Populismus

Kann eine Demokratie sich selbst abschaffen?

Trump am Schreibtisch, umringt von Managern. Er unterschreibt den Erlass.
US-Präsident Trump unterschrieb das Dekret zum Bürokratie-Abbau im Beisein von Konzernmanagern. © dpa, picture alliance / Andrew Harrer / Consolidated News Photos
Thomas Saretzki im Gespräch mit Dieter Kassel |
Donald Trumps erste Amtshandlungen haben bei vielen Sorgen über die Zukunft der US-Demokratie aufkommen lassen. Der Politikwissenschaftler Thomas Saretzki hingegen setzt auf die rechtsstaatliche Tradition der USA. Diese sei "stark genug".
Kann man Demokratie in demokratischen Ländern ohne einen Coup tatsächlich abschaffen? Das fragen sich viele angesichts der Entwicklung in der Türkei, in Polen unter der PiS-Regierung oder auch angesichts der ersten Amtshandlungen von Donald Trump als Präsident der USA.

Populisten wollen direkte Beziehung zum Volk herstellen

Als Populisten versuchten Politiker wie Donald Trump, eine direkte Beziehung zwischen sich und Volk herzustellen, sagt Thomas Saretzki, Professor für Politische Theorie an der Universität Lüneburg. Hingegen versuchten diese, die Parlamente als übliche Institutionen der repräsentativen Demokratie zu umgehen. Außerdem suchten Populisten "dort die Schuld für die Missstände, die sie selber anklagen", so der Politikwissenschaftler im Deutschlandradio Kultur.
Grundsätzlich sei es möglich, ein demokratisches System schrittweise zu entdemokratisieren und einen Rechtsstaat zu einem Unrechtsstaat zu machen. "Das haben wir in Deutschland erlebt. Das erleben wir ansatzweise jetzt in anderen Ländern", sagt Saretzki. "Ich glaube, dass insbesondere in den USA die rechtsstaatliche Tradition stark genug ist, dass das dort nicht gelingen wird." (uko)

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: In Deutschland wird oft so sinngemäß gesagt, die Demokratie sei zwar nicht perfekt, aber sie sei das beste System, das wir kennen. Das geht zurück auf ein Zitat von Winston Churchill, der das allerdings wörtlich sehr viel direkter formuliert hat. Er hat nämlich gesagt: Democracy is the worst form of government, except for all the others. – Also wörtlich übersetzt: Die Demokratie ist die schlechteste Form der Regierung, wenn man von allen anderen absieht. Das muss ich natürlich Thomas Saretzki nicht erklären, wie dieser Satz im Original lautet, denn er ist Professor für politische Theorie und Politikfeldanalyse an der Leuphana Universität in Lüneburg, schönen guten Morgen, Professor Saretzki!
Thomas Saretzki: Guten Morgen!
Kassel: Haben auch Sie den Eindruck, dass viele Menschen in westlichen demokratischen Ländern diesen Satz so nicht mehr unterschreiben würden, vor allen Dingen nicht den zweiten Teil?
Saretzki: Das glaube ich nicht. Das System der Demokratie trifft ja nach wie vor auf Zustimmung.

Wie tief ist die Krise der repräsentativen Demokratie?

Kassel: Aber in Details ja doch nicht. Menschen wie Donald Trump haben von Anfang an gesagt: Ich lehne dieses System ab, das ist alles ein Sumpf, das ist nicht das, was ich will. Und auch andere Politiker sind gewählt worden und werden vielleicht im September auch in Deutschland gewählt, die sagen, dieses System in seinem jetzigen Zustand ist nicht das meine.
Saretzki: Das stimmt, weil Politiker wie Donald Trump als Populisten versuchen, eine direkte Beziehung zwischen sich und dem Volk herzustellen und die üblichen Institutionen der repräsentativen Demokratie – Parlamente – zu umgehen und dort die Schuld für die Missstände, die sie selber anklagen, zu suchen.
Kassel: Ist denn die repräsentative Demokratie tatsächlich, wie es halt viele Populisten behaupten, in der Krise? Ich meine, es ist im Prinzip sehr einfach: Wir regieren nicht als Bürger, sondern wir wählen Leute, die das für uns tun, deshalb heißen die ja unter anderem auch Volksvertreter. Ist es nicht wirklich so, dass viele sich aber von denen nicht mehr vertreten fühlen?
Saretzki: Na ja, wenn man in den USA fragen würde, wer sich nicht mehr richtig repräsentiert fühlen kann nach demokratischen Gesichtspunkten, dann wären das ja in erster Linie die Wähler von Hillary Clinton. Denn ihre Kandidatin hat eine Mehrheit der Stimmen bekommen, sie hat nur nicht das Amt bekommen, weil die Repräsentationsregeln über dieses Wahlmännergremium dazu führen, dass zwar die Mehrheit der Stimmen bei Hillary Clinton liegt – also 65,5 Millionen Stimmen im Unterschied zu 62,8 für Donald Trump –, Hillary Clinton aber sehr viel weniger dieser Wahlmännerstimmen bekommen hat, nämlich nur 232, während Donald Trump 306 hat. Und das hängt jetzt mit der Art und Weise zusammen, wie Mehrheit und Minderheit in diesen repräsentativen Gremien gebildet werden.

