"Mich ärgern Schlaglöcher nicht, ich mache etwas draus"
Urban Gardening einmal anders: Der Australier Steve Wheen bepflanzt Schlaglöcher. Hunderte solcher Minigärten hat er schon gestaltet - überall auf der Welt. Manche seiner Gärten halten nur ein paar Stunden, sagt er. Aber andere jahrelang.
Martin Böttcher: Die Echtzeit ist heute wieder einmal unterwegs – und zwar, um es noch mal zu sagen, auf der Straße! On the Road again.
Ganz frisch gebaute Straßen machen zwar den Eindruck, als wären sie für die Ewigkeit gebaut, aber wir alle wissen ja: nach ein paar Jahren löst sich das alles langsam auf, der Asphalt bröselt – und wenn nichts dagegen getan wird, dann kommen es schließlich zu Schlaglöchern. Viele Leute ärgern sich über Schlaglöcher, Steve Wheen freut sich darüber. Der Brite ist nämlich Pothole-Gardener – Schlagloch-Gärtner. Hunderte von Schlaglöchern hat er schon zu Minigärten umgestaltet – und darüber habe ich vor der Sendung mit ihm gesprochen. Hallo Mr. Wheen.
Steve Wheen: Hello, how are you?
"Mein Projekt dreht sich um das Thema Glück"
Martin Böttcher: Wie würden Sie dieses Pothole-Gardening einordnen? Ist das Street-Art? Oder eine Weiterentwicklung von Urban Gardening?
Steven Wheen: Es ist schon Urban Gardening. Allerdings kursieren verschiedene Begriffe für das was ich mache. Mein Projekt dreht sich um das Thema Glück. Und so lange ich Menschen mit damit glücklich mache, ist mir egal wie man das nennt.
Martin Böttcher: Ihre Gärten bestehen aus Blumen und Pflanzen – aber nicht nur. Manchmal gestalten sie richtige kleine Szenen. Mir gefällt besonders die mit einer Miniatur-Telefonzelle – so richtig schön im britischen rot – oder auch die, wenn sie kleine Stühle, hinstellen oder einen Rasentennisplatz inklusive Rasenmäher. Welches ist denn Ihr Lieblingsgärtchen?
Steve Wheen: Sie beschreiben da auch meine Lieblingsgärten. Der Garten mit der Miniatur Telefonzelle zum Beispiel - Ich wollte da London auf eine besonders schöne Art zeigen. Und dieser Ort in London ist einer meiner Liebsten. Ich liebe die Tower Bridge. Ich versuche ja mit all meinen Gärten kleine Geschichte zu erzählen. Ich möchte meine Besucher inspirieren sich zu diesen Gärten etwas auszudenken und sich zu fragen, wer nutzt diese Telefonzelle oder diesen Stuhl oder diese Hollywood Schaukel? Sich etwas dazu auszudenken. Wie in der Kindheit, da hat ja auch jeder mit Miniaturen gespielt.
Ein Mittel, um die Menschen zum Reden zu bringen
Martin Böttcher: Wie sind Sie denn überhaupt er auf die Idee gekommen? Gibt es in London außergewöhnlich viele Schlaglöcher? Was war der Auslöser?
Steve Wheen: Ich habe ursprünglich nach einem Projekt gesucht, das aus etwas, was die Leute ärgert, etwas macht, was sie zum Lächeln bringt und dazu, miteinander zu kommunizieren. Ich komme aus Australien, wo es immer noch normal ist, dass Leute auf der Straße miteinander reden und den Augenkontakt suchen. Das war etwas, was mich an London sehr gestört hat, als ich dahin gezogen bin. Dass die Leute in ihren Blasen unterwegs sind und nicht miteinander reden. Fremde werden schlicht nicht beachtet.
Meine Gärten bringen die Leute zum Anhalten, sie kommen miteinander ins Gespräch. Und das ist es, worum es in diesem Projekt geht. Ich habe verschiedene Sachen ausprobiert, um das zu erreichen, aber am Ende waren es eben Gärten in Schlaglöchern.
