dass so eine lustige Band wie die Spider Murphy Gang auf DDR-Tour ging“. Bei der Recherche für das Buch habe er dann aber gemerkt, dass es noch sehr viel mehr Geschichten gibt – die zusammenhängen und „eine gewisse Dynamik entwickelt haben“. Im Buch geht es unter anderem auch um Punk, um Nina Hagen und um Katja Ebstein.
Goldene Schallplatten für Band Karat in den 80ern
Überrascht habe ihn vor allem die Geschichte der Puhdys, die Mitte der 1970er-Jahre die berühmteste Band der DDR waren, so Hentschel. Genauer: die Geschichte, wie ein Hamburger Musikmanager es geschafft habe, sie in Westdeutschland erfolgreich zu vermarkten. In den 80ern habe der dann sogar mit der DDR-Band Karat goldene Schallplatten bekommen. Darüber seien dann „wahnsinnig viele DM-Devisen“ zurück in den Osten geflossen, mit denen dann die Plattenstudios in Ost-Berlin ausgestattet worden seien.
Diese Begebenheit mit dem Musikmanager sei nicht die einzige, bei der der Einfluss nicht von Westen Richtung Osten ging, wie man das ja meistens höre. „Am Ende hat der West-Rock vom DDR-Rock sehr viel gelernt, obwohl viele ihn vielleicht so ein bisschen als hinterwäldlerisch gesehen haben“, bilanziert Hentschel.
Peter Maffay: Einfluss des DDR-Rock im Westen
Von Peter Maffay habe er eine sehr interessante These dazu gehört. Der habe gesagt, die Art, wie in der DDR Rockmusik gemacht wurde, habe sehr stark die deutsche Rockmusik der 80er-Jahre beeinflusst, die dann zu einem Riesenverkaufsschlager wurde, wie etwa BAP oder Herbert Grönemeyer. In der DDR wurden die Texte in der Regel von Dichterinnen und Dichtern geschrieben, nicht von den Musikern selbst. Dazu sei das Liedhafte gekommen, das Lyrische, Metaphorische, etwas Tiefergehendes, Gesellschaftsanalytisches, das oft mit Doppelbedeutungen ausgestattet war. „Das ist ein bisschen eine steile These, aber wenn man mal genau guckt, merkt man, dass man das durchaus auch in einen Zusammenhang stellen könnte“, meint Hentschel.
Mehr Politik mit Popmusik betrieben habe „eindeutig die DDR“. Alleine, dass Erich Honecker persönlich 1983 die Genehmigung für den Auftritt von Udo Lindenberg im Palast der Republik abgezeichnet habe, „ist total irre“, so der Journalist. Zahlreiche West-Musiker, darunter Roland Kaiser und BAP, wurden zu Auftritten eingeladen oder schmuggelten sich – wie die Toten Hosen – in die DDR und dann wieder nach West-Berlin.
Popkultur so wichtig wie Brandts Ostpolitik?
Die Rolle der westlichen Rockmusik in der DDR sei aber ambivalent gewesen: Sie habe zum einen ein Zeichen der Befreiung gesetzt. Zugleich aber habe „das Regime in der DDR diese Musik auch eingesetzt, um die Leute dort so ein bisschen zum Schweigen zu bringen, um sie einzugemeinden“.
Für den Fall der Mauer sei die Popkultur eine mindestens so wichtig gewese wie die Ostpolitik beispielsweise von Willy Brandt, so Joachim Hentschel. Nicht nur die Botschaften, die gesungenen Texte, sondern „diese ganze Idee, wie man arbeitet als Künstlerin und Künstler, wie man sich darstellt, was man repräsentiert, das hat eine Riesenrolle gespielt“.
(abr)