Potemkinsche Dörfer und ein angeschlagener Chef
Mindestens ein Viertel der Bevölkerung Nordkoreas soll auf die Nahrungsmittellieferungen des Welternährungsprogramms angewiesen sein. Energie ist knapp in Nordkorea, weil Devisen fehlen und Rohstoffe wie Kohle exportiert werden. Staatschef Kim Jong ll soll inzwischen gesundheitlich ziemlich angeschlagen sein und seinen jüngsten Sohn in die Regierungsgeschäfte einweisen. Konkretes ist aber nicht zu erfahren, meint Peter Kujath nach seiner Reise durch ein Land, in dem nichts so trügerisch sein kann wie der Augenschein.
In 25 Minuten, so die chinesische Flugbegleiterin, landen wir in Pjöngjang, der nordkoreanischen Hauptstadt. Das erste, was dann auffällt, sind die fehlenden Flugzeuge, die eigentlich auf den holprigen Betonplatten unterwegs sein müssten. An diesem Tag landet und startet allein die Maschine aus Peking. Dabei ist Pjöngjang mit über 1 Million Einwohner die Hauptstadt eines Landes, das Anfang der 70er-Jahre dem koreanischen Nachbarn im Süden wirtschaftlich überlegen war. Das änderte sich jedoch drastisch mit dem Zusammenbruch des Ostblocks, dessen verbilligte Rohstoff- und Konsumgüter-Einfuhr Nordkorea sehr genutzt hatte. Übrig geblieben und unangefochten sind die Ideologie und der Personenkult in dem weitgehend isolierten Land.
Lieder zur Verherrlichung der politischen Führung stehen immer noch auf der Tagesordnung, und man hört sie auf den Straßen in Pjöngjang aus den Lautsprechern dröhnen.
"Präsident Kim Il Sung war der Gründer des sozialistischen Koreas."
Jin Myong O ist Generalsekretär der deutsch-koreanischen Freundschaftsgesellschaft und betreut die wenigen deutschen Journalisten, die nach Nordkorea einreisen dürfen. Betreuung heißt in diesem Fall, dass er sie ständig begleitet. Sich allein in der Stadt zu bewegen, ist nicht gestattet - um die Bevölkerung nicht zu verunsichern, wie es offiziell heißt. Mit wem gesprochen werden darf, entscheidet ebenfalls Herr O und organisiert im Vorfeld die Gesprächspartner. Und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass die meisten Interviews mit einer politischen Aussage beginnen.
Schulleiter Sportschule in Pjöngjang: "Unsere Schule wurde im Jahr 1955 gegründet - dank der Fürsorge von Präsident Kim Il Sung. Das bedeutet, dass wir schon auf 55 erfolgreiche Jahre zurückblicken."
Kim Il Sung ist der "geliebte Führer", der auch über seinen Tod hinaus der ewige Präsident dieses irritierenden Landes bleibt. Er ist in der nordkoreanischen Ideologie eine Art Übervater, dessen weiser Rat den Koreanern überhaupt erst ein Überleben ermöglichte.
Lasst uns den großen Führer mit unseren Waffen unterstützen, heißt dieser Marsch. Die äußere Bedrohung durch die USA wird von der nordkoreanischen Propaganda genutzt, um den eigenen Bürgern die Notwendigkeit der "Militär-zuerst-Politik" zu erklären, die dem Volk zahlreiche Entbehrungen abverlangt:
Die Welthungerhilfe ist in Nordkorea präsent. Ende letzten Jahres hatte das Land seine Währung umgestellt und damit große Verunsicherung ausgelöst. Johann van der Kamp, Leiter der Welthungerhilfe in Nordkorea, musste deshalb miterleben, dass es für kurze Zeit eigentlich gar nichts zu essen gab.
"Ich kann bestätigen, dass bis halb Februar die meisten Läden geschlossen waren. Es war also nicht möglich, sogar nicht für Ausländer, Nahrungsmittel zu kaufen."
