Glänzendes Comeback
Seit ein paar Jahren feiert die Sardine ein unerwartetes Comeback. Als Snack in Kneipen, als Souvenir aus der Dose. Davon profitieren sowohl die Fischer als auch die portugiesische Konservenindustrie, die mit billigeren Produktionsstätten in Nordafrika konkurrieren muss.
Modriges Salzwasser schwappt gegen den Metallbug mit dem portugiesischen Wappen und dem weißen Schriftzug: "Mestre Comboio" heißt das Schiff, das im kühlen Atlantikwasser rund 100 Kilometer nordwestlich von Lissabon im Hafen der Kleinstadt Peniche am Kai liegt. Die Crew kommt am frühen Nachmittag an Bord. Ein Kran hebt große Plastikwannen voller Eis auf das Schiff, am Heck überprüft ein kleiner drahtiger Mann mit Brille und Ringen in den abstehenden Ohren das große Fangnetz: António Nazaré, den alle nur Toni nennen, hat als Jugendlicher zum ersten Mal auf einem Fischerboot angeheuert, da war Portugal noch eine Diktatur. Seit über 40 Jahren geht er vor der Küste auf Sardinenfang. Eigentlich ist der 60-jährige längst pensioniert, aber er geht trotzdem immer wieder an Bord.
"Mit der Rente komme ich gerade so über die Runden, aber wenn ich mal essen gehen oder sonst was Nettes machen will, dann reicht es nicht. An einem guten Tag verdiene ich 75 Euro, aber nur wenn das Schiff einen Fang im Wert von mindestens 5000 Euro einfährt. D.h. an schlechten Tagen verdienen wir manchmal gar nichts. Jetzt ist gerade eine gute Zeit, um Sardinen zu fangen. Also bin ich natürlich dabei."
Während Toni und seine Kollegen den Kutter klarmachen, steigt ein stämmiger Mann in gebügelten Markenjeans und Polohemd wortlos ins Steuerhaus. Paulo Leitão ist schon sein halbes Leben lang Kapitän. Der 48-jährige lenkt seinen 23 Meter langen Fischkutter aus dem Hafen. Er schaut aufs Meer hinaus, das für seine ausgezeichneten Sardinen in ganz Portugal bekannt ist.
"Vor der Küste gibt es hier viele Sardinen. Vor ein paar Wochen lagen hier 40 Fischkutter im Hafen. Sie sind jeden Tag zum Fang hinaus aufs Meer gefahren und abends immer mit vollem Boot zurückgekommen. Ohne die Sardinen würde sich unser Geschäft nicht mehr rentieren, wir müssten unsere Boote verkaufen."
Paulo Leitão weiß, dass nicht jeder seine Meinung teilt. Um die Zukunft der weltweiten Sardinenbestände machen sich Wissenschaftler große Sorgen. Viele Meeresforscher fordern, dass Portugal und Spanien eine Zeit lang ganz auf den Fang der kleinen silbernen Fische verzichten sollten. Paulo hält natürlich gar nichts von dieser Idee.
Wettrennen um die dicksten Sardinen
Im Heck sitzt die 14-köpfige Mannschaft auf großen Plastikwannen und eingerollten Netzen. Die Fischer rauchen, erzählen sich Witze und ziehen sich die Ölanzüge über ihre verschlissen Hosen und tätowierten Oberkörper. Kurz hinter der Hafenmauer bringt Kapitän Paulo das Boot auf offenem Meer zum Stehen. Neben ihm liegen rund zwanzig weitere Fischkutter und warten darauf, dass die Jagd auf die besten Sardinen beginnen kann. Die lokalen Behörden haben angeordnet, dass die kleinen Fische in diesem Jahr erst ab 14 Uhr gefangen werden dürfen, damit alle Fischer die gleichen Chancen auf einen der großen Schwärme haben.
"Das wird jetzt ein großes Wettrennen. In ein paar Minuten dürfen wir zum Fischen rausfahren. Und wir alle wollen zu den gleichen Stellen, wo die Sardinenschwärme über Sand schwimmen. Wer zuerst hinkommt, der sieht über das Echolot die Schwärme und kann sie zuerst rausfischen."
Nach zwanzig Minuten hat Paulos modernes Schiff die Holzkähne hinter sich gelassen und die Sandgründe erreicht. Mittlerweile lenkt der Steuermann das Boot und Paulo beobachtet über vier verschiedene Monitore alles, was sich vor, neben, hinter und unter ihm bewegt. Plötzlich wird es hektisch. Paulo hat auf dem Echolot einen langgezogenen, bunten Fleck ausgemacht. Er schmeißt eine rosafarbene Boje aus dem Fenster, ein Warnsignal ertönt: Es ist der Weckruf für die Mannschaft, das Netz so schnell wie möglich auszuwerfen.
