Postpartale Depressionen

Auch Männer haben Angststörungen

07:55 Minuten
Ein nachdenklich schauender Vater mit einem kleinen Baby im Arm.
Werden Väter schon früh nach der Geburt möglichst gleichwertig eingebunden, hat das positive Effekte. © Getty Images / Johner Images
Von Lydia Heller |
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Viele wissen es nicht, aber: Psychische Probleme nach der Geburt betreffen Mütter wie Väter gleichermaßen. Bei Männern steht bei der sogenannten Wochenbett-Depression oft das Gefühl der eigenen Bedeutungslosigkeit für das Neugeborene im Vordergrund.
Eberhard Schäfer nimmt das Telefon ab. „Väterzentrum Berlin, Schäfer, guten Tag?“, meldet er sich. Schäfer ist Therapeut, Politikwissenschaftler und seit 2007 Mit-Gründer des Väterzentrums Berlin.
Etwa 3000 Männer holen sich im Laufe eines Jahres hier Rat. „Dieses Bewusstsein: Ich bin Vater und ich will meinem Kind ganz nahe sein. Das ist heute so selbstverständlich, wie es vor zehn oder 15 Jahren nicht war“, sagt Schäfer. „In der Emotionalität von Vätern hat sich, glaube ich, viel mehr verändert, als wir in Zahlen ablesen können.“
Viele der Männer, die sich ans Väterzentrum wenden, sind werdende Väter und haben Fragen rund um die Geburt; oder sind Vater geworden und haben Fragen zum Umgang mit dem Kind; oder sie haben festgestellt, dass das Miterleben der Geburt ihres Kindes und das Vatersein sie verändert hat.
Schäfer erzählt, dass Väter zum Beispiel anrufen und sagen: Nach der Geburt des Kindes geht es mir schlecht und ich weiß nicht, warum. Andere wiederum erzählen: Ich habe mich so auf das Vatersein gefreut. Ich war so himmelhochjauchzend bis zur Geburt und danach fiel ich in ein tiefes Loch. „Und so viele sind überrascht dann, wenn sie hören: Übrigens, die Symptomatik von postpartaler Depression, die kann es auch bei Männern geben“, so Schäfer.

Kaum Studien zur Situation der Männer

Fachleute gehen davon aus, dass zwischen zehn und 16 Prozent der Frauen, die ein Kind geboren haben, nach der Geburt an Wochenbett-Depressionen erkranken. Für Männer ist die Studienlage dünn, aber Untersuchungen deuten inzwischen darauf hin, dass auch sie betroffen sein können, sagt Anna-Lena Zietlow, Professorin für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie und Psychotherapie an der Universität Greifswald. „Wir wissen aus der Forschung, dass tatsächlich ungefähr acht bis zehn Prozent der Väter auch nach der Geburt eine depressive Symptomatik entwickeln.“ Also ähnliche Zahlen wie bei den Müttern. „Es ist bis jetzt aber auch ein völlig untererforschter Bereich, der viel mehr Aufmerksamkeit eigentlich benötigt.“
Für eine der jüngsten Studien hatten kanadische Forscher*innen Ende 2021 die Angaben von 2500 Vätern zu ihrer psychischen Gesundheit bis zwei Jahre nach der Geburt ihrer Kinder ausgewertet. Ergebnis: Bei 22 Prozent von ihnen waren im ersten Lebensjahr ihres Kindes zugleich Depressionen und Angstsymptome aufgetreten.