In Nordkorea gibt es ein staatliches Verteilsystem für Nahrungsmittel aber auch für Dienstleistungen wie den Friseurbesuch. Doch dieses System funktioniert seit Beginn dieses Jahrtausends nicht mehr richtig und viele Menschen mussten zum Überleben auf dem Land oder den wenigen Märkten Nahrungsmittel kaufen. Das führte dazu, dass sich auch im sozialistischen Nordkorea kleine Händler etablierten und vor allem über die Grenze zu China immer mehr Güter privat eingeführt und verkauft wurden.
Johann van der Kamp: "Es ist absolut so, dass da eine Schattenwirtschaft ist. Es werden zum Beispiel Nahrungsmittel verkauft durch ältere Frauen. Die sieht man auch an der Straßenseite. Die haben kleine Taschen bei sich und verkaufen dann kleine Brötchen oder Äpfel oder solche Sachen. Wie groß der Schattenmarkt oder der graue Markt ist, das wissen wir nicht."
Die Währungsumstellung Ende letzten Jahres brachte dieses System kurzzeitig zum Erliegen. Denn die Abwertung des koreanischen Won im Verhältnis von 1 zu 100 hatte auch den Sinn, die wachsende Zahl der Händler einzuschüchtern und die staatliche Kontrolle über die Wirtschaft zurückzugewinnen. Für den Umtausch in neues Geld gab es eine Obergrenze, sodass die Umstellung de facto einer Enteignung gleichkam. Außerdem war vorübergehend der Besitz und Gebrauch von Devisen verboten. Gerüchten zufolge kam es vereinzelt zu spontanen Unmutsäußerungen.
"Das war früher unvorstellbar, was sich da in Nordkorea abspielt. Es gibt mehr und mehr Berichte, dass zum Beispiel auf den Märkten ältere Frauen die örtlichen Polizisten ausgeschimpft hätten, weil sie ihnen den Zutritt verwehren wollten. So etwas war früher undenkbar."
Erklärt Seo-Hyun Park, eine nordkoreanische Frau, die jetzt in Südkorea lebt und nordkoreanische Flüchtlinge betreut. Von einem organisierten Widerstand kann aber angesichts der strengen Kontrolle durch die Armee und den Geheimdienst aber auch wegen der jahrzehntelangen äußerst effektiven Propaganda nicht die Rede sein. Dennoch hat das Regime nach der misslungenen Währungsumstellung reagiert und die Verantwortlichen kurzerhand hingerichtet.
Johann van der Kamp: "Wir haben auf dem Inter-Agency-Meeting, wo sich verschiedene Organisationen wöchentlich treffen, da haben wir darüber gesprochen und es ist von mehreren Leuten gesagt worden, dass das höchstwahrscheinlich wahr ist, dass er umgebracht worden ist. Natürlich bekommt man eine Bestätigung für so etwas normalerweise nicht."
Mittlerweile hat sich die Versorgungslage wieder etwas entspannt. Außerhalb von Pjöngjang breiten fliegende Händler die wenigen Waren neben ihrem Fahrrad aus - jederzeit bereit, alles schnell wieder zusammenzupacken. Beim Besuch des einzigen Hamburger-Restaurants in der nordkoreanischen Hauptstadt sieht man die einheimischen Gäste ihre Pommes Frites oder ihren Burger wieder mit Dollar bezahlen. Trotz verschärfter UN-Sanktionen findet man in der Hauptstadt neben den klapprigen Bussen Luxusautos der bekannten Marken auf den Straßen, telefoniert die politische Oberschicht mit ihren Handys, während andere auf den wenigen Grünflächen nach essbaren Gräsern suchen.
