Porträt

Von Stralsund nach Binyamina

Von Lea Hampel |
Sie ist noch keine 30 Jahre alt und hat den vierten Buchvertrag in der Tasche. Ihre Mission ist es, dem deutschen Leser den Alltag in Israel zu erklären. Die Autorin Katharina Höftmann im Porträt.
Auf den ersten Blick scheint es übertrieben, was hinten im Buch steht: "Nahum, ohne Dich wäre dieses Buch nicht, was es ist", steht da. "Und ich auch nicht.“ Das klingt romantisch, beinahe pathetisch. Und doch: Im Fall der Autorin, der Deutschen Katharina Höftmann, ist es mehr als wahr. Denn ohne ihren israelischen Freund wäre sie vermutlich vor allem eines nicht: Autorin in Israel.
2010 Jahre ist es her, da zieht die heute 28-Jährige nach Tel Aviv. Häufig wundert sie sich damals über das Land: An Pessach kann sie kein Futter für ihren Kater kaufen, weil der jüdisch ist. Ihre Beobachtungen schreibt sie auf. Zunächst als digitale Kolumne für die Zeitung "Die Welt". 2011 entsteht daraus ihr Buch, "Guten Morgen, Tel Aviv".
Seitdem schreibt die junge Frau in lockerem Tonfall und salopper Sprache von Menschen, die oft hupen, permanent essen und ihr Handy während des Telefonierens vor sich her tragen. Kurz: vom israelischen Alltag von Nazaret bis Eilat. Ihre Texte bilden eine Art Gegenprogramm zu den üblichen deutschen Nachrichten in Bezug auf den Nahen Osten. Ein Ansatz, den sie auch im Krimi "Die letzte Sünde" verfolgt. Darin ermittelt Kommissar Assaf Rosenthal, ein junger säkularer Zionist, in Tel Aviv.
In dem Buch heißt es: "In Tel Aviv wussten die meisten Leute nicht, was im Süden des Landes, nur eine halbe Stunde Autofahrt entfernt, so vor sich ging. Assaf glaubte, dass die meisten es auch gar nicht wissen wollten. Sie waren glücklich in ihrer Blase. Selbst wenn Raketen auf Kindergärten nur zwanzig Kilometer vor der Stadt abgeschossen wurden, pflegten die Hedonisten ihre aus Europa abgekupferte Café-Kultur, hockte die Bohème auf Designerstühlen und aß ih obligatorisches Schabbat-Frühstück. Assaf bezeichnete sie schon mal abfällig als Drückeberger und Linke. Andererseits fand auch er, dass man in Tel Aviv am besten leben konnte."
Höftmann: "Ich wollte gerne ein aktuelles Thema aufgreifen und das war die Zeit wo die Diskussion immer mehr um die afrikanischen Flüchtlinge ging, wovon es im Süden von Tel Aviv sehr sehr viele gibt. (...) Und von da bin ich eigentlich generell zu dem Thema Einwanderung gekommen, weil Israel ist ein Einwanderungsland, aber vor allen Dingen gedacht für jüdische Einwanderer. Es gibt aber trotzdem auch die Flüchtlinge, es gibt Gastarbeiter, die nicht jüdisch sind und dann gibt es die klassischen jüdischen Einwanderer. Und die alle zusammen prägen extrem das Stadtbild Tel Avivs und deswegen wollte ich die gerne alle ein bisschen zusammenpacken."
Noch besser für Krimis als Italien
Für ihren ersten Kriminalroman mit einer Startauflage von 50.000 Stück hat sich Katharina Höftmann an Camilieri orientiert. Das Heilige Land, ist sie überzeugt, eignet sich fast noch besser für Krimis als Italien:
"Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Es gibt so viele unterschiedliche Bevölkerungsgruppen, Strukturen, es gibt unterschiedliche Religionen. Es gibt so viele Konflikte unter diesen ganzen Gruppen. Es gibt auch eine Mafia, es gibt alles eigentlich. Und dann hat man natürlich immer noch den schönen Vorteil, dass dann noch ein Ultraorthodoxer ins Bild laufen könnte. Und das ist natürlich ein extrem dankbares Umfeld für einen Autor, weil man soviel reinpacken kann und so viele Geschichten machen kann."
Mit dem Krimi ist sie Pionierin. Auf dem deutschen Markt gibt es viele Bücher aus Israel. Romane, Sachbücher, auch Verbrechensgeschichten, zum Beispiel von Batya Gur. Doch eigens für Nicht-Israelis verfasste Krimis sind ein Novum – und keine leichte Aufgabe. Denn einerseits soll "Die letzte Sünde" eine spannende Geschichte erzählen. Andererseits ist Israel ein kompliziertes Land.
