Porträt einer Schäferin

Für die Schafe und gegen Bürokratie

Eine Aktion von Schäfern vor dem EU-Parlament in Straßburg
Schäfer vor dem EU-Parlament in Straßburg © picture alliance / dpa
Von Judith Zacher |
Ruth Haeckh arbeitet seit mehr als 30 Jahren als Schäferin. Einen Achtstundentag gibt es für sie nicht, auch an Weihnachten oder Neujahr wollen die Tiere versorgt sein. Sie kämpft gegen die Bürokratisierung ihres Berufs, denn: sie liebt ihn.
Der eisige Wind bläst übers flache Donaumoos, der Boden ist feucht und kalt. Die beiden Altdeutschen Hütehunde Susi und Joey umkreisen eifrig die Mutterschafe und ihre Lämmer.
"Joey, komm her..."
Die Tiere friert es nicht, in dem eisigen Wind. Schäferin Ruth Haeckh aber zieht den dunkelgrünen Schäfermantel enger um die Schultern, tauscht die dünnen Handschuhe gegen Wollhandschuhe. Solange es irgendwie möglich ist, ist sie mit ihren Schafen draußen. Auch im Schnee finden sie noch Futter. Nur wenn eine dicke Eisschicht den Boden überzieht, dann kommen die Schafe in den Stall. Ansonsten zieht sie mit ihren rund 500 Tieren durchs Donaumoos oder die Schwäbische Alb:
"Das ist eine relativ kleine Herde, normalerweis hab ich mehr. Es sind relativ wenige. Ich habe jetzt noch unter 300 Mutterschafe, früher hab ich mehr gehabt, aber es wird ja auch abgebaut. Ich werde älter und die Situation wird schwieriger."
Denn: Es gibt immer weniger Weideflächen, immer mehr Ackerland wird intensiv bewirtschaftet. Für die Schäfer und ihre Schafe ist da oft kein Platz mehr:
"Im Herbst und im Winter ist es sowieso schwierig, weil alles mit Mist und mit Gülle voll ist, das sind ja keine Bulldogg mehr das sind ja LKW und da fahren die zu zweit zu dritt der ganze Tag, also das meist hier ist voll mit Gülle und dann fressen die nicht mehr. Wir wollen ja auch nicht aus der Kloschüssel essen und so ist das für die Schafe auch. Das war früher einfach nicht."
Ruth Haeckh runzelt die Stirn, lässt den Blick über ihre Herde schweifen. Die Tiere fressen heute gut. Das ist wichtig, denn in den nächsten Tagen muss die Schäferin einen weiten Weg mit ihnen gehen:
"Morgen oder übermorgen gehen wir hier weg, auf die Alb dann hab ich 20 Kilometer an dem Tag, da muss man früh raus, das ist extrem anstrengend."
Geld aus Landschaftspflegeprogramm
Für die Beweidung der Heiden in der Schwäbischen Alb bekommt Ruth Haeckh Zuschüsse aus dem Landschaftspflegeprogramm. Das macht einen großen Teil ihres Einkommens aus. Für die Wolle bekommt man heutzutage fast nichts mehr, nur das Fleisch bringt noch etwas Geld. Gerade ist Francesco gekommen, Ruth Haeckhs Partner. Gemeinsam verladen die beiden ein paar Lämmer, sie sollen zuhause geschlachtet werden. Ob ihr das schwerfällt?
"Es geht ja gar nicht anders, ich kann die nicht halten und es werden immer mehr, und wenn niemand essen würde, weil sie denken, die armen Tiere, dann könnte ich nicht leben, dann könnten die gar nicht leben. Das muss man klar sehen. Und ich tu sie eigentlich lieber selbst schlachten als dass ich sie verkaufen, weil ich weiß, die sind in zehn Minuten daheim, und zwischen Stall und Schlachtraum sind zwei Meter, also besser gehts nicht".
