Porträt

Genie oder Chaot?

Der Techno-Pionier Dimitri Hegemann
Der Techno-Pionier Dimitri Hegemann © picture-alliance/ dpa
Von Laf Überland |
Er kam als Dorfhippie nach Berlin, züchtete Bienen auf dem Dach eines Kraftwerks, veröffentlichte Alben von Gesangsvereinen und betrieb einen legendären Technoclub. Für Dimitri Hegemann gehört das Chaos zum Alltag.
"Also ich weiß ja nicht, was Chaos ist, weil das für mich ja Realität ist. Auch dieses Springen: von einem Thema – und schon habe ich mich für ein völlig anderes, vielleicht romantisches Thema begeistern lassen."
Dimitri Hegemann ist einfach vielseitig interessiert: neugierig und mit dem Gen des besessenen Forschers ausgestattet. Dabei sieht er überhaupt nicht aus wie ein Held der Subkultur, wie der Gründer des vielleicht berühmtesten Technotempels der Welt und der Partisan des Neo-Dadaismus, wie man eines seiner Projekte mal nannte: silberweißes schütteres Haar mit einem bisschen Glatze vorn, praktisch und bequem angezogen und äußerlich eher so bieder wie das Dorf, aus dem er stammt.
Dorftrottel in der Großstadt
Und meistens spricht er mit dieser erstaunlich leisen und entspannten Stimme: zum Beispiel, wenn er erzählt, dass auch er, wie das damals in den späten Siebzigern so üblich war, die Trostlosigkeit des flachen Lands verlassen mußte. Denn es gab dort ja keine Räume für junge Leute, die ihre eigenen Lebensvorstellungen ausprobieren wollten.
"Berlin war für mich – Westberlin vor allen Dingen – so ein Sammelbecken von anders denkenden Leuten, die nach alternativen Lebensentwürfen suchten. Ich komme aus Westfalen aus einem kleinen Dorf, und ich traf, als ich 1977/78 nach Berlin kam, gleich viele andere, die auch aus Dörfern kamen ... Sagen wir mal: Diese Dorftrottel trafen sich hier in Berlin und bauten eine neue Phantasie auf, was man machen könnte, in kleinen Schritten. Mich hat das so beflügelt, dass ich einfach hiergeblieben bin."
Der logische erste Schritt am neuen Ort war natürlich, eine New-Wave-Band zu gründen: Leningrad Sandwich hieß die - seitdem nennt sich Dietmar Maria auch Dimitri -, und mit einer typisch quergedachten Hegemann-Idee stellten sie sogar mal einen Rekord auf:
"Mit einer internationalen Schnellimbiß-Tournee, wo wir an einem Tag 22 Konzerte in Berlin gespielt haben: international deshalb, weil wir bei der libanesischen Falafel-Station gestartet sind und dann zum typischen Ömür-Grill bis hin abends in Jens’ Futterkrippe."
Und der Tumult der mitreisenden Publikumsschar von 150 Leuten, die den Verkehr blockierten, machte Hegemann mit einem Schlag in der Szene bekannt, in der er und unzählige andere damals rumtobten in Westberlin.
"Und wir hatten große Pläne, wir haben die Welt drei, vier mal verändert jede Nacht. Aber was uns wirklich fehlte, war der Raum, wo wir diese Forschung im Grunde starten konnten."
Renaissance des Dadaismus
Den Raum fanden Hegemann und seine Kumpane in einer ehemaligen Schusterei im tiefsten Kreuzberg – mit großem Schaufenster: Er nannte es Fischbüro.
"Fisch stand für die Bewegung in alle Richtungen, und Büro stand für die Hoffnung, mal strukturiert arbeiten zu können. Und im Fischbüro war alles möglich."
Rednerpulte an Straßenkreuzungen und vor allem Talkshows, die sie dort Fortbildungskurse nannten und in denen Dimitri das Publikum ermutigte, zwei Minuten über sich zu erzählen - notfalls die wichtigsten privaten Telefonnummern vorlesen.
"Das Fischbüro hatte immer wieder Ideen, Inhalt mit Witz zu verbinden. Und so waren das immer sehr fröhliche Abende."
Die Feuilletons feierten das Fischbüro als Renaissance des Dadaismus, aber es gab ja noch andere Sachen zu tun, zum Beispiel diese international beachteten Krachfestivals "Atonal" für neue Musikrichtungen, die Hegemann interessant fand, weil er sie erstmal nicht verstand. Das erste gab es 1982, und beim Atonal im Nachwendejahr konzentrierte sich der Trend auf harte elektronische Tanzmusik aus Detroit, die zuhaus nicht sonderlich gefragt war.
"Aber hier in Berlin genau der Soundtrack für diese Wiedervereinigung war der Kids aus Ost- und Westberlin."
Denn in Berlin war ja kurz vorher die Mauer gefallen, und der allnächtlich durchgetanzte Wiedervereinigungstrubel, löste tatsächlich eine der größten Jugendbewegungen des 20. Jahrhunderts aus Techno. Und Dimitri Hegemann, der Hippie aus Westfalen, mittendrin: zuerst mit seinem illegalen "UFO"-Club und dann mit der alten Stahlkammer aus der Vorkriegszeit, die er zufällig in Ostberlin entdeckt hatte für die Techno-Parties und die er "Tresor" nannte ...
"Und dann aber passte alles perfekt: Der Raum – die alte Stahlkammer in der Leipziger Straße, die Musik und der Zeitpunkt: Und das war ein Treffer. Endlich mal ein Treffer! "
Tür zur Stahlkammer des "Tresor", einem legendären Berliner Club der Wendejahre
Tür zur Stahlkammer des "Tresor", einem legendären Berliner Club der Wendejahre© picture alliance / dpa / Soeren Stache
Mehr Niederlagen als Erfolge
Eigentlich sei er öfter gescheitert, als dass etwas geklappt habe, sagt Hegemann: Und dann tut ihm das richtig weh, sagt er. Aber es gibt ja noch so viel anderes zu tun. Zum Beispiel die Geschichte mit dem Subkultur-Aufbau: Die jungen Leute brauchen Räume, damit sie sich entfalten und ihre Welt finden können!
"Die Berlin-Erfahrung – wie macht man aus nichts viel."
Und in diesem Themenfeld bewegt sich Hegemann mit seinen aktuellen Plänen hauptsächlich. In seinem Kraftwerksbau, in dem der Tresor nach dem Zwangsumzug vor sieben Jahren residiert, in diesem kathedralenhaften Betongebirge des ehemaligen Heizkraftwerks Berlin-Mitte, in dem sonst Modenschauen, Ausstellungen oder auch moderne Oper stattfinden, will er demnächst eine Akademie für Subkulturverständnis verankern. Denn jugendliche Subkultur ist in diesen Zeiten vielerorts ein gefragtes Thema besonders jenseits soziologischer Theorien.
"Ich war in Shanghai mal auf einem Panel vor drei vier Jahren, und auch in China schaut man genau auf Europa und vor allen Dingen auf Berlin: was geht denn da los, warum ist das denn so? Da fragten die mich so halb Chinesisch halb Englisch übersetzt: Wie teuer ist Subkultur? Die wollten das gleich kaufen!"
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