Portugiesisch essen, international zocken
Die ehemalige portugiesische Kolonie Macau in China boomt. Gleichzeitig erlebt alles, was an die lusitanische Vergangenheit erinnert, eine große Renaissance – weniger aus sentimentalen Gründen, sondern weil sich damit viel Geld verdient lässt.
Viertel nach neun Uhr abends auf der San-Ma-Lo-Straße kurz vor der portugiesischen Schule. Sehr knapp bekleidete sehr junge Mädchen aus den Philippinen ziehen Parfum-Wolken hinter sich her. Sie sind auf dem Weg zur Arbeit im Grand-Lisboa-Casino gleich nebenan. Die portugiesischen Lehrerinnen, die vom Abendunterricht aus der Schule kommen, versuchen eher hilflos, sie zu ignorieren, während sie auf den Bus nach Hause warten. Die Straße runter drängen sich Chinesen – staunende Touristen aus der Volksrepublik, die zu Tausenden kommen, um die Laserlicht-bestrahlte Glitzerwelt des Casinoviertels von Macau zu erleben.
Das Sands zum Beispiel. Auf vier Stockwerken wird hier gezockt, während draußen rund um die Uhr die Shuttlebusse vom Fährhafen ankommen. Mit Plastikbechern voller Jetons schieben sich Reisegruppen durch die endlos erscheinenden Reihen der slot-machines, manche ziehen noch ihren Koffer hinter sich her. An den Baccara-Tischen starren Spieler gebannt auf Karten, die uniformierte Dealer ausgeben. Millionen werden hier verzockt. In vier Schichten, 24 Stunden täglich, sieben Tage die Woche. Catherine Iu, die PR-Dame, erklärt stolz:
"Wir haben Slot-machines, Baccara und viele chinesische Glücksspiele, wie zum Beispiel Fan Tan. In Macau sind Tisch-Glücksspiele besonders beliebt. Und da wir über 800 Spieltische haben, heißt es, das Sands sei das größte Casino der Welt."
Macau ist das größte Zockerparadies der Welt: Über 30 Casinos, 25 Millionen Besucher im Jahr, 30 Milliarden Euro Umsatz. Da kann selbst Las Vegas nicht mithalten. Die weitgehend autonome Sonderverwaltungszone Macau, bis Ende 1999 eine portugiesische Kolonie, ist der Goldesel der Volksrepublik China. Da kippt so manchem der Unterkiefer weg, bestätigt die smarte Catherine Iu:
"Die meisten Besucher kommen ja zum ersten Mal hierher. Und die staunen gewaltig. Das Sands und die Casinos sind wirklich großartig, voller Stil und Klasse. Davon sind alle beeindruckt."
Beeindruckt ist auch die Regierung Macaus. Sie setzt fast ausschließlich auf den Glücksspieltourismus. Mit höchst negativen Folgen, kritisiert der Sozialwissenschaftler Larry So von der Fachhochschule Macau:
"Dies ist eine Casino- und Glücksspielstadt. Weil die Einnahmen deswegen extrem hoch sind, meint die Regierung, in Sachen Sozialpolitik nichts tun zu müssen. Irgendwie werde der Reichtum auch unten ankommen, denkt sie. Aber das stimmt nicht. Die Lücke zwischen arm und reich wird immer größer."
Widersprüchliches Macau: An allen Ecken und Enden wird gebaut. Obwohl viele Wohnungen leer stehen. Sie sind unbezahlbar, erklärt der Soziologe So:
"Der unglaubliche Zuwachs an Reichtum führt zu Spekulation. Das sieht man vor allem bei den Immobilienpreisen, die explodiert sind. Wer zur Mittelschicht gehört, verdient trotzdem nicht genug, um sich eine eigene Wohnung zu kaufen."
Einerseits müssen die Einwohner Macaus nichts für ärztliche Versorgung bezahlen, andererseits gibt es kaum soziale Absicherung. Auf der einen Seite wird in der Glücksspielindustrie sehr gut verdient, die Durchschnittseinkommen in Macau gehören zu den höchsten Asiens. Auf der anderen Seite verursacht der ununterbrochene Rummel der Casinos Stress und macht krank. Yvonne Lam Sao Fong, Ärztin der traditionellen chinesischen Medizin und Professorin an der Universität Macau, stellt fest:
"In den Casinos wird im Schichtdienst gearbeitet. Das macht die Menschen kaputt. Sie sind übermüdet und können trotzdem nicht schlafen. Sie klagen über hohen Leistungsdruck und Schmerzen. Immer mehr."
