Portugal

Vergiftetes Lob für Lissabons Krisenpolitik

Die Standseilbahn "Ascensor da Bica" fährt durch eine Gasse in Lissabon.
Die Standseilbahn "Ascensor da Bica" fährt durch eine Gasse in Lissabon. © picture alliance / dpa / Jan Woitas
Von António Louçã · 23.06.2015
Portugal gehört zu den Musterknaben unter den krisengeschüttelten Ländern Europas. Dafür habe das Land einen hohen sozialen Preis gezahlt, meint der Journalist António Louçã. Die Portugiesen selbst empfänden ihren Alltag als soziale Katastrophe.
Je näher die griechische Staatspleite kommt, desto mehr wird Portugal gelobt. Das Land im Südwesten Europas sei ein Vorbild für andere Krisenstaaten, betonte beispielsweise Frank-Walter Steinmeier, als er Ende Mai Lissabon besuchte. Und er schob die Mahnung hinterher, jetzt gelte es die Erfolge der Reformen zu verstetigen und die soziale Balance zu wahren.
Das Lob von Politikern und Experten aus dem hohen Norden gilt der Statistik. Die Wirtschaft wächst wieder und die öffentlichen Haushalte machen weniger neue Schulden. Auch die Arbeitslosenquote sinkt. Doch sie beträgt immer noch 13 Prozent und unter jungen Leuten sogar 31 Prozent.
Deswegen ist das Lob vergiftet. Abseits der Statistik erleben die Portugiesen ihren Alltag als soziale Katastrophe: gekürzte Löhne und Renten, erhöhte Steuern und kollabierende öffentliche Dienste, schließlich als Folge davon Prekariat und Altersarmut.
Armut und Tourismus - die Extreme liegen in Lissabon dicht beeinander
Armut und Tourismus - die Extreme liegen in Lissabon dicht beeinander© picture alliance / dpa / Klaus Rose
Profitiert hat allein das Auslandsgeschäft, der Binnenmarkt liegt unverändert danieder. Neue Arbeitsverhältnisse werden so schlecht bezahlt, dass Arbeiternehmer nicht davon leben können. Die Generation derer, deren Perspektive darin besteht, nicht mehr als 500 Euro zu verdienen, wandert aus, während die ältere Generation verzweifelt. 80 Prozent der Rentner beziehen eine Rente von durchschnittlich 384 Euro.
Im Herbst wird ein neues Parlament gewählt. Nicht nur Beobachter, sondern auch die eigene Regierung und die internationalen Gläubiger sehen und kalkulieren das politische Risiko. Sie setzen allerdings so sehr auf Gleichmut und Gleichgültigkeit der Bürger, dass sich der Internationale Währungsfonds selbst kurz vor den Wahlen traut zu empfehlen, nochmals die öffentlichen Ausgaben zu senken.
Die Renten sollen erneut gekürzt werden
Und die Finanzministerin hat bereits ausgeplaudert, dass es die Renten sein werden, die erneut gekürzt werden sollen. Zudem nutzt das Kabinett unter Passos Coelho in aller Eile die vier verbleibenden Monate seiner Amtszeit, um weitere staatliche Unternehmen zu privatisieren.
Dass die angesehene Fluggesellschaft TAP mit mehr als 13.500 Mitarbeitern teilweise verkauft werden soll, hat die Portugiesen besonders umgetrieben. Auf den Gleichmut der Menschen zu setzen, könnte also trügerisch sein. Denn Politiker und Experten, welche die Portugiesen ob ihrer Reformen loben, haben ihnen nichts zu bieten, schon gar nicht jene "soziale Balance", die der deutsche Außenminister anmahnt.
Indem sie immer neue einschneidende Maßnahmen fordern und noch einen langen Weg voraussagen, gestehen sie ein, dass die wirtschaftliche Erholung trotz der vielgelobten Mühen schwach bleiben wird. Und kommt erst die griechische Staatspleite, dürfte in deren Sog auch die portugiesische Wirtschaft zerbrechen.
Dann hätte die Politik brachialer Kürzungen nicht - wie versprochen – vor der nächsten Krise geschützt, geschweige denn einen Aufschwung eingeleitet. Hat sie doch schon jetzt nichts gebracht – außer sozialen Härten.
Nicht auszudenken wäre der Verlust an Vertrauen in europäische Politik, wenn der Musterknabe Lissabon am Ende ebenso schlecht dastünde wie der Prügelknabe Athen. Da ist der Tadel als Kehrseite von Lob praktisch schon eingeplant.
António Louçã, geboren 1955, lebt in Lissabon, arbeitet seit 2001 in der Online-Redaktion des portugiesischen öffentlich-rechtlichen Fernsehens RTP und ist Mitglied des Aufsichtsrates der Journalistengewerkschaft des Landes. Von 1990 bis 1995 war er Korrespondent in Berlin. Er promovierte in Zeitgeschichte über das Thema "Nazigold für Portugal. Hitler und Salazar" (2002) und schrieb Bücher über die Geschichte der Salazar-Diktatur.
Der portugiesische Publizist António Louçã
António Louçã © privat
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