Jutta und Ahed − eine Brieffreundschaft mit Happy End
20 Jahre lang schrieben sich Jutta aus Ost-Berlin und Ahed aus Aleppo Briefe, erzählten sich ihr Teenagerleben. Seitdem in Syrien Krieg tobt, will Jutta wissen, ob ihre Brieffreundin überhaupt noch lebt: Die Geschichte einer Suche.
Kaum sind die Hausschuhe verteilt, kommt Jutta zur Sache. Geht vor in ihre Küche und zeigt auf ein kleines schwarz-weiß Foto an der Wand. Das Foto zeigt eine junge Frau mit schulterlangen schwarzen Haaren und einer geblümten Bluse: Ahed Abdul Karim, Juttas langjährige Brieffreundin.
Seit der Krieg in Syrien tobt, macht sie sich Sorgen um sie, weiß gar nicht, ob Ahed noch lebt. Jutta will sie finden. Wo ist Ahed?, hat sie in großen Buchstaben neben das Bild geklebt. Im Zimmer nebenan hat sie zwei Stühle zusammen geschoben und darauf, sortiert nach Datum, rund 40 Briefe und Postkarten gelegt – alle von Ahed aus Aleppo.
"Ich war 14-jährig und hatte schon Schreibfreunde in der Sowjetunion, also in Russisch und wollte unbedingt endlich 'ne Schreibfreundin im kapitalistischen Ausland haben. Und das war gar nicht so einfach."
Briefe im Vier-Wochen-Rhythmus
1966 stolpert Jutta in Ost-Berlin in eine Ausstellung der Zeitschrift "Eulenspiegel" und entdeckt in einer Vitrine einen Leserbrief mit besonders schönen Briefmarken aus Syrien. Da schreib' ich einfach mal hin, beschließt sie und bekommt wenig später Post aus Aleppo.
Briefe auf Englisch gehen im Vier-Wochen-Rhythmus hin und her zwischen Ost-Berlin und Aleppo. In denen alles, was in einem Teenager-Leben so wichtig ist, ausgetauscht wird.
"Zum Beispiel hat sie mir erzählt im Physikunterricht, da passt sie gar nicht auf, schreibt mir lieber einen Brief …"
… und erzählt darin, welche Tanzschritte sie gerade lernt.
"Ich hab auch Tango und Walzer gelernt. Dann haben wir sogar Schritte mit Zeichenstift aufgesetzt, wie man die Schritte setzt, verrückt, oder? Also sie hat ein recht freies Teenagerleben gehabt."
Über Politik schreiben beide wenig. Mit 14, 15 und 16 sind alltägliche Dinge, Familie, Jungs, Mode, Sport und Musik viel wichtiger.
"Das ging ja nun los mit den Beatles. Dieser Begin der Musikszene war für uns gleich, wir sind gar nicht so weit auseinander gewesen, obwohl es Kilometer weit weg war und 'ne völlig andere Kultur. Dennoch schwappte da auch alles über."
Zehn Jahre Funkstille
Anfang der Siebziger-Jahre zieht Ahed nach Algerien, heiratet. Jutta hört fast zehn Jahre nichts von ihr. Erst als ein Bekannter in Jordanien einen Brief von Jutta abschickt, schreibt sie wieder.
"Sie hat mir mitgeteilt, dass sie auch zwei Kinder hat, zwei Söhne, im ersten Brief. Und im zweiten Brief hat sie mir dann mitgeteilt, dass ihr Mann aber schon tot ist."
Der Kontakt ist jetzt nur noch sporadisch, 1984 bricht er endgültig ab. Bis Jutta über 30 Jahre später im Radio hört, wie einfach es ist, Sprachnachrichten zu verschicken. Nur um zu hören: geht es dir gut?
Viel haben wir nicht. Ein paar Fotos von früher, den Namen der Schwester, der Söhne. Und den Namen der amerikanischen Schule, auf die Ahed ging. Jutta wirkt nervös, angespannt, zweimal muss sie weinen. Nach allem, was in Aleppo passiert ist, hat sie Angst, dass Ahed vielleicht nicht mehr lebt. Nach ein paar Minuten aber ploppt ein Facebook-Profil auf Hibas Smartphone auf.
"Ich habe Ahed Abdul Karim gefunden, der gleiche Name, aber mal sehen, was die Information ist. Ah, guck mal. Went to American school, sie wohnt in Beirut, sie ist von Aleppo. Vielleicht ist es sie?"
Drei Treffer bei Facebook
Kein Foto. Nur das Bild einer Handstickerei. Dazu aber ein Kommentar von einer Aruba – so heißt Aheds Schwester. Und ein Bild eines Mannes mit Schnäuzer und grauem Haar. Er sieht Aheds Bruder verdammt ähnlich. Drei Treffer. Wir beschließen, dieser Frau auf facebook zu schreiben.
Ein paar Tage später ist es soweit. Ahed antwortet – und: sie ist es!
"Sie hat geschrieben: Yeah! Was für eine surprise nach diese long time. Wie geht´s Jutta. Wohnst du mit Jutta? Und dann sie hat so viel erzählt."
Wieder ein paar Tage später sitzt Jutta bei uns im Funkhaus. Sie wirkt aufgeräumt, hat sich ein paar Notizen gemacht für ihr erstes Telefonat mit Ahed.
"Hello my dear. That´s me Jutta from Berlin. I am so pleased to hear your voice …"
Beide wissen gar nicht, wo sie anfangen sollen, fallen sich ständig ins Wort. Und am Ende streiten sie tatsächlich darüber, wie sie in Zukunft am besten miteinander korrespondieren wollen. Ahed möchte mit Jutta über WhatsApp sprechen. Jutta will anfangs lieber Briefe schreiben. Um den "alten Zauber" zu bewahren, sagt sie.
Hiba und ich sind uns einig: nach 34 Jahren ohne ein Lebenszeichen haben Jutta und Ahed jetzt wirklich ein Luxusproblem.