Die kleine, zierliche Yvonne steht hinter dem großen Holztresen der alten chinesischen Apotheke Pak Cheong Tong und mischt Kräuter nach einem handgeschriebenen Rezept für einen Patienten zusammen. Holzregale mit Gläsern und Schubladen, gefüllt mit exotischen getrockneten Pflanzen, Blutegeln, Fledermauskot und Hirschhörnern, reichen bis unter die Decke. Die Apotheke in der steilen, engen Rua da Felicidade, der Glücksstraße, ist seit drei Generationen im Familienbesitz.
Am Tisch nebenan sitzt ihr Vater, der 81-jährige Lam Hei und untersucht einen anderen Patienten. Ein kurzes Gespräch, dann fühlt er den Puls. Zuerst am linken, danach am rechten Arm. Ein kurzer Blick auf die Zunge, ein langer Blick tief in die Augen und schon hat Lam Hei die Diagnose: Hitze sei im Körper, stellt der Arzt fest und zieht die Augenbrauen hoch. Die Nieren machten Probleme, aber nichts Ernsthaftes. Weniger gegrilltes Fleisch und scharfes Essen, dann sollte alles gut werden.
Herr Lam ist der älteste chinesische Arzt von Macau, die Pak-Cheong-Tong-Apotheke die älteste in der Stadt. Tradition werde hier groß geschrieben, erklärt Tochter Yvonne stolz. Die Europäern so geheimnisvoll erscheinende chinesische Medizin sei eine ganz normale Wissenschaft, versichert die 40 Jahre alte Ärztin:
"Da gibt es keine großen Geheimnisse, man muss nur sehr viel lernen. Chinesische Medizin gibt es seit 4000 Jahren. Unsere Vorfahren haben lange Zeit die Zusammenhänge von Natur und menschlichem Leben studiert, herausgefunden, welche Pflanzen welche Krankheiten heilen. Eigentlich ist das alles nur Statistik. Das hat nichts mit Wunderheilungen oder Zauberei zu tun. Unsere Medizin ist letztendlich eine chinesische Art der Statistik."
Sie habe von klein auf in der engen Apotheke gearbeitet, viel von ihrem Vater gelernt, erzählt Yvonne. Kein Wunder, dass sie sich streng an die alten Regeln hält – allen Modernisierungstrends zum Trotz:
"Wir arbeiten weiter so, wie es schon vor Urzeiten war. Das ist für die Patienten am besten. Es gibt bereits Apotheken, die mit vorgekochten pulverisierten Kräutermischungen arbeiten – wie löslicher Kaffee. Wir nicht, wir mischen und kochen die Kräuter noch selbst."
Natürlich nur sorgfältig ausgesuchte, von der besten Qualität. Die seien zwar immer schwieriger zu bekommen, weil in China immer weniger traditionelle Landwirtschaft betrieben werde, klagt Yvonne. Aber der Erfolg gibt Yvonnes Beharren auf Tradition recht, manchmal stehen die Patienten Schlange bis auf die Straße, die steil hinunter zum alten portugiesischen Rathaus führt, dem Leal Senado. Yvonne lebt gern hier:
"Diese Gegend in der Altstadt ist sehr schön und ruhig. Denn hier gibt es keine Casinos. Im Touristenviertel ist es mir zu hektisch. Bunte Lichter die ganze Nacht und die Lärmbelästigung! Unerträglich!"
Macau hat auch andere Seiten: Im Lou Lim Ieoc Garten üben Rentner chinesische Oper, nebenan plätschern Goldfische in einem künstlichen See. Draußen, auf der Avenida Horta e Costa, drängen sich die Menschen in den Läden. Weiter hinten, in den engen Gassen des Roten Markts, gibt es von Gemüse über Fleisch bis hin zu Kleidern alles zu kaufen. Der "Drei-Lampen-Distrikt" ist das Zentrum des chinesischen Lebens von Macau.
Und dann gibt es auch noch das "portugiesische" Macau: Alte Kirchen und Herrenhäuser, den Camões-Park, die Festung mit dem stolzen Leuchtturm Farol da Guia, dem ersten, der in Asien gebaut wurde. Oder die Ruinen der St.-Pauls-Kathedrale, die bei einem Feuer 1835 bis auf die prunkvolle Fassade abgebrannt ist. Alles Weltkulturerbe, das die Regierung der Sonderverwaltungszone liebevoll und mit viel Geld hegt und pflegt.
