Pornos in sozialen Medien

Wenn das eigene Sexleben zum digitalen Happening wird

Neonschriftzug mit drei großen X-en
Die sozialen Medien führen die Illusionsmaschine der Pornografie zu einem Höhepunkt, meint Leon Igel. © Getty Images / iStockphoto / 07_av
Beobachtungen von Leon Igel |
Mitmachen statt nur zugucken: Auf Social-Media-Plattformen wie Twitter löst sich in der Pornografie die Grenze zwischen Darstellen und Zuschauen auf. Eine Entwicklung, die gleichzeitig stereotype Rollenbilder fortschreibt, findet der Autor Leon Igel.
Twitter, Instagram und Co. vereinnahmen inzwischen den gesamten Körper ihrer User. So gibt es auf Twitter eine große und kostenlose Amateur-Porno-Community. Ich bekomme Likes, also bin ich ein wertvoller Mensch! Die Pornografisierung der Gesellschaft schreitet voran.
Sex wird zum Online-Happening, das quasi-authentisch inszeniert aber besonders stereotype Rollenbilder reproduziert. Denn diese lassen sich nach Marktlogik besonders gut verwerten.
Mit Onlyfans gibt es mittlerweile eine Plattform, die sich fast ausschließlich um Pornos dreht. Das Besondere: Wer dort Fotos oder Videos einer Person sehen will, muss bezahlen. Meist um die zehn Euro pro Sex-Influencer und Monat. Mittlerweile gibt es Sexfluencer, die von der Plattform leben.

Zahl der User steigt stetig

Wie beliebt Porno-Social-Media ist, zeigen die nackten Zahlen. 2021 überwiesen die User 4,8 Milliarden Euro an Onlyfans. Darüber freuten sich 2,1 Millionen Content-Ersteller. Zum Vergleich: Das sind 1,8 Millionen Sexfluencer mehr als zwei Jahre zuvor.
Das Wachstum ist enorm. Aber das überrascht nicht, denn das Geld wird dort leicht verdient. Bemerkenswert am Porno-Social-Media ist etwas anderes: Erstmals in der Porno-Geschichte löst sich die Grenze zwischen Darstellern und Zuschauern auf.
Vorrangig findet Porno-Social-Media nämlich nicht auf der Zahlplattform Onlyfans statt, sondern ist kostenlos. Im Porno-Twitter ist alles so wie sonst auch: Neben professionellen Akteuren tweeten und interagieren normale Menschen. Nur dreht sich eben alles um Sex.

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Da gibt es Tweets, in denen Nutzer zeigen, dass sie gerade richtig Bock hätten. Deren Follower antworten dann mit Nacktfotos und bewerben sich: Nimm doch mich! Und das funktioniert. Wenn Twitter-User miteinander Sex haben, posten sie davon natürlich Videos.
Aus dem passiven Konsum machen die sozialen Medien das Pornovergnügen zu einer aktiven Tätigkeit. Mitmachen statt nur zugucken!

Selfie-Kultur erobert den ganzen Körper

Aus gewöhnlichen Usern werden Pornodarsteller und professionelle Sexarbeiter agieren wie normale User. Wer wer ist, ist nicht immer zu unterscheiden. Damit führen die sozialen Medien die Illusionsmaschine der Pornografie zu einem Höhepunkt. Pornografie erscheint nicht mehr als fiktionale Parallelwelt, sondern als Ausdruck realer Möglichkeiten.
Die Selfie-Kultur erobert den menschlichen Körper vollends. Das eigene Sexleben wird zum digitalen Happening. Ob Amateur oder Profi, man filmt mit dem Handy in der Hand und grenzt sich von der bisherigen Hochglanz-Pornografie ab. Die wackeligen Videos sehen aus, als wären sie aus dem Moment heraus entstanden.
Das ist die Logik der sozialen Medien: Das eigene Leben soll so authentisch wie möglich inszeniert werden.

Jugendliche im Pornouniversum

Die Pornoclips folgen dem Belohnungssystem von Social Media: Likes und Reichweite. Ein Post wird umso erfolgreicher, je schablonenhafter er den Erwartungen der Filterblase entspricht. Im Porno-Twitter sind die Erfolgsrezepte recht traditionell: große Brüste, dicke Schwänze, zarte Frauen und starke Männer.
Statt sexueller Befreiung schreiben die User stereotype Rollenbilder fort. Die Bubble goutiert das und die Content-Ersteller geilen sich an den vielen Likes auf.
Um dieses Pornouniversum zu verstehen, braucht es Aufklärung und Medienkompetenz. Beides fällt nicht vom Himmel. Jugendliche sollte man darauf vorbereiten – und zwar vor der Pubertät. Mit weniger als 13 Jahren sehen Jugendliche durchschnittlich ihren ersten Porno.
Da wäre es gut, wenn sie wissen, wie sie das Gesehene einordnen können: Sex wird im Porno-Social-Media inszeniert, auch wenn er noch so echt aussieht. In den Schlafzimmern der Sexfluencer sieht es nämlich anders aus. Immer dann, wenn die Kamera aus ist.

Leon Igel, Jahrgang 1995, stammt aus einem Dorf bei Fulda. Er studierte Germanistik und Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim und schreibt als freiberuflicher Journalist unter anderem für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“.

Porträtaufnahme von Leon Igel
© Anna Logue
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