Potemkinsche Dörfer

Von Edita Badasyan und Mirko Schwanitz |
Guram Odischaria ist ein bekannter georgischer Schriftsteller. Als Kulturminister soll er nun das unter der Vorgängerregierung verlorengegangene Vertrauen der intellektuellen Elite zurückgewinnen - und die abgerissenen Kulturkontakte zu den abtrünnigen Republiken Abchasien und Süd-Ossetien neu knüpfen.
In seinen Amtsräumen fand man ihn bisher nur selten – den neuen Kulturminister Georgiens. Guram Odischaria ist ein kleiner und eher stiller grauhaariger Mann. Seit der Lyriker und Romancier vor zwei Monaten das Amt des Kulturministers übernahm, reist er durchs Land und begreift allmählich, welch schweres Erbe ihm sein Vorgänger, ein ehemaliger Paramilitär, hinterlassen hat.

"Wir haben zahlreiche Baudenkmäler, mit deren Restaurierung unter meinem Amtsvorgänger begonnen wurde. Viele Probleme wurden für sehr viel Geld einfach nur mit Farbe übertüncht, nur um den wahren Zustand zu kaschieren. Andere, die längst rekonstruiert sein sollten, sind kaum mehr als Ruinen. Vor einigen Tagen habe ich die alte Residenz von König Irakli II. in der Stadt Telavi besucht und ein einziges Potemkinsches Dorf vorgefunden: Zwei Gebäude sind komplett zerstört, bei den Häusern der Hauptstraße wurden einfach die Fassaden angemalt, dahinter ist alles faul und marode."

Noch hat Guram Odischaria seine Bestandsaufnahme nicht abgeschlossen. Doch schon der erste Blick zeigt ihm, dass ihm mit dem zugeteilten Budget von gerade einmal 0,8 Prozent des Staatshaushaltes nur einen Bruchteil der Probleme wird angehen können.

"Ich habe jetzt Herzschmerzen – nicht nur wenn ich mir unsere historischen Gebäude ansehe. Neulich war ich in einer Schule, in der jede Minute die Decken einstürzen können. In einem anderen öffentlichen Gebäude kommt man nicht in den dritten Stock, weil die Treppe fehlt. All das erzählt etwas über die Korruption unter der Vorgängerregierung. Sie haben sich nicht einmal bemüht, das zu kaschieren. Schon ein erster Blick in die Unterlagen hier zeigte mir, dass alle öffentlichen Aufträge ohne Ausschreibung vergeben wurden und die Qualität der Ausführung bisher niemanden interessierte."

Odischaria steht nicht nur bei historischen Baudenkmälern vor einer Sisyphos-Arbeit. Seit der Amtszeit Saakaschvilis liegt das politisch-kritische Theater in Agonie. Die meisten Direktorenposten sind noch immer mit dessen Anhängern besetzt. Auch das unter seinem Amtsvorgänger, einem patriotischen Filmemacher und ehemaligen Paramilitär, verbotene "Internationale Kunst Festival" soll wieder zum Leben erweckt werden. Wurden bisher nur politisch opportune Künstler und Projekte unterstützt, sollen in der georgischen Kulturförderung in Zukunft vor allem ästhetische Kriterien ausschlaggebend sein. Wie aber all das umsetzen bei derart knappen Kassen?

"Unsere Vorgängerregierung war sehr überrascht, dass sie in der Hafenstadt Batumi, wo sie Milliarden Dollar investiert hatte, bei den Wahlen nur sehr wenig Stimmen bekam. Das Gleiche passierte hier in Tiflis oder in Swanetien. Sie begriff einfach nicht, dass man sich das Vertrauen des Volkes nicht erkaufen kann, in dem man wie früher die Fürsten hie und da eine Straße neu pflastert. Sie verstand nicht, dass man das Volk an Entscheidungen beteiligen muss. Dafür aber musst du am Puls der Zeit sein, im Dialog mit den Bürgern stehen. Das Volk muss sehen, dass es ernst genommen wird."

Den abgerissenen Dialog zwischen Bürgern und Regierung wiederherzustellen, sieht der Dichter nun als seine vordringlichste Aufgabe an. Angesichts knapper Kassen müsse das Volk mitreden können, welche Prioritäten in der Kulturpolitik gesetzt werden sollen. Nur dann wird es auch schmerzliche Entscheidungen mittragen. Dazu sei es aber erst einmal wichtig, überhaupt Orte für einen solchen Dialog zu schaffen. Europäische Erfahrungen, so Odischaria, könnten da sehr hilfreich sein.

"Im vergangenen Jahr war ich in Belgien und habe dort gesehen, dass sogar Dörfer ein Kino haben können, Orte, an denen man sich zum Tanzen oder zum Diskutieren trifft. Wenn es aber in Georgien dunkel wird, erstirbt das Leben in unserem Land. Stellen Sie sich vor, in unserem Land gibt es gerade einmal zwei Kinos. Es gibt einfach keine Orte, keine Kulturzentren mehr, an denen sich die Menschen treffen können. Hier wollen wir beginnen, wir wollen alte Kulturhäuser neu beleben oder, wo das nicht möglich ist, neue bauen. Die Idee ist, dass die Leute sich dort treffen und wichtige Themen diskutieren und Ideen entwickeln können."

Eigentlich sollten Künstler sich von der Politik fernhalten, sie eher kritisch begleiten. Dass er das Amt dennoch annahm, hat auch mit dem festen Willen der neuen Regierung zu tun, die abgerissenen Kontakte zu Süd-Ossetien und Abchasien neu zu knüpfen. Odischaria ist, dank engagierter Projekte in der jüngsten Vergangenheit, einer der wenigen Politiker, die frei in der Region reisen können. Vor allem eine gemeinsame Anthologie mit süd-ossetischen und abchasischen Autoren begründete seinen Ruf als Vermittler und Brückenbauer. Heute könnte sich dieses Buch geradezu als Glücksfall für die krisengeschüttelte Region erweisen

"Mein Freund Daur Nachkebia ist jetzt Bildungsminister in Abchasien. Marina Chibirova ist in Süd-Ossetien Bildungsminister. Es ist wie ein Schicksal, das wir drei an dieser Anthologie zusammengearbeitet haben. Jetzt ergibt sich so die Möglichkeit, einen Dialog zu führen und Schritt für Schritt unsere Probleme zu lösen."
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