„Mein Cello und ich“
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Gregor Piatigorsky war einer der bedeutendsten Cellisten des 20. Jahrhunderts. Sein abenteuerliches Leben führte ihn von der Ukraine über Moskau und Berlin nach Kalifornien. Mischa Maisky, einer seiner letzten Schüler, erinnert sich.
1903 in einer jüdischen Familie in Jekaterinoslaw in der heutigen Ukraine geboren, wächst Gregor Piatigorsky unter schwierigen Bedingungen auf. Schon als Kind kämpft er sich durchs Leben. Gregor, der damals noch Grigorij hieß, muss schon als Kind mitverdienen. Mit acht Jahren spielt er Cello in Restaurants, in einem Nachtklub und auch im Orchester eines Stummfilm-Kinos.
Früh im Beruf
1912, da ist Gregor neun Jahre alt, zieht die Familie nach Moskau. Gregor wird mit einem Stipendium als Schüler am Moskauer Konservatorium angenommen. Der begabte Schüler macht schnell Fortschritte, die Aussichten auf eine Cellistenkarriere sind gut – doch dann kommt 1917 die Oktoberrevolution.
Allein in Moskau
Die Familie Piatigorsky flieht vor Hunger und Gewalt der Bolschewiki zurück nach Yekaterinoslaw. Seine Eltern und Geschwister wird Gregor nicht mehr sehen – denn er bleibt in Moskau, und kommt über die Runden, indem er in Cafés spielt. Einmal hört ihn dort der Geiger Lev Zeitlin – und fragt den Fünfzehnjährigen, ob er in seinem Streichquartett als Cellist spielen wolle. Es ist das erste staatliche Streichquartett der neuen Russischen Sowjetrepublik, das später Leninquartett heißen wird. Gregor spielt den Mitgliedern vor und wird sofort engagiert.
"Schokoladen-Baby" im Bolschoi-Theater
Auch bewirbt er sich um eine Stelle als Solocellist im Bolschoi-Theater – und bekommt sie. Mit 15 Jahren wird er der jüngste Solocellist des Hauses. Als einziges Mitglied der Truppe erhält Gregor Piatigorsky die Kinderlebensmittelration, die hauptsächlich aus Süßigkeiten besteht. Dafür bekommt er im Orchester den Spitznamen "Schokoladen-Baby".
Durch den Grenzfluss nach Polen
So schön das Spielen im bedeutendsten Orchester Russlands ist – Piatigorsky möchte aus dem vom Bürgerkrieg zerrütteten Russland weg. 1921, während einer Konzerttournee in der Westukraine, flieht Gregor Piatigorsky aus Russland. Schmuggler helfen ihm und seinem Freund, dem Geiger Misha Mishakov, nach Polen hinüberzugelangen.
Zuhause auf einer Bank im Tiergarten
Nun war ihm zwar erfolgreich die Flucht nach Polen geglückt, doch was nun? Er hat kein Geld, keine Arbeit, keine Unterkunft. Mit Zufallsjobs schlägt sich der 17-Jährige nach Berlin durch. Eine Bank im Tiergarten wird sein Zuhause. Auf dieser Bank begegnet er eines Tages einem Flötisten der Berliner Philharmoniker, Paul Bose.
Bose fragt Pjatigorsky, ob er mit anderen Musikern und dem Pianisten Artur Schnabel eine Aufführung von Arnold Schönbergs "Pierrot Lunaire" spielen wolle. Natürlich sagt der Cellist zu. Der wichtigste Teil der Probe ist für Piatigorsky die Pause. Denn im Nebenraum stehen Tee, Brötchen und Kuchen bereit – die einzige Mahlzeit, die er an diesem Tag in den Magen bekommt.
Solocellist bei den Berliner Philharmonikern
Die Bekanntschaft mit Bose ist schicksalhaft – der Flötist arrangiert ein Vorspiel bei den Berliner Philharmonikern. Wilhelm Furtwängler stellt den Cellisten auf der Stelle ein. Von der Parkbank zum ersten Cellisten der Berliner Philharmoniker – so etwas konnte nur Piatigorsky passieren. Vier Jahre lang, von 1924 bis 1928 spielt Gregor Piatigorsky am ersten Cellopult der Berliner Philharmoniker – und hinterlässt der Welt sehr witzige Erinnerungen über den Alltag in dem Ensemble unter dem großen Furtwängler.
Als Solist in die Neue Welt
1928 verlässt Gregor Piatigorsky die Berliner Philharmoniker – sein phänomenales Spiel wird berühmt, Konzerte als Solist mehren sich, er kann sie nicht mehr mit dem Orchesterdienst vereinen. Es beginnt die Zeit der Konzertreisen, zunächst durch Europa, und 1929 auch durch die USA. Piatigorsky musiziert mit Sergej Rachmaninow, Sergej Prokofjew, Igor Strawinsky, Béla Bartók.
Richard Strauss ist von seiner Interpretation des anspruchsvollen Cellosolos in seinem "Don Quixote" begeistert, und bescheinigt Piatigorsky, er habe es genauso gespielt, wie er, Strauss, es sich gewünscht habe. Hinzu kommen Kammermusikauftritte mit Künstlern, deren Namen heute legendär klingen: Arthur Schnabel, Jascha Heifetz, Natan Milstein, Vladimir Horowitz.
Das "Million Dollar Trio"
Ende der 1920-er Jahre gründen Natan Milstein, Vladimir Horowitz und Gregor Piatigorsky das Trio "Die drei Musketiere", das in Europa berühmt werden sollte. Doch es existiert nicht lange – zu oft strömen die Solisten in verschiedene Weltrichtungen zu eigenen Soloauftritten. Später wird in den USA ein anderes Trio entstehen: Arthur Rubinstein, Jascha Heifetz und Gregor Piatigorsky. Von der Presse bekommt dieses Ensemble den Spitznamen "Million Dollar Trio".
Mitte der 1930er-Jahre lebt Gregor Piatigorsky in Paris. Hier lernt er seine zweite Frau kennen, Jacqueline de Rothschild, Erbin des großen Bankhauses. 1937 bekommt das Paar die Tochter Ephta. Doch schon zwei Jahre später müssen sie vor den Nazis fliehen – mit einem der letzten Schiffe aus Frankreich setzen sie in die USA über. Das wird von nun an die neue Heimat von Gregor Piatigorsky. Die Nazis beschlagnahmen das riesige Vermögen der Rothschilds: darunter Gemälde, Anwesen und vieles mehr, auch ein Stradivari-Cello.
Kammermusiker und Lehrer
Jaqueline Rotschild beginnt bald eine Karriere als Schachspielerin, gewinnt mehrere Tourniere. Piatigorsky konzertiert, spielt im "Million Dollar Trio" zusammen mit Jascha Heifetz und Arthur Rubinstein und unterrichtet viel. Zunächst am Curtis Institute of Music in Philadelphia, in den 1950-er Jahren an der Boston University.
Ab 1962 ist Gregor Piatigorsky Professor an der University of Southern California, wo er die Musikfakultät aufbaut. Eben dort unterrichtet Piatigorsky den Cellisten Mischa Maisky im Jahr 1974. Der Unterricht fand aber auch oft beim Professor zu Hause statt.
Die deutsche Übersetzung des Buches "Mein Cello und ich" ist erschienen bei dtv, aber auch online verfügbar.
Heute werden große Teile seines Nachlasses im Piatigorsky-Archiv an der Colburn School in Los Angeles aufbewahrt.
Der Film "Cellist –The Legacy of Gregor Piatigorsky" von 2018 zeichnet das Leben des Künstlers nach.