Populärer Pessimist

Rezensiert von Susanne Mack |
Kaum ein deutscher Philosoph hat so ein großes Publikum erreicht wie Arthur Schopenhauer. Er hat die deutsche Philosophie von der Universität hinweg in die Salons und die Cafes getragen. Heutzutage verwundert Schopenhauers Popularität ein wenig, hat er doch einen philosophischen Pessimismus entworfen. Im dtv-Verlag ist jetzt eine Sammlung mit Schopenhauer Texten unter dem Titel "Über das Mitleid" erschienen.
Um Schopenhauer ist es zurzeit ziemlich still, zumindest in den Feuilletons. Ich bin mir aber sicher: Die Schopenhauer-Fangemeinde lebt. Schopenhauer ist ein Klassiker, ein Original, so einer wird zu allen Zeiten seine Leser haben. Aber warum ist er im Moment nicht populär? Das kommt, weil Philosophen Konjunkturen haben - entsprechend dem Geist der Zeit. Und Schopenhauer ist unmodern, wenigstens auf den ersten Blick. Denn wir leben im Zeitalter des Optimismus, der heute "positives Denken" heißt. Schauen Sie sich um: lächelnde Gesichter von allen Plakaten, die Botschaft lautet: Sei glücklich und stark! Auf zu Erfolg und Geld! Alles wird gut! Bei solchen Sprüchen hätte Schopenhauer laut gelacht.

Für Schopenhauer ist der Optimismus entweder eine närrische Kinderei oder aber philosophischer Selbstbetrug. - Schopenhauer ist der Philosoph des Pessimismus. Für ihn ist ausgemacht: Die Welt ist ein Jammertal, und daran wird sich auch nichts ändern, die menschliche Existenz ist so gemacht: alle Ziele, alle Güter denen wir sehnsuchtsvoll hinterher hecheln, sind Trugbilder. Sie lösen sich in Luft auf, sobald wir sie greifen können. Alles Glück ist Illusion und ein flüchtiger Moment, real und beständig sind nur drei Dinge: die Sehnsucht, der Schmerz und die Langeweile.

Erfolg mit Pessimismus?

Schopenhauer - das ist ein sehr behaglicher Pessimismus. Er hat einem tiefen Sinn für Humor und ist ein brillanter Schriftsteller. Wenn Sie das Büchlein aufschlagen, dann werden Sie den Eindruck gewinnen, sein Autor lehnt sich im Sessel zurück und betrachtet von dort aus das Treiben der Welt und lächelt (manchmal lacht er auch ziemlich laut) über all das Gewusel und die geschäftigen Menschen, die immer dem Glück hinterher jagen, obwohl es doch nichts zu erjagen gibt. Und deshalb ist jede Lebensgeschichte auch ein Sammelsurium von Enttäuschungen: eine fortgesetzte Reihe großer und kleiner Unfälle.

Der Titel "Über das Mitleid" ist nicht glücklich gewählt. Eigentlich handelt es sich hier um einen kurzen Abriss der Schopenhauerschen Philosophie. In diesem Büchlein gibt es vier Kapitel, diese Kapitel sind verschiedenen Werken von Schopenhauer entnommen, den Zusammenhang muss der Leser selbst herstellen. Das ist natürlich eine Zumutung, und es ist auch nicht ganz klar, was sich der Herausgeber dabei gedacht hat. Aber die einzelnen Stücke, die sind natürlich brillant.

Was das Mitleid betrifft: "Mitleid" ist der zentrale Begriff in Schopenhauers Ethik. Schopenhauer meint, der Mensch ist zwar ein geborener Egoist, aber er kann durchaus auch uneigennützig sein - wenn er sich bemüht, die eigene Menschennatur im Anderen wiederzuerkennen. Denn jeder andere Mensch fühlt und leidet im Grunde genauso wie er selbst. Und nur, wenn das Gefühl, selbst zu leiden oder aber einen anderen Mensch leiden zu sehen, ein und dasselbe ist: nur dann hat einer den Namen "Mensch" überhaupt verdient. Mitleidig sein und selbst Mitleid empfangen: Das ist für Schopenhauer die Basis jeder Ethik und der Kern wahrer Menschlichkeit.

In unserer Leistungsgesellschaft hat man stark und selbstbestimmt zu sein. Wer Mitleid braucht, gilt als Memme und als Loser. Aber "wir Menschen sind eben wie Stachelschweine im Winter", sagt Schopenhauer: Trotz aller mentalen Bewaffnung sind wir kuschelbedürftig. Wir alle brauchen Menschen, die Anteil nehmen - und uns hin und wieder auch in den Arm.

Schopenhauer versteht unter "Mitleid" übrigens nicht, dass man mit anderen Menschen jammern soll. "Mitleid haben " meint vielmehr, sich in die Situation des anderen einzufühlen und ein Stück weit in seinen Schuhen zu gehen. "Verletze niemand, sondern hilf allen, soweit du kannst", das ist Schopenhauers Maxime. Und er beschränkt seine Ethik nicht nur auf den Menschen: " Ein gütiger Charakter hat Mitleid auch mit den Tieren. Denn auch Hunde und Katzen und Pferde haben eine Seele und fühlen im Grunde wie du und ich."

Pessimismus und Buddhismus

Schopenhauer ist der erste deutsche Philosoph, der sich sehr gründlich mit den heiligen Texten der Inder und mit indischer Philosophie beschäftigt hat, auch mit dem Buddhismus. Und wer Schopenhauer liest, der kann sich einer Einsicht nicht verwehren: Der Buddhismus, der uns - immer öfter - angepriesen wird in allen möglichen Ratgeberbüchern und uns dort meistens in Häppchen gereicht wird, dieser Buddhismus gründet auf einer zutiefst pessimistischen Philosophie. "Leben ist Leiden", das ist die erste der "vier edlen Wahrheiten", die Buddha uns übermittelt. Und Schopenhauer wird nicht müde, diese Einsicht zu wiederholen.

Pessimismus ist kein Verkaufsschlager

Ja, klar. Aber ich glaube, ein Pessimismus a la Schopenhauer, der kann sehr wohltuend sein, und vielleicht ist er sogar unverzichtbar - gerade in unserer erfolgsversessenen Welt, die so verliebt ist in den schönen Schein der Dinge. Wenn man nämlich gerade einen Tag hinter sich hat, an dem vieles schief gegangen ist, an dem alles ganz anders kam als geträumt und erhofft, dann greife man beherzt zu Schopenhauer. Der sagt einem: Genauso ist das Leben! Und nicht nur deins, sondern das deines Nachbarn auch, und wer etwas anderes behauptet, der lügt. - Das ist der Trost der Philosophie.


Arthur Schopenhauer: Über das Mitleid
dtv 2005.
160 Seiten. 6,00 Euro.