Porträt-Serie zur US-Wahl (6/6)

Hier ist der amerikanische Traum zerplatzt

Ein Zelt von Obdachlosen, aufgestellt im Regierungsviertel von Washington D.C.
Ein Zelt von Obdachlosen, aufgestellt im Regierungsviertel von Washington D.C. © Deutschlandradio/ Nana Brink
Von Nana Brink |
Reginald Black kann mit dem amerikanischen Traum nichts anfangen: Mit sechs wurde er Waise, er brach die Schule ab, lebt nun auf der Straße. Sein Wunsch ist eigentlich klein: Genug Geld für die Miete eines einzelnen Zimmers würde ihm schon reichen.
"Ich habe alles gemacht für den amerikanischen Traum, aber das Puzzle geht nicht auf."
Eine belebte Straßenkreuzung im Herzen von Washington. Reginald Black steht schon seit Stunden mit seinem kleinen Wagen in der Herbstsonne. Helfen Sie den Obdachlosen! ruft er den Passanten zu und versucht zu lächeln - und zu scherzen. Ich heiße Black und bin schwarz, - ist das nicht lustig? In der Hand hält der junge schmale Mann die "Street Sense".
"Eine Zeitung, die der Armut eine Stimme gibt und demjenigen ein Einkommen verschafft, der sie verkauft. Ich nenne das Direktvertrieb."
Reginald Black, Obdachloser aus Washington D.C.
Reginald Black, Obdachloser aus Washington D.C.: Der erste schwarze Präsident Barack Obama hat ihn nie inspiriert.© Deutschlandradio/ Nana Brink
Reginald steht hier alle zwei Wochen, wenn die neue Zeitung heraus kommt. Das Stück für zwei Dollar. Manche geben mehr. An guten Tagen nimmt er 50 Dollar ein. Ein Viertel davon muss er abgeben an die gemeinnützige Organisation, die die Zeitung druckt. Immerhin - er verdient wieder etwas Geld. Sein amerikanischer Traum ist schon sehr früh zerplatzt.
"Da kommt viel zusammen. Meine alleinerziehende Mutter wurde krank und starb, als ich sechs Jahre alt war. Mit 14 hatte ich einen Unfall, dann kam die Rezession und ich habe mich auf der Straße wieder gefunden. Ich brauche irgendeine Art von Beschäftigung."

Eine günstige Wohnung in Washington gibt es nicht

Reginalds Geschichte ist typisch. Heim, Schulabbruch, Straße. Kein Job, keine Wohnung. Er ist einer von rund 8.000 Obdachlosen in der Hauptstadt, die insgesamt knapp 650.000 Einwohner zählt. Eine günstige Wohnung zu finden, ist fast aussichtslos, auch in den ehemals von Schwarzen dominierten Vierteln jenseits des Capitols. Nur einen Block entfernt von Reginalds Zeitungsstand steht das Weiße Haus, in dem zum ersten Mal ein schwarzer Präsident wohnt. Ist er nicht die Erfüllung des amerikanischen Traums?
"Nicht wirklich, sehe ich nicht. Auch mit einem schwarzen Präsidenten ist die Politik nicht bei mir angekommen, von denen lässt sich ja nicht mal einer hier blicken."

Reginald wird auch diesmal nicht wählen gehen

Jetzt nach Feierabend wird die Stadt laut. Reginald singt dagegen an. Nur wenige schenken ihm Beachtung.
"I am there, physically, people can see me, like when I say: Would you like to help the homeless, otherwise I wasn't there at all."
Als es dunkel wird, steigt er in den Bus, er hat ein Zelt irgendwo an einer Brücke. Drinnen schüttelt er den Kopf. Nein, er wird auch dieses Mal nicht wählen gehen. Er hofft, mit dem Zeitungsverkauf soviel Geld zu verdienen, um ein Zimmer zu mieten. Irgendwo. Dann würde sich zumindest ein Teil des Puzzles zusammen fügen. Den Amerikanischen Traum aber gibt es nicht für ihn:
"It took a long time to piece together a few things, really for me and my aspirations, the traditional American Dream didn't work."

Was ist noch übrig vom amerikanischen Traum? Deutschlandradio Kultur-Reporterin Nana Brink hat diese Frage US-Amerikanern aus allen Bevölkerungsschichten gestellt. Sendedatum: 24.-29.10.2016 in unserer Sendung Studio 9

Unsere sechsteilige Reihe im Überblick:

Zu Besuch bei einem Trump-Fan (1/6)
Warum auch Latinos Trump wählen (2/6)
Was ist Ihr amerikanischer Traum, Colin Powell? (3/6)
Wo der amerikanische Traum stillsteht (4/6)
Weiß, Mittelklasse, Clinton-Wähler (5/6)