Das Latitude-Festival endet am 6. Juni 2020.
Lücken im Diskurs - dem Globalen Süden zuhören
05:57 Minuten
Es geht um Begenungen auf Augenhöhe. Das vom Goethe-Institut organisierte digitale Festival "Latitude" lädt Künstler und Intellektuelle aus dem Globalen Süden zum Gespräch ein. Möglich ist das derzeit nur online.
Die Verbindung steht, es kann losgehen. Ein Experiment.
"Hallo zusammen. Eigentlich wären wir jetzt alle gemeinsam in Berlin und jetzt sind wir hier!"
Moderatorin Prasanna Oommen begrüßt Menschen aus aller Welt, vor allem aus Ländern, die sonst wenig im Fokus stehen - Kenia, Bahrain, Guatemala, Burkina Faso, Guinea Bissau, Mosambik.
"Hallo zusammen. Eigentlich wären wir jetzt alle gemeinsam in Berlin und jetzt sind wir hier!"
Moderatorin Prasanna Oommen begrüßt Menschen aus aller Welt, vor allem aus Ländern, die sonst wenig im Fokus stehen - Kenia, Bahrain, Guatemala, Burkina Faso, Guinea Bissau, Mosambik.
Regionen, die bei diesem Festival als Globaler Süden bezeichnet werden, um veraltete Begriffe wie "Entwicklungsländer" zu vermeiden. Überhaupt sind diese digitalen Begegnungen dazu gedacht, neue Perspektiven einzunehmen - entlang der Breitengrade, Latitude eben.
Menschen in Kästchen versuchen miteinander zu reden
Die aus Indien stammende und in Deutschland lehrende Politikwissenschaftlerin Nikita Dhawan sitzt unter mittelmäßigen Lichtverhältnissen vor dem Laptop und spricht in die Kamera und wie fast alle natürlich vor einem Bücherregal. Wir können sie sehen, wir können sie hören, aber kommunizieren geht nur über einen wenig genutzten Chat. Es ist das Bild, das in Pandemiezeiten überall zu sehen ist: Menschen in Kästchen versuchen miteinander zu reden.
Nikita Dhawan sagt aber etwas Zentrales: Der Westen brauche eine neue Ethik des Zuhörens. Nur weil ein Vertreter des Globalen Südens spricht, heißt das noch lange nicht, dass er gehört wird. Sie diskutiert hier gemeinsam mit dem aus dem Senegal stammenden Philosophen Souleymane Bachir Diagne, der gerade in New York lehrt.
Souleymane Bachir Diagne: "Art is a great equalizer!"
Ihm geht es wie so vielen bei diesem Festival um Augenhöhe. Das meint vor allem: Nicht-westliche Stimmen als eigenständig anzuerkennen und sie nicht zu vergleichen oder als "Kontrast" zum Westen wahrzunehmen. Diagne glaubt daran, dass Kunst Gleichheit herstellen kann: "Art is a great equalizer!" Deutschland ist für ihn, zumindest in der Diskussionskultur zwischen Globalem Norden und Süden, führend.
Dieses rein digitale Festival macht auf einfache technische Weise ungehörte Stimmen hörbar und füllt damit Lücken im Diskurs. Der deutsche Journalist Malcolm Ohanwe hat einen Vater aus Nigeria und stört sich an den sozialen Medien, die weiß dominiert seien: Twitter, TikTok – Schwarze, sagt er, profitierten kaum von dem, was sie kulturell beitragen. Das betreffe auch die Sprache. Maßstab setzend sei das "weiße" Englisch aus Europa oder von der Ostküste Amerikas: "The language is specifically made for white bodies."
Zwischen den Diskussionsrunden treten immer wieder Künstler auf - wie etwa Eric 1Key aus Kigali, Ruanda. Er singt davon, dass er auf ein hartes Leben nur mit innerer Härte reagieren kann. Und dass er sich nicht unterkriegen lässt. Er, wie so viele, arbeitet immer wieder mit europäischen Institutionen zusammen, was ambivalent ist. Sie liefern Geld und Infrastruktur, aber auch Abhängigkeiten.
Unfaire Praxis bei der Bewerbung um Fördergelder
Davon berichtet Esra'a Al Shafei, Menschenrechtsaktivistin aus Bahrain, die bei diesem Festival ihre Kamera ausgeschaltet hat, weil sie nicht erkannt werden will:
"Wenn wir uns bei westlichen Organisationen um Unterstützung bewerben, dann heißt es oft, ihr braucht Partner aus dem Globalen Norden, sonst wird das nichts. Also bitten wir zum Teil irgendeine weiße Person – auch ohne Bezug zum Projekt – ihren Namen unter den Antrag zu setzen. Dann kommt aber das nächste Problem: Diese weiße Person reißt das Projekt an sich, nimmt sich 80 Prozent des Budgets und gibt es für Gehälter und Ähnliches aus. Die restlichen 20 Prozent für uns bedeuten in der Praxis, dass wir wiederum kostenlos arbeiten, während die Weißen sich mit dem Projekt schmücken. Und so läuft das schon seit Jahrzehnten."
"I can't breathe!" im Zeichen der Coronapandemie
Währenddessen bekommt der senegalesische Philosoph Souleymane Bachir Diagne die Antirassismusproteste in New York vor der Haustür mit. Diagne sieht eine Verbindung zwischen der Coronapandemie und dem Satz "I can't breathe!". Er spricht von Rassismus und Ungleichheit und erinnert daran, wie ein Polizist seinem Opfer die Luft nimmt, ausgerechnet in einer Pandemie, die unsere Atmungsorgane bedroht.
Die Proteste, auch in Europas Hauptstädten, erinnern ihn an eine existenzielle Ungleichheit, in der es um Leben und Tod geht - denn die Menschen, die an diesem Virus sterben, seien vor allem People of Color:
"This Cop, who killed a man, prevented him from breathing at a time when we are under attack by a virus, which is attacking our own breathing capacity, is emblematic. The people, who are dying from this virus, are disproportionately People of Color."
Dieses Festival will keine einmalige Angelegenheit sein, sondern die Weiterentwicklung einer Plattform. Die Internetseite bleibt erhalten und soll Knotenpunkt eines Netzwerkes werden, um wenig gehörte Stimmen aus dem Globalen Süden hörbarer zu machen.