Nicht ohne Hintergedanken: Macau, so fordert die Zentralregierung in Beijing, soll eine Art chinesisches Lernzentrum für Portugiesisch werden, da kann ein bisschen Kolonialkultur nicht schaden. Sie passt sogar sehr gut zur Strategie, erklärt die Universitätsprofesorin Maria Antónia Espadinha:
"Die chinesische Regierung ist äußerst pragmatisch. Sie hat die Bedeutung des Portugiesischen erkannt. Nicht so sehr wegen des armen Portugal. Aber China hat große wirtschaftliche Interessen in den portugiesischsprachigen Ländern Brasilien und Angola."
Und so büffeln immer mehr chinesische Studenten Portugiesisch in Macau. Dora Huang zum Beispiel. Sie ist aus der großen Hauptstadt ins kleine Macau gekommen:
"Dies ist der beste Ort in Asien, um Portugiesisch zu studieren. Wegen des portugiesischen Erbes und weil hier viele Portugiesen leben. Dieses Ambiente ist sehr wichtig zum Sprachenlernen."
Eine Art Portugal-Revival findet in Macau statt: Portugiesischkurse haben Hochkonjunktur, immer mehr portugiesische Restaurants öffnen. Im Lusitanus, eine Art portugiesisches Kulturzentrum mit Restaurant gleich neben der St.-Pauls-Ruine, gibt es portugiesische Spezialitäten, von Stockfisch und Bohneneintopf bis hin zur Nationalmusik Fado. Den Chinesen gefällt’s, bestätigt Joana Fernandes, die Geschäftsführerin:
"Die Chinesen lieben unseren Fado. Am Wochenende haben wir immer portugiesische Live-Musik, da kommen sie und sind begeistert. Weil es etwas anderes ist."
Und weil – anders als in Portugal – die Wirtschaft brummt, kommen auch immer mehr Portugiesen nach Macau. Der 24-jährige João Pinto Magalhães, der im Lusitanus schnell eine bica, einen portugiesischen Espresso, trinkt, erzählt:
"Als ich mit der Uni fertig war, habe ich Bewerbungsschreiben an Gott und die Welt geschickt und nichts gefunden. Da habe ich mich bei einer Bank in Macau beworben und die hat mich genommen. Ich bin seit drei Wochen hier und sehr zufrieden."
João macht ein Praktikum bei der ‚Banco Nacional Ultramarino’, einem portugiesischen Geldinstitut, das in Macau gut im Geschäft ist. Wenn alles gut geht, wird er anschließend fest angestellt. Zurück will João erst mal nicht:
"In sechs Monaten werden wir weiter sehen. Aber wenn der Job gut ist und das Geld stimmt, werde ich hier bleiben. Vielleicht gehe ich auch woanders hin, aber nicht nach Portugal."
Jungakademiker, vor allem Rechtsanwälte und Wirtschaftler, strömen nach Macau. Die einen, weil – getreu dem chinesischen Grundsatz "Ein Staat, zwei Systeme" – das Rechtssystem in Macau noch immer dem portugiesischen ähnlich ist. Die anderen, weil der Boom in Macau noch lange anhalten wird. Vor allem wegen der Glücksspielindustrie. Aber nicht nur, wie Grant Bowie, der Direktor des MGM-Casino-Luxusresorts, meint:
"Da China sich immer mehr zu einer Konsumwirtschaft entwickelt, sind Macaus Aussichten langfristig sehr gut. Auch im Tourismus- und Unterhaltungsbereich, nicht nur beim Glücksspiel. Macau ist ein interessantes Ziel für Chinesen."
Auch das MGM schwimmt auf der Portugal-Welle. Die große Eingangshalle ist dem Platz vor dem Lissabonner Bahnhof nachempfunden, das Rossio-Café trägt seinen Namen. Weil die Geschäfte so gut gehen, soll im nächsten Jahr eine weitere Portugal-Themen-Hotelanlage gebaut werden. Auf der Insel Taipa, wo all die anderen Riesen-Casinos stehen.