Bei voller Fahrt wird ein kleines Beiboot vom Heck ins Wasser gelassen. Es zieht das 1500 Meter lange Netz blitzschnell vom Fischkutter, der mit hoher Geschwindigkeit einen Kreis um die Boje fährt. Jede Sekunde zählt, denn der Fischschwarm ist nur dann gefangen, wenn das kreisrund aufgezogene Netz keine Lücke mehr aufweist: Ringwadenfischen nennen das die Seeleute.
Paulo haut den Rückwärtsgang rein, sein Kutter kommt zum Stehen. Die Ringwade hat sich geschlossen. Jetzt holt Paulo über eine starke Seilwinde das Netz ein. Es zieht sich unter Wasser zu und bringt so den ganzen Schwarm ins Netz, ohne den Meeresboden zu berühren. Ringwadenfischen gilt deshalb als eine umweltschonende Fischfangmethode, weil nur ganz wenige andere Meerestiere unbeabsichtigt ins Netz gehen.
Makrelen gehen zurück über Bord
Über eine große angetriebene Aluminium-Riemenscheibe, die in vier Meter Höhe an einem Kran befestigt ist, wird das Netz an Bord geholt. Wasser platscht auf die Ölanzüge der Fischer, die nun alle anpacken, um das Netz sorgfältig am Heck wieder zusammenzulegen. Kleine, silberne Fische hängen in den Maschen. Kapitän Paulo blickt trotzdem missmutig auf die Beute, die seine Männer mit einem großen Kescher in Plastikwannen schöpfen.
"Den Wurf hätten wir uns sparen können. Auf dem Echolot habe ich einen großen Schwarm gesehen, das sind jetzt vielleicht zwei Tonnen, die ich im Netz habe. Aber ich sehe keine Sardinen. Sonst zeigen sich die Sardinen immer an der Oberfläche, und hier sehe ich nur ganz wenige. Also war das wohl ein gemischter Schwarm mit mehr Makrelen und weniger Sardinen. Und das ist ganz schlecht. Die Makrelen schmeiße ich gleich wieder über Bord, und den Sardinen fallen beim Aussortieren die Schuppen ab, und dann sind sie nix mehr wert."
Lange passiert nichts. Paulo zählt fünf Fischkutter auf, die bereits mit voller Ladung zurück im Hafen von Peniche sind. Unten auf dem Heck ruht sich die Besatzung in einer Kajüte aus. Nur Toni sitzt draußen auf dem Netz und schaut über die weichen Wogen des Atlantiks in die untergehende Sonne. Das sei die beste Zeit, um Sardinen zu fangen, sagt Toni.
"Jetzt spielt die Natur hier die Musik. Alles bewegt sich. Die Fische kommen zum Fressen nach oben und lassen sich leichter finden. Manchmal schwimmen sie tief unten am Meeresgrund – in 55 oder 65 Meter Tiefe. Aber jetzt, zu dieser Stunde, kommen sie nach oben, und dann ist es ein einfaches Spiel. Für das Ökosystem des Meeres ist die Sardine enorm wichtig. Die Sardine ist ein fetter Fisch, und deshalb wollen alle sie fressen. Sie wandert durch die Meere, und überall wird sie verfolgt und gejagt. Von den Vögeln und Fischen. Und natürlich von uns Menschen: denn wir sind es, die den Planeten zerstören. Die Sardine ist die Königin der Meere. Das portugiesische Gold! Für uns Fischer ist sie das: Gold! Im Sardinenfang machen wir genügend Geld, um dann irgendwie über den Winter zu kommen."
Plötzlich fliegt eine Boje durch die Luft, dann erschallt das Warnsignal. Toni und die anderen Fischer springen auf und nehmen ihre Plätze ein. Beiboot runter, Ringwade raus, Seilwinde an. Die Sonne ist längst untergegangen, am Horizont dehnt sich ein dunkelorangener Streifen über das tiefschwarze Wasser. Die Besatzung holt das Netz ein, im Scheinwerferlicht funkeln die silbernen Körper der Sardinen, ein paar verhängen sich in den Maschen und werden von der Riemenscheibe zermalmt. Das Netz ist nun zwischen Kutter und Beiboot zu einer Tasche gespannt. Tausende von Sardinen glitzern im Wasser, wuseln und springen, tanzen wild an der Oberfläche.
