"Postcard to Daddy"

26.05.2010
Michael Stock ist von seinem Vater missbraucht worden. Nach einem chaotischen Leben in der Berliner Schwulenszene, infiziert mit AIDS und mehreren Schlaganfällen beginnt er mit der Kamera eine Selbsterkundung.
Deutschland 2010, Buch und Regie: Michael Stock, 86 Minuten, ab 16 Jahren

Der Tonfall dieses Films hat nichts mit den hitzigen Debatten um das Thema "Missbrauch" in den letzten Monaten gemein. Sachlich und ruhig erzählt der Regisseur Michael Stock von den sexuellen Übergriffen des Vaters während seiner Kindheit und Jugend. Zum ersten Mal wurde Stock als Achtjähriger missbraucht – und dann über acht Jahre hinweg.

Stock sucht seine älteren Geschwister auf, den einzelgängerischen Bruder und die Schwester, die mittlerweile selbst eine Familie hat. Auch die Mutter kommt in ausführlichen Gesprächen zu Wort. Fand der Missbrauch wirklich ganz unbemerkt statt? Oder ohne, dass er bemerkt werden wollte? Nie klagt der Regisseur an.

Fassungslos schaut er auf die traurige Geschichte seiner Familie, versucht auch die eigene Verdrängungsleistung zu hinterfragen. War es der Wunsch nach Harmonie, die Sehnsucht nach der perfekten Familie? "Postcard to Daddy" zeigt, wie der Missbrauch einen Menschen zerstört hat. Sein Selbstbewusstsein, sein Körpergefühl, seine Fähigkeit, sich auf Beziehungen jenseits der erlebten Muster von Ausgeliefertsein und Verfügbarkeit einzulassen. Michael Stock wurde drogensüchtig und ist HIV-positiv.

Wo packt man die traumatischen Erinnerungen hin? Und kann man mit sich selbst Frieden schließen, ohne vorher mit dem Vater und den anderen Familienmitgliedern ins Reine zu kommen? Letztlich weiß Michael Stock, dass sich all diese Fragen nie vollständig beantworten lassen. Doch durch den Film hat er das Gespräch gesucht. Er hat die Erfahrung gemacht, dass Hass vor allem in die Selbstzerstörung führt. Dass es darum geht, zu begreifen, was ihm zugefügt wurde –und die Trauer zuzulassen.


Filmhomepage "Postcard to Daddy"

Link bei dradio.de:

Interview mit Michael Stock zu "Postcard to Daddy"