Porträt

Ein Mann mit Herzenssprache

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Arno Camenisch © Arno Camenisch / Fotografin: Yvonne Böhler
Von Susanne von Schenck |
Die Literatur der Schweiz ist vielfältig und vielsprachig: deutsch, französisch, italienienisch. Und auch rätoromanisch - heute sprechen noch ca. 50.000 Menschen diese rau und melodisch klingende Sprache. Einer der originellsten Autoren, die in dieser Sprache schreiben und veröffentlichen, ist Arno Camenisch. Seine Bücher wurden in 15 Sprachen übersetzt, und zu seinen Lesungen strömen die Menschen.
"Das, was mir in Biel gefällt ist: es ist ein bisschen verwaschen. Es ist nicht so herausgeputzt wie vielleicht Luzern oder andere Städte und es hat einen ganz eigenen Geruch, das gefällt mir. Es hat so etwas Unperfektes."
Auf dem Kopf eine blaue Strickmütze, im Mundwinkel eine glimmende Zigarette – so schlendert Arno Camenisch vom Bieler Bahnhof in die Altstadt zu seiner Wohnung. Er lacht viel, hat Charme, und wenn er in seinem helvetischen Singsang spricht, hört man ihm gern zu. Seit sieben Jahren lebt er in Biel.
"Ich war davor fünf Jahre im Ausland, ich war zwei Jahre auf Reisen, ein bisschen durch die ganze Welt und habe dann drei Jahre in Madrid gelebt und danach hier das Schweizerische Literaturinstitut gemacht. Und jetzt lebt meine Tochter hier mit ihrer Mutter, sie ist sechsjährig, das ist der Grund, warum ich auch noch in Biel bin."
Aufgewachsen ist der heute 34jährige in Tavanasa, einem kleinen Bergdorf in Graubünden. Dort wird noch rätoromanisch gesprochen, eine Sprache, die inzwischen im UNESCO Weltatlas für bedrohte Sprachen gelistet ist. Arno Camenisch wuchs zweisprachig auf: deutsch und rätoromanisch.
"Diese Polyphonie aus meiner Kindheit, die hat mich geprägt fürs Schreiben."
Auf der Alp in Tavanasa
Genauso wie sein Heimatdorf Tavanasa. Es wird ihm allerdings bald zu eng. Mit 16 Jahren zieht er nach Chur und besucht das Lehrerseminar, von da aus geht es weiter. Aber Tavanasa mit der Alp, den Ställen, der Wirtschaft, der Dorfstraße macht er immer wieder zum Schauplatz seiner Romane. Auf originelle Weise hat Arno Camenisch diese Welt, der schnell der Geruch des Heimattümelnden anhaftet, literatur- und salonfähig gemacht. In seinen Geschichten verarbeitet er auch seine eigenen Kindheitserfahrungen auf der Alp.
"Im ersten Sommer war ich neunjährig und hab da mit einem von meinen zwei Brüdern und mit Erwachsenen, die wir nicht kannten, ganze Sommer verbracht. Und das ist eine sehr harte Zeit, finde ich. Da steht man um vier Uhr auf, es ist vor allem körperliche Arbeit, über Mittag hat man 'ne kleine Pause, aber dann geht es bis acht, halb neun abends. Das hat mich schon geprägt. Geblieben ist eine Faszination für die Körperlichkeit an sich, für die Materialität, aber auch immer die Kehrseite."
Das ist auch in seinem 2009 erschienen Roman "Sez Ner" zu spüren.
Mit "Sez Ner", dem ersten Band seiner Bündner Trilogie, wird Arno Camenisch schlagartig zum "shooting star" der rätoromanischen Literatur. Seine Werke sind bereits in fünfzehn Sprachen übersetzt, zu seinen performanceartigen Lesungen strömt das Publikum, und der Autor wurde mit Preisen überhäuft.
Mit viel Witz und Schlitzohrigkeit erzählt der Schriftsteller in seinen Büchern von saufenden Alp-Hirten, groben Kerlen und auch von skurrilen Freunden, wie in seinem letzten Roman "Fred und Franz".
Sprache des Herzens
"Wie lange hängen wir schon hier ober, fragt der Franz. Zwei Stunden und ein paar Groschen sagt der Fred. Um runterzuspringen sind wir zu hoch, fragt der Franz. Kannst ja versuchen, brichst dir die Beine. Porca miseria, sagt der Franz, einfach den Sessel mit Leuten drauf am Abend abschalten. Bei diesem Nebel, sagt der Fred, das passiert, ist sicher nicht böse gemeint…."
Im Casino, beim Holzhacken, auf dem Sessellift oder vor dem Kiosk – in 24 Alltagsszenen begleitet der Leser die beiden Graubündner Freunde durch ein Jahr und hört ihnen zu, wie sie über das Leben, die Liebe und den Tod räsonieren.
"Die Texte spielen in Graubünden, die könnten auch irgend woanders spielen. Für mich ist völlig unwichtig, welches Land es jetzt ist oder nicht. Es geht bei mir immer um den Menschen und die Fragen, die meine Figuren umtreiben, die sind ortsungebunden und auch zeitlos."
Man trägt den Sound mit, sagt er und stellt bald fest, dass er lieber auf Deutsch schreibt und nicht in seiner Muttersprache - eine Eigenschaft, die er übrigens mit einigen seiner rätoromanischen Schriftstellerkollegen teilt. Denn wer auf deutsch schreibt, sichert sich auch eine größere Leserschaft.
"Romanisch ist die Sprache meines Herzens und Deutsch ist für mich meine Literatursprache. Wenn ich auf Romanisch schreibe, habe ich manchmal das Gefühl, ich sei zu nahe am Stoff dran, ich sehe nur den Baum und nicht den ganzen Wald. Und wenn ich auf deutsch schreibe, habe ich das Gefühl, das Distanzverhältnis stimmt."
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