Warum Wohlbefinden wichtig für Leistung ist
Für die Definition von Leistung spielt Wohlbefinden bisher kaum eine Rolle. Die Psychologin Michaela Brohm-Badry plädiert für ein Umdenken: Nur wenn das Wohlbefinden des Menschen berücksichtigt würde, könnten Menschen ihr volles Potenzial entfalten.
"In den bisherigen Leistungsdefinitionen spielt das Wohlbefinden ja überhaupt keine Rolle", kritisiert Michaela Brohm-Badry, Präsidentin der Gesellschaft für Positive Psychologie im Deutschlandfunk Kultur. Dabei gebe es starke Implikationen, die das bisherige Leistungsverständnis mit sich bringe.
"Wenn wir Leistung als Arbeit durch Zeit verstehen, dann verdichtet sich natürlich die Arbeitszeit, die Lernzeit und auch die Arbeitszeit zunehmend." Heute müssten immer weniger Menschen immer mehr leisten, sagte die Psychologin. Erkennbare Folgen seien unter anderem eine hohe Burnout-Rate, eine hohe Psychopharmaka-Rate, eine hohe Personalfluktuation in den Unternehmen und ein hoher Krankenstand. Menschen entwickelten auf diese Weise nicht etwa ihr volles Potenzial. Aus Sicht von Brohm-Badry sollte sich das dringend verändern.
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Heute beginnt in Trier die Konferenz der Deutschen Gesellschaft für positiv-psychologische Forschung, und da wird es unter anderem auch um eine Formel gehen, die eigentlich aus der Physik kommt: Leistung ist Arbeit durch Zeit. Das ist sozusagen das Original, das die meisten von uns prinzipiell kennen. Michaela Brohm-Badry, Präsidentin der Gesellschaft für Positive Psychologie, psychologische Forschung und Professorin für empirische Lehr- und Lernforschung an der Universität Trier, die würde diese Formel gern ersetzen oder stark verändern durch: Leistung gleich Arbeit mal Wohlbefinden durch Zeit. Schönen guten Morgen, Frau Brohm-Badry!
Bevor wir nicht mathematisch über diese Formel, sondern über die Ideen dahinter sprechen, müssen wir, glaube ich, erst mal erklären, was das eigentlich ist, positive Psychologie. Ist die Psychologie, so wie wir sie bisher kannten, etwa negativ?
Brohm-Badry: Ja, die Psychologie, mit der wir uns bisher beschäftigt haben, ist die Psychologie, die sich halt mit klinischen Befunden häufig beschäftigt. Und die positive Psychologie versucht eine neue Perspektive, eine wissenschaftliche Perspektive einzunehmen, auf das, was Individuen und Organisationen befähigt, sich bestmöglich zu entwickeln. Also es geht um die Ressourcenorientierung, um die Potenziale von Menschen. Und das ist unser Forschungsinteresse. Es geht um das psychische Wohlbefinden im Zentrum, und das beforschen wir in der positiven Psychologie.
Kassel: Damit sind wir ja, finde ich, relativ schnell schon bei dieser Formel. Es stellt sich trotzdem natürlich die Frage, wenn wir es jetzt mal rein technisch sehen, was hat das Wohlbefinden Ihrer Meinung nach in einer Leistungsberechnung zu tun?
Brohm-Badry: In den bisherigen Leistungsdefinitionen spielt das Wohlbefinden ja überhaupt keine Rolle. Aber natürlich haben wir ganz starke Implikationen, die unser bisheriges Leistungsverständnis mit sich bringt. Wenn wir Leistung als Arbeit durch Zeit verstehen, dann verdichtet sich natürlich die Arbeitszeit, die Lernzeit und auch die Arbeitszeit zunehmend.
Das heißt, immer weniger Menschen müssen immer mehr leisten, und das bringt eben ganz deutliche Folgen mit sich, also beispielsweise eine hohe Burnout-Rate, eine hohe Psychopharmaka-Rate, eine hohe Personalfluktuation in den Unternehmen, einen hohen Krankenstand. Das heißt, wir haben also für das Individuum, aber auch eben für die Organisation und die Gesellschaft immense Folgekosten in Bezug auf diesen Leistungsbegriff. Menschen entwickeln nicht ihr volles Potenzial in solchen Kontexten.
Lukrativer für Organisationen
Kassel: Nun könnte man aus dem, was Sie jetzt gerade gesagt haben, ganz simpel schließen, ja, dann sollen die Leute halt weniger arbeiten, und die Räume, in denen sie sitzen, sollen hübscher sein, und was weiß ich. Aber ich glaube, das, was sie tatsächlich meinen, ist ein bisschen komplizierter, oder?