Da hilft es vermutlich, dass Katharina Höftmann deutsch-jüdische Geschichte und Psychologie studiert hat. Denn sie muss nicht nur viel recherchieren – über ultraorthodoxe Strömungen etwa oder verschiedenen Einwanderergruppen. Beim Schreiben an ihrem Tisch in ihrem Arbeitszimmer in Binjamina, einer Kleinstadt eine halbe Stunde vor Tel Aviv, geht sie immer auf dem schmalen Grat zwischen Geschichte und Erklärstück. Wörter wie "koscher" und "Yallah" will sie nicht voraussetzen – und trotzdem verwenden.
"Ich benutz halt gerne Klischees"
Die Charaktere sollen keine Klischees sein - und trotzdem typische Israelis. Nicht zuletzt deshalb heißt ihr Kommissar Assaf, die Sekretärin Zipi und der Mann von der Spurensicherung Schlomo. Ihre Figuren essen Omelett in Pitabrot zum Frühstück und haben überfürsorgliche Mütter.
Höftmann: "Das ist natürlich immer schwierig mit so Klischees, weil einerseits helfen sie den Leuten und helfen, was zu erklären. Andererseits möchte man natürlich auch nicht zu klischeebeladen werden. Ich benutz halt gerne Klischees, auch schon im Kolumnenbuch, weil sie einen gewissen Charme auch haben und dadurch es auch leichter wird, weil Israel eh schon so kompliziert ist und dann kann ich dem Leser nicht auch noch nen Namen zumuten, der irgendwie superkompliziert ist. Aber ich habe schon darauf geachtet (…) dass es immer Sinn macht wie die Leute heißen, wie die aussehen, was die für Klamotten tragen. Also insofern, Klischee weiß ich nicht, ich versuch das so irgendwie zu machen, wie es realistisch ist."
Diese Gratwanderung macht es dem Leser im ersten Buch nicht immer leicht. Es hat der Autorin Kritik eingebracht und hat unter anderem zur Folge, dass im nächsten Band ein Glossar eingeplant ist. Dennoch sind ihre Arbeiten eine angenehme Abwechslung zu all den Büchern, die junge Deutsche schon über Israel verfasst haben. In „Die letzte Sünde“ und in „Guten Morgen Tel Aviv“ wird deutlich: Katharina Höftmann ist nicht mal eben dorthin gefahren, hat sich schnell eine Meinung gebildet und diese aufgeschrieben – sie lebt und arbeitet dort, hat Freunde, Familie und Alltag. Ihre Bücher erscheinen dennoch vorerst weiter nur auf Deutsch. Was nicht heißt, dass sie in Israel niemand liest:
"Also ich hab tatsächlich mit 'Die letzte Sünde' ne Lesung gemacht in Jerusalem und in Tel Aviv und das ist natürlich immer ganz toll und ganz spannend, weil man dann wirklich vor Leuten sitzt, denen man auch nicht das Land erklären muss, selbst wenn man den Anspruch hätte, weil die sich einfach da auch wahnsinnig gut auskennen und da leben und das ist dann schon immer sehr toll. Da hat ich das in Tel Aviv beispielsweise, entfachte dann eine Diskussion, ob man Assaf Rosenthal jetzt mögen sollte oder nicht. Und da hat dann eine Besucherin gesagt: Ich würd den sofort heiraten. Und eine andere hat gesagt: So ein Rassist, das ist das Allerletzte. Und da sitzt man dann natürlich als Autor und denkt sich: Ja, genau so sollte es eigentlich sein. Wäre ja langweilig, wenn das einfach so ein Typ wäre, denn jeder mögen würde."
Höftmann diskutiert leidenschaftlich
So sehr sich Höftmann über diese Rückmeldung freut: Was noch fehlt, ist der Kommentar von Nahum, ihrem Freund, der die eigentliche Ursache ist für ihre Texte. Er kennt zwar alle Krimigeschichten und Kolumnen aus Erzählungen. Doch gelesen hat er die Texte nicht.
Er sei mehr die Muse, erklärt Katharina Höftmann mit einem Lachen. Ob er mit dem Lesen hinterher käme, ist eine andere Frage. Sie schreibt gerade den zweiten Krimi fertig. Doch bevor in Band drei klar wird, wie es weiter geht mit dem Mann, den Katharina Höftmann gern einen "Durchschnittsisraeli" nennt, befasst sich die Autorin im nächsten Buch mit einem anderen Thema: dem Erwachsenwerden. Das passt: Mittlerweile ist sie Jüdin, bald verheiratet und wohnt nicht mehr im lauten Tel Aviv.
Dennoch flucht sie laut, diskutiert leidenschaftlich gern und regt sich über das Nahverkehrssystem auf. Mit anderen Worten: Sie ist angekommen in dem Land, das sie uns – wenn auch nicht ganz freiwillig – erklärt.
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