Der Schlachtraum ist direkt neben ihrem Stall in Sontheim. Vor ein paar Jahren hat sie ihn umgebaut, damit sie die EU-Zulassung bekommt. Seit kurzem trägt ihr Betrieb auch ein Biozertifikat. Da musste sich auch ihr Vater ziemlich umstellen. Er baut nämlich noch heute das Getreide für die Schafe selbst an, und war anfangs schwer zu überzeugen, von Ruths Philosophie:
"Das Prinzip ist das, dass ich versuche, die Bodenfruchtbarkeit zu erhalten, dass ich die Mikroorganismen, die im Boden sind, das Bodenlebewesen, das ist der Grundstock, erhalte. Wenn das da ist, ist die Fruchtbarkeit da von dem Acker und das Getreide gesünder und natürlich braucht man auch ein gewisses Wissen und da hab ich mich reingekniet und Fortbildungen gemacht, dass ich weiß was ist Fruchtfolge, wann was, das sind alles Sachen die sind langfristig geplant und überlegt und wohlüberlegt".
Ihre Kunden vor Ort wissen das schon lange. Aber gerade bei der überregionalen Vermarktung oder der Zusammenarbeit mit Händlern bringt ihr das Biozertifikat bessere Einnahmen. Die meisten Kunden bestellen allerdings persönlich bei ihr, per Telefon.
So hat sie heute Vormittag schon ein paar Bestellungen aufgenommen, im Büro, nach der Stallarbeit. Die beginnt gegen sieben Uhr morgens. Während Francesco noch die Hundezwinger sauber macht, geht Ruth in den Stall, schaut nach dem Rechten. Die meisten Tiere sind ja sowieso noch draußen, nur wenige waren über Nacht hier. Ein paar Lämmer, die ihre Mutter verloren haben sind hier:
"Die anderen, da lässt sie sie nicht mehr trinken, die haben wir jetzt im Stall, die kriegen extra Futter, die kriegen Heu und extra Getreide, Hafer und ein bisschen Mehl, und die Böcke sind herein, die streiten sich schon wieder, die haben sich ziemlich gestoßen und der eine hat was am Fuß, da schauen wir jetzt nachher mit Francesco ob die Füße besser sind."
Eine schwarz weiß gefleckte Katze umstreicht ihre Beine, ein anderes Kätzchen schaut sie erwartungsvoll an.
"Ach den Katzen holen wir geschwind was, die warten schon."
Ruth geht aus dem Stall, zu einer großen Tonne:
"Oh das sind größere Rationen, die sie da haben."
"Ja ich hab ja mehrere Katzen."
Arbeiten, notfalls auch mit Erkältung
Sie schüttet das Trockenfutter in eine Schale im Stall, streicht der Katze übers Fell, steht auf, reibt sich die Hände, klappt ihren Kragen hoch.
"Ich hab mich erkältet die Woche, heut Morgen geht's aber."
"Aber das ist schlecht?"
"Das ist ganz schlecht. Gestern wars ganz schlimm. Man muss trotzdem raus. Jaja, und wenn dann so ein kalter Wind wie gestern, das war nicht so toll."
"Aber so richtig krank sein gibt's nicht, Bett?"
"Net wirklich. Jetzt heute Morgen geht's aber, da schläft man halt nachts auch nicht gut."
"Veni dentro?"
Ruth ruft Francesco herein, gemeinsam wollen sie die Füße der Schafe kontrollieren. Der Italiener ist seit sechs Jahren in Deutschland, spricht aber nur wenig deutsch.
"Nach den Füßen schauen hieß das? Come fare adesso?"
Die Schafe, die behandelt werden sollen, kommen in ein extra Gatter im Stall. Bereitwillig lassen sie sich hineintreiben.
"Ah ja... Da schauen wir jetzt die Füße nach. La piccola? faciamo..."
Mit dem Haken an ihrem Schäferstock fängt die schlanke Frau geschickt eines der Schafe am Hinterbein ein, Francesco packt es am Hals. Der zierliche, drahtige Italiener wirkt noch kleiner neben dem stattlichen Bock. Aber er erwischt ihn gut, schafft es, dass er still hält:
"Die werden jetzt auf den Hintern gesetzt, dann sitzen die relativ ruhig, dann kann man auf die Füße schauen."