Zehn Tonnen in einem Netz
Toni und seine Kollegen ziehen einen Kescher durch das Fisch durchtränkte Wasser und lassen das vollgepackte Netz von einem Kran an Bord heben. Sie kippen die Sardinen in große Plastikwannen, schütten Eis drauf und schließen sie mit einem Deckel. Kapitän Paulo steht oben auf der Brücke und achtet darauf, dass das Netz unter der Last der Fische nicht zerreißt.
"Die Fische sind zwar klein, aber es ist eine riesige Menge. Viel mehr, als ich überhaupt fangen darf. Das sind über 10 Tonnen hier, und ich kann nur 3,7 Tonnen mit an Land bringen. Ich packe so viel aufs Boot, wie es geht, und den Rest muss ich wohl später wieder über Bord schmeißen."
Überall an Bord springen Sardinen rum, zappeln im Netz, fliegen durch die Luft, zucken auf dem Deck. Kapitän Paulo gibt Vollgas Richtung Peniche.
Doch dann hört der Kapitän noch einen Funkspruch ab: Ein Kollege hat einen riesigen Fang mit dicken, großen Sardinen im Netz. Viel zu viel für sein kleines Boot. Paulo Leitão dreht bei und steuert den kleinen Holzkahn an. Das schwere Netz spannen die Fischer nun mit hohem Kraftaufwand zwischen die beiden Boote und ziehen mit dem Kescher die silbernen Fische an Bord. Das seien wirklich dicke Sardinen, sagt Paulo zufrieden, dafür bekomme er viel mehr Geld. Die kleinen Fische, von denen Paulos Mannschaft vor einer Stunde noch 10 Tonnen in die Plastikwannen geschüttet hatte, landen nun wieder tot im Meer.
Der Fang ist verkauft, bevor er an Land kommt
Es ist nach Mitternacht, als Paulo Leitão in den Hafen einfährt. Ständig hängt er am Handy: Die Sardinenhändler rufen an; seit Stunden warten sie ungeduldig auf den letzten Fang des Tages. Der Kutter legt an. Die Markthalle ist wie leer gefegt. Der Fisch wurde schon verkauft, bevor er überhaupt an Land kam. Vom dunklen Pier fahren Gabelstapler die Paletten mit den Sardinen sofort zu den Fischhändlern, und es ist nicht ganz klar, ob in dem hektischen Durcheinander überhaupt jemand kontrolliert, wieviel Fisch von Bord an Land geht.
Gegen ein Uhr morgens nehmen José Luz und seine Mitarbeiter die Paletten mit dem Fisch vor einem dreistöckigen Lagerraum neben der Markthalle entgegen. Fischhändler Luz rennt hektisch auf dem spärlich beleuchteten Parkplatz herum.
Die Zeit drängt. In wenigen Stunden müssen die Fische auf den Großmärkten im Raum Lissabon oder in den Konservenfabriken entlang der Küste eintreffen. Ein paar Männer packen im diffusen Scheinwerferlicht die Sardinen in handliche Styroporkisten, die erst abgewogen, dann mit Eis gefüllt und schließlich fest verpackt werden. Ein Teil wird in den gekühlten Lagerraum gerollt, ein anderer landet sofort in den Kleintransportern, die abfahrtbereit auf dem Parkplatz warten. Tür zu, Motor an, die Sardinen sind nun auf dem Landweg durch das nächtliche Portugal.
Die Konservenfabrik Briosa liegt im Fischerhafen von Figueira da Foz. Der beliebte Badeort, 200 Kilometer nördlich von Lissabon, ist für seinen langen, breiten Sandstrand direkt an der Mündung des Mondego bekannt. Auf der südlichen Seite des großen Flusses aber werden Paletten gestapelt, Fischer flicken am Kai ihre Netze, es riecht nach Brackwasser und Dieselöl. In der Fabrik streifen sich Produktionsleiter Rodriogo Souza und die Qualitätsmanagerin Joana Moreno Haarkappen und weiße Arbeitskittel über ihre Kleider.
"Als die ersten Konservenfabriken vor über 150 Jahren an der südlichen Algarve-Küste gebaut wurden, gab es dort die großen Sardinenschwärme. Doch mit der Zeit ist die Sardine in den Norden gewandert. Und die Industrie ist ihr hinterhergezogen; deshalb sitzt der größte Teil heute in Nordportugal."
