Pornografie in Deutschland

Zwischen Selbstverständlichkeit, Scham und Sucht

Eine Person schaut sich auf einem Smartphone eine Porno-Internetseite an
Die Pornofreigabe trat in Deutschland 1975 in Kraft – Zeichen eines gesellschaftlichen Wandels, der auch Sexualität betraf © picture alliance / Chromorange / Michael Bihlmayer
Pornografie wurde erst vor fünfzig Jahren in Deutschland legalisiert. Heute ist Porno überall einfach zu haben, auch aufgrund von Internet und sozialen Medien. Doch daraus entstehen auch Probleme, beispielsweise für Kinder und Jugendliche.
Die Freigabe von Pornografie vor 50 Jahren in Deutschland zeigte eine Abkehr vom Moralprinzip: Der Staat wollte fortan nur da regulieren, wo sozial schädliche Inhalte vermutet wurden. Heutzutage ist Pornografie für alle jederzeit über das Netz und soziale Medien abrufbar.

Wie Pornografie in Deutschland legal wurde

Am 28. Januar 1975 trat der neu gefasste Paragraf 184 des Strafgesetzbuches in Kraft: Das Verbot der Verbreitung von Pornografie wurde damit aufgehoben. Verboten blieb es allerdings, Pornos an Orten anzubieten, die Jugendlichen zugänglich sind, etwa in Kiosken, ebenso die Verbreitung im Rundfunk. In der DDR blieb Pornografie offiziell bis 1990 verboten, es gab sie nur als Schmuggelware.
Die Gesetzesänderung hatte eine lange Vorgeschichte: Deutschland war 1923 einem internationalen Abkommen zur Bekämpfung des Vertriebs „unzüchtiger“ Veröffentlichungen beigetreten, das auf Bestreben des Völkerbundes in Genf zustande gekommen war. Dieses Abkommen musste zunächst gekündigt werden. 1969 bereitete das „Fanny-Hill-Urteil“ zur Veröffentlichung eines pornografischen Romans aus dem 18. Jahrhundert den Weg zur Gesetzesänderung; der Bundesgerichtshof hatte die Veröffentlichung erlaubt.
Voran gegangen in der Entwicklung war Dänemark. Nach der dortigen Freigabe von erst pornografischen Texten (1967) und dann Fotos (1969) überschwemmten diese den deutschen Markt, die Justiz war überfordert. Zudem entstanden frühe Formen von Sextourismus von (meist) deutschen Männern nach Dänemark.
Die Gesetzesänderung markiert eine Abkehr vom moralischen Begriff der „Unzüchtigkeit“ im Strafrecht, der durch den neutraleren Begriff „Pornografie“ ersetzt wurde. Dass Pornografie heutzutage weit verbreitet ist, liegt nach Ansicht der unabhängigen Kultur- und Pornowissenschaftlerin Madita Oeming allerdings weniger in der Gesetzesänderung begründet als am technischen Wandel. Triebfeder für die Verbreitung von Pornografie sei demzufolge erst der Videorekorder gewesen, mit dem die Inhalte ins eigene Zuhause einzogen, und später vor allem die Digitalisierung.

Pornografie und die Frage nach dem Jugendschutz

Eigentlich sollten bei der Legalisierung von Pornografie vor 50 Jahren Kinder und Jugendliche davor geschützt werden. Doch faktisch ist die Lage heute eine andere: Kinder und Jugendliche haben heute nahezu jederzeit Zugriff auf pornografische Inhalte im Netz.
Schätzungen zufolge kommen Jugendliche erstmals im Schnitt mit 13 Jahren mit Pornografie in Kontakt. Laut einer Studie der Landesanstalt für Medien NRW 2023 hat mehr als jeder Dritte zwischen elf und 17 Jahren schon einen Porno gesehen; der Erstkontakt erfolgt demnach meist zwischen dem zwölften und 14. Lebensjahr. Nicht selten sind sie damit überfordert: Jeder zweite Befragte hat in Pornos Dinge gesehen, die er oder sie lieber nicht gesehen hätte.
Die Idee des Jugendschutzes habe Sinn ergeben, als Porno noch eine physische Ware war. Im digitalen Zeitalter funktioniere sie jedoch nicht mehr, sagt Madita Oeming. Sie plädiert daher für Bildung und Aufklärung, spätestens wenn Kinder und Jugendliche ihr erstes eigenes Smartphone erhalten: "Denn momentan lassen wir sie komplett allein mit diesen Erfahrungen und auch mit den Überforderungen, die damit verbunden sein können.“