Die Illusion, dem Volk die Macht zurückzugeben

Kassel: Aber da stellt sich natürlich die Frage: Ist das besser oder ist unser System besser bei uns? Wir können nicht den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin direkt wählen, wir können nur Parteien und deren einzelne Vertreter wählen, und dann sind wir manchmal überrascht, wen die dann zum Kanzler machen. Ist das besser oder schlechter?
Saretzki: Das hängt jetzt von den Kriterien ab, was man sagt, was ist eine angemessene Repräsentation und wie sollen diese Kandidaten, die dann uns insgesamt repräsentieren, dargestellt werden? Das Charakteristikum von eher präsidentiellen Systemen ist, dass die Kandidaten immer in die Versuchung kommen, wenn sie denn in das Amt kommen, zu sagen: Ich repräsentiere das ganze Volk. Und das Charakteristikum von Donald Trump ist, dass er das auch genauso herstellt.
Wenn Sie da hineinschauen, in dem präsidentiellen System bei seiner Antrittsrede, da hat er ja genau diese Illusion erweckt: Ich gebe euch, dem amerikanischen Volk, die Macht zurück. Es ist keineswegs so, dass ich als Repräsentant einer Partei jetzt hier die Regierung übernehme. Und auf diese Idee kommen sie in parlamentarischen Parteiendemokratien eher nicht, weil da alle auch wissen: Derjenige, der ein Amt innehat, ist aufgrund einer Mehrheitsbildung zustande gekommen. Und Donald Trump ist wie gesagt nicht von der Mehrheit der amerikanischen Wähler und Wählerinnen gewählt worden.
Kassel: Nun ist es aber ja überhaupt nicht neu, dass Parlamente nicht nur in Deutschland zum Beispiel als Quasselbuden bezeichnet werden und dass man sich darüber ärgert, dass diese Findung von Meinungen und von Ergebnissen immer so lange dauert. Haben Sie nicht doch das Gefühl, mit diesem System sind viele Menschen unzufrieden, weil sie halt glauben, es ist so unflexibel und es dauert so lange und man einigt sich am Ende ohnehin immer nur auf das geringste Übel?
Saretzki: Das gibt es als Unzufriedenheit. Der Ruf nach Führern ist ja einer, den wir immer wieder irgendwo hören. Donald Trump hat das ja auch in erster Linie bedient, indem er gesagt hat, wir werden nicht mehr akzeptieren Personen, die nur noch reden, und handeln. Das gehört aber selber zu diesem Führer-Macher-Image, der ihm als Nicht-Politiker, sondern als Geschäftsmann natürlich auch besonders wichtig ist: Ich mache, ich entscheide, wie jetzt auch bei der Entlassung der Justizministerin, ich muss aber nicht vorher darüber nachdenken, was ich tue, wie ich entscheide und wie ich dann führe. Und das bitte schön soll auch niemand diskutieren, denn es kommt ja darauf an, dass ich das tue, nicht was und mit welchen Gründen und mit welchen Zielen ich es tue.

Kann eine Demokratie sich abschaffen?

Kassel: Haben Sie das Gefühl … Man darf ja nicht vergessen, bei Donald Trump, bei anderen Regierungsführern, die wir manchmal umgangssprachlich regelrecht als Diktatoren bezeichnen – in der Türkei, in Russland, in Polen, in Ungarn, in anderen Ländern –, handelt es sich natürlich der Definition nach überhaupt nicht um Diktatoren, sie sind ja demokratisch gewählt worden. Haben Sie das Gefühl, dass manche Menschen gar nicht wissen, was sie an der Demokratie haben, und sehr leichtfertig sagen: Nur um die anderen zu ärgern, weil mich dieses System so sehr nervt, wähle ich extra einen, der das System gefährdet?
Saretzki: Das ist leider im Augenblick vielfach zu beobachten. Auch viele der Erklärungen der amerikanischen Wahl weisen ja darauf hin, dass es hier vielen Wählern in erster Linie darum ging, einer bestimmten anderen Partei, die sie nicht mögen, eins auszuwischen, ohne die Konsequenzen davon für sich selbst und für das System insgesamt zu beachten. Und daraus resultiert natürlich eine gewisse Nichtwertschätzung von dem System, was überhaupt erst ein friedliches Zusammenleben und einen Interessenausgleich ermöglicht, der ja nötig ist, damit Menschen sehr unterschiedlicher Interessen, Werte, Orientierungen zusammenleben können.
Kassel: Nun gibt einem die Demokratie sehr viele Möglichkeiten. Sie gibt einem eben auch die Möglichkeit, nicht sehr demokratische Leute zu wählen, sie gibt aber eigentlich niemandem die Möglichkeit, sie selber abzuschaffen. Zumindest in den meisten Ländern sind die Hürden in der jeweiligen Verfassung dafür sehr hoch. Aber eigentlich sind auch die Hürden bei der Abschaffung der Gewaltenteilung sehr hoch, Donald Trump versucht sich ja gerade daran, die trotzdem zu ignorieren, in Polen ist Ähnliches passiert, in der Türkei. Kann man Demokratie in demokratischen Ländern tatsächlich ohne einen Coup abschaffen?
Saretzki: Ob das wirklich ohne einen Coup geht, hängt jetzt ein bisschen davon ab, was man unter einem Coup versteht. Es ist schrittweise möglich, ein demokratisches System zu entdemokratisieren, einen Rechtsstaat zu einem Unrechtsstaat zu machen. Das haben wir in Deutschland erlebt, das erleben wir ansatzweise jetzt in anderen Ländern. Ob wirklich die Möglichkeit, überhaupt dann auch einmal gewählte Führerinnen und Führer wieder abzuwählen und nicht in Familienclans oder andere selbsternannte Personen sozusagen enden zu lassen, was das politische System angeht, das ist jetzt eine empirische Frage. Ich glaube, dass insbesondere in den USA die rechtsstaatliche Tradition stark genug ist, dass das dort nicht gelingen wird.
Kassel: Immerhin noch eine tröstliche Nachricht am Schluss. Thomas Saretzki war das, Professor für politische Theorie an der Universität Lüneburg. Herr Saretzki, vielen Dank für das Gespräch!
Saretzki: Bitte, wiederhören!
Kassel: Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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