In der Luxus-Bar des MGM geht derweil alles seinen gewohnten Gang. Die amerikanische Sängerin begrüßt die chinesischen Gäste, die aus dem riesigen Casino-Bereich auf einen Drink hereingekommen sind. Ein paar Australier lehnen an der Bar und trinken Tsing-Tao-Bier, das Nachtleben beginnt. Die Lichtorgel blitzt, eine Gruppe junger Koreaner blickt sich noch etwas unsicher im Halbdunkel um. Für die etwas zu leicht bekleideten Mädchen von den Philippinen mit dem etwas zu aufdringlichen Parfumduft beginnt die Arbeit, als erstes lassen sie sich von den Koreanern Whiskey spendieren. Es ist kurz nach neun, die Nacht ist noch jung. Eine Nacht, in der wohl alle auf ihre Kosten kommen werden. Sonst wäre Macau ja schließlich nicht das Las Vegas Asiens.
Das Sands zum Beispiel. Auf vier Stockwerken wird hier gezockt, während draußen rund um die Uhr die Shuttlebusse vom Fährhafen ankommen. Mit Plastikbechern voller Jetons schieben sich Reisegruppen durch die endlos erscheinenden Reihen der slot-machines, manche ziehen noch ihren Koffer hinter sich her. An den Baccara-Tischen starren Spieler gebannt auf Karten, die uniformierte Dealer ausgeben. Millionen werden hier verzockt. In vier Schichten, 24 Stunden täglich, sieben Tage die Woche. Catherine Iu, die PR-Dame, erklärt stolz:
"Wir haben Slot-machines, Baccara und viele chinesische Glücksspiele, wie zum Beispiel Fan Tan. In Macau sind Tisch-Glücksspiele besonders beliebt. Und da wir über 800 Spieltische haben, heißt es, das Sands sei das größte Casino der Welt."
Macau ist das größte Zockerparadies der Welt: Über 30 Casinos, 25 Millionen Besucher im Jahr, 30 Milliarden Euro Umsatz. Da kann selbst Las Vegas nicht mithalten. Die weitgehend autonome Sonderverwaltungszone Macau, bis Ende 1999 eine portugiesische Kolonie, ist der Goldesel der Volksrepublik China. Da kippt so manchem der Unterkiefer weg, bestätigt die smarte Catherine Iu:
"Die meisten Besucher kommen ja zum ersten Mal hierher. Und die staunen gewaltig. Das Sands und die Casinos sind wirklich großartig, voller Stil und Klasse. Davon sind alle beeindruckt."
Beeindruckt ist auch die Regierung Macaus. Sie setzt fast ausschließlich auf den Glücksspieltourismus. Mit höchst negativen Folgen, kritisiert der Sozialwissenschaftler Larry So von der Fachhochschule Macau:
"Dies ist eine Casino- und Glücksspielstadt. Weil die Einnahmen deswegen extrem hoch sind, meint die Regierung, in Sachen Sozialpolitik nichts tun zu müssen. Irgendwie werde der Reichtum auch unten ankommen, denkt sie. Aber das stimmt nicht. Die Lücke zwischen arm und reich wird immer größer."
Widersprüchliches Macau: An allen Ecken und Enden wird gebaut. Obwohl viele Wohnungen leer stehen. Sie sind unbezahlbar, erklärt der Soziologe So:
"Der unglaubliche Zuwachs an Reichtum führt zu Spekulation. Das sieht man vor allem bei den Immobilienpreisen, die explodiert sind. Wer zur Mittelschicht gehört, verdient trotzdem nicht genug, um sich eine eigene Wohnung zu kaufen."
Einerseits müssen die Einwohner Macaus nichts für ärztliche Versorgung bezahlen, andererseits gibt es kaum soziale Absicherung. Auf der einen Seite wird in der Glücksspielindustrie sehr gut verdient, die Durchschnittseinkommen in Macau gehören zu den höchsten Asiens. Auf der anderen Seite verursacht der ununterbrochene Rummel der Casinos Stress und macht krank. Yvonne Lam Sao Fong, Ärztin der traditionellen chinesischen Medizin und Professorin an der Universität Macau, stellt fest:
"In den Casinos wird im Schichtdienst gearbeitet. Das macht die Menschen kaputt. Sie sind übermüdet und können trotzdem nicht schlafen. Sie klagen über hohen Leistungsdruck und Schmerzen. Immer mehr."
Die kleine, zierliche Yvonne steht hinter dem großen Holztresen der alten chinesischen Apotheke Pak Cheong Tong und mischt Kräuter nach einem handgeschriebenen Rezept für einen Patienten zusammen. Holzregale mit Gläsern und Schubladen, gefüllt mit exotischen getrockneten Pflanzen, Blutegeln, Fledermauskot und Hirschhörnern, reichen bis unter die Decke. Die Apotheke in der steilen, engen Rua da Felicidade, der Glücksstraße, ist seit drei Generationen im Familienbesitz.