Wenn Kinder und Jugendliche Erfahrungen mit Pornos machen

Wie können Eltern oder Lehrkräfte Aufklärung leisten? Indem sie selbst Porno-kompetent werden, rät Oeming. Dazu müssten sie sich zunächst selbst vorurteilsfrei und aufgeklärt mit Pornografie auseinandersetzen. Auch sei es notwendig, die eigene Haltung zu Sexualität, Masturbation und Pornografie zu überprüfen. Erst dann könnten Erwachsene souverän und differenziert über Pornos sprechen. Dabei müsse eine Unterscheidung zwischen Kindern und Jugendlichen getroffen werden:
„Kindern sollte man früh klarmachen: Wenn du auf pornografische Inhalte stößt, schau sie dir nicht an, schicke sie auch nicht weiter, lösche sie gleich und sprich mit einem Erwachsenen darüber“.
Mit Teenagern hingegen sollte man anders ins Gespräch gehen, so Madita Oeming. Sie sehen Pornos meist, bevor sie eigene sexuelle Erfahrungen machen. Wichtig sei klarzustellen: „Das ist eine Inszenierung von Sex. Und die hat nicht viel mit dem Sex zu tun, den wir im Alltag selbst haben oder den ich beim 'ersten Mal' erwarten kann. Pornografie lebt von Übertreibungen." Pornos seien eher „Actionfilme“ als Dokumentationen oder Aufklärungsfilme.

Sexuelle Befreiung? Der Umgang mit Pornografie

Konsum von Pornografie ist heutzutage generell weitverbreitet – befördert von Internet, sozialen Medien wie auch von der Möglichkeit des anonymen und teilweise kostenlosen Zugangs. Die Zahlen differieren. Der Psychologe Rudolf Stark von der Forschungsgruppe "Pornografiekonsum und Hypersexualität" an der Universität Gießen, geht davon aus, dass etwa 90 Prozent der Männer und 50 Prozent der Frauen zwischen 18 und 30 in Deutschland gelegentlich Pornografie nutzen.
Besonders häufig sei der Pornografiekonsum bei Single-Männern: häufiger als zweimal pro Woche. Laut einer Analyse der weltweiten Internetnutzung der Firma Similarweb enthalte weltweit etwa 8,5 Prozent des Internetverkehrs pornografisches Material, in Deutschland etwa 12,5 Prozent.
Gleichzeitig sei Pornografie weiterhin „schambesetzt, tabuisiert und wir haben mehr gefühltes Wissen als tatsächliches Wissen zum Thema Porno“, meint Madita Oeming. Beispielsweise hätten Menschen noch immer ein schlechtes Gewissen, wenn sie Pornos konsumieren. Gerade in Partnerschaften gebe es oft die Vorstellung, Solosexualität und Pornos stünden in Konkurrenz zur Sexualität mit dem Partner, vergleichbar etwa mit dem Fremdgehen.
Ob die Pornografie die sexuelle Befreiung befördert hat, lässt sich nach Oeming daher nicht eindeutig beantworten. Doch sie sieht darin zumindest ein gesellschaftlich emanzipatorisches Element: So breche Pornografie die "konservative" oder romantische Gleichsetzung Sex = Liebe auf.

Wenn das Vergnügen am Porno zur Sucht wird

Bei einem kleinen Teil der Nutzer entwickelt sich ein zwanghaftes Verhalten beim Konsum: die "Pornosucht", in der Psycholgie als Pornografie-Nutzungsstörung bezeichnet. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schlägt die Diagnose "zwanghafte sexuelle Verhaltensstörung" vor.
Pornografiesucht gilt als behandlungsbedürftige psychische Erkrankung. Betroffene schauen immer wieder Pornos, können daher ihrer Arbeit oder dem Schulalltag nicht mehr nachgehen, vernachlässigen ihr soziales Leben, ihre Gesundheit oder andere Aktivitäten und empfinden einen Leidensdruck. Eine Psychotherapie kann helfen, die Pornosucht zu behandeln. Laut dem Portal "PonLoS" sind jedoch bislang wenige Psychotherapeuten und -therapeutinnen speziell in diesem Bereich ausgebildet. Auch gebe es bisher kaum wissenschaftlich etablierte Behandlungskonzepte.

Pornografiebranche: Kritik und Wandel

Auch heutzutage gibt es Kritik an der Pornografie, die teilweise ethisch argumentiert. Häufig genannte Einwände gegen Pornografie sind beispielsweise: Menschen würden in Pornos auf ihre Sexualität und auf Sexobjekte reduziert, Pornografie vermittle ein verzerrtes Bild von Sexualität, das nicht der real erlebten Sexualität der Menschen entspreche und diese daher verunsichere, und die Pornoindustrie beute ihre Darsteller aus.
Die Pornografie als Wirtschaftszweig und Medienbranche hat sich jedoch gewandelt und zeigt sich heute differenziert. Neben ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen gibt es auch Pornoproduktionen, die ohne fragwürdige Stereotype auskommen und auf sichere und faire Arbeitsbedigungen achten. Viele Akteure, Darsteller und Darstellerinnen geben an, gerne und mit Spaß in der Branche zu arbeiten.

cs