Rücksicht auf die Schafsklauen
Ruth setzt ihre azurblaue Brille auf, wirft ihre zum Zopf geflochtenen dunkelblonden Haare zurück. zieht dünne Handschuhe an, zückt ein kleines Taschenmesser, klappt es auf und schnappt sich einen Schaffuß. Auch ein ungeübtes Auge sieht, das Tier hat sich an der Klaue verletzt, die Wund nässt:
"Die hat sich hier Steine reingetreten, das hat sich ganz bös entzündet, das dauert eben seine Zeit bis das geheilt ist."
"Wird jetzt ausgeschnitten?"
"Ja. Wenn das Wetter so nass ist sind die Klauen relativ weich und wenn die so viel auf Straßen und Wegen laufen, passiert das schon mal."
Vorsichtig schneidet sie ein wenig Horn von der Klaue ab und versiegelt die Wunde dann mit einem Spray. Ruth und Francesco sind ein gutes Team. Seit fast dreizehn Jahren lebt der Italiener mit ihr auf ihrem Hof.
"Mein Hobby ist ja reiten, und wir haben uns da kennen gelernt. Ich war mit dem Pferd unten in Italien beim Ausreiten dann ist er hierhergekommen. Also er war nicht ursprünglich Schäfer, sondern war Maurer und hat auf dem Bau gearbeitet. Und jetzt macht er das und er machts gerne."
Francesco lächelt verlegen, während Ruth über ihn spricht. Alles versteht er nicht. Aber: dass es um ihn geht, natürlich schon. Seit fast dreizehn Jahren ist er nun der Schäfer und der Mann an Ruths Seite. Ihr früherer Mann hat das Weite gesucht:
"Der Vater meiner Kinder der war Schäfer. Aber der macht jetzt was anderes. Das wars dann doch nicht für ihn."
Für Francesco aber ist dieses Leben mit den Schafen das Richtige. Als er Ruth zum ersten Mal gesehen hat, wusste er das natürlich noch nicht. Eines aber wusste er gleich:
"Ruth ist meine Frau für alles. Ja. Mein Frau Lebens."
Kaum Zeit zum Nachdenken
Vorher hat sie den Betrieb zusammen mit ihrem Ehemann geführt, einem Franzosen und: auch Schäfer. Er war mit ein Grund, warum sie die Schäferei der Eltern übernommen hat. Damals, sagt sie, war sie schwanger.
"Weil man gedacht hat das geht gut, und der Vater von David und Felix war ja Schäfer, und der Betrieb war ja da."
Aber: Es ging nicht gut. Mit dem Vater ihrer Kinder hat sie viel gestritten:
"Und wo Francesco ins Spiel kam, war er schuld. Aber dass das schon Jahre vorher nicht funktioniert hat, hat man wohl in dem Augenblick nicht mehr gesehen. Aber, sag ich jetzt, es hat vielleicht von Anfang an nicht funktioniert. Aber man hat gedacht es wird noch und immer gedacht es kommt noch und wird noch aber es war halt nie."
Am Anfang waren da die Kinder. Zusammen mit der vielen Arbeit mit den Schafen blieb ihr kaum Zeit zum Nachdenken. Vielleicht war da auch zu wenig Zeit für die beiden Söhne Felix und David, die heute 20 und 23 Jahre alt sind:
"Ja, das war natürlich nicht so das Optimum. Ich hab immer das Gefühl, ich habe meine Kinder am Handy erzogen. Während für die Jungs war das, sie haben es mir erst gesagt als sie erwachsen waren. Sie hatten nie das Gefühl, dass ich nie da war, aber es war natürlich definitiv so, dass die ab einem gewissen Alter viel alleine waren. Wo die ganz klein waren mussten sie immer mit. Wenn man die wie oft am Tag anzieht und raus und in die Kälte, da hatten die das auch über irgendwann."