"Da werde ich ganz ehrlich sein: also bis letztes Jahr war die Inflation bei unserer Währung stark. Wir wollen unsere nationale Währung verteidigen. Deshalb haben wir das gemacht. Aber da gab es ein bisschen Chaos, aber dadurch konnten wir doch noch überzeugen, dass die Geschlossenheit rings um General Kim Jong Il ganz stark war. In einem anderen Land, wenn es nach dem Währungswechsel solch ein Chaos gegeben hätte, dann wären die Regierungen in anderen Ländern plötzlich mal untergehen ..."
Jin Myong O, der Generalsekretär der deutsch-koreanischen Freundschaftsgesellschaft, bemüht sich, die Ereignisse irgendwie mit der politischen Linie in Einklang zu bringen. Wirtschaftlich geht es Nordkorea schlecht. Das Land ist von der Unterstützung der Volksrepublik China abhängig - vor allem, nachdem Südkorea seine Unterstützung eingestellt hat. Der konservative Präsident Lee Myung-bak fordert seit seinem Amtsantritt im Februar 2008 beharrlich: Zuerst müsse es Zugeständnisse in der Frage des nordkoreanischen Atomprogramms geben, ehe Südkorea wieder Wirtschaftshilfe, Dünger oder Nahrungsmittel liefern werde.
Doch noch immer gibt es zahlreiche südkoreanische Unternehmungen in Nordkorea, nicht nur in dem gemeinsam betriebenen Industriekomplex Kaesong, sondern im ganzen Land. Angeblich ist das Handelsvolumen zwischen den beiden Koreas nach dem Amtsantritt von Präsident Lee nur kurzzeitig eingebrochen und dürfte 2010 wieder knapp 2 Milliarden Dollar erreichen. Allerdings muss man mit allen Zahlen in Bezug auf Nordkorea sehr vorsichtig sein.
Die Hauptstadt Pjöngjang mit ihren Prachtbauten zu Ehren Kim Il Sungs, der Juche-Idee oder dem nordkoreanischen Chollima, eines mystischen, geflügelten Pferdes, erinnert ein wenig an die Hauptstädte der früheren Ostblock-Staaten. Auch die Busse und Trambahnen, die die Menschen aus den Vororten zu den Arbeitsplätzen transportieren müssen, stammen noch aus den früheren Volksrepubliken Ungarn oder der Tschechoslowakei. Private Autos sind nur für die Mitglieder der schmalen Oberschicht vorgesehen.
Da viele Fabriken stillstehen, werden die Menschen beschäftigt, in dem sie ohne den Einsatz von Maschinen auf den Feldern arbeiten oder Straßen bauen. An den zahlreichen Feiertagen zu Ehren der Kims, der Partei der Arbeiter, der Volksbefreiungsarmee oder der vielen angeblichen Siege finden Massenveranstaltungen statt, die für die Menschen verpflichtend sind.
Ebenso wie die Arirang-Spiele, die jährlich in Pjöngjang aufgeführt werden und dem Land dank der Touristen auch Devisen einbringen.
Tourist 1: "Beeindruckend. Ich dachte die Eröffnungszeremonie in China bei den Olympischen Spielen sei brillant gewesen, aber das ist viel besser."
Tourist 2: "Ich lebe in Seoul und war einfach nur interessiert zu sehen, was hier abläuft. Es sind so viele Menschen involviert. Es ist erstaunlich, dass sie die alle zusammenbekommen. Es ist einfach atemberaubend."
Wer die Prachtstraßen der Hauptstadt verlässt und ein wenig übers Land fährt, der stellt schnell fest, was alles nicht funktioniert. Johann van der Kamp, der Leiter der Welthungerhilfe in Nordkorea, muss seine Reisen zwar auch anmelden und wird dann ebenfalls von seinem nordkoreanischen Aufpasser begleitet, aber er hat sich dennoch einen Eindruck verschaffen können.
Johann van der Kamp: "Wir sehen das auch, weil fließendes Wasser in den Dörfern, in denen wir arbeiten, gibt es fast nicht. Elektrizität, was wir hören, und unserer eigenen Erfahrung nach: Das sind nur ein paar Stunden pro Tag. Und da wo wir wohnen in Pjöngjang der Hauptstadt, da ist es schon so, dass man fast immer Strom hat."
