"Die Besucher verändern die Stadt"
Der moderne Hipster- oder Post-Tourist übernachtet in Wohnungen nicht im Hotel, und bleibt auch gerne länger. Im modernen Tourismus verschwimmen die Grenzen zwischen Freizeit und Arbeit, zwischen Besuch und Bleiben. Der Post-Tourismus verändert die Stadt, sagt Kulturwissenschaftler Johannes Novy.
Der Kulturwissenschaftler Johannes Novy sieht im Phänomen des modernen Städtetouristen Auswirkungen eines veränderten Begriffs vom Reisen
"Die Grenzen zwischen Tourismus und anderen Formen der Mobilität, zwischen Tourismus und anderen Formen von Freizeit und Arbeitsleben sind zunehmend verschwommen", sagte Novy im Deutschlandradio Kultur. Ursache seien die Veränderungen im Verhältnis von Arbeit und Freizeit sowie die gestiegene Mobilität. "Daher sprechen manche Kollegen davon, dass wir uns im Grunde in einer Zeit nach dem Tourismus befinden - we are all tourists all oft he time - hat ein Kollege gesagt."
Auch beim sogenannten Post-Touristen, der nicht an klassischen touristischen Mainstream-Sehenswürdigkeiten, sondern möglichst authentischen lokalen Orten oder Erfahrungen interessiert ist, lasse sich als Motiv die Suche nach der Flucht aus dem Alltag ausmachen, allerdings nicht als alleiniges Motiv, analysierte Novy, der zu internationaler Urbanistik, Stadtentwicklungspolitik, Städtetourismus sowie sozialen Bewegungen und urbanen Kontroversen forscht und lehrt. Viele Besucher, die wir als Touristen wahrnähmen, seien aber nicht zuletzt auch jobbedingt in Städten wie Berlin und blieben entsprechend oft auch länger.
Nicht nur Konsumenten - auch kulturelle Produzenten
Zu den positiven Effekten am Beispiel Berlin zähle eine steigende Internationalität der Bewohner sowie das breite kulturelle Angebots und eine kulinarischer Vielfalt, die durch die Nachfrage, aber auch durch die Besucher selbst steige: "Das wird oft unterschätzt: Dass viele die wir als Post-Touristen, Hipster-Touristen oder Easyjetset abklassifizieren eben nicht nur Konsumenten sind (...) sondern als kulturelle Produzenten in Erscheinung treten," erklärte Novy, der als Doktor der Philosophie und Stadtplaner am Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik der Technischen Universität Berlin lehrt sowie den Lehrstuhl als Gast-Professor für Planungstheorie an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg innehat.
Zu den Herausforderungen auch für Stadtpolitik zählten die Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt durch Umwandlung von Wohnungen in Ferien-Appartements sowie das Phänomen der "Touristifizierung": "Dass einzelne Kieze zunehmend überformt werden durch das Konsumverhalten von Touristen, Post-Touristen, von Menschen, die sowohl über das Einkommen als auch die Zeit verfügen, es sich gut gehen zu lassen in unseren Städten." Ein solcher Hedonismus werde dann problematisch, wenn Einzelhandel und Gewerbe in einzelnen Kiezen zunehmend zugunsten von Anbietern verdrängt würden, die am Bedarf der Besucher ausgerichtet seien, wie Bars oder Souvenirshops."Die Besucher verändern die Stadt", sagte Novy, der auch in beratende Tätigkeit für die „Visit Berlin" Tourismusmarketing GmbH der deutschen Hauptstadt tätig war.
Angesichts von Forderungen des italienischen Kulturministers nach einem kultivierterem "Tourismus der Exzellenz" oder der Kritik an Hostel-Touristen warnte der Kulturwissenschaftler zugleich vor einer Kritik, die "geprägt sei von der mitunter sehr elitären Grundannahme, der Tourist ist immer der andere, man selber ist der Reisende".
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Das vollständige Interview im Wortlaut:
Miriam Rossius: Kaum ein Flecken Erde ist mehr unentdeckt, am Ballermannstrand auf Mallorca gibt es jetzt Benimmregeln, und nach all den Streiks bei Bahn- und Fluggesellschaften kann es schon viel wert sein, überhaupt von zu Hause wegzukommen und zum Urlauber zu werden. Oder vielleicht eher zum Posttouristen – ein neuer Typus des Reisenden, mit dem sich der Stadtplaner Johannes Novy beschäftigt. Er arbeitet an der Technischen Universität Cottbus-Senftenberg und im Moment in Chicago. Herr Novy, der klassische Klischeetourist wird anscheinend immer seltener, jedenfalls in großen Städten. Woran liegt das?
