Postmoderne Bruch-Stücke vom Nachwuchs
In jedem Jahr würdigt das Treffen die Stücke von Nachwuchsautoren. Aus 325 Einsendungen konnte die Auswahl-Jury diesmal wählen. Erstmals öffnete sich der tt-Stückemarkt dabei auch den Ideen von Theaterkollektiven.
Sie heißen Markus & Markus, kommen aus Hildesheim, wandten sich als Aliens an die Jury des Stückemarkts und versprachen ein "intergalaktisches Feuerwerk". Diese Aliens, jetzt auf der Bühne ganz in weiß vor ihren Labtops, haben sich angeguckt, was die Menschen in den 70er Jahren ins All schickten, um Kontakt zu Außerirdischen aufzunehmen und sich in möglichst gutem Licht zu präsentieren: Auf den vergoldeten Phonogrammplatten, die am Rand des Sonnensystems kreisen sind Fotos von der Erde, von Tieren, von Menschen aus allen Erdteilen, aber auch Zeichnungen und – Musik.
Zum Beispiel aus Mozarts Zauberflöte die Arie der Königin der Nacht. Markus & Markus wollen nun wissen, ob das Stückemarktpublikum, als "Vertreter der sieben Milliarden Erdlinge" tatsächlich so singen kann, wie diese Königin der Nacht. Jedoch: Fehlanzeige. Zu hören ist nur eine lustige Kakophonie. Wenigstens in diesem einen Moment hatte diese – mit Mentor René Pollesch während des Theatertreffens entwickelte - Performance was Heiteres. Ansonsten kam die Erkenntnis, dass die Erdlinge leider in keinster Weise dem Bild entsprechen, das sie im All von sich zeichnen, erstaunlich humorlos und langatmig über die Rampe.
Da konnte man live erleben, wie ungeheuer schwierig es ist, eine gelungene Performance auf die Bühne zu bringen, selbst wenn eine Projektidee so vielversprechend ist, wie diese.
Zum ersten Mal waren in diesem Jahr beim Stückemarkt Projektkonzepte gefragt. Also keine fertigen Stücke, sondern Ideen. 39 solcher Konzepte wurden eingesandt. Der Stückemarkt reagiert damit auf eine ganz wichtige Strömung: Theaterkollektive sind derzeit sehr erfolgreich, im vergangenen Jahr war zum Theatertreffen etwa She She Pop eingeladen (mit "Testament", einer Lear-Variation mit den eigenen Vätern der siebenköpfigen Truppe).
Dieses Jahr ist Gob Squad dabei – ein deutsch britisches Performer-Kollektiv ("Before your very eyes", eine Produktion, die Kinder in den Mittelpunkt stellt). Beide Gruppen stehen mit ihrem Erfolg für eine entscheidende Veränderung der Theaterlandschaft: Wenn sich angehende Theatermacher früher fragten, was muss ich tun, um ein großer Autor, ein großer Schauspieler oder ein großer Regisseur zu werden, kann jetzt die Frage auch lauten: Welche Arbeitsstruktur muss ich mir schaffen, um das zu verwirklichen, was ich vorhabe. Die Rollen sind dabei nicht mehr festgelegt: In einem Kollektiv ist jeder Autor, Regisseur und auch Schauspieler.
She She Pop oder Gob Squad arbeiten teilweise Jahre an ihren Produktionen - insofern also kein Wunder, dass Markus & Markus der Erfolg aus dem Stand heraus erst einmal nicht gelang. Sie wurden bei der Preisverleihung gestern nicht bedacht.
Dafür bekam – sehr verdient – der 25-Jährige Berliner Autor Michel Decar den mit 5000 Euro dotierten Förderpreis für Neue Dramatik. Für sein Stück "Jonas Jagow", das nun nächstes Jahr am Maxim Gorki Theater in Berlin uraufgeführt wird.
Michel Decar spiegelt darin auf sehr subtile und kluge Weise das Lebensgefühl seiner Generation. Jonas Jagow will eigentlich das Universum zerstören, weil das aber auf einmal etwas viel ist, wäre er erstmal mit der Zerstörung Berlins zufrieden. Doch er schreitet nicht zur Tat. Auch wenn er wütend ist, sehr wütend. Und das gilt auch für den Autor Michel Decar, der (auch) stark von René Pollesch beeinflusst ist und sagt: Theater muss immer kraftvoll sein und gegen etwas sein. Wogegen aber?
"Gegen unfassbar viele Dinge, die mich aufregen. (..) Die unfassbar vielen Ungerechtigkeiten, die einem selber widerfahren aber die auch weltweit existieren und von denen wir wissen. Das Internet ist so präsent, wir können uns über alles informieren, was in jedem Land dieser Erde statt findet. Wir haben diese Macht der Information und wir nutzen sie aber nicht."