Wie aber schaffen es die normalen Bewohner, unter diesen Bedingungen zu überleben? Wer kann, baut etwas Gemüse oder Obst an. Bauern haben neben der Kollektivwirtschaft das Recht, für den eigenen Gebrauch etwas anzubauen, eine Ziege oder ein Schwein zu halten. In den Wohnvierteln der Städte werden die Grünflächen zum gleichen Zweck genutzt oder auf dem Balkon Tomaten und anderes groß gezogen. Und dann gibt es da noch das Geld, das von den Nordkoreanern, die in Südkorea oder Japan leben, in die Heimat geschickt wird.
"Das ist natürlich illegal. Und es gibt viele Anekdoten unter den nordkoreanischen Flüchtlingen. Der südkoreanische Nachrichtendienst hat mir zum Beispiel einmal erzählt, dass man dafür streng bestraft und auch geschlagen werden könnte. Darauf habe ich aber nur erwidert: Wenn es wirklich diese Strafe gibt, dann nehme ich auch die Prügel auf mich. Es ist nämlich meine Pflicht und ich werde weiterhin meiner Familie Geld schicken."
Die 31-jährige Seo-Hyun Park ist 2003 über die Volksrepublik China nach Südkorea geflohen. Ihre Familie musste sie zurücklassen und damit rechnen, dass diese in Sippenhaft genommen wird. Über Vermittler, meist koreanisch-stämmige Chinesen, die in der Grenzregion zwischen China und Nordkorea leben und kein Visum zum Grenzübertritt brauchen, hat sie es geschafft, wieder Kontakt aufzunehmen. Seitdem schickt sie regelmäßig Geld nach Nordkorea. Die Kontrolle, ob das auch wirklich ankommt, ist äußerst schwierig.
"In 70 Prozent der Fälle kann ich mich auf den Vermittler verlassen. Aber jeder hat seine eigenen Kontakte und seine eigenen Erfahrungen gemacht. Die Schwierigkeit liegt darin, ob ich den Vermittlern vertrauen kann. Wenn ich zum Beispiel einen Brief von meiner Mutter bekomme und darin steht: 'Ich habe dein verdientes Geld in chinesischer Währung erhalten; du hast es bestimmt auch sehr schwer ...', dann klingt das ganz gut. Aber es kann ja auch sein, dass jemand danebensteht und sie gezwungen hat, all dies zu schreiben. Aber da ich als Erwachsene geflüchtet bin, erkenne ich die Schrift meiner Mutter und die von meiner älteren Schwester. Nordkoreanisches Papier ist zudem anders. Ich kann das an den Linien oder beim Falten unterscheiden. Ein Blatt Papier von guter Qualität lässt sich leicht falten, aber die Falte eines nordkoreanischen Blattes ist sehr rau. Man muss genau hinschauen, aber auf diese Weise kann ich mir ein Bild machen, ob der Brief authentisch ist."
Wie viel Geld so nach Nordkorea fließt, weiß keiner zu sagen. In Südkorea wurden 2008 knapp 3000 nordkoreanische Flüchtlinge offiziell registriert. In China sollen es zwischen 20-30.000 sein. Verlässliche Zahlen gibt es jedoch nicht. Sicher ist, dass auf diesem Weg auch Informationen in das ansonsten abgeschlossene Land eindringen. Generell gilt, dass man verlässliche Informationen eher außerhalb von Nordkorea als im Land selbst erhält.
Fragen nach dem Gesundheitszustand von Kim Jong Il sind tabu, ebenso wie Spekulationen um seine Nachfolge. Deshalb war es ein wenig verwunderlich, dass der Generalsekretär der deutsch-koreanischen Freundschaftsgesellschaft, Jin Myong O, im staatlichen Briefmarken-Design-Zentrum die Frage nach Kim Jong Un, dem jüngsten Sohn von Kim Jong Il, zuließ. Angeblich soll der wahrscheinlich 1982 Geborene Nachfolger seines Vaters werden. Damit wäre die dynastische Herrschaftsfolge in der Juche-Dynastie gesichert. Der Vizedirektor der staatlichen nordkoreanischen Briefmarkenfirma antwortete auf die Frage, ob man eine Sondermarke mit Kim Jong Un plane, mit einem "Ja".