We are all tourists all of the time
Johannes Novy: Das Spektrum von touristischer Mobilität ist so gewachsen, und die Grenzen zwischen Tourismus und anderen Formen von Mobilität zum einen, aber auch zwischen Tourismus und anderen Formen von alltäglichem Freizeit- und Arbeitsleben, die sind zunehmend verschwommen, und deswegen sprechen manche Kolleginnen und Kollegen davon, dass wir uns im Grunde genommen in einer Zeit nach dem Tourismus befinden, weil wir alle ... We are all tourists all of the time, hat ein Kollege von mir mal gesagt.
Rossius: Also wir sind alle zu jeder Zeit unterwegs. Was treibt denn den Posttouristen als Reisenden an? Er sucht nicht mehr danach, seinem Alltag zu entfliehen. Wonach sucht er denn sonst?
Novy: Na ja, manche haben nach wie vor das Bedürfnis, ihrem Alltag zu entfliehen, ich glaube, das Bedürfnis haben wir alle. Aber worum es geht, ist, festzuhalten, dass das nicht das alleinige Motiv ist touristischer Mobilität, sondern dass wir es mit einem ganz großen Spektrum von Motiven zu tun haben, und die betreffen aber auch nicht nur die Freizeit, sondern gerade in europäischen Städten, glaube ich, ist ganz wichtig, festzuhalten, dass viele, die zu Besuch sind, nicht zuletzt auch zu Besuch sind aufgrund ihrer Arbeitsrealitäten. Also wir befinden uns in Europa in einem Kontext, wo berufsbedingte Mobilität ja nicht nur erleichtert wurde aufgrund der europäischen Integration, sondern auch zunehmend gefordert ist, und viele Besucher in Städten wie Berlin, die wir als Touristen wahrnehmen, sind bei uns nicht zuletzt auch jobbedingt.
Rossius: Wenn Sie sagen, das Reisen oder der Aufenthalt in großen Städten oder auch im Ausland hat sich verändert und die Leute bleiben auch länger dort, das Ganze hat zu tun damit, dass sie von dort auch arbeiten können, dass wir alle vernetzt sind, dann ist das ja eine Herausforderung für ganz unterschiedliche Bereiche: Für die Tourismusbranche, für Stadtplanung und für Stadtpolitik. Ist diese Erkenntnis dort schon angekommen, dass man offensichtlich umdenken muss?
Diese Besucher verändern die Stadt
Novy: Ich glaube, die Erkenntnis setzt langsam ein, das kann man schon sagen. Also man muss immer den Hintergrund sehen, dass wir bis vor einigen Jahren in der ganzen Auseinandersetzung über Tourismus uns beschränkt haben auf dieses eine Segment, was gerade für die Tourismusindustrie signifikant war, und wenn ich Tourismusindustrie sage, dann meine ich in erster Linie die Hotelindustrie erst mal, also da hat man fast ausschließlich sich mit diesen Touristen beschäftigt. Und gerade in Städten wie Berlin aber auch anderen Metropolen stellen wir eben fest: Das ist eben nur dieses eine Segment und es gibt eine Vielzahl anderer Besucher, und diese Besucher verändern Stadt, aufgrund ihrer schieren Anzahl zum einen, aber auch aufgrund ihres Auftretens in Stadträumen, ihres Konsumverhaltens et cetera, et cetera, et cetera. Das ist ja auch die Diskussion, die wir in gerade Stadtteilen wie Kreuzberg und Neukölln jetzt eben führen, wo wir sagen: Der Tourismus ist raumprägend, und der Tourismus in all seinen Facetten ist raumprägend, und das bringt viele positive Begebenheiten mit sich, aber eben auch Herausforderungen, nur um ein konkretes Beispiel zu nennen, hinsichtlich der Folgen für den Wohnungsmarkt.
Rossius: Wie verändert sich denn das Zusammenleben in der Stadt, in dem Fall in Berlin? Wie verändert sich die Atmosphäre durch die Menschen, die hier kürzer oder länger eben auch bleiben?
