Porträt eines Revolutionärs
Er hat die Oktoberrevolution von 1917 organisiert und die Rote Armee geschaffen: Leo Trotzki. Der Stanford-Historiker Bertrand Patenaude legte nun ein fesselndes Porträt über den Revolutionär vor.
Trotzki: "Die Tatsache, dass das Proletariat in einem der zurückgebliebensten Länder Europas zuerst zur Macht gekommen ist, scheint auf den ersten Blick ganz rätselhaft, ist aber nichtsdestoweniger vollständig gesetzmäßig. Die Kette ist an ihrem schwächsten Gliede zerrissen."
Er war eine schillernde Figur, einer der prominentesten Aufrührer des 20. Jahrhunderts: Lew Dawidowitsch Bronstein alias Leo Trotzki.
Trotzki: "Das aus dem Mittelalter sich emporhebende Bauerntum kann seine eigene Wut nicht politisch verallgemeinern. Es sucht den Führer. Diesen Führer hat das russische Bauerntum im Proletariat gefunden. Das erklärt das Rätsel der Oktoberrevolution."
Stalin verdrängte den Rivalen. 1929 trieb er ihn aus dem Land. In der Sowjetunion war "Trotzki" fortan ein Synonym für das Böse, der Feind schlechthin. Mit erfundenen "trotzkistischen" Verschwörungen begründete Stalin den Terror der Dreißigerjahre und die Schauprozesse gegen Lenins Gefährten. Trotzki wehrte sich.
Trotzki: "Diese Prozesse haben nichts mit Kommunismus oder Sozialismus zu tun. Das ist Stalinismus, das heißt die unverantwortliche Despotie der Bürokratie über das Volk. Die wahren Verbrecher sind die Ankläger."
Stalins schärfster Kontrahent ist schon oft porträtiert worden. Jetzt erscheint eine weitere Biographie: "Trotzki. Der verratene Revolutionär". Ihr Autor - Bertrand Patenaude, Jahrgang 1956 - unterrichtet Geschichte an der Stanford University. Was ist neu an seinem Buch? Patenaude konzentriert sich auf Trotzkis letzte Jahre, auf die Zeit in Mexiko.
Trotzki: "Als Monster mit absurden Anschuldigungen meine Familie bedrohten, hat die mexikanische Regierung die Türen zu diesem wundervollen Land geöffnet und uns gesagt: Hier können Sie Ihre Rechte und Ihre Ehre frei verteidigen."
Patenaude zeigt den besessenen Revoluzzer, herrisch und eitel, und den verzweifelten Emigranten. Er schildert die Affäre mit Frida Kahlo, die ihren Liebhaber "piochitas" nannte, Ziegenbärtchen. Er skizziert den Einsiedler, Trotzki, wie er Kakteen und Kaninchen züchtete.
Er zeichnet das Haus in Coyoacán, einem Vorort von Mexiko-Stadt, diese Festung, bewacht von Leibwächtern aus den USA. Und detailgenau, mit viel Melodramatik, beschreibt der Historiker das Eispickel-Attentat vom 20. August 1940.
"Plötzlich wurde die Stille des Nachmittags von einem furchtbaren Schrei zerrissen. Trotzki taumelte aus seinem Arbeitszimmer. Blut lief ihm übers Gesicht. "Seht euch an, was sie mir angetan haben!", stöhnte er. Auf dem Boden waren große Blutlachen. Ramón Mercader stand mitten im Raum und rang nach Atem, das Gesicht verzerrt, mit hängenden Armen. Robins schlug Mercader mit seinem Revolvergriff auf den Kopf. Der Attentäter fiel zu Boden."
Für sein Buch nutzte Patenaude neu erschlossene Quellen: Trotzkis Archiv, das der "alte Herr" in seinem Todesjahr der Harvard University verkauft hat, Tagebücher und Briefe, Aussagen von Leibwächtern und Sekretärinnen sowie KGB-Akten. Seine Funde hat der Autor zu einer großen Erzählung verdichtet, einer Art Erlebnisfilm.
Er schreibt so plastisch, als sei er dabei gewesen. Der Leser hat bisweilen das Gefühl, er schaue einem müden Revolutionär am Schreibtisch in Coyoacán über die Schulter. Auch ein Geheimdienst-Krimi ist dieses Buch, die Chronik einer düsteren Zeit voller Falschspiel, Intrigen, Auftragsmorde.
Was stört bei der Lektüre? Vielleicht der Voyeurismus in manchen Passagen. Die tränenreiche Theatralik gegen Ende. Und das ambivalente Verhältnis des Historikers zu seiner Figur. Natürlich: Patenaude benennt Trotzkis dunkle Seiten.
Er charakterisiert ihn als brutal und gewissenlos. Er zeigt den Narziss, "übermäßig bemüht, sich im Spiegel der Geschichte zu bewundern". Er skizziert auch das verquere Weltbild dieses Menschen, der den ersten totalitären Staat mitbegründet und ihn bis zuletzt als fortschrittlich gepriesen hat.
Andererseits: Patenaude geht so dicht an seinen Protagonisten heran, dass der Mann ihm - und dem Leser - sympathisch wird. Armer Trotzki, gehetzt und ermordet im Auftrag eines Tyrannen. Fast würden wir es vergessen: Der Mann war selbst ein Tyrann. Ein Terrorist. Ein selbsternannter Messias. Mit Blick auf seine Vierte Internationale, diese Bewegung von Auserwählten, sagte Trotzki ein paar Monate vor seinem Tod:
"Liebe Freunde. Wir sind keine Partei wie andere Parteien. Unser Ziel ist die volle materielle und geistige Befreiung der Ausgebeuteten durch die sozialistische Revolution. Niemand wird diese Revolution führen wenn nicht die Bolschewisten-Leninisten. Niemand sonst als wir."