Am Tisch nebenan sitzt ihr Vater, der 81-jährige Lam Hei und untersucht einen anderen Patienten. Ein kurzes Gespräch, dann fühlt er den Puls. Zuerst am linken, danach am rechten Arm. Ein kurzer Blick auf die Zunge, ein langer Blick tief in die Augen und schon hat Lam Hei die Diagnose: Hitze sei im Körper, stellt der Arzt fest und zieht die Augenbrauen hoch. Die Nieren machten Probleme, aber nichts Ernsthaftes. Weniger gegrilltes Fleisch und scharfes Essen, dann sollte alles gut werden.
Herr Lam ist der älteste chinesische Arzt von Macau, die Pak-Cheong-Tong-Apotheke die älteste in der Stadt. Tradition werde hier groß geschrieben, erklärt Tochter Yvonne stolz. Die Europäern so geheimnisvoll erscheinende chinesische Medizin sei eine ganz normale Wissenschaft, versichert die 40 Jahre alte Ärztin:
"Da gibt es keine großen Geheimnisse, man muss nur sehr viel lernen. Chinesische Medizin gibt es seit 4000 Jahren. Unsere Vorfahren haben lange Zeit die Zusammenhänge von Natur und menschlichem Leben studiert, herausgefunden, welche Pflanzen welche Krankheiten heilen. Eigentlich ist das alles nur Statistik. Das hat nichts mit Wunderheilungen oder Zauberei zu tun. Unsere Medizin ist letztendlich eine chinesische Art der Statistik."
Sie habe von klein auf in der engen Apotheke gearbeitet, viel von ihrem Vater gelernt, erzählt Yvonne. Kein Wunder, dass sie sich streng an die alten Regeln hält – allen Modernisierungstrends zum Trotz:
"Wir arbeiten weiter so, wie es schon vor Urzeiten war. Das ist für die Patienten am besten. Es gibt bereits Apotheken, die mit vorgekochten pulverisierten Kräutermischungen arbeiten – wie löslicher Kaffee. Wir nicht, wir mischen und kochen die Kräuter noch selbst."
Natürlich nur sorgfältig ausgesuchte, von der besten Qualität. Die seien zwar immer schwieriger zu bekommen, weil in China immer weniger traditionelle Landwirtschaft betrieben werde, klagt Yvonne. Aber der Erfolg gibt Yvonnes Beharren auf Tradition recht, manchmal stehen die Patienten Schlange bis auf die Straße, die steil hinunter zum alten portugiesischen Rathaus führt, dem Leal Senado. Yvonne lebt gern hier:
"Diese Gegend in der Altstadt ist sehr schön und ruhig. Denn hier gibt es keine Casinos. Im Touristenviertel ist es mir zu hektisch. Bunte Lichter die ganze Nacht und die Lärmbelästigung! Unerträglich!"
Macau hat auch andere Seiten: Im Lou Lim Ieoc Garten üben Rentner chinesische Oper, nebenan plätschern Goldfische in einem künstlichen See. Draußen, auf der Avenida Horta e Costa, drängen sich die Menschen in den Läden. Weiter hinten, in den engen Gassen des Roten Markts, gibt es von Gemüse über Fleisch bis hin zu Kleidern alles zu kaufen. Der "Drei-Lampen-Distrikt" ist das Zentrum des chinesischen Lebens von Macau.
Und dann gibt es auch noch das "portugiesische" Macau: Alte Kirchen und Herrenhäuser, den Camões-Park, die Festung mit dem stolzen Leuchtturm Farol da Guia, dem ersten, der in Asien gebaut wurde. Oder die Ruinen der St.-Pauls-Kathedrale, die bei einem Feuer 1835 bis auf die prunkvolle Fassade abgebrannt ist. Alles Weltkulturerbe, das die Regierung der Sonderverwaltungszone liebevoll und mit viel Geld hegt und pflegt.
Nicht ohne Hintergedanken: Macau, so fordert die Zentralregierung in Beijing, soll eine Art chinesisches Lernzentrum für Portugiesisch werden, da kann ein bisschen Kolonialkultur nicht schaden. Sie passt sogar sehr gut zur Strategie, erklärt die Universitätsprofesorin Maria Antónia Espadinha:
"Die chinesische Regierung ist äußerst pragmatisch. Sie hat die Bedeutung des Portugiesischen erkannt. Nicht so sehr wegen des armen Portugal. Aber China hat große wirtschaftliche Interessen in den portugiesischsprachigen Ländern Brasilien und Angola."