Die Kleinen waren morgens im Stall dabei und danach beim Hüten. Damals hatte sie noch viel mehr Schafe, deshalb auch mehr Flächen zum Beweiden, die oft weit weg vom Wohnhaus und dem Stall waren:
"Ich war ja noch viel mehr unterwegs mit den Schafen wie heute, man ist auch viel im Auto gesessen. Da war das dann nicht mehr mit Spaß und Freude wo die damit sind. Weils einfach zu oft war und später sind sie einfach alleine zuhause gewesen. Ich hab immer gearbeitet. Es ging ja auch nicht anders. Und wenn ich acht Stunden arbeite, dann ist das auch heute noch wie ein halber Tag frei, weil die anderen Tage haben ja immer viel mehr Stunden, ja. Hab ich mir auch nie Vorwürfe gemacht. Ne, das war nie. Ging nicht anders und war einfach so, ja."
So sehen das auch ihre beiden Söhne. Der ältere, David, studiert Umweltwissenschaften in Darmstadt. Nach Hause kommt er aber immer noch gerne, erinnert sich dann, an die Zeit hier, als er noch klein war:
"Es ist schon so, dass die Kindheit anders war wie bei anderen Kindern. Das wir viel draußen waren, und das anders war als normal. Aber ich bin sehr glücklich darüber gewesen, ganz ehrlich. Für mich wars ne sehr schöne Kindheit. Es war Freiheit, Natur, ich hatte immer was zu tun, konnte immer in Stall gehen, das war ein großer Abenteuerspielplatz da, dieses große Gebäude. Ich war nie unglücklich darüber."
Auch draußen mit den Schafen war er gerne als kleiner Bub, ist hinter ihnen hergelaufen, hat aufgepasst, dass keines zurückgeblieben ist. Obwohl er nun sein Studium begonnen hat, überlegt er schon immer wieder, ob das nicht doch was für ihn wäre, die Schäferei. Seine Frau ist Biologin und sehr tierlieb, aber:
"Allerdings, es ist einfach so, dass das so ein hoher Zeitaufwand ist, den man investieren muss. Und das einfach so viel Energie und Leidenschaft und Herz benötigt das Ganze. Und ich muss ehrlich sagen, für das was ich da reinstecken muss, kommt mir am Ende zu wenig raus. Ich habe einen sieben Tage Job, wo ich 12 Stunden am Tag locker beschäftigt bin. Und dass ich halt echt schauen muss, dass ich Urlaub machen kann, das ist mir aber wichtig. Das braucht einfach sehr viel Leute, Hilfskräfte und Engagement."
Die Schäferei bleibt vermutlich nicht in der Familie
Auch sein Bruder Felix, der noch daheim wohnt, liebt seine Freiheiten. Anders als David hat ihm das Leben mit den Schafen nie so gut gefallen. Sind Ruth und Francesco mal nicht da, muss er sich auch heute noch um sie kümmern. Das macht er auch gut, sagt seine Mutter stolz, aber:
"Computer ist mehr meine Welt."
"Mehr als was?"
"Als draußen bei den Schafen zu stehen, sieben Tage die Woche."
"Was schreckt noch ab? Verdienst?"
"Mein Ding ist es nicht, nein."
Deshalb wird Ruth die Schäferei wohl nicht, wie ihr Vater, an ihre Kinder weitergeben können. Sie ist ihren beiden Söhnen deshalb aber nicht böse. Sie weiß ja, wie hart das Schäferleben ist. Und sie weiß, dass es immer schwieriger wird, als Schäfer sein Geld zu verdienen. Das Weideland wird weniger, die Auflagen werden mehr. Auch hier nimmt die Bürokratie zu. Sie hat mit anderen Schäfern vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg für eine Abschaffung der Kennzeichnungspflicht mit elektronischen Ohrmarken gekämpft.
Einen Teilerfolg haben die Schäfer erzielt, es soll zumindest überprüft werden, ob diese für die Schäfer immens aufwändige Kennzeichnungspflicht Sinn macht. Sie engagiert sich auch im Bundesverband der Berufsschäfer und, kurz vor Weihnachten, ist sie sogar zum Welthirtentreffen nach Nairobi gereist, zu dem die FAO, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, geladen hat:
"Ein paar waren wir aus Europa, aber es ging wirklich quer durch, da waren die Massais aus Afrika, Touaregs waren da, dann haben wir Hirten gehabt aus der Mongolei, aus Indien, aus Nepal, also von überall. Es waren welche aus dem arabischen Raum, von überall her. Die haben nicht alle Schafe, die haben Kamele, einer aus Schweden hatte Rentiere, die haben Yaks und Wasserbüffel. Und wir haben uns getroffen, ausgetauscht und das Ziel war das, dass indem wir uns miteinander vernetzten und kennen lernen, dass wir das stärken, weil das Hirtentum auf der Welt ist ja was ganz wichtiges."