Einige Beobachter gehen davon aus, dass Kim Jong Un seinen Vater bei dessen jüngstem Besuch in die Volksrepublik China begleitet haben könnte, um den anstehenden Machtwechsel dem wichtigsten Verbündeten Nordkoreas vorab bekannt zu geben. Doch gesichtet worden ist er nicht und die Briefmarke mit seinem Konterfei steht auch noch aus.
Lieder zur Verherrlichung der politischen Führung stehen immer noch auf der Tagesordnung, und man hört sie auf den Straßen in Pjöngjang aus den Lautsprechern dröhnen.
"Präsident Kim Il Sung war der Gründer des sozialistischen Koreas."
Jin Myong O ist Generalsekretär der deutsch-koreanischen Freundschaftsgesellschaft und betreut die wenigen deutschen Journalisten, die nach Nordkorea einreisen dürfen. Betreuung heißt in diesem Fall, dass er sie ständig begleitet. Sich allein in der Stadt zu bewegen, ist nicht gestattet - um die Bevölkerung nicht zu verunsichern, wie es offiziell heißt. Mit wem gesprochen werden darf, entscheidet ebenfalls Herr O und organisiert im Vorfeld die Gesprächspartner. Und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass die meisten Interviews mit einer politischen Aussage beginnen.
Schulleiter Sportschule in Pjöngjang: "Unsere Schule wurde im Jahr 1955 gegründet - dank der Fürsorge von Präsident Kim Il Sung. Das bedeutet, dass wir schon auf 55 erfolgreiche Jahre zurückblicken."
Kim Il Sung ist der "geliebte Führer", der auch über seinen Tod hinaus der ewige Präsident dieses irritierenden Landes bleibt. Er ist in der nordkoreanischen Ideologie eine Art Übervater, dessen weiser Rat den Koreanern überhaupt erst ein Überleben ermöglichte.
Lasst uns den großen Führer mit unseren Waffen unterstützen, heißt dieser Marsch. Die äußere Bedrohung durch die USA wird von der nordkoreanischen Propaganda genutzt, um den eigenen Bürgern die Notwendigkeit der "Militär-zuerst-Politik" zu erklären, die dem Volk zahlreiche Entbehrungen abverlangt:
Die Welthungerhilfe ist in Nordkorea präsent. Ende letzten Jahres hatte das Land seine Währung umgestellt und damit große Verunsicherung ausgelöst. Johann van der Kamp, Leiter der Welthungerhilfe in Nordkorea, musste deshalb miterleben, dass es für kurze Zeit eigentlich gar nichts zu essen gab.
"Ich kann bestätigen, dass bis halb Februar die meisten Läden geschlossen waren. Es war also nicht möglich, sogar nicht für Ausländer, Nahrungsmittel zu kaufen."
In Nordkorea gibt es ein staatliches Verteilsystem für Nahrungsmittel aber auch für Dienstleistungen wie den Friseurbesuch. Doch dieses System funktioniert seit Beginn dieses Jahrtausends nicht mehr richtig und viele Menschen mussten zum Überleben auf dem Land oder den wenigen Märkten Nahrungsmittel kaufen. Das führte dazu, dass sich auch im sozialistischen Nordkorea kleine Händler etablierten und vor allem über die Grenze zu China immer mehr Güter privat eingeführt und verkauft wurden.
Johann van der Kamp: "Es ist absolut so, dass da eine Schattenwirtschaft ist. Es werden zum Beispiel Nahrungsmittel verkauft durch ältere Frauen. Die sieht man auch an der Straßenseite. Die haben kleine Taschen bei sich und verkaufen dann kleine Brötchen oder Äpfel oder solche Sachen. Wie groß der Schattenmarkt oder der graue Markt ist, das wissen wir nicht."