Und so büffeln immer mehr chinesische Studenten Portugiesisch in Macau. Dora Huang zum Beispiel. Sie ist aus der großen Hauptstadt ins kleine Macau gekommen:
"Dies ist der beste Ort in Asien, um Portugiesisch zu studieren. Wegen des portugiesischen Erbes und weil hier viele Portugiesen leben. Dieses Ambiente ist sehr wichtig zum Sprachenlernen."
Eine Art Portugal-Revival findet in Macau statt: Portugiesischkurse haben Hochkonjunktur, immer mehr portugiesische Restaurants öffnen. Im Lusitanus, eine Art portugiesisches Kulturzentrum mit Restaurant gleich neben der St.-Pauls-Ruine, gibt es portugiesische Spezialitäten, von Stockfisch und Bohneneintopf bis hin zur Nationalmusik Fado. Den Chinesen gefällt’s, bestätigt Joana Fernandes, die Geschäftsführerin:
"Die Chinesen lieben unseren Fado. Am Wochenende haben wir immer portugiesische Live-Musik, da kommen sie und sind begeistert. Weil es etwas anderes ist."
Und weil – anders als in Portugal – die Wirtschaft brummt, kommen auch immer mehr Portugiesen nach Macau. Der 24-jährige João Pinto Magalhães, der im Lusitanus schnell eine bica, einen portugiesischen Espresso, trinkt, erzählt:
"Als ich mit der Uni fertig war, habe ich Bewerbungsschreiben an Gott und die Welt geschickt und nichts gefunden. Da habe ich mich bei einer Bank in Macau beworben und die hat mich genommen. Ich bin seit drei Wochen hier und sehr zufrieden."
João macht ein Praktikum bei der ‚Banco Nacional Ultramarino’, einem portugiesischen Geldinstitut, das in Macau gut im Geschäft ist. Wenn alles gut geht, wird er anschließend fest angestellt. Zurück will João erst mal nicht:
"In sechs Monaten werden wir weiter sehen. Aber wenn der Job gut ist und das Geld stimmt, werde ich hier bleiben. Vielleicht gehe ich auch woanders hin, aber nicht nach Portugal."
Jungakademiker, vor allem Rechtsanwälte und Wirtschaftler, strömen nach Macau. Die einen, weil – getreu dem chinesischen Grundsatz "Ein Staat, zwei Systeme" – das Rechtssystem in Macau noch immer dem portugiesischen ähnlich ist. Die anderen, weil der Boom in Macau noch lange anhalten wird. Vor allem wegen der Glücksspielindustrie. Aber nicht nur, wie Grant Bowie, der Direktor des MGM-Casino-Luxusresorts, meint:
"Da China sich immer mehr zu einer Konsumwirtschaft entwickelt, sind Macaus Aussichten langfristig sehr gut. Auch im Tourismus- und Unterhaltungsbereich, nicht nur beim Glücksspiel. Macau ist ein interessantes Ziel für Chinesen."
Auch das MGM schwimmt auf der Portugal-Welle. Die große Eingangshalle ist dem Platz vor dem Lissabonner Bahnhof nachempfunden, das Rossio-Café trägt seinen Namen. Weil die Geschäfte so gut gehen, soll im nächsten Jahr eine weitere Portugal-Themen-Hotelanlage gebaut werden. Auf der Insel Taipa, wo all die anderen Riesen-Casinos stehen.
In der Luxus-Bar des MGM geht derweil alles seinen gewohnten Gang. Die amerikanische Sängerin begrüßt die chinesischen Gäste, die aus dem riesigen Casino-Bereich auf einen Drink hereingekommen sind. Ein paar Australier lehnen an der Bar und trinken Tsing-Tao-Bier, das Nachtleben beginnt. Die Lichtorgel blitzt, eine Gruppe junger Koreaner blickt sich noch etwas unsicher im Halbdunkel um. Für die etwas zu leicht bekleideten Mädchen von den Philippinen mit dem etwas zu aufdringlichen Parfumduft beginnt die Arbeit, als erstes lassen sie sich von den Koreanern Whiskey spendieren. Es ist kurz nach neun, die Nacht ist noch jung. Eine Nacht, in der wohl alle auf ihre Kosten kommen werden. Sonst wäre Macau ja schließlich nicht das Las Vegas Asiens.