Eine einzige Selbsthilfegruppe in Deutschland

„Es ist immer: Was ist mit mir los? Warum geht es mir so, bin ich bescheuert?“, schreibt Benjamin Dittrich die Gedanken. Nach der als traumatisch erlebten Geburt seines Sohns hat er 2018 die in Deutschland bislang einzige Selbsthilfegruppe für Männer nach traumatischer Geburt und mit väterlicher Depression gegründet. Um die 34 Männer tauschen sich derzeit dort aus – über die Schwierigkeiten, denen sie begegnen, seit sie Väter geworden sind.
 „Ich merke, ich erinnere mich selbst an meinen Vater in der Hinsicht. Ich will aber nicht so sein. Und: Ich spiele keine Rolle. Oder eben auch Angst: Ich habe Angst und plötzlich Dinge im Kopf, die vorher gar nicht da waren und so weiter. Es ist viel Hilflosigkeit, Überforderung – und dann daraus resultierend Wut“, erzählt Dittrich.
Der kanadischen Studie zufolge war das Risiko, nach der Geburt Depressionen und Angststörungen zu entwickeln, bei Männern am höchsten, die schon vor oder während der Schwangerschaft ihrer Partnerin an Depressionen und Ängsten gelitten hatten, deren eigene Kindheit belastet war, etwa durch Gewalterfahrungen – oder die in einer schwierigen Partnerschaft lebten.

Das Gefühl des Versagens

Auch Männer, denen traditionell Männern zugeschriebene Normen wichtig waren, waren eher betroffen: Je höher die Erwartungen an die eigene Leistungsfähigkeit zum Beispiel, im Beruf, als Partner und in der neuen Rolle als Vater – desto stärker das Gefühl des Versagens bei der Feststellung, dass man derzeit nach schlaflosen Nächten weder die Anforderungen eines Arbeitstages erfüllen, noch die erhoffte Bindung zum Kind aufbauen kann.
„Ganz viel, was ich so höre, ist: Am Anfang ist der Vater nicht die Hauptbezugsperson“, so Dittrich. „Im Kopf ist aber das Bild von: Ich freue mich auf mein Kind und ich möchte mit dem spielen und das halten. Aber dann ist die Erfahrung: Okay, ich bin voll egal gerade. Diese Anpassungsleistung ist auch nicht leicht.“
„Ich kenne dieses Phänomen, dass auch in der Medizin die Person des Vaters häufig nicht so gewichtet wird wie die Person der Mutter“, sagt die Psychologin Silke Pawils. „Also maximal lässt man sich darauf noch ein, dass der Vater eine stützende, unterstützende, versorgende Funktion hat. Aber für das Gesamtgefüge dieses frischen Systems wird der Vater nicht als wirklich wertvoll erachtet.“ Schwangerschaft, Geburt und Nachsorge galten jahrzehntelang als reine Frauensache, die Rolle von Vätern in diesem Kontext gerät nur langsam in den Fokus der Forschung – kritisiert Pawils, Forschungsgruppenleiterin am Institut für Medizinische Psychologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

Väter gleichwertig einbinden

Dabei gibt es Ansätze, die darauf hindeuten: Werden Väter schon früh nach der Geburt möglichst gleichwertig eingebunden, hat das positive Effekte. „In vielen australischen Geburtskliniken zum Beispiel ist es so: Da wird das frisch geborene Kind nicht nur der Mutter auf die nackte Brust gelegt, sondern auch dem Vater“, sagt Pawils. „Und dieses sogenannte Känguruing führt eben bei dem Vater auch tatsächlich dazu, dass er eine andere Bindung schon ab Geburt zu dem Kind haben kann, und das Kind gleichermaßen auch eine Bindung zu dem Vater aufgebaut haben kann.“
Körperkontakt, beruhigen, füttern, in den Schlaf wiegen – all das unterstützt eine gute Bindung zwischen Vater und Kind und fördert zugleich das Gefühl von Selbstwirksamkeit und damit die psychische Gesundheit der Väter. Letztere wiederum spielt eine ganz wesentliche Rolle für die gesunde Entwicklung der Kinder. Das allerdings gilt für alle ersten, engen Bezugspersonen – unabhängig vom Geschlecht.
„Ein ganz großes Risiko von Kindern psychisch kranker Eltern ist, selbst an psychischen Störungen zu erkranken, eben über die ganze Lebensspanne“, sagt Anna-Lena Zietlow von der Universität Greifswald. „Und es gibt aber viele, viele Studien, die auch zeigen, dass es beispielsweise in Bezug auf die sprachliche Entwicklung Einschränkungen geben kann. Depressive Eltern sprechen weniger mit ihren Kindern, gehen vielleicht weniger raus, haben weniger Kontakte. Wir sehen das bis ins Jugendalter, dass beispielsweise da auch die akademische Leistung eingeschränkt sein kann.“

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