Die Währungsumstellung Ende letzten Jahres brachte dieses System kurzzeitig zum Erliegen. Denn die Abwertung des koreanischen Won im Verhältnis von 1 zu 100 hatte auch den Sinn, die wachsende Zahl der Händler einzuschüchtern und die staatliche Kontrolle über die Wirtschaft zurückzugewinnen. Für den Umtausch in neues Geld gab es eine Obergrenze, sodass die Umstellung de facto einer Enteignung gleichkam. Außerdem war vorübergehend der Besitz und Gebrauch von Devisen verboten. Gerüchten zufolge kam es vereinzelt zu spontanen Unmutsäußerungen.
"Das war früher unvorstellbar, was sich da in Nordkorea abspielt. Es gibt mehr und mehr Berichte, dass zum Beispiel auf den Märkten ältere Frauen die örtlichen Polizisten ausgeschimpft hätten, weil sie ihnen den Zutritt verwehren wollten. So etwas war früher undenkbar."
Erklärt Seo-Hyun Park, eine nordkoreanische Frau, die jetzt in Südkorea lebt und nordkoreanische Flüchtlinge betreut. Von einem organisierten Widerstand kann aber angesichts der strengen Kontrolle durch die Armee und den Geheimdienst aber auch wegen der jahrzehntelangen äußerst effektiven Propaganda nicht die Rede sein. Dennoch hat das Regime nach der misslungenen Währungsumstellung reagiert und die Verantwortlichen kurzerhand hingerichtet.
Johann van der Kamp: "Wir haben auf dem Inter-Agency-Meeting, wo sich verschiedene Organisationen wöchentlich treffen, da haben wir darüber gesprochen und es ist von mehreren Leuten gesagt worden, dass das höchstwahrscheinlich wahr ist, dass er umgebracht worden ist. Natürlich bekommt man eine Bestätigung für so etwas normalerweise nicht."
Mittlerweile hat sich die Versorgungslage wieder etwas entspannt. Außerhalb von Pjöngjang breiten fliegende Händler die wenigen Waren neben ihrem Fahrrad aus - jederzeit bereit, alles schnell wieder zusammenzupacken. Beim Besuch des einzigen Hamburger-Restaurants in der nordkoreanischen Hauptstadt sieht man die einheimischen Gäste ihre Pommes Frites oder ihren Burger wieder mit Dollar bezahlen. Trotz verschärfter UN-Sanktionen findet man in der Hauptstadt neben den klapprigen Bussen Luxusautos der bekannten Marken auf den Straßen, telefoniert die politische Oberschicht mit ihren Handys, während andere auf den wenigen Grünflächen nach essbaren Gräsern suchen.
"Da werde ich ganz ehrlich sein: also bis letztes Jahr war die Inflation bei unserer Währung stark. Wir wollen unsere nationale Währung verteidigen. Deshalb haben wir das gemacht. Aber da gab es ein bisschen Chaos, aber dadurch konnten wir doch noch überzeugen, dass die Geschlossenheit rings um General Kim Jong Il ganz stark war. In einem anderen Land, wenn es nach dem Währungswechsel solch ein Chaos gegeben hätte, dann wären die Regierungen in anderen Ländern plötzlich mal untergehen ..."
Jin Myong O, der Generalsekretär der deutsch-koreanischen Freundschaftsgesellschaft, bemüht sich, die Ereignisse irgendwie mit der politischen Linie in Einklang zu bringen. Wirtschaftlich geht es Nordkorea schlecht. Das Land ist von der Unterstützung der Volksrepublik China abhängig - vor allem, nachdem Südkorea seine Unterstützung eingestellt hat. Der konservative Präsident Lee Myung-bak fordert seit seinem Amtsantritt im Februar 2008 beharrlich: Zuerst müsse es Zugeständnisse in der Frage des nordkoreanischen Atomprogramms geben, ehe Südkorea wieder Wirtschaftshilfe, Dünger oder Nahrungsmittel liefern werde.
