Porträt eines Sanitäters im Syrienkrieg

Vom Zivilisten zum Soldaten

Ein Syrer wird von einem Sanitäter in einer Sanitätsstation behandelt.
Ein Syrer wird von einem Sanitäter in einer Sanitätsstation behandelt. © dpa / Maxppp
Von Ulrike Klausmann |
Er lehrte an einer Universität im Irak und hatte eine akademische Karriere vor sich. Doch die Begegnung mit jesidischen Flüchtlingen in Syrien veränderte das Leben des deutschen Politikwissenschaftlers. Er zog in den Krieg und war Sanitäter an der Front.
"Einer der Momente, wo ich für mich beschlossen habe, dass dieses akademische Arbeiten zu dem Thema mir nicht ausreicht, war, als ich in einem der Flüchtlingslager in Rojava, in einem Flüchtlingslager für Jesiden war, die einige Tage vorher durch den Korridor aus dem Shingal geflohen sind."
Nennen wir ihn Max Leopold. Seinen richtigen Namen will er nicht sagen, zum Schutz seiner Familie in Deutschland. Der Mittdreißiger arbeitete als Politikwissenschaftler an einer Uni im Irak, als er 2014 das Flüchtlingslager in Syrien besuchte.
"Und das war schon zutiefst beeindruckend zu sehen, dass die da in der Wüste sitzen, dass die UN nicht hilft, dass die ganzen NGOs nicht richtig helfen, dass sie eigentlich auf sich alleine gestellt sind, ohne dass es irgendwen interessiert."
Max Leopold hängte seine Uni-Karriere an den Nagel und meldete sich bei den internationalen Freiwilligen der YPG, der Kampfeinheit syrischer Kurden.

Von der Uni in den Krieg

"Ja, sich der YPG anzuschließen, das ist relativ einfach. Man meldet sich übers Internet, fliegt in den Nordirak, den kurdischen Teil, und wird dann nach Syrien gebracht von denen."
Die YPG, syrischer Ableger der PKK, gilt im Westen als Terror-Organisation, ist aber im Krieg gegen den IS zum wichtigen Verbündeten der USA geworden.
"Man kriegt dort eine einfache Uniform, ein sehr rudimentäres Training, eine Waffe und dann wird man eigentlich relativ schnell an die Front geschickt. Und dann war da eben eine Situation, wo wir von einer fahrenden Autobombe angegriffen wurden - unsere Einheit - und ein Freund ein Bein verlor. Und es gab halt keine Ärzte, keine Sanitäter. Er wurde einfach auf so einen Pick-Up-Truck geworfen und ins Krankenhaus gefahren - zwei Stunden. Da hab ich für mich gedacht, dass ich vielleicht in dem Moment doch nicht so viel zur Hilfe beitrage. Aber dann gerade zu sehen, dass es im medizinischen Sanitäterbereich nicht nur Lücken gibt, sondern dass es quasi nicht existent ist das Sanitätswesen, da dachte ich dann: 'Das ist vielleicht ein guter Zeitpunkt zu gehen und eine Sanitäterausbildung zu machen und dann wiederzukommen, und das hab ich dann ja so gemacht."

Folgenreicher Tod eines Freundes

Seine Mutter war dagegen. In nächtelangen Diskussionen versuchte sie ihn umstimmen. Vergeblich. Im Februar 2016 ging Max Leopold wieder nach Syrien. Weil die Kommandeure wussten, dass er jetzt ein ausgebildeter Sanitäter war, setzten sie ihn an der Front ein.
"Und wenn man eben in diesem ersten Team ist, wird man halt zwangsläufig in heftige Gefechte verwickelt, bei denen jetzt in dem Fall halt ein Freund, ein Deutscher, Shahid Rustem, gefallen ist. Er wurde von Scharfschützen erschossen. Und dann haben wir am nächsten Morgen Rustems Körper vom Schlachtfeld getragen und abtransportiert. So ist das dann."

Eine traumatische Erfahrung für Max Leopold. Dennoch: seine Entscheidung bereut er nicht..
"Diese Grundhaltung, ja man kriegt alleine eh nichts hin, die kann man auch ganz gut widerlegen. Wir haben zu fünft in Syrien, in Rojava, eine Sanitäts-Einheit gegründet aus dem Nichts quasi, unseren Krankenwagen, den haben wir auf dem Schrottplatz gefunden und wieder wett gemacht, wir haben dann bis zu meiner Abreise 200 Leuten geholfen, teilweise auch mit schwersten Verletzungen. Und das war in einer Situation, wo es nicht darum geht, wenn wir nicht da sind, macht es jemand anderes. Es war halt so, dass wenn wir nicht da waren, hat es niemand gemacht."

Organisierte militärische Abwehr gegen den IS

Im Sommer 2016 kam er wieder nach Deutschland. "Erst 'mal erholen", mehr sagt er nicht. Max Leopold ist wohlbehütet in einer Akademikerfamilie aufgewachsen. Nach dem Abi verweigerte er den Wehrdienst. Dass er dann freiwillig in Syrien gekämpft hat, ist für ihn kein Widerspruch: "Also der Grund, warum ich Zivildienstleistender war oder Kriegsdienstverweigerer, war, dass Krieg ja nicht gleich Krieg ist. Syrien ist ein Konflikt, wo es nicht darum geht, sein Hemd korrekt zu falten."
Pazifismus sei heute nicht mehr zeitgemäß, sagt er. "Es gibt bestimmte Konflikte auf diesem Planeten heute, wo eine militärische Lösung meiner Meinung nach unvermeidlich ist. Und das ist gerade, wenn man es mit so Leuten wie dem Islamischen Staat oder Boko Haram zu tun hat zum Beispiel. Ich glaube, da ist so ein wirklich konsequenter Pazifismus völlig inakzeptabel und unangebracht und bewirkt eigentlich das Gegenteil. Also ein Pazifismus im Kontext des Islamischen Staates heißt, dass mehr Leute sterben. Und der IS hört nur da auf, Leute zu verschleppen, wo er eine sehr organisierte Gegenwehr findet."
Vom Wehrdienstverweigerer zum Soldaten - vom Kämpfer zum Sanitäter. Ob er noch mal nach Syrien geht, lässt Max Leopold offen. Wenn ja, dann um den verwundeten Zivilisten zu helfen.
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