Schließlich ist etwa ein Drittel der Erdoberfläche Grasland, das nur durch Beweidung erhalten werden kann. Bei dem Kongress hat sie nun gesehen, dass die Probleme der Schäfer in Europa ganz ähnlich sind, wie die der anderen Hirten auf der ganzen Welt: Die Triebwege gehen verloren, das Weideland verschwindet. So haben die Teilnehmer des Treffens gleich konkrete Pläne geschmiedet:
"Wir wollen ein europäisches Schäfernetzwerk gründen, um uns besser zu vernetzen, weil innerhalb von Europa haben wir die gleichen Probleme und die gleiche Gesetzgebung. Und da ist es wichtig dass man besser zusammenarbeite und vernetzt, auch das haben wir da angefangen in die Wege zu leiten und erste Schritte zu machen, ja."
Ruth Haeckh steht hinter ihrem Beruf, würde ihn nie aufgeben und will für den Erhalt des Berufsstands kämpfen. Auch wenn er viele Entbehrungen mit sich bringt. Beispielsweise jetzt an Weihnachten. Während andere sich vielleicht mittags schon treffen, nachmittags gemeinsam zum Krippenspiel gehen und sich dann am Weihnachtsbaum versammeln, war sie noch draußen, bei den Tieren.
"Ich war ja jetzt seit Wochen angeschlagen, und das hat mir gut getan, dass es mal nicht so kalt war und nicht so wüst. Und wir haben mal wieder die Sonne gesehen. Also für mich war das jetzt richtig klasse. Ansonsten genieße ich das immer. Das hab ich dieses Jahr vermisst, wenn das so Abend wird an Heilig Abend draußen im Feld, dann hört man die Kirchenglocken, erst vom einen Dorf, dann vom anderen."
Zu essen gibt es Lamm aus dem Römertopf
Erst als es schon dunkel war, ist sie ins Haus gekommen, nachdem die Tiere alle versorgt waren. Inzwischen sind nämlich ein paar mehr Schafe im Stall: Die trächtigen Muttertiere haben zu lammen begonnen, und das soll im Stall passieren. Nun haben Francesco und Ruth keine ruhige Minute mehr und müssen auch nachts mehrmals im Stall nach dem Rechten sehen. Weil sie schon wusste, dass das auf sie zukommt, hat sie den friedlichen Weihnachtsabend mit Francesco besonders genossen:
"Wir haben einfach einen ganz ruhigen Abend gemacht. Das war einfach auch wunderschön, ja. Kann auch schön sein, wenn mal nichts los ist."
Denn es hat auch schon ganz andere Weihnachtstage bei den Haeckhs gegeben:
"Ich kann mich erinnern, da haben sie schon vorzeitig zum Lammen angefangen. Oder man ist bis zum Knie im Schnee gesteckt und musste füttern. Oder ein Tag mussten wir mal den Stall herrichten, weil es minus 20 Grad gehabt hat und ne Eisschicht drauf. Und die mussten in Stall und war noch nichts gerichtet. Also haben wir schon alles durchgemacht. Letztes Jahr ist mir einer mit dem Auto in die Schafe gefahren. Also wir haben schon alles gehabt. Da war ich dieses Jahr so froh, dass gar nichts war."
Zur Feier des Tages hat Francesco dann auch ein Festessen gezaubert, Lamm aus dem Römertopf. Das Kochen übernimmt nämlich er, jeden Tag. Während Ruth sich nach der Stallarbeit am Morgen um den Bürokram kümmert, steht Francesco in der Küche. Meistens gibt es italienische Gerichte:
"Nudeln, mit Soße, und fertig."