Doch noch immer gibt es zahlreiche südkoreanische Unternehmungen in Nordkorea, nicht nur in dem gemeinsam betriebenen Industriekomplex Kaesong, sondern im ganzen Land. Angeblich ist das Handelsvolumen zwischen den beiden Koreas nach dem Amtsantritt von Präsident Lee nur kurzzeitig eingebrochen und dürfte 2010 wieder knapp 2 Milliarden Dollar erreichen. Allerdings muss man mit allen Zahlen in Bezug auf Nordkorea sehr vorsichtig sein.
Die Hauptstadt Pjöngjang mit ihren Prachtbauten zu Ehren Kim Il Sungs, der Juche-Idee oder dem nordkoreanischen Chollima, eines mystischen, geflügelten Pferdes, erinnert ein wenig an die Hauptstädte der früheren Ostblock-Staaten. Auch die Busse und Trambahnen, die die Menschen aus den Vororten zu den Arbeitsplätzen transportieren müssen, stammen noch aus den früheren Volksrepubliken Ungarn oder der Tschechoslowakei. Private Autos sind nur für die Mitglieder der schmalen Oberschicht vorgesehen.
Da viele Fabriken stillstehen, werden die Menschen beschäftigt, in dem sie ohne den Einsatz von Maschinen auf den Feldern arbeiten oder Straßen bauen. An den zahlreichen Feiertagen zu Ehren der Kims, der Partei der Arbeiter, der Volksbefreiungsarmee oder der vielen angeblichen Siege finden Massenveranstaltungen statt, die für die Menschen verpflichtend sind.
Ebenso wie die Arirang-Spiele, die jährlich in Pjöngjang aufgeführt werden und dem Land dank der Touristen auch Devisen einbringen.
Tourist 1: "Beeindruckend. Ich dachte die Eröffnungszeremonie in China bei den Olympischen Spielen sei brillant gewesen, aber das ist viel besser."
Tourist 2: "Ich lebe in Seoul und war einfach nur interessiert zu sehen, was hier abläuft. Es sind so viele Menschen involviert. Es ist erstaunlich, dass sie die alle zusammenbekommen. Es ist einfach atemberaubend."
Wer die Prachtstraßen der Hauptstadt verlässt und ein wenig übers Land fährt, der stellt schnell fest, was alles nicht funktioniert. Johann van der Kamp, der Leiter der Welthungerhilfe in Nordkorea, muss seine Reisen zwar auch anmelden und wird dann ebenfalls von seinem nordkoreanischen Aufpasser begleitet, aber er hat sich dennoch einen Eindruck verschaffen können.
Johann van der Kamp: "Wir sehen das auch, weil fließendes Wasser in den Dörfern, in denen wir arbeiten, gibt es fast nicht. Elektrizität, was wir hören, und unserer eigenen Erfahrung nach: Das sind nur ein paar Stunden pro Tag. Und da wo wir wohnen in Pjöngjang der Hauptstadt, da ist es schon so, dass man fast immer Strom hat."
Wie aber schaffen es die normalen Bewohner, unter diesen Bedingungen zu überleben? Wer kann, baut etwas Gemüse oder Obst an. Bauern haben neben der Kollektivwirtschaft das Recht, für den eigenen Gebrauch etwas anzubauen, eine Ziege oder ein Schwein zu halten. In den Wohnvierteln der Städte werden die Grünflächen zum gleichen Zweck genutzt oder auf dem Balkon Tomaten und anderes groß gezogen. Und dann gibt es da noch das Geld, das von den Nordkoreanern, die in Südkorea oder Japan leben, in die Heimat geschickt wird.