Das hat aber, sagt Michel Decar auch einen Grund: Wir nutzen die Macht der Information nicht, weil wir uns dabei in Widersprüche verstricken würden, weil wir im globalisierten Kapitalismus oftmals die unterstützen, die wir eigentlich gar nicht unterstützen wollen. Es war nie so schwer wie heute, meint Decar, zu sagen, gegen wen genau wir wie vorgehen sollen.
Den mit 7000 Euro dotierten Werkauftrag des Theatertreffen-Stückemarkts gewann die Engländerin Pamela Carter. Sie präsentierte auf dem Stückemarkt "Skåne" – die Geschichte einer aus den Fugen geratenen Beziehungs- und Familienwelt, in sehr gut geschriebenen Dialogen, dramaturgisch interessant.
Pamela Carter erzählt die Geschichte von hinten nach vorn: Alles beginnt mit der reuevollen Wiedervereinigung und endet mit der Affäre, die das Familiendesaster auslöst. Die 42-Jährige ist nun beauftragt, ein neues Stück zu schreiben, das nächstes Jahr am Staatsschauspiel Dresden uraufgeführt wird.
Und das Stück des 1986 in Leipzig geborenen Wolfram Höll wird vom Deutschlandradio als Hörspiel produziert – es heißt "Und dann" und ist ganz aus der Perspektive eines Kinds erzählt, das einsam ist, die Mutter verloren hat und sich erinnert. Ein sehr berührender Text.
Berührend war im Übrigen ebenso das Stück "Fremde Körper" der polnischen Autorin Julia Holewinska, die von Männern erzählt, die sich in ihren Männerkörpern wie Frauen fühlen und damit ein Bild für ein Polen findet, das zwischen kommunistischer Vergangenheit und kapitalistischer Gegenwart darum kämpft, sich im eigenen "Körper" wohl zu fühlen.
Bei so verschiedenen Themen stellt sich die Frage: Gibt es etwas, was all die Texte des diesjährigen Stückemarkts vereint? Nein, sagt Christina Zintl, Leiterin der Stückemarkts, aber:
"Ich würde sagen, gerade diese Vielfalt, diese Disparatheit, das Auseinanderfallen, ist bezeichnend für die Auswahl. Und in dem Sinne denke ich, ist es vielleicht auch so etwas wie ein Abbild unserer Gesellschaft, die ja gerade auch dieses Nebeneinander und die Abrufbarkeit von vielen Themen und Materialien und Dokumenten ausmacht."
Sicher aber ist, alle Autoren haben eine Haltung zu unserer Welt, sie beobachten, was passiert, sind also sehr wach. Sie reagieren auf die Widersprüche der zerfallenden, postmodernen Gesellschaft. In der immer mehr Teilhabe möglich, jeder aber gleichzeitig aufgefordert ist, für sich und seine Nächsten die Verantwortung zu übernehmen. Der Stückemarkt war in dieser Hinsicht in diesem Jahr wirklich erlebenswert – wegen der vielen Bruch-Stücke, die es in sich hatten.
Links auf dradio.de:
Polit-Protest und Psycho-Horror - Auftakt des Berliner Theatertreffens
Zum Beispiel aus Mozarts Zauberflöte die Arie der Königin der Nacht. Markus & Markus wollen nun wissen, ob das Stückemarktpublikum, als "Vertreter der sieben Milliarden Erdlinge" tatsächlich so singen kann, wie diese Königin der Nacht. Jedoch: Fehlanzeige. Zu hören ist nur eine lustige Kakophonie. Wenigstens in diesem einen Moment hatte diese – mit Mentor René Pollesch während des Theatertreffens entwickelte - Performance was Heiteres. Ansonsten kam die Erkenntnis, dass die Erdlinge leider in keinster Weise dem Bild entsprechen, das sie im All von sich zeichnen, erstaunlich humorlos und langatmig über die Rampe.
Da konnte man live erleben, wie ungeheuer schwierig es ist, eine gelungene Performance auf die Bühne zu bringen, selbst wenn eine Projektidee so vielversprechend ist, wie diese.
Zum ersten Mal waren in diesem Jahr beim Stückemarkt Projektkonzepte gefragt. Also keine fertigen Stücke, sondern Ideen. 39 solcher Konzepte wurden eingesandt. Der Stückemarkt reagiert damit auf eine ganz wichtige Strömung: Theaterkollektive sind derzeit sehr erfolgreich, im vergangenen Jahr war zum Theatertreffen etwa She She Pop eingeladen (mit "Testament", einer Lear-Variation mit den eigenen Vätern der siebenköpfigen Truppe).
Dieses Jahr ist Gob Squad dabei – ein deutsch britisches Performer-Kollektiv ("Before your very eyes", eine Produktion, die Kinder in den Mittelpunkt stellt). Beide Gruppen stehen mit ihrem Erfolg für eine entscheidende Veränderung der Theaterlandschaft: Wenn sich angehende Theatermacher früher fragten, was muss ich tun, um ein großer Autor, ein großer Schauspieler oder ein großer Regisseur zu werden, kann jetzt die Frage auch lauten: Welche Arbeitsstruktur muss ich mir schaffen, um das zu verwirklichen, was ich vorhabe. Die Rollen sind dabei nicht mehr festgelegt: In einem Kollektiv ist jeder Autor, Regisseur und auch Schauspieler.
