Von Tito und jüdischen Festen
Ihr Name ist aus der Deutschen Schauspiel- und Theaterszene nicht mehr wegzudenken: Adriana Altaras. Sie spielte und gründete Theater, arbeitete als Regisseurin und vor der Kamera. Vor einiger Zeit erschien ihr Buch "Titos Brille - Die Geschichte meiner strapaziösen Familie", in dem sie mit Witz über ihr Leben schreibt.
"Wahnsinn. Jedes Wochenende Berge von Laub. Ich fass es nicht."
Der Oktoberwind bläst, unweit vor der Laube fließt die Havel vorbei, manchmal winken Leute von einem Ausflugsdampfer herüber. Unberührt von allem fegt Adriana Altaras mit kräftigen Bewegungen das Herbstlaub vor ihrer Laube zusammen:
"Ich finde es absurd, die Leute, die das Laub wegblasen, und an einer anderen Stelle wieder zusammensuchen."
Mit dem fallenden Laub und den schon recht kalten Morgen und Abenden neigt sich das Jahr sicht-, - und spürbar dem Ende zu. Dieses Jahr, sagt die 1960 in Zagreb geborene Adriana Altaras war ein gutes Jahr für sie. Denn ihr Buch "Titos Brille - Die Geschichte meiner strapaziösen Familie" ist als Debüt erschienen. Ein Grund zum Feiern, zumal das Buch gute Aufmerksamkeit bislang bekam.
Zeit-Online, September 2011: "Alles, wirklich alles, was zu einem klassischen Topoi einer jüdischen Geschichte zählt - das Tragische, das Weise, das Neurotische, das Exzentrische und das Politische kommt darin vor. Und doch: wie frisch und wie mitreißend, wie unverbraucht und wie eigenwillig entfaltet Adriana Altaras ihre atemberaubend ereignisreiche Familiengeschichte: vom Widerstand gegen die Nazis über den Tito-Kommunismus, die Flucht nach Italien bis zur Ankunft der Familie in den 70er Jahren in Gießen."
Ein Buch, um den Tod der Eltern zu verarbeiten
Der Hauptanlass zu diesem Buch war traurig, dazu kamen noch andere Beweggründe.
"Sowohl den relativ raschen Tod meiner Eltern hintereinander weg, und das Ausmüllen einer komplett nicht ausgeräumten Wohnung. Also meine Eltern hatten 30 Jahre alles gesammelt. Das ist ein Schock. Und da ist es von Vorteil, man schreibt dann gleich mal ein Buch, um das mal los zu werden. Schnell ging es immer noch nicht, ich habe sechs Jahre gebraucht, das ist echt lange, aber dann habe ich es gemacht und es ist ja auch so, dass die Geschichte meiner Familie eine Menge Stoff hergibt. Es ist einfach so. Wir sind eine jüdische Familie, alle jüdischen Familien haben viel zu erzählen, unsere eben auch und ich habe immer so nebenbei geschrieben, auf einer halben Arschbacke. Also, naja."
Adrianas Vater Jakob war Arzt und Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Gießen. Ihre Mutter Thea Architektin. Nach den ersten Lebensjahren in Italien und der Schweiz kam Adriana 1967 nach Berlin. Hier studierte sie später Schauspielerei, hielt sich dann einige Zeit in New York auf, und gründete später in Berlin das freie "Theater zum westlichen Stadthirschen".
Anfang der 1980er Jahre kamen neben ihrer Schauspiel- und Regiearbeiten dort auch viele Filmrollen hinzu. 1988 erhielt sie für ihre Rolle in Rudolf Thomes Film "Das Mikroskop" den Deutschen Filmpreis. Später kamen der Silberne Bär und der Bundesfilmpreis hinzu. Und nun, 2011, das Buch, das bei Lesungen mitunter starke Emotionen auslöst.
"Unglaublich viele Menschen sind unglaublich traurig und sagen, was wir da verloren haben, das lässt sich überhaupt nicht mehr in Worte fassen. Das höre ich sehr, sehr oft und sehr viel. Mir geht es auch so. Es gibt Tage, wo ich Lesungen mache und eine Frage oder irgendwas passiert da, und dann bin ich ganz mitgenommen, kann dann nachts auch nicht gut schlafen. Das ist ein Echo. Und das andere ist das Vergleichen. Zum Beispiel ein junges Mädchen hat mich mal gefragt: kann man eigentlich so ein Buch erst schreiben, wenn die Eltern tot sind? Oder kann ich das vorher schon? Das hat mich unglaublich gerührt, das war in Leipzig."
Eine literarische Melange feinster Güte
"Titos Brille” ist locker konstruiert. Mit Zeitsprüngen werden eindringliche Lebensepisoden der Eltern aus der Nazizeit und des späteren Tito-Kommunismus mit Bildern aus Adrianas Alltag als Mutter von zwei Kindern in Berlin heute verwoben. Mit den zwei fussballernden Söhnen und dem westfälischen Ehemann... und.... und... ergibt das eine literarische Melange feinster Güte:
"Ich habe einfach losgeschrieben, was mir grade in den Sinn kam. Und sehr viel bin ich gesprungen. Nicht nur von innen nach außen, sondern von früher nach jetzt, von noch viel früher in die Zukunft, hin und her. Und dann hat meine Freundin das Manuskript in die Finger genommen und hat gesagt, ich ordne das mal jetzt ein bisschen, das versteht ja kein Mensch. Und dann hat sie auch Fragen gestellt. Sie hat gesagt: das ist so kurz, du kannst nicht den Holocaust an einem Nachmittag beschreiben. Setz dich da noch mal ran. Dann habe ich noch mal 2 Sätze, und noch mal 2 Sätze. Also die hat hauch eingeklagt an der Sache."
Klappentext aus "Titos Brille": "Mit furiosem Witz und großer Wärme erzählt Adriana Altaras von ungleichen Schwestern, von einem Vater, der immer ein Held sein wollte...vom Exil, von irrwitzigen jüdischen Festen..."
Dazu eine kleine Kostprobe, gelesen von der Autorin.
"Alle waren gekommen, um dem jüdischen Massaker beizuwohnen. Vorne standen die Neugierigen, unter ihnen ein Chirurg, um der altertümlichen Praxis zuzusehen. Weiter hinten die etwas Scheuen und Vorsichtigen. Und ganz weit hinten die Nörgler und Kritiker. Sie formulierten und schürten lauthals ihre und meine Ängste. Weißt du was du da tust? Du beschneidest, wie die Frauen in Afrika beschnitten werden? Willst du die Natur korrigieren? Er wird später kaum etwas fühlen, gaben meine schwulen Freunde zum Besten. Wenn Gott die Vorhaut nicht gewollt hätte, hätte er sie doch gleich weggelassen."
Dann geht auch dieser Oktobernachmittag langsam zu Ende.
"Ja, und das ist ein herrlicher Tag. Der goldene Oktober..."