Brohm-Badry: Wir gehen davon aus, dass dieses Wohlbefinden eine entscheidende Rolle spielt. Wenn Leistung definiert würde als Arbeit mal Wohlbefinden durch Zeit, dann würde man tatsächlich das Individuum in den Blick nehmen in den Organisationen. Und wir wissen aus der Forschung der positiven Psychologie, also der Positive-leadership-research-Ansätze, dass das tatsächlich auch lukrativer ist für die Organisationen. Die Organisationen blühen auf, wenn sie das Individuum in den Blick nehmen.
Und natürlich – wir wissen ja auch angesichts des demografischen Wandels, dass es immer weniger Fachkräfte gibt – die Organisationen werden auch langsam gezwungen, umzudenken und sich neu zu positionieren in Bezug auf den einzelnen Menschen in der Organisation. Von daher ist dieses Wohlbefinden nicht nur zu sehen als räumliche Gestaltung, sondern es geht beispielsweise auch natürlich um Anerkennung, um Wertschätzung, um positive Emotionen in den Organisationen. Also es geht darum, einfach im Hinterkopf zu haben, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur Produktionselemente sind, die eben dann Gewinne generieren sollen, sondern eben auch Mitarbeiter im humanistischen Sinne, Menschen.
Nachdenken über das Selbst wichtig
Kassel: Ich hab mir das mal, Entschuldigung, dass ich unterbreche, weil ein Begriff fehlt mir hier gerade noch, und zwar einer, der von Ihnen eigentlich kommt. Ich habe natürlich ein bisschen genauer durchgelesen, wie meinen Sie das alles, wie will man das herstellen, was Sie fordern. Und da fällt immer wieder der Begriff der Reflexion. Wenn ich das mal sehr einfach zusammenfasse, sagen Sie, wenn man Zeit und Gelegenheit hat, bei der Arbeit auch nachzudenken, über die Arbeit, aber vielleicht auch über andere Dinge, wird man zufriedener und produktiver. Ist das nur eine Idee, oder haben Sie das quasi auch schon nachgewiesen?
Brohm-Badry: Das können wir ganz deutlich nachweisen. Wir haben empirische Befunde aus einer sehr großen Studie an über 600 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Da konnten wir ganz deutlich empirisch und statistisch signifikant nachweisen, dass die Reflexionsfähigkeit, also das Nachdenken über das Selbst und über die eigenen Handlungen und Handlungskonsequenzen hochgradig verbunden ist, also assoziiert nennen wir das ja, also signifikant assoziiert ist mit der Leistungsmotivation.
Reflexionszeit und Leistungsmotivation hängen ganz deutlich zusammen. Das heißt, wenn Menschen Zeit haben, darüber nachzudenken, über sich selbst und ihre Handlungen nachzudenken, werden sie auch leistungsmotivierter.
Auch für Paketzusteller wichtig
Kassel: Nun glaube ich aber, dass viele sagen werden, okay, es gibt Berufe, da liegt das nahe. Ich vermute, da würden die meisten Menschen sowohl an Ihren als auch an meinen Beruf durchaus denken. Aber umgekehrt wird man sagen, nehmen wir mal – und bitte nicht böse sein, alle Angehörigen dieser Berufsgruppe –, nehmen wir mal einen Paketzusteller. Warum soll der über seine Arbeit nachdenken? Warum sollte er?
Brohm-Badry: Weil es gesunderhaltend ist beispielsweise. Wenn wir Zeit haben, über uns nachzudenken, und Zeit haben, einfach mal sich zurückzulehnen und in aller Ruhe sich mal den Dingen zu widmen auch innerlich, dann eben steigert sich auch das Wohlbefinden. Und dieses Wohlbefinden hängt ganz deutlich zusammen mit einem hohen Gesundheitsaufkommen, also einem Gesundheitsstand.
Das heißt, die Krankheit – wenn der Paketzusteller mehr Zeit hätte, nachzudenken in Ruhe, oder in Ruhe sich zurückzuziehen sozusagen, einige Minuten oder längere Zeit auch, dann eben würde wahrscheinlich der Krankenstand bei den Paketzustellern tatsächlich auch sinken. Wir haben in Organisationen immer wieder die gleichen Probleme, nämlich Burnout – und wir wissen ja auch von Paketzustellern, dass sie ungeheuer unter Druck stehen.
Und dieser Burnout führt eben auch zu einer hohen Personalfluktuation. Und damit, wenn man als organisationaler Sicht argumentiert, damit eben auch zu hohen Folgekosten für die Organisationen. Wenn ständig neue Paketzusteller eingearbeitet werden müssen, ist das viel, viel teurer, als wenn sie die alten Paketzusteller pfleglich behandeln, also im humanistischen Sinne pfleglich behandeln.
Kassel: Durchaus nachvollziehbares Argument von Michaela Brohm-Badry. Sie ist Präsidentin und übrigens auch Mitbegründerin der Deutschen Gesellschaft für Positiv-Psychologische Forschung, die ab heute eine große Konferenz an der Uni Trier veranstaltet. Frau Brohm-Badry, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.