Martin Böttcher: Wo liegen diese Schlaglöcher, auf der Straße oder auf dem Bürgersteig?
Steven Wheen: Ich habe Gärten auf der ganzen Welt. Die meisten sind auf Bürgersteigen, manchmal gärtnere ich auch auf Straßen, die nicht genutzt werden oder mal auf einem Parkplatz am Rand. Aber nie in der Mitte der Straße. Das ist zu verrückt für mich. Ich versuche Orte mit vielen Fußgängern zu finden, damit die die Gärten auch entdecken können.
Martin Böttcher: Ist das vergleichbar mit Männern, die im Keller eine Miniatureisenbahn haben, oder ist das was ganz anderes?
Steven Wheen: Also, ich habe jetzt keine Gärten im Keller – aber da gibt es natürlich schon Parallelen zwischen Modelleisenbahnen und meine Miniaturgärten. Es geht ja auch bei mir darum, kleine Szenen und Geschichten zu erzählen und das versuchen die Leute ja am Ende auch mit ihren Miniatureisenbahnen.
"Ich mag vor allem Narzissen"
Martin Böttcher: So ein Garten will ja auch gepflegt sein! Wer gießt die Blumen, wer schneidet die Minihecken, wer mäht den Rasen?
Steve Wheen: Das Magische an diesen Gärten, das auch die Leute wirklich überrascht, ist, dass sie nur vorübergehend existieren. Die halten nicht lange. Manchmal nur ein paar Stunden, bevor jemand etwas klaut oder drauf tritt. Das macht sie besonders. Es gibt aber auch ein paar Gärtchen, die Jahre gehalten haben. Das sehe ich in den sozialen Medien, dass Leute sich um sie kümmern und sie pflegen. In London haben wir natürlich auch kein Problem mit Wasser – da regnet es ja oft.
Martin Böttcher: Welche Pflanzen eignen sich gut für Schlaglochgärten - was braucht es, um ein Gärtchen anzulegen? Was pflanzen sie da normalerweise an?
Steven Wheen: Ich mag gerne bunte Blumen. Vor allem Narzissen. Ich liebe den Frühling, wenn die Narzissen zu blühen anfangen und der Winter endet, das ist so eine aufregende Zeit im Jahr! Diese knalligen Blumen in einem Schlagloch. Das mag ich wohl am liebsten.
Martin Böttcher: Mittlerweile gibt es schon Imitatoren auf der ganzen Welt - was machen die anders?
Steve Wheen: Ich liebe es, wenn Leute Schlagloch-Gärten erschaffen und mir Bilder davon schicken. Darum geht es ja. Je mehr Pothole Gardens auf der Welt, desto besser. Ich habe schon alle möglichen verrückten Schlaglochgärten gesehen. Eine massive Bananenstaude in einem Schlagloch oder so ein Designer-Garten aus Hongkong. Ich mag es sehr, Interpretationen von meinen Gärtchen zu sehen.
Die Welt ein bisschen besser machen
Martin Böttcher: Macht das die Welt besser, statt sich über Schlaglöcher zu ärgern, sich über Gärten zu freuen?
Steve Wheen: Warum nicht? Das geht uns ja alles was an, die Welt ein bisschen besser zu machen. Mich ärgern Schlaglöcher nicht, ich mache etwas draus.
Martin Böttcher: Also werden Sie nicht damit aufhören?
Steve Wheen: Nein, nein, nein. Wenn mich nicht jemand davon abhält, mache ich weiter. Dafür liebe ich das viel zu sehr.
Martin Böttcher: Steven Wheen – der Pothole-Gardener. Wer mehr über ihn wissen will: The Little Book of Little Gardens heißt sein Buch, er hat aber auch eine eigene Homepage und – noch aktueller – einen Instagramaccount.