Frischer Fisch in Vintage-Dosen
Im Eingangsbereich der Fabrik steht ein Tisch mit Produkten aus der neu entwickelten Gourmetlinie. "Briosa" verkauft seit Kurzem eine sogenannte Vintage-Sammlung: In einer auf alt getrimmten Holzkiste liegen fünf Dosen mit Sardinen unterschiedlicher Zubereitung: in feinem Olivenöl mit Knoblauch, in scharfer und normaler Tomatensauce, mit Gemüse und Gewürzen, in scharfem Olivenöl. Rodrigo erzählt, dass solche Gourmet-Produkte zwar nur 5 bis 10 Prozent des Umsatzes ausmachten, aber die hätten entscheidend dazu beigetragen, dass die Konserve nicht nur in Portugal das Stigma des Arme-Leute-Essens ablegen konnte.
Joana Moreno geht zu einem riesigen Plastikbehälter, in dem die Sardinen in Salzwasser liegen, und zeigt auf die Haut der Fische: Sie muss glänzen. Die Augen sollten klar sein.
Rotgefärbte, leere Konserven rattern auf ein kleines Förderband: an der Seite chinesische Schriftzeichen – die Sardinen, die am Morgen angeliefert wurden, hatten nicht das Zeug zum Gourmetprodukt; sie werden in Standarddosen landen, die für den asiatischen Markt bestimmt sind. Am Förderband stehen acht Frauen in blauem Arbeitskittel und weißer Plastikschürze. Sie legen Pfeffer, Gewürznelken, rote Chilibohnen, eingelegte Gurken und Karottenscheiben in die Weißblechkonserven. Von dort kommen die Dosen auf ein im Kreis laufendes Förderband. Links und rechts sitzen jeweils zwölf Fabrikarbeiterinnen an kleinen Arbeitsplatten und hantieren mit einer Schere. Blitzschnell schneiden sie den Fischen den Kopf und Schwanz ab, ziehen die restlichen Gedärme raus, und legen jeweils vier Sardinen in eine Dose, die danach von außen abgewaschen wird. Männer arbeiten hier nicht.
Die Sardinen liegen nun in der offenen Konserve und wandern in einen großen Wasserdampfkocher. Nach einer halben Stunde kommen sie am anderen Ende des langestreckten, geschlossenen Metallbehälters raus. Nach dem Kochvorgang kühlt die Sardine kurz ab, bevor sie mit Olivenöl bespritzt wird. Dann kommt der luftdichte Deckel drauf: Gewaschen und gespült landet die Dose in einem großen Korb. Mit einem Kran wird er Korb direkt in einen runden Metallbehälter gehoben. Eine Fabrikarbeiterin zieht die Schrauben am schweren Deckel zu: Die Sterilisation kann beginnen.
Extrem lange haltbar
"Jetzt kommt das Herzstück der Konservenindustrie. Die Fischdosen liegen rund 40 Minuten lang in dem Behälter und werden bei 121 Grad sterilisiert, bevor die Temperatur der Dose mit kaltem Wasser wieder gesenkt wird. Und das erzeugt eine kleine Revolution im Innern der Dose: Der Fisch kommt aus dem Ozean und ist voller Mikroorganismen. Durch die Sterilisation töten wir alle ab und dadurch wird sich die Sardine im Innern mit der Zeit nicht zersetzen. Die Haltbarkeit der Konserve ist deshalb extrem lange."
Die fertigen roten Sardinendosen mit dem Konterfei von Porthos, dem Musketier, auf dem Deckel purzeln in der angrenzenden Lagerhalle von einem Förderband auf einen großen Tisch. Ein paar Arbeiterinnen überprüfen, ob die Konserven im Produktionsprozess beschädigt wurden, ein paar andere sortieren jeweils 24 Dosen auf eine kleine Papppalette, die dann in eine Verpackungskiste kommt.
Die Fabrik, erzählt Rodrigo, habe sein Großvater 1991 gebaut, als die portugiesische Konservenindustrie kurz nach dem Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft von der Erschließung neuer Märkte profitierte. Doch dann kam eine schwere Krise:
"Wir kamen zu dem Schluss, dass wir nicht mit den in Marokko produzierten Massenprodukten konkurrieren konnten. Wir mussten auf Qualität setzen und damit werben, dass wir viel höhere Standards der Lebensmittelindustrie erfüllen können. Später kam dann noch das Konzept Gourmet hinzu: Die Leute haben begriffen, dass die Konserve nicht nur ein Essen in Kriegszeiten ist, sondern eine ganz außergewöhnliche kulinarische Erfahrung sein kann. Die Fischdose ist nun plötzlich in."
