Porträt eines Lebensabends
Wie geht unsere Gesellschaft mit Alter und Tod um? In seinem neuen Roman schildert Stewart O'Nan einige dunkle Winterwochen im Leben einer verwitweten Frau, ihren Kampf gegen die Resignation - und ihr Ringen um Würde und Selbstständigkeit.
Stewart O'Nan, Jahrgang 1961, aus Pittsburgh gebürtig, ist ein äußerst produktiver und wandlungsfähiger Autor. In seinen Romanen hat er stofflich und thematisch weit ausgegriffen, bis zum Amerikanischen Bürgerkrieg, dem Zweiten Weltkrieg und dem Vietnam-Krieg. Doch seine eigentliche Stärke ist die genaue und liebevolle Beschreibung des amerikanischen Alltags, sein eigentliches Thema sind die Fragmentierungen und Einsamkeiten der amerikanischen Lebensweise, der Niedergang des einst prosperierenden Industriegürtels um Pittsburgh und damit des wohlhabenden Mittelstandes. Ihn interessiert die Nachzeichnung der subtilen Schwankungen, Veränderungen und Verschiebungen in den Beziehungen von Familien, Verwandten, Freunden, Nachbarn und ganzen Kommunen.
In seinem zwölften Roman "Emily, allein" schließt Stewart O'Nan an den Familienroman "Abschied von Chautauqua" (2002, deutsch 2005) an. Darin ging es um den letzten Familienurlaub der Maxwells im Sommerhaus am Lake Chautauqua nach dem Tod des Patriarchen Henry, ehe das Haus verkauft wird und die Familie in untergründigen Spannungen und Streitigkeiten zerfällt und sich über halb Amerika verstreut.
Nun lässt Stewart O'Nan das Familien-Personal des Chautauqua-Romans inklusive Hund Rufus abermals auftreten, sieben Jahre später. Im Mittelpunkt von "Emily, allein" steht die Witwe Emily Maxwell, die auf die achtzig zugeht und immer noch in dem stattlichen Haus der Familie in einem einst wohlhabenden, allmählich aber etwas heruntergekommenen Viertel von Pittsburgh lebt. O'Nan erzählt eine denkbar unscheinbare und unspektakuläre Geschichte – ein paar alltägliche dunkle Winterwochen im Leben einer alten Frau, die sich müht, den Witwenstand und die restlichen Lebensjahre gefasst und gelassen in Würde und Selbständigkeit zu verbringen, den Kontakt zu den fern lebenden Kindern und Enkeln nicht zu verlieren und ihren Nachlass zu ordnen.
Es passiert nicht viel in dem Roman – und doch wird alles Wichtige thematisiert: unser aller Zukunft, fokussiert auf die Grundfrage, wie wir mit Alter und Tod umgehen und wie es um das Familienleben und den familiären Zusammenhalt bestellt ist. Der Radius von Emilys Leben hat sich verengt, die Gruppe der Menschen um sie dünnt aus, immer öfter muss sie hinter den Särgen von Freunden und Bekannten hergehen. Am nächsten steht sie der launischen und hinfälligen Schwägerin und dem alten, ebenfalls hinfälligen Hund Rufus. Die Beziehungen zu Tochter und Sohn und deren Familien (die Enkel sind inzwischen im College-Alter) sind und bleiben schwierig, die Familienbesuche zu Weihnachten und zu Ostern sind vermint, aufgeladen mit Ungesagtem.
Doch Emily resigniert nicht; vielmehr entdeckt sie neue Stärken in sich. Sie kauft ein Auto und genießt plötzlich eine neue Bewegungsfreiheit. Und sie lebt dem Frühling und der geliebten Gartenarbeit entgegen, immer im Wissen, dass es der letzte Frühling sein könnte. Stewart O'Nan umkreist seine Heldin mit Respekt und Zuneigung und porträtiert diese unauffällige alte Frau als eine souveräne, tapfere und unsentimentale. Ein stilles Buch, und eines der besten von Stewart O'Nan.
Besprochen von Sigrid Löffler
Stewart O'Nan: Emily, allein
Aus dem Amerikanischen von Thomas Gunkel,
Rowohlt Verlag, Reinbek 2012,
384 Seiten, 19,95 Euro
In seinem zwölften Roman "Emily, allein" schließt Stewart O'Nan an den Familienroman "Abschied von Chautauqua" (2002, deutsch 2005) an. Darin ging es um den letzten Familienurlaub der Maxwells im Sommerhaus am Lake Chautauqua nach dem Tod des Patriarchen Henry, ehe das Haus verkauft wird und die Familie in untergründigen Spannungen und Streitigkeiten zerfällt und sich über halb Amerika verstreut.
Nun lässt Stewart O'Nan das Familien-Personal des Chautauqua-Romans inklusive Hund Rufus abermals auftreten, sieben Jahre später. Im Mittelpunkt von "Emily, allein" steht die Witwe Emily Maxwell, die auf die achtzig zugeht und immer noch in dem stattlichen Haus der Familie in einem einst wohlhabenden, allmählich aber etwas heruntergekommenen Viertel von Pittsburgh lebt. O'Nan erzählt eine denkbar unscheinbare und unspektakuläre Geschichte – ein paar alltägliche dunkle Winterwochen im Leben einer alten Frau, die sich müht, den Witwenstand und die restlichen Lebensjahre gefasst und gelassen in Würde und Selbständigkeit zu verbringen, den Kontakt zu den fern lebenden Kindern und Enkeln nicht zu verlieren und ihren Nachlass zu ordnen.
Es passiert nicht viel in dem Roman – und doch wird alles Wichtige thematisiert: unser aller Zukunft, fokussiert auf die Grundfrage, wie wir mit Alter und Tod umgehen und wie es um das Familienleben und den familiären Zusammenhalt bestellt ist. Der Radius von Emilys Leben hat sich verengt, die Gruppe der Menschen um sie dünnt aus, immer öfter muss sie hinter den Särgen von Freunden und Bekannten hergehen. Am nächsten steht sie der launischen und hinfälligen Schwägerin und dem alten, ebenfalls hinfälligen Hund Rufus. Die Beziehungen zu Tochter und Sohn und deren Familien (die Enkel sind inzwischen im College-Alter) sind und bleiben schwierig, die Familienbesuche zu Weihnachten und zu Ostern sind vermint, aufgeladen mit Ungesagtem.
Doch Emily resigniert nicht; vielmehr entdeckt sie neue Stärken in sich. Sie kauft ein Auto und genießt plötzlich eine neue Bewegungsfreiheit. Und sie lebt dem Frühling und der geliebten Gartenarbeit entgegen, immer im Wissen, dass es der letzte Frühling sein könnte. Stewart O'Nan umkreist seine Heldin mit Respekt und Zuneigung und porträtiert diese unauffällige alte Frau als eine souveräne, tapfere und unsentimentale. Ein stilles Buch, und eines der besten von Stewart O'Nan.
Besprochen von Sigrid Löffler
Stewart O'Nan: Emily, allein
Aus dem Amerikanischen von Thomas Gunkel,
Rowohlt Verlag, Reinbek 2012,
384 Seiten, 19,95 Euro