"Die Menschen haben richtig Lust!"
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Monatelang mussten vor allem viele Singles ohne körperliche Berührungen auskommen. Jetzt, wo Treffen wieder erlaubt sind, beobachtet die feministische Aktivistin Laura Méritt ein großes Bedürfnis nach Sex und ein Interesse, Neues auszuprobieren.
Social Distancing, Lockdowns, Kontaktreduktion, Selbstisolation – das bedeutete für viele von uns kaum noch Berührungen mit anderen Menschen. Für 40 Prozent der Bevölkerung war das besonders schlimm, so hoch ist in etwa die Zahl der Singlehaushalte in Deutschland. Die Pandemie war und ist für uns alle kein Zuckerschlecken.
Das Bedürfnis nach Berührungen ist jetzt, wo über die Hälfte der Bevölkerung mittels Impfungen vollständig immunisiert ist, besonders groß. Datingprofile enthalten immer öfter die Info "fully vaccinated" – eine Art Türöffner. Jetzt soll nachgeholt werden, was lange nicht möglich war. Dabei trifft man sich zum Gruppensex oder im Park zum Cruising.
"Der Hunger ist groß!", sagt die feministische Aktivistin und Kommunikationswissenschaftlerin Laura Méritt. Viele Menschen würden sich auf reelle Begegnungen freuen. Es sei eine Erleichterung, dass sie nicht mehr vor dem Computer sitzen müssten und eine "Tele-Sexualität" erleben, sondern dass sie wieder die Haut und die Energie von reellen Menschen spüren und Intimität teilen könnten. "Ich denke schon, dass Leute richtig, richtig Lust haben, aus den häuslichen Umgebungen auszubrechen und sich in das volle Leben und das volle Lieben zu stürzen."
Gut besuchte Sexworkshops
Sie habe auch festgestellt: Weil die Sexerziehung und die sexuelle Bildung nicht mehr der Mainstreampornografie überlassen werde, würden die Menschen dazulernen und hätten auch das Bedürfnis, viel mehr auszuprobieren. So seien beispielsweise jetzt auch Sexworkshops gut besucht, in denen Vulva- und Analmassagen mit anderen Personen geübt werden. "Leute haben wirklich Lust, noch einmal dazuzulernen."
Im Zuge von Corona sei auch das Cruising, also Sex in etwas abgeschiedener Öffentlichkeit, besonders beliebt gewesen, sagt Laura Méritt. Während des Lockdowns habe es ja keine anderen Möglichkeiten für intime Treffen gegeben. So hätten sich auch Frauen im Berliner Tiergarten getroffen, wobei manche auch einfach nur einmal geschaut hätten, was sie dort erwarte:
"Das ist ja auch der Reiz von diesem öffentlichen Raum. Dass man hingeht, dass man die anderen Leute anguckt. Man weiß eigentlich nicht so genau, ist da jemand interessiert oder nicht. Da entwickeln sich ja auch ganz andere Begehrensformen. Und das ist ja auch etwas Spannendes."
Menschen wollen ihren Horizont erweitern
Laura Méritt ist auch Mitinitiatorin des feministischen PorYes Award, der sich für realistischere und gendergerechtere Darstellungen in Pornofilmen einsetzt. So habe sie den Eindruck, dass in der Coronazeit auch mehr "alternative und feministische Pornos" geschaut wurden und dass dafür auch das Interesse gestiegen sei. Dieses Interesse baue aber auch auf die feministische Vorarbeit vieler Generationen mit auf, gibt Laura Méritt zu bedenken.
Insgesamt habe sie den Eindruck, dass Aufklärung und sexuelle Bildung immer mehr Wirkung zeigen, Menschen offener werden und ihren Horizont erweitern möchten. Internalisierte Normen würden durch Formate wie den PorYes Award aufgeweicht und das sei toll.
(jde)