"Das ist natürlich illegal. Und es gibt viele Anekdoten unter den nordkoreanischen Flüchtlingen. Der südkoreanische Nachrichtendienst hat mir zum Beispiel einmal erzählt, dass man dafür streng bestraft und auch geschlagen werden könnte. Darauf habe ich aber nur erwidert: Wenn es wirklich diese Strafe gibt, dann nehme ich auch die Prügel auf mich. Es ist nämlich meine Pflicht und ich werde weiterhin meiner Familie Geld schicken."
Die 31-jährige Seo-Hyun Park ist 2003 über die Volksrepublik China nach Südkorea geflohen. Ihre Familie musste sie zurücklassen und damit rechnen, dass diese in Sippenhaft genommen wird. Über Vermittler, meist koreanisch-stämmige Chinesen, die in der Grenzregion zwischen China und Nordkorea leben und kein Visum zum Grenzübertritt brauchen, hat sie es geschafft, wieder Kontakt aufzunehmen. Seitdem schickt sie regelmäßig Geld nach Nordkorea. Die Kontrolle, ob das auch wirklich ankommt, ist äußerst schwierig.
"In 70 Prozent der Fälle kann ich mich auf den Vermittler verlassen. Aber jeder hat seine eigenen Kontakte und seine eigenen Erfahrungen gemacht. Die Schwierigkeit liegt darin, ob ich den Vermittlern vertrauen kann. Wenn ich zum Beispiel einen Brief von meiner Mutter bekomme und darin steht: 'Ich habe dein verdientes Geld in chinesischer Währung erhalten; du hast es bestimmt auch sehr schwer ...', dann klingt das ganz gut. Aber es kann ja auch sein, dass jemand danebensteht und sie gezwungen hat, all dies zu schreiben. Aber da ich als Erwachsene geflüchtet bin, erkenne ich die Schrift meiner Mutter und die von meiner älteren Schwester. Nordkoreanisches Papier ist zudem anders. Ich kann das an den Linien oder beim Falten unterscheiden. Ein Blatt Papier von guter Qualität lässt sich leicht falten, aber die Falte eines nordkoreanischen Blattes ist sehr rau. Man muss genau hinschauen, aber auf diese Weise kann ich mir ein Bild machen, ob der Brief authentisch ist."
Wie viel Geld so nach Nordkorea fließt, weiß keiner zu sagen. In Südkorea wurden 2008 knapp 3000 nordkoreanische Flüchtlinge offiziell registriert. In China sollen es zwischen 20-30.000 sein. Verlässliche Zahlen gibt es jedoch nicht. Sicher ist, dass auf diesem Weg auch Informationen in das ansonsten abgeschlossene Land eindringen. Generell gilt, dass man verlässliche Informationen eher außerhalb von Nordkorea als im Land selbst erhält.
Fragen nach dem Gesundheitszustand von Kim Jong Il sind tabu, ebenso wie Spekulationen um seine Nachfolge. Deshalb war es ein wenig verwunderlich, dass der Generalsekretär der deutsch-koreanischen Freundschaftsgesellschaft, Jin Myong O, im staatlichen Briefmarken-Design-Zentrum die Frage nach Kim Jong Un, dem jüngsten Sohn von Kim Jong Il, zuließ. Angeblich soll der wahrscheinlich 1982 Geborene Nachfolger seines Vaters werden. Damit wäre die dynastische Herrschaftsfolge in der Juche-Dynastie gesichert. Der Vizedirektor der staatlichen nordkoreanischen Briefmarkenfirma antwortete auf die Frage, ob man eine Sondermarke mit Kim Jong Un plane, mit einem "Ja".
Einige Beobachter gehen davon aus, dass Kim Jong Un seinen Vater bei dessen jüngstem Besuch in die Volksrepublik China begleitet haben könnte, um den anstehenden Machtwechsel dem wichtigsten Verbündeten Nordkoreas vorab bekannt zu geben. Doch gesichtet worden ist er nicht und die Briefmarke mit seinem Konterfei steht auch noch aus.