"Und was für Soße?"
"Sahne, Sahne und Pomodori. Bissl Käse und fertig."
"Lecker!"
"Ja, nicht viel nicht wenig. Ruth viel Arbeit in Büro, Putzen, Haus, ich Spülmaschine, dies und schlafen."
So hat jeder seine Aufgaben. Und Ruth ist froh, dass sie, bevor sie gegen elf Uhr zu den Schafen rausfährt, eine warme Mahlzeit bekommt. Schon um zehn Uhr vormittags essen die beiden zu Mittag. Das muss dann reichen, 7, 8, 9 Stunden, solange Ruth draußen ist, bei ihren Schafen. Dort ist sie dann allein, mit ihren Tieren. Aber: Sie erlebt mehr, als man denkt. Vor einiger Zeit hat sie angefangen, diese Erlebnisse aufzuschreiben. So liegen mehrere Zettel in ihrem Arbeitszimmer neben dem Bügelbrett und der sorgfältig aufgestapelten Wäsche. Mit Textmarker sind einige Stellen angestrichen: Die Ideen für ihre neue Geschichte. Denn: Ruth hat vor einiger Zeit begonnen, Geschichten über ihre Arbeit als Schäferin zu schreiben. Veröffentlicht werden sie in einer Fachzeitschrift, dem Schäferbrief.
"Inzwischen sind sie umfangreicher die Geschichten und werden total gerne gelesen. Sowohl von Kollegen, weils das in der Form halt noch gar nicht gibt. Es gibt die Fachmagazine, wo das sachlich beschrieben ist. Aber nicht so das Erleben, das gibt's nicht geschrieben. Und das ist ja das, was die alle jeden Tag haben. Und auch die, die es lesen und nichts damit zu tun haben, finden ganz toll das zu lesen, wie das alles so ist."
Denn: Die Probleme, die Ruth bei ihrer Arbeit hat, haben auch viele andere Schäfer. Sie finden sich in den Geschichten wieder.
"Ich hab mir jetzt hier meine erste Geschichte rausgesucht. Ich denke, die passt zum Wintereinbruch."
Sie setzt ihre Brille auf und beginnt zu lesen:
"Wintereinbruch. Heute hat er die Schneeschaufel mitgenommen, anstatt des Metallschiebers, mit dem er sonst die Dreckklumpen entfernt, die die Schafe beim Überqueren einer Straße bei Schmuddelwetter verlieren. Es schneit bereits den dritten Tag. Wenigstens hat dieser eklige Wind aufgehört. Er war so schlimm, dass wir uns im Auto verkriechen mussten. Ansonsten habe ich es nur in dessen Windschatten ausgehalten. Überall ist er durchgegangen, durch jede Faser der unzähligen Schichten Kleidung.
Auch zuhause im Stall hat er den Schnee durch jede Ritze und Luke getrieben. In der Stallgasse lag Schnee auf dem Heu und den Futterhaufen. Mein Gesicht habe ich unter einer Sturmhaube tief vermummt, weil es sonst fast weh tut, wenn die Schneekristalle wie Nadelstiche darauf treffen. Den Hut hat es mir unzählige Male weggerissen, obwohl er mit einer Hutschnur befestigt war. Am Schluss ist die Hutschnur abgerissen. Die Schafe haben nur das nötigste gefressen, dann haben sie sich zusammengestellt."
Schafe mit Charakter
Sie schreibt weiter über die Schwierigkeiten bei der Futtersuche. Glücklicherweise kommen sie an einer Streuobstwiese vorbei. Hier werden die Schafe fündig, darüber ist sie froh:
"Sie sind mir die letzten Tage immer so tapfer überall hin gefolgt, nur durch Zurufen, weil sie ja wissen, dass ich sie zu neuem Futter führe."
Nun muss sie einen Platz für die Nacht finden, für ihre Schafe. Eine geeignete Stelle, wo sie den Elektrozaun aufstellen kann.
"Francesco hatte mit den Füßen eine Schneise getreten. das sei sehr anstrengend gewesen. Er hätte so geschwitzt wie im Sommer nicht. Deshalb hat er heute die Schneeschaufel dabei."
