Pornografisches Online-Dating

1982 in Dresden geboren, ist die Autorin mit dem wohl begehrtesten Spielzeug des medialen Zeitalters, dem PC, ganz selbstverständlich aufgewachsen. Gäbe es ihn nicht, wäre dieser klare und unbedingte Roman über das Spielen nicht entstanden.
Die Tätigkeit des Spielens ist in Franziska Gerstenbergs Debütroman Programm. Schließlich ist der Begriff in allen Lebensbereichen virulent und schließt freudvolle wie krankhafte Formen ein. Im Spiel, das in zahlreichen Konnotationen vorkommt, scheint ein Kippmechanismus zu lauern. Aus einem gesunden Spieltrieb kann schnell Spielsucht werden. Außerdem gilt es, verbindliche Regeln zu beachten.

Zwei Spieler lässt Gerstenberg gegeneinander antreten: den Rechtsanwalt Reinhard, fünfzig, geschieden, kinderlos und Kristine, alleinerziehende Mutter und zehn Jahre jünger als Reinhard. Dass sie sich kennen lernen, verdanken sie dem Internet. Doch nicht der Link Parship.de und die Kategorie "Gebildete Mitglieder mit Niveau und Persönlichkeit" haben die beiden zueinander geführt. Der sexuell unterversorgte Mann ist auf einer Dating Plattform mit pornographischem Inhalt auf die Frau aufmerksam geworden. Da die aus dem Internet heruntergeladene Version Kristine weitestgehend mit der Echtzeit-Kristine aus Fleisch und Blut übereinstimmt, treffen sie sich fortan. Um ihre sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen, inszenieren sie Rollenspiele: Bauer und Magd, Arzt und Patientin, Lehrer und Schülerin. Aus Ermangelung eigener Phantasien greifen sie auf vertraute wie stumpfsinnige Spielarten zurück, die ebenfalls im Internet angeboten werden.

Während Reinhard bereits das visuell Vorgespielte erregt, und Kristine ein derart erregter Reinhard schmeichelt, suchen sie immer neue Spielvarianten aus, um sie miteinander auszuleben.
Gerstenberg richtet ihr narratives Interesse nicht auf die Darstellung dieser Spiele. Dennoch werden Details konkret benannt, was nicht ohne Komik ist. Ihre Erzählweise zoomt die Figuren während des Spielens schonungslos heran.

Nicht nur Reinhards und Kristines Innenleben werden nach außen gekehrt. Überzeugend ist, wie Gerstenberg die Unschuld der sechsjährigen Tochter Emma, die gern mit den Erwachsenen spielen möchte und immer wieder abgewiesen wird, verfolgt. Mit dem Spiel ihres Lebens beschäftigt, schrumpft der Realitätssinn der Erwachsenen. Als Reinhard schließlich auf die Idee kommt, die nörgelnde Emma in ihr Spiel einzubeziehen, steigt Kristine aus.

Franziska Gerstenbergs Roman besticht durch die Klarheit und Unbedingtheit, mit der sie ihre Idee vom Spielen realisiert, ohne dabei den Feinschliff bei den Figuren wie Nebenhandlungen zu vernachlässigen. Im scheinbar Abseitigen entwickelt sie eine unglaubliche Nähe. Mit der Figur des geistig zurückgebliebenen und arbeitslosen Nachbarn Meisner, bei dem Emma Zuflucht findet, da ihr das eigene Heim zunehmend fremd wird, gelingt ihr ein bewegendes Porträt einer sozialen Randfigur, die im Ernstfall den Sündenbock zu spielen hat.

Besprochen von Carola Wiemers

Franziska Gerstenberg: Spiel mit ihr
Roman
Schöffling & Co. Verlagsbuchhandlung GmbH
Frankfurt am Main 2012, 259 Seiten, 19, 95 Euro