Porträt

Schillernder Widerspruch auf zwei Beinen

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Um die große Geste nie verlegen: der britische Sänger Morrissey © picture alliance / dpa / epa Mitchell
Von Laf Überland |
In Morrissey vereinen sich Gegensätze: Mal ist er der empfindsame Sänger großartiger Popsongs, mal der polternde Misanthrop. Dafür wird er von Fans geliebt, während viele andere nur den Kopf schütteln. Den leidenden Pessimisten hat er heute abgelegt - die neue Rolle: Kurator allen Übels in der Welt.
Als Steven Patrick Morrissey aus Manchester an die Öffentlichkeit kam als Sänger der Smiths, in den frühen Achtzigern, da glitzerte englischer Pop gerade in äußerst künstlichen, glitterigen Plastik-Helden wie Wham!, Duran Duran, Spandau Ballett, Kajagoogoo - gestylt bis zum Gehtnichtmehr als Gesamtkunstwerke, die glänzten wie neonbunte Speckschwarten. Die Texte waren egal, wichtig waren nur der Hedonismus und die Hochglanzoberfläche. Für die Teenager aber, die sich in guter alter Tradition weiterhin unverstanden fühlten und darin verstanden werden wollten, kam Morrissey: ein anämischer, durchgehend schlecht gelaunter Schlacks, der richtig literarische Gedichte schrieb, die sich vor allem mit der kaputten Welt beschäftigten und der eigenen Einsamkeit. Und nur, wer nicht mehr jung genug war, empfand seine trotzig zur Schau gestellte Weinerlichkeit als Kitsch.
Verletzlichkeit und Kraftlosigkeit
Dieser Morrissey gab sich betont kapriziös: wie ein merkwürdiger, blasser Mutant aus englischer Arbeiterklasse und Oscar Wildes Aphorismen, Shakespeares Sonetten und dem schmuddeligem Glamour der New York Dolls. Dazu kamen seine eigenen plakativen Tugenden, die da hießen: Verletzlichkeit und Kraftlosigkeit.
Blütenmeere auf der Bühne wurden dann zu typischen Hinterlassenschaften von Morrisseys-Solo-Konzerten. Der Charismatiker schwenkte Sträuße herum, während er von der Armut der Arbeiterklasse sang und von Kindsmord, von Selbstmord, Hooligans und Geisteskrankheit, von korrupten Polizisten und Pädophilie. Und aus den Publikumsrängen regneten auf Konzertlänge Gladiolen, Narzissen und Tulpen herab auf den Mann, der gegen das Schlachten von Tieren sang und über Rassismus und Vertrauensbruch – oder nur über sich selbst: „Ich bin der Sohn und der Erbe einer geradezu kriminell vulgären Schüchternheit"
Seine öffentlich zelebrierte sexuelle Enthaltsamkeit war in den hedonistischen Achtzigern eine Provokation, und gleichzeitig pflegte niemand so einen misanthropischen Witz wie Morrissey.
Der Oscar-Wilde-Epigone reagiert selbst meist recht dünnhäutig auf Kritik, teilt aber gerne aus.
"Auf lange Haare sollte grundsätzlich die Todesstraße stehen", sagte er mal.
Oder:
"Tanzmusik ist die Zuflucht für geistig Minderbemittelte, gemacht von langweiligen Menschen für langweilige Menschen."
Madonna gab er mit auf den Weg, sie sei der organisierten Prostitution näher als allem anderen. Politiker kritisiert er ständig, auch seinen Hass auf die britische Königsfamilie poltert er immer wieder gern mal raus. Für überaus erregte Schlagzeilen sorgte der unerbittliche Tierschützer, als er die Menschen in China als "Unterart" bezeichnete, weil sie es fertigbrächten, Tiere auf Wochenmärkte bei lebendigem Leib zu häuten. Und als Morrissey während eines Open-Air-Auftritts in Kalifornien roch, dass gegrillt wurde, verließ er die Bühne mit den Worten:
"Ich rieche verbranntes Fleisch und hoffe bei Gott, dass es menschlich ist."
Leidenschaft und Wut nicht abgelegt
Die Smiths hat Morrissey jetzt seit mehr als einem Vierteljahrhundert hinter sich gelassen. Und nach zehn Soloalben ist er inzwischen weniger der leidende Pessimist als eine Art Kurator all der Übel in der Welt. Und er hat gemerkt, dass er nicht mehr aussieht wie Dorian Gray, sondern, 55-jährig, eher wie ein irischer Arbeiter, der aber durchaus mit sich im Reinen scheint:
"Das Alter sollte einen nicht beeinflussen. Du bist entweder umwerfend oder langweilig, egal wie alt Du bist."
Seit einer Weile wird ihm aus gesundheitlichen Gründen der Ruhestand nahegelegt, behauptet er. Aber seine Leidenschaft und seine Wut sind noch da – wenn auch etwas altersmilder geworden, und manchmal ist gar Sanftmut zu spüren.
"Gott segne uns alle, vor allem mich", sagt Morrissey. Und wenn er dann mal wirklich sterben sollte, wünscht er sich einen Grabstein mit der Morrissey-typisch lakonischen Aufschrift: "Nun, zumindest hat er es versucht."
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