Bertrand M. Patenaude: Trotzki. Der verratene Revolutionär
Aus dem Amerikanischen von Stephan Gebauer. Propyläen Verlag, Berlin 2010. 430 Seiten, 24,95 Euro
Er war eine schillernde Figur, einer der prominentesten Aufrührer des 20. Jahrhunderts: Lew Dawidowitsch Bronstein alias Leo Trotzki.
Trotzki: "Das aus dem Mittelalter sich emporhebende Bauerntum kann seine eigene Wut nicht politisch verallgemeinern. Es sucht den Führer. Diesen Führer hat das russische Bauerntum im Proletariat gefunden. Das erklärt das Rätsel der Oktoberrevolution."
Stalin verdrängte den Rivalen. 1929 trieb er ihn aus dem Land. In der Sowjetunion war "Trotzki" fortan ein Synonym für das Böse, der Feind schlechthin. Mit erfundenen "trotzkistischen" Verschwörungen begründete Stalin den Terror der Dreißigerjahre und die Schauprozesse gegen Lenins Gefährten. Trotzki wehrte sich.
Trotzki: "Diese Prozesse haben nichts mit Kommunismus oder Sozialismus zu tun. Das ist Stalinismus, das heißt die unverantwortliche Despotie der Bürokratie über das Volk. Die wahren Verbrecher sind die Ankläger."
Stalins schärfster Kontrahent ist schon oft porträtiert worden. Jetzt erscheint eine weitere Biographie: "Trotzki. Der verratene Revolutionär". Ihr Autor - Bertrand Patenaude, Jahrgang 1956 - unterrichtet Geschichte an der Stanford University. Was ist neu an seinem Buch? Patenaude konzentriert sich auf Trotzkis letzte Jahre, auf die Zeit in Mexiko.
Trotzki: "Als Monster mit absurden Anschuldigungen meine Familie bedrohten, hat die mexikanische Regierung die Türen zu diesem wundervollen Land geöffnet und uns gesagt: Hier können Sie Ihre Rechte und Ihre Ehre frei verteidigen."
Patenaude zeigt den besessenen Revoluzzer, herrisch und eitel, und den verzweifelten Emigranten. Er schildert die Affäre mit Frida Kahlo, die ihren Liebhaber "piochitas" nannte, Ziegenbärtchen. Er skizziert den Einsiedler, Trotzki, wie er Kakteen und Kaninchen züchtete.
Er zeichnet das Haus in Coyoacán, einem Vorort von Mexiko-Stadt, diese Festung, bewacht von Leibwächtern aus den USA. Und detailgenau, mit viel Melodramatik, beschreibt der Historiker das Eispickel-Attentat vom 20. August 1940.
"Plötzlich wurde die Stille des Nachmittags von einem furchtbaren Schrei zerrissen. Trotzki taumelte aus seinem Arbeitszimmer. Blut lief ihm übers Gesicht. "Seht euch an, was sie mir angetan haben!", stöhnte er. Auf dem Boden waren große Blutlachen. Ramón Mercader stand mitten im Raum und rang nach Atem, das Gesicht verzerrt, mit hängenden Armen. Robins schlug Mercader mit seinem Revolvergriff auf den Kopf. Der Attentäter fiel zu Boden."
Für sein Buch nutzte Patenaude neu erschlossene Quellen: Trotzkis Archiv, das der "alte Herr" in seinem Todesjahr der Harvard University verkauft hat, Tagebücher und Briefe, Aussagen von Leibwächtern und Sekretärinnen sowie KGB-Akten. Seine Funde hat der Autor zu einer großen Erzählung verdichtet, einer Art Erlebnisfilm.
Er schreibt so plastisch, als sei er dabei gewesen. Der Leser hat bisweilen das Gefühl, er schaue einem müden Revolutionär am Schreibtisch in Coyoacán über die Schulter. Auch ein Geheimdienst-Krimi ist dieses Buch, die Chronik einer düsteren Zeit voller Falschspiel, Intrigen, Auftragsmorde.
Was stört bei der Lektüre? Vielleicht der Voyeurismus in manchen Passagen. Die tränenreiche Theatralik gegen Ende. Und das ambivalente Verhältnis des Historikers zu seiner Figur. Natürlich: Patenaude benennt Trotzkis dunkle Seiten.
Er charakterisiert ihn als brutal und gewissenlos. Er zeigt den Narziss, "übermäßig bemüht, sich im Spiegel der Geschichte zu bewundern". Er skizziert auch das verquere Weltbild dieses Menschen, der den ersten totalitären Staat mitbegründet und ihn bis zuletzt als fortschrittlich gepriesen hat.
Andererseits: Patenaude geht so dicht an seinen Protagonisten heran, dass der Mann ihm - und dem Leser - sympathisch wird. Armer Trotzki, gehetzt und ermordet im Auftrag eines Tyrannen. Fast würden wir es vergessen: Der Mann war selbst ein Tyrann. Ein Terrorist. Ein selbsternannter Messias. Mit Blick auf seine Vierte Internationale, diese Bewegung von Auserwählten, sagte Trotzki ein paar Monate vor seinem Tod:
"Liebe Freunde. Wir sind keine Partei wie andere Parteien. Unser Ziel ist die volle materielle und geistige Befreiung der Ausgebeuteten durch die sozialistische Revolution. Niemand wird diese Revolution führen wenn nicht die Bolschewisten-Leninisten. Niemand sonst als wir."
Bertrand M. Patenaude: Trotzki. Der verratene Revolutionär
Aus dem Amerikanischen von Stephan Gebauer. Propyläen Verlag, Berlin 2010. 430 Seiten, 24,95 Euro