Zurück aufs Meer im Schiffscontainer
Rodrigo und Joana laufen an den zweistöckigen breiten Regalwänden vorbei, in denen sich die Sardinendosen auf großen Paletten türmen. Sie sind in Folie eingepackt, zusammen mit einem Beipackzettel, auf dem die Zielorte stehen: England, Macau, Shanghai. Ein großes Tor öffnet sich auf Knopfdruck. Rodrigo steht an der Rampe, wo sonst die Lkws halten, um die Sardinendosen einzuladen. Er blickt über den Hafen und das Industriegebiet, dahinter liegen die ersten Sanddünen und der weite blaue Ozean. Von hier geht die Reise der Sardine weiter, sagt er und lächelt: Häufig kommt sie noch einmal zurück aufs Meer – in einem Schiffscontainer.
In einer engen Straße in Lissabon tragen die Bars die Namen berühmter Hafenstädte: Tokyo, Oslo, Liverpool. Früher haben hier Matrosen in den spärlich ausgeleuchteten Nachtclubs Prostituierte aufgesucht. Heute ist das Viertel in der Nähe des Flussufers bei jungen Nachtschwärmern angesagt.
Zur Mittagszeit wirkt der Stadtteil verschlafen. In einer winzigen Bar hängen alte Fischernetze und Angelrouten von der Decke, in einer langen Glasvitrine liegen Hunderte von Fischkonserven. Das "Sol e Pesca" war einmal ein einfaches Anglergeschäft für die Fischer vom Tejo-Fluss, heute bietet es Drinks und Fisch aus der Dose.
Henrique Vaz Pato steht hinter einem winzigen Tresen, streift das Verpackungspapier von zwei unterschiedlichen Sardinendosen und zieht die Blechdeckel auf. Wenn es jemanden in Portugal gibt, der die hohe kulinarische Kunst der Fischkonserve vermitteln kann, dann ist es dieser kleine Mann mit Halbglatze und freundlichen Augen hinter den großen Brillengläsern. Henrique hat nicht nur das "Sol e Pesca" aufgemacht, er hat auch ein Buch geschrieben, über die beste Art und Weise, Konservenfisch zu essen.
Am besten mit Brot, Öl und Schnittlauch
Er nimmt eine kleine Salatzange in die Hand und holt eine Sardine sorgfältig aus dem Olivenöl. Wenn du die Fische nicht zerquetschen willst, erklärt er, musst du die Sardine, die in der Mitte liegt, zuerst rausnehmen. Er legt aus jeder Dose eine Sardine auf ein Stück Maisbrot, tröpfelt eine Extraportion natives Olivenöl auf den Fisch und streut ein bisschen Schnittlauch darüber. Die eine Sardine stammt aus einer kleinen Produktionsstätte im Süden Portugals, die sich auf den Gourmetmarkt spezialisiert hat: Das Fleisch ist hell und fest, die Sardine sehr dick um den Bauch, die Haut scheint immer noch zu schimmern. Die andere stammt aus einer Massenproduktion, das aufwendig designte Verpackungspapier scheint davon ablenken zu wollen, dass im Inneren der Dose ein schmächtigerer Fisch mit gelbem, breiigem Fleisch liegt.
Das Auge täuscht sich nicht. Henrique beißt in die dicke Gourmet-Sardine und kaut genüsslich. Da liegen Welten dazwischen, sagt er und säubert sich die öligen Finger an einer Serviette.
Eingedoste Sardine und Thunfisch, Krake und Makrele liegen übereinandergestapelt in der Vitrine. Henrique hat Dutzende verschiedene Sardinenarten, aber er legt Wert darauf, seinen Gästen auch andere Fische vorzustellen. Darunter einen, den bisher keine Konservenfabrik auf dem Plan hat: Der Drückerfisch – ein bunter Knochenfisch, der auch vor den portugiesischen Azoreninseln gefangen wird:
"Der Drückerfisch hat eine dicke Haut und er ist sehr hässlich. Wenn man ihn braten will, muss man die Haut abziehen, und das ist unheimlich schwer. Den Fisch will niemand haben und deshalb ist er billig. Als Konserve könnte man die Haut einfach dran lassen und in Olivenöl einlegen. Dadurch wird der Fisch mitsamt seiner Haut weicher. Und servieren würde ich ihn mit einem Spritzer Zitrone, Petersilie und Olivenöl; das schmeckt sicherlich ganz fantastisch."
Und wie kommt dann der Drückerfisch in die Dose? Henrique Vaz Pato wischt ein paar Brotkrümel vom Tresen und lacht: Nun, das ist eine ganz andere Geschichte...