Berlin ist internationaler geworden - aber auch "touristifiziert"
Novy: In vielfältiger Art und Weise, und ich würde sagen wollen: zunächst positiv. Berlin ist viel internationaler geworden. Wir verdanken der Nachfrage von Touristen, von Besuchern unser reichhaltiges kulturelles Angebot zum Beispiel, einerseits, weil die Nachfrage von Besuchern uns überhaupt ermöglicht, das reichhaltige kulturelle Angebot, was öffentlich mitfinanziert wird, aufrechtzuerhalten, und zum anderen, weil Besucher oder Menschen, die zu uns kommen, zunächst temporär, aber vielleicht später auch dauerhaft, nicht nur Kultur konsumieren, sondern auch als kulturelle Produzenten ja häufig in Erscheinung treten. Das wird, glaube ich, ganz oft unterschätzt, dass viele derer, die wir als Touristen oder Posttouristen, Hipstertouristen, Easyjetset abklassifizieren, eben nicht nur Konsumenten sind, sondern zum Beispiel in der Musikszene et cetera, et cetera, durchaus auch zum kulturellen Leben beitragen. Oder ein anderes, was ich augenscheinlich finde, ist auch das reichhaltige kulinarische Angebot in Berlin. Das existiert, weil es eine Nachfrage dafür gibt zum einen, aufgrund auch der Internationalität der Stadt, und es existiert aber auch, weil viele Menschen, die zu uns zu Besuch kommen, sich entscheiden, zu bleiben, und dann zu der kulinarischen Vielfalt in der Stadt beitragen, indem sie selber eine Bar oder eine Kneipe oder ein Restaurant aufmachen. Also das sind alles Beispiele, die positiv sind und die man, glaube ich, nicht vergessen darf in der jetzt stark oder intensiv geführten Debatte über die Herausforderungen. Und die Herausforderungen betreffen zum einen tatsächlich den Wohnungsmarkt, wir haben intensiv gestritten und diskutiert über die Auswirkung der Ferienwohnungsproblematik auf dem Wohnungsmarkt, das ist eine Debatte, die ist ernstzunehmen, die müssen wir führen, und sie betreffen aber auch die Veränderungen, die oftmals jetzt unter dem Begriff der Touristifizierung beschrieben werden, also dass einzelne Kieze zunehmend überformt werden durch das Konsumverhalten eben von Touristen, Posttouristen, von Menschen, die sowohl über das Einkommen als auch die Zeit verfügen, es sich gutgehen zu lassen in unseren Städten. Das ist auch nicht problematisch per se – es wird dann problematisch, wenn zum Beispiel – was Einzelhandel und Gewerbe angeht in einzelnen Kiezen – zunehmend Anbieter verdrängt werden, die mehr auf den alltäglichen Bedarf von Bewohnern abzielen durch dann eben Bars und Souvenirshops et cetera, et cetera, et cetera. Und da ist die Politik schon gefordert und muss sich überlegen, wie man damit umgehen soll in Zukunft.
Italiens Kulturminister fordert einen kultivierteren Tourismus der Exzellenz
Rossius: Jetzt gilt Berlin als Testfall für die Entwicklung hin zum Posttourismus. Aber wenn wir noch mal ganz woanders hinschauen, nämlich nach Italien: Der italienische Kulturminister, der hat vor wenigen Tagen gesagt, er möchte einen kultivierteren Tourismus in Italien, Tourismus der Exzellenz. Was halten Sie denn davon?
Novy: Da habe ich meine Schwierigkeiten mit, also da müsste er zunächst mal konkretisieren, was er genau damit meint. Ich glaube, die Debatte über Tourismus ist seit jeher, seit wir über Tourismus sprechen, als Phänomen geprägt mitunter von sehr elitären Grundannahmen. Also der Tourismus ist immer der andere und man selber ist der Reisende. Und ich würde da Vorsicht walten lassen. Also auch in Berlin haben wir das schon vernommen, dass davon geredet wird, dass man jetzt die Häufung von Hostels eindämmen muss, weil man mit Hostelbesuchern eher gewisse Probleme verbindet als mit anderen. Ich wäre da vorsichtig, weil ich finde, dass man Menschen zum Beispiel mit geringerem Einkommen, die in Hostels absteigen, nicht pauschal unterstellen darf, sich weniger kultiviert oder zivilisiert zu verhalten als andere.
Rossius: Herr Novy, dann zum Schluss: Wie reisen Sie eigentlich? Sind Sie auch schon Posttourist?
Novy: Unweigerlich ja. Wie bereits beschrieben, glaube ich, dass das Mobilitätsverhalten heutzutage nicht zuletzt gesellschaftlichen Realitäten auch den Arbeitsmarkt betreffend geschuldet ist. Und ich habe das Gefühl, ich bin ständig unterwegs und selten zu Hause, oder alternativ gesprochen fühle ich mich inzwischen an sehr vielen unterschiedlichen Orten auch sehr zu Hause.
Rossius: Johannes Novy war das, Stadtplaner und Professor für Planungstheorie an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg, aber auch noch viel anderswo unterwegs. Danke für das Gespräch!
Novy: Herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.