She She Pop oder Gob Squad arbeiten teilweise Jahre an ihren Produktionen - insofern also kein Wunder, dass Markus & Markus der Erfolg aus dem Stand heraus erst einmal nicht gelang. Sie wurden bei der Preisverleihung gestern nicht bedacht.
Dafür bekam – sehr verdient – der 25-Jährige Berliner Autor Michel Decar den mit 5000 Euro dotierten Förderpreis für Neue Dramatik. Für sein Stück "Jonas Jagow", das nun nächstes Jahr am Maxim Gorki Theater in Berlin uraufgeführt wird.
Michel Decar spiegelt darin auf sehr subtile und kluge Weise das Lebensgefühl seiner Generation. Jonas Jagow will eigentlich das Universum zerstören, weil das aber auf einmal etwas viel ist, wäre er erstmal mit der Zerstörung Berlins zufrieden. Doch er schreitet nicht zur Tat. Auch wenn er wütend ist, sehr wütend. Und das gilt auch für den Autor Michel Decar, der (auch) stark von René Pollesch beeinflusst ist und sagt: Theater muss immer kraftvoll sein und gegen etwas sein. Wogegen aber?
"Gegen unfassbar viele Dinge, die mich aufregen. (..) Die unfassbar vielen Ungerechtigkeiten, die einem selber widerfahren aber die auch weltweit existieren und von denen wir wissen. Das Internet ist so präsent, wir können uns über alles informieren, was in jedem Land dieser Erde statt findet. Wir haben diese Macht der Information und wir nutzen sie aber nicht."
Das hat aber, sagt Michel Decar auch einen Grund: Wir nutzen die Macht der Information nicht, weil wir uns dabei in Widersprüche verstricken würden, weil wir im globalisierten Kapitalismus oftmals die unterstützen, die wir eigentlich gar nicht unterstützen wollen. Es war nie so schwer wie heute, meint Decar, zu sagen, gegen wen genau wir wie vorgehen sollen.
Den mit 7000 Euro dotierten Werkauftrag des Theatertreffen-Stückemarkts gewann die Engländerin Pamela Carter. Sie präsentierte auf dem Stückemarkt "Skåne" – die Geschichte einer aus den Fugen geratenen Beziehungs- und Familienwelt, in sehr gut geschriebenen Dialogen, dramaturgisch interessant.
Pamela Carter erzählt die Geschichte von hinten nach vorn: Alles beginnt mit der reuevollen Wiedervereinigung und endet mit der Affäre, die das Familiendesaster auslöst. Die 42-Jährige ist nun beauftragt, ein neues Stück zu schreiben, das nächstes Jahr am Staatsschauspiel Dresden uraufgeführt wird.
Und das Stück des 1986 in Leipzig geborenen Wolfram Höll wird vom Deutschlandradio als Hörspiel produziert – es heißt "Und dann" und ist ganz aus der Perspektive eines Kinds erzählt, das einsam ist, die Mutter verloren hat und sich erinnert. Ein sehr berührender Text.
Berührend war im Übrigen ebenso das Stück "Fremde Körper" der polnischen Autorin Julia Holewinska, die von Männern erzählt, die sich in ihren Männerkörpern wie Frauen fühlen und damit ein Bild für ein Polen findet, das zwischen kommunistischer Vergangenheit und kapitalistischer Gegenwart darum kämpft, sich im eigenen "Körper" wohl zu fühlen.
Bei so verschiedenen Themen stellt sich die Frage: Gibt es etwas, was all die Texte des diesjährigen Stückemarkts vereint? Nein, sagt Christina Zintl, Leiterin der Stückemarkts, aber:
"Ich würde sagen, gerade diese Vielfalt, diese Disparatheit, das Auseinanderfallen, ist bezeichnend für die Auswahl. Und in dem Sinne denke ich, ist es vielleicht auch so etwas wie ein Abbild unserer Gesellschaft, die ja gerade auch dieses Nebeneinander und die Abrufbarkeit von vielen Themen und Materialien und Dokumenten ausmacht."
Sicher aber ist, alle Autoren haben eine Haltung zu unserer Welt, sie beobachten, was passiert, sind also sehr wach. Sie reagieren auf die Widersprüche der zerfallenden, postmodernen Gesellschaft. In der immer mehr Teilhabe möglich, jeder aber gleichzeitig aufgefordert ist, für sich und seine Nächsten die Verantwortung zu übernehmen. Der Stückemarkt war in dieser Hinsicht in diesem Jahr wirklich erlebenswert – wegen der vielen Bruch-Stücke, die es in sich hatten.
Links auf dradio.de:
Polit-Protest und Psycho-Horror - Auftakt des Berliner Theatertreffens