Das ist ihre erste Geschichte, die mit der Schneeschaufel. Jeden Monat kommt eine neue dazu, irgendwann, sagt Ruth, will sie die auch alle einmal in einem Buch veröffentlichen. Die Gedanken zu einer Geschichte kommen ihr draußen, wenn sie mit den Schafen unterwegs ist. Zum Schreiben kommt sie dann meist nur abends. Wenn sie damit fertig ist, gönnt sie sich noch ein wenig Ruhe am knisternden Kaminfeuer im Wohnzimmer. Auf dem Sofa und den Sesseln liegen kuschelige Schaffelle, auf dem Tisch. Strickzeug und Wolle, natürlich Schafwolle, wenn auch nicht von den eigenen Schafen. Daneben ein Stapel mit Büchern, Indianergeschichten und ein Buch über Tibet. Zum Lesen kommt sie nur abends, da aber tanzt sie auch gerne:
"Aber das beißt sich natürlich, wenn man sich eh schon den ganzen Tag bewegt und draußen ist, bin ich abends ja meistens müde. Aber ich machs trotzdem gerne. Im Moment mit einer Frauengruppe. Da machen wir Tänze im Ort, mangels Partner. Wenn ich einen Partner zum Tanzen hätte, würde ich auch gerne Paartanz machen ja."
Das mag nun aber Francesco nicht, der gerade den Tisch gedeckt hat. Er schüttet die Nudeln ins kochende Wasser, gleich gibt's Essen.
"Weil wenn ich bloß ein Stück Brot iss, um zehn, das bringt mich nicht bis abends um sechs."
Nach dem Essen, inzwischen ist es viertel nach zehn, fährt sie raus, zu den Schafen. Die warten schon auf sie. Über Nacht waren sie im Pferch. Ruth lässt prüfend den Blick über die Herde schweifen. Alles ist in Ordnung, es kann losgehen. Sie öffnet den Elektrosteckzaun, die Schafe drängen nach draußen. Hütehund Joey macht sich gleich an die Arbeit, passt auf, das sich keines der Tiere zu weit entfernt. Susi drängt sich lieber noch ein bisschen an ihr Frauchen.
"Der arbeitet nur und die Susi will nur schmusen."
Hüpfende Lämmer als Lohn für die Mühen
Der Wind pfeift noch immer übers Donaumoos. Spaziergänger sind keine unterwegs:
"Klar, die Leute kommen oft am Mittag, wenn die Sonne scheint, bei Regen kam noch keiner. Die denken das ist toll, aber es ist ein Unterschied ob man eine Stunde da ist oder zwei oder acht oder sich das raussuchen kann oder ob man das muss jeden Tag, obs einem gut geht oder schlecht oder was ist. Das sind schon zwei Paar Stiefel."
Man hört den Wind, die Krähen. Die Schafe, die Gras rupfen, und die Hunde, die hecheln.
"Und dann gehen einem schon alle möglichen Gedanken durch den Kopf, man denkt nach was war. Wenn ein Ereignis war, dann hat man natürlich auch genug Zeit oder wenns günstig ist. Ich les auch mal was, ja und dann gibt's die Momente wo wirklich gar nichts ist, wo einem Ideen kommen."
Und diese Ideen notiert sie dann auf einem Zettel. Irgendwann dann, an einem Abend, nach dem Hüten, wird wieder eine neue Geschichte daraus. Wer diese Geschichten liest, der spürt: Diese Frau ist mit Leib und Seele Schäferin, trotz aller Widrigkeiten. Sie liebt ihre Tiere, sie liebt ihre Arbeit und die schönen Momente, die sie draußen mit ihren Schafen in der Natur hat:
"Was halt schön ist, wenn man sieht, wenn alle in Ordnung sind, gesund sind. Wenn die Lämmer wachsen, sich freuen, da ist eine Gruppe Lämmer, da auf dem Weg. Und wenn man zugucken kann, wie die sich freuen und die da hüpfen ist es auch schön, das ist der Lohn für die Mühe."
Mehr zum Thema